29.03.2018
03.04.2018
(Zur besseren Lesbarkeit gelten sämtliche Personenbezeichnungen für beiderlei Geschlecht.)
Das Versäumen einer Frist im Zivilprozess („Säumnis“), etwa ein verpasster Termin oder ein zu spät eingegangener Brief („Prozesshandlungen“), ist nicht aller Tage Ende. Der in der Verfassung gewährleistete wirkungsvolle Rechtsschutz wird in solchen Fällen dadurch sichergestellt, dass bei einer Säumnis, die der säumigen Partei nicht persönlich vorwerfbar ist („unverschuldet“), eine sogenannte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann. Wird dem Antrag stattgegeben, wird der laufende Prozess in den Stand zurückversetzt, in dem er sich vor der Säumnis befand, sodass versäumte Prozesshandlungen doch noch vorgenommen werden können.
Die Antragstellerin muss darlegen und unter Angabe geeigneter Mittel begründen („glaubhaft machen“), dass die Säumnis unverschuldet war. Im Zivilprozess wird der Partei auch ein Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten zugerechnet. Daraus ergeben sich vor allem Anforderungen an die Prozessbevollmächtigte, die üblicherweise nach Mandatierung die Einhaltung sämtlicher Fristen für die Mandantin verantwortet. Hierzu hat der Bundesgerichtshof („BGH“) in zahlreichen Judikaten Anforderungen formuliert. Wir geben Ihnen nachfolgend einen kurzen Überblick über die wichtigsten Maßstäbe an die anwaltliche Sorgfalt aus der Feder des BGH:
Büroorganisation
Wurde eine Frist versäumt, für welche die Wiedereinsetzung grundsätzlich eröffnet ist, muss die Anwältin glaubhaft machen, warum die Säumnis unverschuldet war. Dabei wird es regelmäßig um Handlungen gehen, die die Rechtsanwältin innerhalb ihrer Büroführung delegieren darf und üblicherweise nicht selbst ausführt. Zur Ausführung nichtfachlicher Standardaufgaben darf sie sich ihres Büropersonals oder anderer, nicht angestellter Personen („Dritte“) bedienen, sofern ihr diese persönlich bekannt, hinreichend unterrichtet und nach allgemeinen Maßstäben als zuverlässig anzusehen sind.
Wird durch eine solche Dritte eine Frist versäumt („Büroversehen“), muss die Anwältin glaubhaft machen, dass sie durch entsprechende Büroorganisation dafür gesorgt hat, dass Fristen ordnungsgemäß eingetragen und beachtet werden. Fristenkontrollmaßnahmen müssen geeignet, d.h. wirksam sein und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang nach Eingang des fristsetzenden Schriftstücks erfolgen. Dies können klare organisatorische Anweisungen sein, deren Verbindlichkeit für die Mitarbeiterinnen außer Frage steht. Grundsätzlich darf eine Rechtsanwältin darauf vertrauen, dass eine zuverlässige Mitarbeiterin eine konkrete Einzelanweisung befolgt, weshalb sie sich nicht anschließend der Ausführung vergewissern muss. Sie muss dann aber die Zuverlässigkeit der Mitarbeiterin glaubhaft machen, der der Fehler unterlief, und darlegen, dass es sich um eine unvorhersehbare Ausnahme handelte. Wichtig ist, dass die ergriffenen Maßnahmen auch dann greifen, wenn die Anwältin selbst (beispielswiese krankheitsbedingt) ausfällt. Konkrete Vorbereitungsmaßnahmen muss sie jedoch nur mit Blick auf vorhersehbare Ausfälle ergreifen. Bei unvorhergesehener Erkrankung muss sie alle ihr dann noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Fristwahrung ergreifen.
Zu den einzelnen Schritten interner Büroorganisation hat sich der BGH wie folgt geäußert:
Prüfung der Fristen
Ihrer Pflicht, die Einhaltung ihrer Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Fristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender zu prüfen, wird die Anwältin grundsätzlich dadurch gerecht, dass sie sog. Vermerke in der Handakte prüft und sodann die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle veranlasst.
Ausgangskontrolle
Bei fristgebundenen ausgehenden Schriftsätzen darf die Anwältin die Überprüfung auf die erforderliche Unterschrift ihrem geschulten und zuverlässigen Personal zur selbstständigen Erledigung übertragen, wenn sie durch organisatorische Vorkehrungen grundsätzlich sicherstellt, dass ein fristgebundener Schriftsatz so rechtzeitig gefertigt und auf den Postweg gebracht wird , dass er innerhalb der gesetzten Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Der BGH argumentiert hier streng und versagt die Wiedereinsetzung wegen Unverschulden, wenn die (erforderliche) Unterschrift fehlt, denn die Unterschriftenkontrolle durch das Personal dient gerade der Vermeidung eines solchen Anwaltsversehens. Zuletzt verlangt eine wirksame Ausgangskontrolle, die Erledigung (einschließlich Versand der als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze) von Fristsachen am Ende eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders prüfen zu lassen, bei Telefaxübermittlung anhand des Sendeberichts. Reicht aber eine Rechtsanwältin selbst einen fristgebundenen Schriftsatz zu spät bei Gericht ein, kann sie sich nicht auf ein Büroversehen berufen.
Fristverlängerungsanträge
Eine Säumnis kann auch dadurch entstehen, dass ein Fristverlängerungsantrag versagt und der somit unveränderte Termin nicht eingehalten wird. Hier darf die Rechtsanwältin darauf vertrauen, dass ihrem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungs-begründungsfrist stattgegeben wird, sofern sie erhebliche Gründe wie Arbeitsüberlastung oder Urlaubsabwesenheit dargelegt hat. Die Entscheidung über einen solchen rechtzeitig gestellten Antrag kann auch nach Fristablauf ergehen. Die Anwältin muss sich der Entscheidung nicht vergewissern. Zu den nicht auf ihr Büropersonal übertragbaren Aufgaben einer Rechtsanwältin gehören etwa die Bestimmung von Art und Umfang eines gegen eine gerichtliche Entscheidung einzulegenden Rechtsmittels sowie die Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an die Zulässigkeit des danach bestimmten Rechtsmittels. Auch die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift darf die Anwältin nicht ihrem Büropersonal übertragen, ohne das Arbeitsergebnis selbst sorgfältig vor Unterzeichnung auf Vollständigkeit zu überprüfen.
Postlaufzeit
Der BGH rechnet der Partei, mithin auch der Rechtsanwältin, Verzögerungen der Briefbeförderung nicht als Verschulden an. Sie darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden. Ist nach den normalen Postlaufzeiten von einem fristgerechten Eingang bei Gericht auszugehen, ist eine Anwältin nicht gehalten, sich vor Fristablauf durch Rückfrage vom rechtzeitigen Eingang zu überzeugen. Wird die Post bundesweit bestreikt und wählt eine Prozessbevollmächtigte für die Beförderung eines fristgebundenen Schriftstücks gleichwohl den Postweg, treffen sie gesteigerte Sorgfaltsanforderungen. Sie ist dann verpflichtet, die Berichterstattung über den Streik in den Medien zu verfolgen und Informationsangebote der Gewerkschaft ver.di oder der Deutsche Post AG zu nutzen oder sich durch Nachfrage bei Gericht über den rechtzeitigen Eingang zu vergewissern.
Telefax
Den Faxversand fristwahrender Schriftsätze darf die Anwältin grundsätzlich ihrem geschulten und zuverlässigen Personal überlassen. Die Sorgfaltspflicht umfasst hierbei, dass bei Verwendung eines funktionsfähigen Sendegeräts und korrekter Eingabe der Empfängernummer so rechtzeitig mit der Übertragung begonnen wird, dass unter normalen Umständen mit dem Abschluss der Übertragung vor 24 Uhr des Tages des Fristablaufs zu rechnen ist. Dabei sind Verzögerungen, mit denen üblicherweise zu rechnen ist, einzukalkulieren, z.B. der gleichzeitige Eingang anderer Faxe. Durch organisatorische Vorkehrungen ist sicherzustellen, dass nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls überprüft wird, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Auf den Vermerk „OK“ auf dem Sendebericht darf sich die Anwältin dabei verlassen.
Scheitert trotz zahlreicher Versuche infolge einer technischen Störung des Empfangsgeräts des Gerichts die Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes, muss aus einer allgemein zugänglichen Quelle – wie etwa der Internetseite des Gerichts – eine weitere Faxnummer des Gerichts in Erfahrung gebracht und der Schriftsatz an dieses Empfangsgerät versendet werden.
Dr. Stephan Bausch, D.U.
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Nina C. Schabert
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