01.08.2019
Nach § 161 Abs. 1 AktG erklären Vorstand und Aufsichtsrat von börsennotierten Gesellschaften jährlich in einer sogenannten Entsprechenserklärung, dass die AG den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex („DCGK“) zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften entsprochen habe. Weicht die Gesellschaft von den Empfehlungen ab, hat sie dies zu begründen („comply or explain“). Die Kodexempfehlungen selbst sind mangels Gesetzesqualität jedoch stets unverbindlich. Offen war bislang, ob sie auch folgenlos sind, wenn ihnen bei der Wahl von Organmitgliedern nicht entsprochen wurde.
Im Jahr 2009 hat der BGH entschieden, dass Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung anfechtbar sind, wenn der Aufsichtsrat in seinem Bericht an die Hauptversammlung entgegen Ziff. 5.5.3 DCGK nicht über das Vorliegen und die Behandlung aufgetretener Interessenkonflikte berichtet hat und die Entlastungsbeschlüsse somit auf einer unrichtigen Entsprechenserklärung basieren. Bisher offengelassen hatte der BGH, ob und wie sich unrichtige Entsprechenserklärungen nach § 161 Abs. 1 AktG auf den Wahlvorschlagsbeschluss des Aufsichtsrats und die darauf folgende Wahl in der Hauptversammlung auswirken. Nunmehr entschied der II. Senat des BGH in einem Urteil vom 9. Oktober 2018 (Az.: II ZR 78/17), dass eine Abweichung von den Empfehlungen des DCGK die Wirksamkeit der Aufsichtsratswahl nicht beeinflusse.
In der Einladung zur Hauptversammlung der Beklagten, einer börsennotierten Gesellschaft, war die Neuwahl von zwei Aufsichtsratsmitgliedern im Wege der Einzelabstimmung vorgesehen. In der Einladung wurde darauf hingewiesen, dass einer der beiden Kandidaten („K“) bereits bei vier näher bezeichneten Aktiengesellschaften Mitglied des Aufsichtsrats und bei dreien davon Aufsichtsratsvorsitzender sei. K war zudem Verwaltungsratsvorsitzender einer schweizerischen börsennotierten Aktiengesellschaft.
Ihrer Entsprechenserklärung zufolge entsprach die Beklagte den Empfehlungen in Ziff. 5.4.5 DCGK. Danach soll derjenige, der dem Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft angehört, insgesamt nicht mehr als drei Aufsichtsratsmandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften oder in Aufsichtsratsgremien von konzernexternen Gesellschaften wahrnehmen, die vergleichbare Anforderungen stellen.
Der II. Senat des BGH führte aus, dass das Abweichen des Wahlvorschlags von den Empfehlungen des DCGK den Wahlbeschluss nicht wegen Verletzung des Gesetzes oder Satzung anfechtbar mache, da der DCGK weder ein Gesetz noch ein Satzungsbestandteil sei.
Ein Verstoß gegen die Empfehlungen zum DCGK könne allenfalls zur Unrichtigkeit der Entsprechenserklärung führen und zu ihrer unterjährigen Aktualisierung zwingen. Eine solche etwaige Aktualisierungspflicht der Entsprechenserklärung sei jedoch von der Beschlussfassung des Aufsichtsrats und der Wahl in der Hauptversammlung zu trennen.
Eine unrichtige Entsprechenserklärung habe darüber hinaus zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Aufsichtsrats über den Wahlvorschlag und der anschließenden Wahl in der Hauptversammlung auch nicht vorgelegen, da eine unterjährige Aktualisierungspflicht erst mit der Annahme der Wahl durch den Kandidaten entstehe.
Auch scheide eine Anfechtung wegen unrichtiger, unvollständiger oder verweigerter Erteilung von Informationen aus, da § 161 Abs. 1 AktG keine Informationspflicht der Gesellschaft gegenüber ihren Aktionären im Zusammenhang mit der Durchführung der Hauptversammlung begründe, sondern der allgemeinen Information des Kapitalmarkts diene.
Es ist begrüßenswert, dass der II. Senat des BGH nun ausdrücklich entschieden hat, dass unrichtige Entsprechenserklärungen keinen Einfluss auf Wahlvorschlagsbeschlüsse des Aufsichtsrats und die Wahl in der Hauptversammlung haben. Die Rechtsprechung des BGH zur Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen der Hauptversammlung zeigt gleichwohl, dass unrichtige Entsprechenserklärungen nicht in jedem Fall folgenlos bleiben.
Nathalie Novoselec |