07.11.2018

Corporate Compliance: Vom Kavaliersdelikt zur Existenzgefährdung?

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07.11.2018

Corporate Compliance: Vom Kavaliersdelikt zur Existenzgefährdung?

Wäre Gesellschaftsrecht ein Theaterstück, käme der Corporate Compliance die Rolle des dauernörgelnden Nachbarn zu: Auch wenn die hohen wirtschaftlichen Risiken bei Compliance-Verstößen es schlicht nicht zulassen, ihn zu ignorieren, möchte man sich lieber nicht länger als unbedingt nötig mit ihm befassen. Dieser Beitrag zeigt auf, welche Auswirkungen die Rechtsprechung der Zivilgerichte zu Pflichtverletzungen auf Fragen der Unternehmens-Compliance haben kann. Ziel ist es, ein Gespür für die Bandbreite von Compliance im unternehmerischen Alltag zu entwickeln und das Risikobewusstsein zu schärfen.


Compliance als Unternehmensziel verlangt von der Geschäftsleitung, die Einhaltung sämtlicher für das Unternehmen relevanter rechtlicher Vorgaben und unternehmerischer Richtlinien für jeden Verhaltensbereich sicherzustellen. Compliance im engeren Sinne meint die tatsächliche Sicherstellung der Einhaltung haftungs-, straf- und bußgeldbewehrter Gesetze, denn hier riskiert das Unternehmen schlimmstenfalls seine Existenz. Diese Ziele versucht man regelmäßig dadurch zu erreichen, dass einerseits spezielle Compliance-Organe und -prozesse implementiert werden und andererseits interne Richtlinien aufgestellt werden, denen die Belegschaft zu folgen hat. Das Konzept der Unternehmens-Compliance dreht sich hier augenscheinlich im Kreise, soweit Regeltreue des Unternehmens durch Formulierung neuer Regeln gewährleistet werden soll.


Compliance-Verstößen durch Organe und Mitarbeiter hat das Unternehmen als Haftungsursache gegenüber Außenstehenden wie eigene Vertragspflichtverletzungen zu vertreten. Außerhalb und neben vertraglichen Beziehungen haftet das Unternehmen bei Compliance-Verstößen Dritten gegenüber auch aus dem Deliktsrecht wegen Organisationsverschuldens oder wegen Verletzung von gesetzlichen Verkehrssicherungspflichten.

Die Geschäftsleitung haftet im Übrigen dem Unternehmen im Innenverhältnis, wenn sie ihre Aufsichts- und Organisationspflichten verletzt. Dafür kann bereits genügen, dass die Einrichtung einer auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegten Compliance-Organisation versäumt wurde. Bei strafbaren Handlungen der Geschäftsleitung tritt deren persönliche Außenhaftung neben die des Unternehmens.
 

Compliance-Verstöße durch Schwarzarbeit?

Schwarzarbeit ist als solche weder Vertragsverletzung des Geschäftsführers noch Straftat, doch machen sich Unternehmen, die die auf den Zahlbetrag entfallenden Abgaben nicht abführen, ggf. wegen Sozialversicherungsbeitrags- und Steuerhinterziehung strafbar. Der Bundesgerichtshof hat kürzlich (VII-ZR 197/16) klargestellt, dass eine Vereinbarung, wonach für eine (Teil-)Barzahlung keine Rechnung ausgestellt werden und keine Umsatzsteuer anfallen soll, gegen das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit (SchwArbG) verstößt und zur Gesamtnichtigkeit des (zuvor wirksam geschlossenen) Werkvertrages führt. Rechtsfolge der Gesamtnichtigkeit ist der Wegfall von Gewährleistungsansprüchen beim Auftraggeber. Umgekehrt hat der Auftragnehmer keinen Anspruch auf Vergütung. Wegen der Verletzung des SchwArbG können auch gezahlte Vorschüsse nicht zurückverlangt werden. Schwerer wiegt, dass der Verstoß eine Pflichtverletzung der Geschäftsleitung und damit einen Compliance-Verstoß darstellt, der zum Entzug der gewerbeordnungsrechtlichen Genehmigung wegen Unzuverlässigkeit und zur Betriebsuntersagung führen kann. Für Unternehmen in Bieterverfahren stellt schließlich auch das "Blacklisting" gravierende Einschnitte in die künftige Geschäftstätigkeit dar, soweit sie dadurch von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Was vor Jahren als Kavaliersdelikt galt, hat damit heute existenzgefährdende Auswirkungen.

 

Compliance im digitalen Zeitalter

Entlastung für Compliance-Berater brachte kürzlich (I-ZR 154/16) eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes hinsichtlich bestehender Unsicherheiten bei der geschäftlichen Web-Nutzung, ohne die kaum ein Unternehmen mehr agieren kann. Der BGH erklärte den Einsatz von sog. Ad-Blockern, also Programmen zur Unterdrückung von Werbeanzeigen, für zulässig. Unternehmen verhalten sich damit compliant, wenn sie mit Ad-Blockern unerwünschte Werbung unterbinden. Das ist folgerichtig, denn Werbung bindet Ressourcen und eröffnet Sicherheitsrisiken, auch dann, wenn wie in dem streitgegenständlichen Fall die Werbung auf Nachrichtenseiten geschaltet wird. Somit bekräftigt der BGH, dass sich Verwender von Ad-Blockern regelkonform verhalten und ihnen keine Haftung wegen Compliance-Verstößen droht. Das letzte Wort scheint indes noch nicht gesprochen: die Klägerin, eine einflussreiche Verlagsgruppe, wird wohl Verfassungsbeschwerde einlegen. Das Bundesverfassungsgericht hätte dann zu entscheiden, ob durch den Ad-Blocker-Einsatz die Pressefreiheit des Seitenanbieters verletzt und deren Einsatz insgesamt unzulässig würde.

 

Fazit

In kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) ist eine Compliance-Organisationsstruktur, die die Rechtstreue des Unternehmens gewährleistet, die Ausnahme. Mittelständische Unternehmer verlassen sich gern auf Vertrauen, Kenntnis und Erfahrung in ihrem Betrieb und im Umgang mit ihren Mitarbeitern, sodass Vorsorgeanforderungen gegen Rechtsverstöße auf wenig Verständnis stoßen. Dabei übersteigen die Aufarbeitungskosten für Compliance-Vorfälle aus den gebotenen internen und unvermeidlichen externen Untersuchungen die Kosten für die vorbeugende Implementierung regelmäßig. Hinzu kommen Fehlvorstellungen über die Reichweite von Haftungs- und Compliance-Fragen. Der Aufbau einer Compliance-Organisation wird überdies oft als Kostenpunkt wahrgenommen, dem kein unmittelbar messbarer Ertrag gegenübersteht.

Fehlende Compliance Strukturen und Prozesse können zu erheblichen Verlusten in Form von monetären Einbußen und Reputationsschäden führen. Es drohen außerdem mittel- und langfristige Fernwirkungen auf die unterschiedlichsten Bereiche des Unternehmens: Kreditwürdigkeit, Personalrekrutierung, Kundenbindung, öffentliche Auftragsvergaben und Reputationsschäden.

 

 

Susanne Abraham
Rechtsanwältin
Associate
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
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