22.07.2019
Für die Vollstreckung von Arrestbefehlen regelt § 929 Abs. 2 ZPO, dass die Vollziehung des Arrestbefehls unstatthaft ist, wenn seit dem Tag, an dem er verkündet oder dem Gläubiger zugestellt worden ist, ein Monat verstrichen ist. Die Vorschrift dient dem Schutz des Schuldners und schafft eine zeitliche Begrenzung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens. Ob diese Frist auch für vergleichbare Titel ausländischer Mitgliedsstaaten gilt, die in Deutschland gem. Art. 38 Brüssel-I-VO (EuGVVO a. F.) für vollstreckbar erklärt worden sind, hatte kürzlich der BGH zu entscheiden.
Die Gläubigerin war eine Gesellschaft italienischen Rechts. Sie erwirkte am 19.11.2013 vor einem italienischen Gericht eine Sicherstellungsbeschlagnahme gegen einen deutschen Schuldner. Hierdurch wurde sie ermächtigt, die Sicherstellungsbeschlagnahme bis zu einem Betrag von 1.000.000 Euro auf bewegliche und unbewegliche, materielle und immaterielle Werte sowie Forderungen des Schuldners vorzunehmen. Mit Beschluss vom 22.08.2014 erklärte das Oberlandesgericht München die Entscheidung in Deutschland für vollstreckbar.
Am 23.04.2015 beantragte die Gläubigerin, eine verteilte Sicherungshypothek an dem in Deutschland belegenen Grundbesitz des Schuldners einzutragen. Das Grundbuchamt wies den Eintragungsantrag zurück. Das Oberlandesgericht wies die hiergegen gerichtete Beschwerde mit Verweis auf den Ablauf der in § 929 Abs. 2 ZPO genannten Monatsfrist zurück. Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin hin legte der Bundesgerichtshof (BGH) dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„Ist es mit Art. 38 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [Anm. d. Verf.: EuGVVO a. F.] vereinbar, eine im Recht des Vollstreckungsstaates vorgesehene Frist, aufgrund derer aus einem Titel nach Ablauf einer bestimmten Zeit nicht mehr vollstreckt werden darf, auch auf einen funktional vergleichbaren Titel anzuwenden, der in einem anderen Mitgliedsstaat erlassen und in dem Vollstreckungsstaat anerkannt und für vollstreckbar erklärt worden ist?“
Mit Urteil vom 04.10.2018 bejahte der EuGH die grundsätzliche Vereinbarkeit der deutschen Regelungen mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben:
„Art. 38 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er der Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, nach der für die Vollziehung eines Arrestbefehls eine Frist gilt, nicht entgegensteht, wenn es um einen Arrestbefehl geht, der in einem anderen Mitgliedstaat erlassen wurde und dem im Vollstreckungsmitgliedstaat Vollstreckbarkeit beigelegt worden ist.“
Der BGH bestätigte in der Folge die Entscheidung des Oberlandesgerichts München. Gemäß Art. 66 Abs. 2 EuGVVO gelte für Entscheidungen, die vor dem 10.01.2015 ergangen sind, weiterhin die alte Rechtslage. Grundlage der Zwangsvollstreckung in Deutschland sei daher die inländische Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung des ausländischen Titels nach Art. 38 Abs. 1 Brüssel-I-VO (EuGVVO a. F.).
Da der ausländische Titel hier funktional wie ein Arrestbefehl nach deutschem Recht eingestuft worden sei, richte sich die Zwangsvollstreckung aus der inländischen Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung auch nach den deutschen Vorschriften über die Vollziehung des Arrestbefehls. Zu diesen Vorschriften gehöre auch die in § 929 Abs. 2 ZPO geregelte Monatsfrist. Die Nichteinhaltung dieser Frist führe dazu, dass eine Vollstreckung aus dem Titel nicht mehr möglich sei.
Die Entscheidung betrifft die Zwangsvollstreckung aus Titeln, die vor dem 10.01.2015 in Deutschland für vollstreckbar erklärt worden sind. Werden diese Titel durch die deutsche Vollstreckbarerklärung funktional einem Arrestbefehl gleichgestellt, richtet sich die Zwangsvollstreckung aus diesen Titeln in Deutschland auch nach den für Arrestbefehle geltenden Vorschriften, mit der Folge, dass die Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen ist. Bei der Prüfung der Vollstreckbarerklärung sollten derartige Fristen daher umgehend geprüft werden. Umgekehrt gilt dies selbstverständlich auch für die Vollstreckung deutscher Titel, die in einem anderen Mitgliedsstaat für vollstreckbar erklärt worden sind. Etwaige Fristen des jeweiligen Mitgliedsstaates sind entsprechend zu berücksichtigen.
In wie weit das Urteil für Entscheidungen relevant ist, die in anderen Mitgliedsstaaten nach dem 10.01.2015 ergangen sind, ist fraglich. Gem. Art. 39 EuGVVO sind diese Entscheidungen im Vollstreckungsstaat vollstreckbar, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung des jeweiligen Mitgliedsstaates bedarf. Durch diese Vorschrift soll die unmittelbare Freizügigkeit von Entscheidungen innerhalb der EU erreicht werden. Voraussetzung ist gem. Art. 66 EuGVVO allerdings, dass das zugrundeliegende (gerichtliche) Verfahren des jeweiligen Mitgliedsstaates erst nach dem 10.01.2015 eingeleitet worden ist. Auch für Entscheidungen, die nach dem 10.01.2015 ergangen sind, kann daher die alte Rechtslage maßgeblich sein, falls das zugrundeliegende Verfahren vor dem 10.01.2015 eingeleitet worden war.
Unabhängig hiervon stellt sich die Frage, ob für Entscheidungen, die nach dem 10.01.2015 in anderen Mitgliedsstaaten ergangen sind, bei einer Vollstreckung in Deutschland nicht stets die Frist des § 929 Abs. 2 ZPO zu beachten ist. Hierfür könnte Art. 41 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO sprechen: Nach dieser Vorschrift gilt für die Vollstreckung in einem anderen Mitgliedsstaat stets das Recht dieses Mitgliedsstaates. Ob hiervon auch die Frist des § 929 Abs. 2 ZPO umfasst ist, wird unterschiedlich beurteilt. Selbst wenn dies bejaht werden sollte stellt sich allerdings die Frage, ob als fristauslösendes Ereignis i.S.d. § 929 Abs. 2 ZPO auf den Zeitpunkt der Verkündung bzw. Zustellung des Titels im jeweiligen Mitgliedsstaat oder auf den Antrag auf Vollstreckung in Deutschland abgestellt werden müsste. Die Meinungen hierzu gehen – ohne tiefergehende Erörterung dieser Frage – auseinander. Für den Gläubiger können sich daher im Einzelfall erhebliche rechtliche Unsicherheiten ergeben.
Eine zum Teil geforderte grundlegende Klarstellung des Gesetzgebers zur Frage der Anwendbarkeit des § 929 Abs. 2 ZPO blieb bisher aus. Die Frage, ob und wie § 929 Abs. 2 ZPO bei der Vollstreckung ausländischer Titel in Deutschland zukünftig Anwendung findet, ist daher nach wie vor offen. Bis zu einer Positionierung durch Rechtsprechung oder Legislative sollten daher zukünftig weiterhin entsprechende Fristerfordernisse schon vor Beantragung einer Entscheidung berücksichtigt werden. Anderenfalls droht die Vollstreckung ausländischer Titel – ebenso wie die Vollstreckung inländischer Titel in einem anderen Mitgliedsstaat – an etwaigen gesetzlichen Fristerfordernissen zu scheitern.
Dr. Stephan Bausch, D.U. |
Dr. Richard Hennecke |