21.10.2016
21.10.2016
Am 1. September 2016 ist ein neues Schiedsverfahrensgesetz in Russland in Kraft getreten ("neues Schiedsverfahrensgesetz").
Das neue Schiedsverfahrensgesetz verfolgt das Ziel, die Rahmenbedingungen für die Schiedsgerichtsbarkeit in Russland zu verbessern und die alte Gesetzgebung in Übereinstimmung mit den international anerkannten Standards zu bringen. Die Gesetzesbegründung zum neuen Schiedsverfahrensgesetz konkretisiert den Zweck der Gesetzesänderung – die Schaffung von modernen und effizienten rechtlichen Rahmenbedingungen, welche vorhandene Probleme löst (wie zum Beispiel die Bekämpfung von Scheinschiedsgerichten, auch bekannt als "Taschenschiedsgerichte") und die Akzeptanz der Schiedsgerichtsbarkeit in Russland erhöht.
Die Reform betrifft unter anderem Änderungen zur Schiedsfähigkeit von Streitigkeiten, der Konstituierung der Schiedsgerichte, der Verfahrensverwaltung durch eine Schiedsinstitution und die Rolle der staatlichen Gerichte. Einige dieser Änderungen sollen hier hervorgehoben werden.
Das neue Schiedsverfahrensgesetz kodifiziert die bislang bestehende Vermutung der Schiedsfähigkeit von zivilrechtlichen Streitigkeiten. Zudem wurde eine "abschließende Liste“ nicht-schiedsfähiger Streitigkeiten aufgenommen. Diese Liste ist jedoch mit Vorsicht zu genießen, da auch andere zivilrechtliche Streitigkeiten, soweit diese ein öffentliches Interesse beinhalten, nicht-schiedsfähig sind. Die russischen Gerichte haben noch nicht abschließend die Frage beantwortet, in welchen Fällen ein öffentliches Interesse bei zivilrechtlichen Streitigkeiten gegeben ist. Dies erzeugt eine erhebliche Rechtsunsicherheit, welcher man bedenken sollte.
Eine der wichtigsten Neuerungen im Hinblick auf die Schiedsfähigkeit betrifft gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten. Die meisten - jedoch nicht alle - gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten sind nunmehr schiedsfähig, vorausgesetzt, dass das Schiedsverfahren von einer lizensierten Schiedsinstitution administriert wird.
Außerdem kodifiziert das neue Schiedsverfahrensgesetz die ständige Rechtsprechung, wonach Schiedsvereinbarungen grundsätzlich weit auszulegen sind, sodass auch die Vertragsanpassung, Unwirksamkeit oder Vertragskündigung umfasst werden, es sei denn die Parteien haben etwas anderes vereinbart.
Die Administrierung des Schiedsverfahrens durch eine lizensierte Schiedsinstitution (institutionelles Schiedsverfahren) ist nunmehr Voraussetzung dafür, dass Schiedsgerichte über bestimmte Streitigkeiten wie gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten entscheiden dürfen. Ebenso kann nur im Rahmen eines institutionellen Schiedsverfahrens bei einer lizensierten Schiedsinstitution die Unterstützung bei der Beweisaufnahme durch staatliche Gerichte beantragt werden. Auch die Möglichkeit ein Aufhebungsverfahren vor staatlichen Gerichten durch Parteivereinbarung auszuschließen, besteht nur im Rahmen eines solchen institutionellen Schiedsverfahrens. Der einstweilige Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten bleibt nach wie vor auch bei Ad-hoc Verfahren zugänglich.
Die Bedingungen für die Erteilung einer Lizenz für Schiedsinstitutionen sind weit gefasst und beinhalten unter anderem finanzielle und Reputationsvoraussetzungen. Zudem stellt das neue Schiedsverfahrensgesetz auch gewisse Qualifikationsanforderungen an Schiedsrichter, die unter den institutionellen Regeln nominiert werden. Das neue Schiedsverfahrensgesetz regelt ausdrücklich, dass auch ausländische Schiedsinstitutionen auf dem Gebiet der Russischen Föderation lizenziert werden können, vorausgesetzt, dass diese international anerkannt sind. Zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung wurden noch keiner ausländischen Schiedsinstitution eine Lizenz erteilt.
Die neuen Regelungen zur Lizensierung wurden in erster Linie eingeführt, um einer „Taschenschiedsgerichtsbarkeit“ und anderen Betrugsdelikten im Schiedsverfahren vorzubeugen. Ähnlich ist man im Jahr 1995 in China verfahren, als die Gesetzgebung dahingehen geändert wurde, dass die Parteien eine Schiedsinstitution in ihrer Schiedsvereinbarung bestimmen müssen.
Vom 25. Juni 2017 an werden Schiedsinstitutionen, die keine Lizenz haben, de jure als Ad-hoc Schiedsgerichte behandelt. Wir empfehlen daher den Lizensierungsprozess der gewählten Schiedsinstitution im Auge zu behalten und bestehende Schiedsvereinbarungen, soweit notwendig, anzupassen.
Nach dem neuen Schiedsverfahrensgesetz werden den staatlichen Gerichten mehr Kompetenzen im Hinblick auf das Schiedsverfahren eingeräumt. Zum einen können sie nunmehr Schiedsgerichte bei der Beweisaufnahme unterstützen. Zum anderem können die staatlichen Gerichte die Ersatzbenennung vornehmen und über die Ablehnung von Schiedsrichtern entscheiden, soweit die von den Parteien gewählte Schiedsinstitution nicht ein anderes Ernennungsverfahren vorsieht.
Schließlich versucht das neue Schiedsverfahrensgesetz das Vollstreckungsverfahren zu beschleunigen. Ab dem 1. Januar 2017 müssen staatliche Gerichte innerhalb eines Monats ab Antragsstellung auf Vollstreckung des Schiedsspruches über die Erteilung eines Vollstreckungstitels entscheiden. Erwähnenswert ist ferner, dass Parteien nun im Voraus eine Gerichtsstandsvereinbarung im Hinblick auf die für die Vollstreckung und Aufhebung eines Schiedsspruches zuständigen Gerichte abschließen können (Prorogation).
Während einige Bestimmungen des neuen Schiedsverfahrensgesetzes sich als schiedsgerichtsfreundlich erweisen können, bleibt es jedoch abzuwarten, wie diese in der Praxis angewandt werden. Die Parteien, die sich für ein Schiedsverfahren mit Schiedsort Russland entscheiden, sollten in ihrer Schiedsvereinbarung eine lizenzierte Schiedsinstitution bestimmen und prüfen, ob der Streitgegenstand schiedsfähig ist und kein öffentliches Interesse berührt.
Georg Scherpf Senior Associate georg.scherpf@luther-lawfirm.com Telefon +49 40 18067 12913
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