19.01.2021
Heute hat der Bundestag die lang erwartete 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verabschiedet. Mit der Novelle werden vor allem wesentliche Neuerungen zur Modernisierung des Kartellrechts im digitalen Zeitalter eingeführt, weshalb sie offiziell auch als „GWB-Digitalisierungsgesetz“ bezeichnet wird. Die Novelle enthält darüber hinaus eine Vielzahl von Neuregelungen und -gliederungen des gesamten GWB, u.a. in den Bereichen Fusionskontrolle, Missbrauchsaufsicht, Bußgeldverfahren und die Durchsetzung von Kartellschadenersatzansprüchen.
Zusammenfassend werden dadurch folgende Bereiche neu geregelt:
Wesentlicher Anlass für die Novelle war dabei die europäische Richtlinie 2019/1/EU („ECN+-Richtlinie“), die von den nationalen Gesetzgebern bis zum 4. Februar 2021 umgesetzt werden muss und zum Ziel hat, einheitliche Standards bei der Verfolgung von Kartellverstößen in den EU-Mitgliedstaaten sicherzustellen. Darüber hinaus werden mit der Novelle aber auch Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag zur Gestaltung des digitalen Wandels sowie wissenschaftliche Erkenntnisse diverser Expertenkommissionen und Studien, wie dem Bericht der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0, zum Teil umgesetzt (siehe bereits unseren Beitrag zum Referentenentwurf hier).
Die 10. GWB-Novelle tritt in einer Zeit in Kraft, in der sich Gesetzgeber und Wettbewerbsbehörden weltweit auf Big-Tech-Konzerne wie Google, Apple, Facebook und Amazon fokussieren. Zugleich fügt sie sich in die gesamteuropäische Strategie zur Modernisierung des Kartellrechts ein. Erst vor Kurzem hat auch die Europäische Kommission ihre Vorhaben zur Schaffung eines digitalen Binnenmarktes und zur stärkeren Regulierung von Digitalunternehmen vorgestellt und Gesetzesentwürfe zum Digital Markets („DMA“) und Digital Services Act („DSA") veröffentlicht (siehe hier).
Unternehmen müssen sich vor allem auf folgende Neuerungen einstellen:
Schlüsselelement der Missbrauchsaufsicht sind weitreichende neue Regelungen, die sich an Unternehmen mit bestimmter Marktmacht richten.
In der Zukunft wird das Bundeskartellamt auf die „Intermediationsmacht“ eines Unternehmens zur Bestimmung einer marktbeherrschenden Stellung abstellen können. Die Intermediationsmacht beschreibt die Stellung eines Vermittlers auf mehrseitigen Märkten, die es ihm ermöglicht, den Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten zu kontrollieren (sog. Gatekeeper). Dieses in § 18 Abs. 3b GWB neu eingeführte Kriterium richtet sich insbesondere an digitale Plattformbetreiber (z.B. Google, Amazon oder Facebook), die aufgrund ihrer Größe und Bekanntheit bei Kunden einen relevanten Einfluss auf die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit oder jedenfalls den Markterfolg von Marktteilnehmern haben können, insbesondere wenn diese in vor- oder nachgelagerten Märkten mit diesen „Gatekeepern“ im Wettbewerb stehen.
Ein von der Intermediationsmacht zu unterscheidendes, weiteres Schlüsselelement der deutschen Missbrauchsaufsicht bei der effektiven Regulierung von Digitalunternehmen soll der neue Eingriffstatbestand des § 19a GWB sein. Mit diesem neuen Instrument soll das Bundeskartellamt in relativ kurzer Zeit in einem dreistufigen Verfahren gegen Unternehmen mit „überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ vorgehen können (selbst wenn Unternehmen keine konkreten Kartellrechtsverstöße begangen haben (ex ante Regulierung)). Zukünftig kann es in einem ersten Schritt die marktübergreifende Bedeutung eines Unternehmens anhand eines Kriterienkatalogs feststellen. Als eines der wichtigsten neuen Kriterien zur Bestimmung einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung kann auch hier auf die Gatekeeper-Funktion eines Unternehmens abgestellt werden, § 19a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 GWB. Auf der zweiten Stufe kann das Bundeskartellamt dann sieben bestimmte (abschließend aufgezählte) Missbrauchshandlungen verbieten und in einem letzten Schritt durch entsprechende Abhilfemaßnahmen unterbinden. Zu den aufgezählten Missbrauchstatbeständen gehören insbesondere:
Zusätzlich kann das Bundeskartellamt in Zukunft bereits dann einschreiten, wenn ein Unternehmen mit relativer oder überlegener Marktmacht andere Unternehmen an der Erzielung von Netzwerkeffekten hindert und hierdurch die ernstliche Gefahr begründet, dass der Leistungswettbewerb „in nicht unerheblichem Maße“ eingeschränkt wird (sog. „Tipping“ der Märkte), § 20 Abs. 3a GWB. Die gleichzeitige Erweiterung des Adressatenkreises auf Unternehmen mit „überlegener“ Marktmacht (die bisherigen Maßnahmen des Bundeskartellamtes richten sich gegen Unternehmen mit „überragender“ Marktmacht) soll das Bundeskartellamt in die Lage versetzen, bereits zu einem frühen Zeitpunkt gegen wettbewerbswidrige Praktiken vorzugehen.
Abgerundet werden die Neuerungen in der Missbrauchsaufsicht mit der Herabsenkung der Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Maßnahmen nach § 32a Abs. 1 GWB. Der Erlass einstweiliger Maßnahmen ist nunmehr bereits dann möglich, wenn eine Zuwiderhandlung „überwiegend wahrscheinlich erscheint“ und die einstweilige Maßnahme „zum Schutz des Wettbewerbs oder aufgrund einer unmittelbar drohenden, schwerwiegenden Beeinträchtigung eines anderen Unternehmens geboten ist“. Das Bundeskartellamt muss damit nicht mehr den Nachweis eines nicht wiedergutzumachenden Schadens für den Wettbewerb erbringen.
Im Bereich der Fusionskontrolle gibt es vor allem praktische Erleichterungen sowohl für das Bundeskartellamt einerseits als auch die Unternehmen andererseits.
Die Änderung mit der größten praktische Auswirkung ist in diesem Zusammenhang die erhebliche Anhebung der auf die Umsätze bezogenen Aufgreifschwellen:
Durch die Erhöhung der Aufgreifschwellen des § 35 GWB werden in Zukunft eine Vielzahl von Zusammenschlussvorhaben zwischen bzw. mit Unternehmen mit vergleichsweise geringen nationalen Umsätzen nicht mehr beim Bundeskartellamt angemeldet werden müssen. Der Gesetzgeber erwartet hierdurch einen Ressourcenzuwachs beim Bundeskartellamt, um nicht nur die Qualität der wenigen Hauptprüfverfahren aufrecht zu erhalten, sondern auch, um Wettbewerbsbeschränkungen gezielter zu verfolgen bzw. zu verhindern. Als Reaktion auf die aufwändiger gewordenen Hauptprüfverfahren wurde zudem die Prüffrist im Hauptprüfverfahren um einen Monat auf insgesamt fünf Monate verlängert.
Für das Verlagswesen (aber nicht für den Rundfunk) wurde hingegen der Umsatzmultiplikator auf das „vierfache“ herabgesenkt, § 38 Abs. 3 GWB. Zusammenschlüsse im Pressebereich werden in der Zukunft also nicht mehr so häufig Gegenstand eines Fusionskontrollverfahrens werden.
Hervorzuheben ist zudem eine Ausnahmeregelung für Zusammenschlüsse im Krankenhausbereich. Nach § 186 Abs. 9 GWB sind auf bestimmte Zusammenschlussvorhaben die Vorschriften der Fusionskontrolle nicht anwendbar, solange der Zusammenschluss bis zum 31. Dezember 2025 vollzogen wird (unser Kollege Herr Dr. Janssen berichtete hierzu bereits in der Fachzeitschrift das Krankenhaus). Da diese Sonderregelung eine für die Bevölkerung wichtigen Sektor betreffen, müssen sämtliche Zusammenschlüsse nach Vollzug beim Bundeskartellamt angezeigt werden. Damit kommt dem Krankenhaussektor eine Sonderrolle zu.
Zukünftig müssen Unternehmen aller übrigen Branchen nämlich den Vollzug zuvor angemeldeter Zusammenschlussvorhaben grundsätzlich nicht mehr bei der Behörde anzeigen. Hierdurch erwartet der Gesetzgeber ebenfalls eine Entlastung aller Beteiligten.
Eine weitere Erleichterung für Unternehmen bei der Berechnung der Umsatzschwellen dürfte in der Anerkennung internationaler Rechnungslegungsstandards liegen, was allerdings vom Bundeskartellamt in der Praxis bereits bisher so gehandhabt wurde.
Mit der Anmeldeaufforderung des neuen § 39a GWB erhält das Bundeskartellamt schließlich eine Kompetenz, die der deutschen Fusionskontrolle bislang nicht bekannt gewesen ist. Unter engen Voraussetzungen kann das Bundeskartellamt ein Unternehmen dazu verpflichten, sämtliche Zusammenschlüsse in einem oder mehreren Wirtschaftszweigen über einen Zeitraum von drei Jahren beim Bundeskartellamt anzumelden, auch wenn die Aufgreifschwellen des § 35 GWB nicht erreicht werden. Sinn und Zweck dieser Vorschrift sind die Vermeidung sog. „Killer Acquisitions“, also dem Aufkaufen von im Wachstum befindlichen Unternehmen, insbesondere von Start-ups, bei denen die Erwerber von der (nunmehr deutlich erhöhten) zweiten Inlandsumsatzschwelle profitieren würden. Durch solche Zusammenschlüsse könnten finanzstarke Unternehmen insbesondere auf Regionalmärkten eine Marktkonzentration herbeiführen (etwa im Bereich der Entsorgungswirtschaft). Voraussetzung für den Erlass einer solcher Verfügung ist etwa, dass das Bundeskartellamt auf dem oder den betroffenen Wirtschaftszweigen zuvor eine Sektoruntersuchung nach § 32e GWB durchgeführt hat und das betroffene Unternehmen einen Marktanteil von mindestens 15 Prozent am Angebot oder der Nachfrage hält. Allein hierdurch ist der Anwendungsbereich für das Bundeskartellamt bereits stark eingeschränkt. Unternehmen können sich im Übrigen aufgrund des Erfordernisses einer in Zukunft durchzuführenden Sektoruntersuchung bereits frühzeitig auf eine Maßnahme des Bundeskartellamtes einstellen.
Die Novelle bringt neben einer kompletten Neugliederung der Bußgeldvorschriften in den §§ 81 ff. GWB auch einige Neuerungen im Kartellverfahren mit sich.
Insbesondere ist die bisher vom Bundeskartellamt im Wege einer Bekanntmachung geregelte Bonusregelung (Kronzeugenregelung) nunmehr gesetzlich verankert, §§ 81h ff. GWB. Im Vergleich zur bisherigen Praxis des Bundeskartellamtes ist neu, dass nun auch der „alleinige Anführer“ eines Kartells von den Vorteilen der Kronzeugenregelung profitieren kann, sofern dieser andere Kartellbeteiligte nicht zur Beteiligung oder dem Verbleib im Kartell gezwungen hat.
Des Weiteren wurden die Befugnisse des Bundeskartellamtes bei Durchsuchungen erweitert. Die Durchsuchungsbeamten haben nun auch umfassende Fragerechte gegenüber Mitarbeitern und Vertretern der durchsuchten Unternehmen, die sich nicht nur – so noch die alte Rechtslage – auf die „wirtschaftlichen Verhältnisse“ des Unternehmens beziehen. Auch kann das Bundeskartellamt ab sofort Mitarbeiter und Vertreter von Unternehmen zu Befragungen bestellen, § 59 GWB. Das Nichterscheinen zu solchen Befragungen oder Falschaussagen sind zudem bußgeldbewehrt. Die deutsche Rechtslage nähert sich damit den Befugnissen der Europäischen Kommission auf europäischer Ebene an.
Besonders erwähnenswert ist schließlich die Verlängerung der absoluten Verjährungsfrist zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach dem GWB, die auf die ECN+-Richtlinie zurückgeht. Ab sofort beträgt die absolute Verfolgungsverjährung nicht mehr zehn Jahre, was im Vorfeld scharf kritisiert wurde. Nach § 81g GWB verlängert sich diese für die Dauer, in der ein gerichtliches Verfahren in einer Rechtsmittelinstanz anhängig ist. Damit kann die absolute Verfolgungsverjährung nicht mehr während eines laufenden gerichtlichen Verfahrens eintreten. Dies gilt im Übrigen auch – und damit anders als im Strafrecht – rückwirkend für all diejenigen Fälle, in denen die absolute Verfolgungsverjährung nicht bereits eingetreten ist.
Die 10. GWB-Novelle enthält viele wesentliche Änderungen, die im Vorfeld Kritik, aber auch in weiten Teilen Zustimmung erfahren haben.
Ob sich die Neuregelungen vor allem in der Praxis des Bundeskartellamtes und der Unternehmen so auswirken, wie vom Gesetzgeber beabsichtigt, bleibt abzuwarten. Insbesondere ist fraglich, ob sich durch die neuen Ermächtigungsgrundlagen und Anpassungen im Kartellverfahren die erhoffte Beschleunigung der Missbrauchs- und Verbotsverfahren zeigen oder ob dieser Effekt durch die Beschreitung des Rechtsweges abgeschwächt wird. Die Frage des effektiven Rechtsschutzes wurde von Unternehmen im Vorfeld des Gesetzes kontrovers diskutiert, vor allem, da sich die Koalitionsfraktionen kurzfristig vor der Gesetzesverabschiedung auch auf die sog. „Rechtswegverkürzung“ im Zusammenhang mit Maßnahmen nach § 19a GWB verständigt hatten: Die gerichtliche Anfechtung von Beschlüssen des Bundeskartellamtes durch die Digitalkonzerne wird künftig direkt vor dem Bundesgerichtshof verhandelt. Man wird sehen, ob dadurch langjährige Auseinandersetzungen vermieden werden können, ohne dass die rechtstaatliche gebotene effektive gerichtliche Kontrolle der Kartellhüter darunter leidet – in der jüngeren Vergangenheit (wie etwa dem Facebook-, Rossmann-, Bier- oder Süßwarenverfahren) gab es immer wieder unterschiedliche Wertungen der Gerichtsinstanzen. Das Bundeskartellamt hat sich nach eigener Aussage vor der Einführung dieses neuen Instrumentariums darauf bereits intensiv vorbereitet, sodass mit baldigen Verfahren gerechnet werden kann. Auch andere Neuerungen können durchaus kritisch betrachtet werden, räumen sie dem Bundeskartellamt doch weitreichende Untersuchungs- und Eingriffsrechte bereits vor der Feststellung eines Kartellrechtsverstoßes oder konkreten Hinweise darauf ein.
Interessant wird künftig auch die europäische Dimension sein: Mit dem DMA und DSA kommen im Jahr 2021 weitere Neuerungen auf Digitalunternehmen zu. Nicht ausgeschlossen ist, dass das GWB daher im Zuge der europäischen Strategie zur Modernisierung des Kartellrechts noch weiter angepasst wird. Insbesondere könnte der Ende letzten Jahres von der Europäischen Kommission vorgestellte DMA den nationalen Regelungsinhalten zur ex-ante Kontrolle den Rang ablaufen, soll doch ein europaweit einheitlicher Ansatz zur Regulierung von Digitalunternehmen entstehen. Voraussichtlich bedeutet die GWB-Novelle aber zusätzlichen Regelungsinhalt, der von in Deutschland tätigen Unternehmen zu beachten ist, soll doch die europäische Initiative erklärtermaßen keine kartellrechtlichen Vorschriften ersetzen, sondern diese nur ergänzen.
Interessant dürfte auch sein, wie mit dem neuen § 19a GWB umgegangen wird, der sich laut Gesetzesbegründung vor allem auf digitale Ökosysteme und Plattformen bezieht aber grundsätzlich auch auf „analoge“ Industrien angewendet werden könnte.
Vor diesem Hintergrund sollten sich Unternehmen jedenfalls auf die mit der 10. GWB-Novelle einhergehenden Änderungen frühzeitig einstellen und prüfen, welche Verhaltensanforderungen (als Intermediäre) und Gestaltungsmöglichkeiten (als Nutzer von Diensten der Gatekeeper) daraus erwachsen.
Der Gesetzesentwurf wurde vom Bundesrat in einer Sondersitzung am 18. Januar 2021 bestätigt und bereits am selben Tag im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Damit ist das Gesetz am heutigen Tag, dem 19. Januar 2021, in Kraft getreten.
Am 25.02. und 16.03.2021 findet zu dem Tema ein Webinar statt, zu dem wir Sie herzlich einladen. Die Teilnahme ist kostenfrei.
Dr. Sebastian Felix Janka, LL.M. (Stellenbosch)
Partner
München
sebastian.janka@luther-lawfirm.com
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Anne Caroline Wegner, LL.M. (European University Institute)
Partnerin
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