05.06.2019
Die Brexit-Verhandlungen in Großbritannien sind derzeit faktisch zum Erliegen gekommen. Die Diskussion um den Austritt der Briten aus der europäischen Union zieht sich seit bald drei Jahren hin. Eine Lösung jenseits eines No-Deal-Szenarios ist derzeit nicht in Sicht. Dabei drängt sich die Frage auf, inwieweit diese politische Unsicherheit Auswirkungen auf den M&A Transaktionsmarkt in Großbritannien, der Europäischen Union und Deutschland im Speziellen hat. Welche Veränderungen und Entwicklungen sind bei Investitionen von und nach Großbritannien und Deutschland feststellbar und welche Risiken und Chancen ergeben sich dadurch?
Im Folgenden wird die historische Entwicklung der M&A-Transaktionen seit dem Referendum 2016 aufgezeigt, um auf dieser Grundlage Risiken, aber auch Chancen für grenzüberschreitende Investitionen von und nach Großbritannien aufzuzeigen
Nach dem Ausstieg Großbritanniens aus der EU im Jahr 2016 erlebte der britische M&A-Markt nach dem Referendum einen deutlichen Einbruch. Aktuell laufende Transaktionen wurden zunächst eingefroren und analysiert. Zudem wurde versucht, mögliche Konsequenzen des Referendums auf M&A-Transaktionen abzuschätzen.In den darauffolgenden Jahren 2017 und 2018 erholte sich der M&A-Markt in UK relativ schnell. Der Großteil der Unternehmen ist wieder zur Normalität zurückgekehrt und hat seine M&A-Aktivitäten in den meisten Fällen fortgesetzt. Das Interesse von Investoren an UK-Unternehmen mit der Intention einen leichteren Zugang zum UK-Markt zu erhalten, das eigene Portfolio zu modifizieren und Wettbewerber aus dem UK-Markt zu verdrängen, wurde durch den Brexit nicht eingetrübt. Zudem bestand ein großes Interesse von nordamerikanischen Investoren: Da das Pfund im Vergleich zu vielen Währungen, einschließlich des US-Dollar, 2018 aufgrund des Brexits auf nahezu historischen Tiefstständen gehandelt wurde, bot Großbritannien die Möglichkeit, in einen attraktiven langfristigen Markt zu einem angemessenen Preis zu investieren.Im ersten Quartal 2019 ist der M&A-Markt in Großbritannien jedoch erneut eingebrochen und zum Stillstand gekommen, was wohl auch mit der politischen Situation in Großbritannien und dem immer wahrscheinlicher werdenden No-Deal-Austritt Großbritanniens aus der EU und den darauf folgenden unabsehbaren Folgen für die Wirtschaftswelt im Zusammenhang steht. Die mit dem Brexit verbundene Unsicherheit hat in den vergangenen Monaten die Investitionstätigkeit in das Vereinigte Königreich jedoch nachhaltig belastet und zu einem empfindlichen Rückgang von Transaktionen geführt. Das Deal-Volumen in UK in Q1 2019 betrug nur noch 35,2 Milliarden Dollar - der niedrigste Wert seit dem EU-Referendum im Juni 2016. Im ersten Quartal (Q1) 2019 lagen die Investitionen nach Großbritannien mit GBP 20,2 Milliarden, aufgeteilt auf 89 Transaktionen, auf einem historisch niedrigen Stand. Bei den größten M&A-Transaktionen kamen die Bieter dreimal aus den USA und je einmal aus Kanada und Großbritannien selbst. Europäische und auch deutsche Investoren halten sich zur Zeit sehr stark bei Investments in Großbritannien zurück. Unser Eindruck ist ebenfalls, dass zur Zeit kaum deutsche Unternehmen in Großbritannien investieren, da sie die große rechtliche Unsicherheit spüren und in dieser Situation lieber abwarten.
Als die Briten am 23. Juni 2016 für einen Ausstieg aus der EU stimmten, waren sich die Experten uneins über die Konsequenzen des Brexit-Votums auf die M&A-Aktivitäten deutscher Unternehmen. Deutsche Unternehmen stellten ihre M&A-Aktivitäten zwar auf den Prüfstand, es kam im Gegensatz zum UK-Markt jedoch nicht zu signifikanten Veränderungen.
Nach der anfänglichen Unsicherheit änderte sich 2017 das Investitionsklima wieder. Im Juni 2018 titelte das Finance Magazin gar: Der „Brexit lässt [den] deutschen M&A-Markt kalt“. Insgesamt war 2018 ein außerordentlich starkes M&A-Jahr. Global wurde ein Deal-Value von über 3,5 Billionen Dollar erreicht, wovon knapp 1 Billionen Dollar auf Europa entfiel. Man konnte daher das Gefühl bekommen, der Brexit beflügele geradezu den M&A Markt.
Nach einem weltweit sehr starken M&A-Jahr 2018 gab es – trotz bereits leichtem Rückgang von M&A-Deals in Europa – einen signifikanten Rückgang bei M&A-Transaktionen in Europa in Q1 2019. Das Deal-Volumen betrug in Q1 2019 122,2 Milliarden Dollar, nach 166 Milliarden Dollar in Q4 2018, was einem Rückgang von über 26% entspricht. Insgesamt ist dies der niedrigste Quartalswert seit Q3 2012. Das Dealvolumen in Deutschland liegt in Q1 2019 mit 26,8 Milliarden Dollar deutlich hinter dem Dealvolumen im ersten Quartal 2018 mit 105,8 Milliarden Dollar. Relativiert wird dieser Vergleich aber, wenn man das Dealvolumen in Q1 2017 mit 26 Milliarden Dollar und in Q1 2016 mit 27,4 Milliarden Dollar mit in den Blick nimmt.
Der M&A-Markt hat sich in Europa und Deutschland zwar eingetrübt, befindet sich aber in Relation zum Rekordjahr 2018 auf einem durchschnittlichen Level. Das Investitionsinteresse von und nach Deutschland ist aber (weiterhin) groß. Es zeigen sich zwar Auswirkungen des Brexits auch auf dem hiesigen Transaktionsmarkt, jedoch werden viele Unternehmen aus Großbritannien auch weiterhin in Deutschland investieren wollen; unabhängig vom Ausgang der Brexit-Verhandlungen.
Aufgrund der unvorhersehbaren politischen Entwicklung in Großbritannien mit möglichen weitreichenden Folgen für viele Märkte, hat sich auch auf den M&A-Markt und auf europäische Investoren eine deutliche Unsicherheit übertragen. Bis sich die politische Situation Großbritanniens nicht stabilisiert hat, wird sich wohl auch der M&A-Markt nicht erholen. Neben den Risiken und gestiegenen Transaktionskosten als negative Folgen des Brexits können wir jedoch auch Chancen für Investoren erkennen.
International agierende Unternehmen aus Großbritannien und Kontinentaleuropa stehen unter dem Druck, auch nach dem EU-Austritt schnelle und zuverlässige Lieferketten zu garantieren. Zukäufe und Fusionen können ein geeigneter Weg sein, um dies über Partner sicherzustellen. Diese Motivation könnte sich noch deutlich verstärken, je nachdem wie die weiteren Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien ablaufen.
Auch die Gründung von Joint-Ventures zur engeren Zusammenarbeit zwischen deutschen und britischen Unternehmen stellt ein valides Mittel dar, um rechtlichen Unwägbarkeiten schnell zu begegnen. Im Ergebnis kann der Brexit damit die Chance sein, die politische Distanz durch unternehmerische Annährung auszugleichen.
Darüber hinaus könnte der Austritt Großbritanniens auch für deutsche Unternehmen die Chance eröffnen, deutsches Recht und deutsche Gerichtsbarkeit in den Kaufverträgen (SPAs) zu vereinbaren. Besondere Berücksichtigung sollten in neuen Verträgen auch genau definierte Force-Majeure- und Hardship-Klauseln finden.
Zuletzt bietet das günstige Pfund Möglichkeiten, zu guten Preisen in Großbritannien Unternehmen zu erwerben. Diese Entwicklung könnte nach einem harten Brexit noch fortschreiten. Ein kleiner Teil der Ersparnis wird von der erhöhten rechtlichen Komplexität geschluckt, jedoch sollten in einer Gesamtbetrachtung die Währungsvorteile überwiegen.
Sollten Sie weitere Fragen haben, oder Beratung benötigen, melden Sie sich jederzeit bei uns. Unsere ausführliche Brexit-Broschüre finden Sie hier, eine Übersicht über unsere Experten-Teams finden sie hier.
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