14.06.2017
14.06.2017
Mit Beschluss vom 13.04.2017 (Aktenzeichen 2 BvL 6/13) hat das Bundesverfassungsgericht die von 2011 bis Ende 2016 von Kernkraftwerksbetreibern erhobene sog. Kernbrennstoffsteuer gekippt (Steueraufkommen ca. 6,285 Milliarden Euro). Dem Bundesgesetzgeber habe keine Gesetzgebungskompetenz für die Einführung dieser Steuer zugestanden. Inklusiv Zinsen erhalten die bisherigen Steuerschuldner E.ON, RWE und EnBW nun insgesamt knapp 7 Milliarden Euro zu Unrecht erhobene Steuern für die Jahre 2011 bis 2016 zurückerstattet.
Der am 7. Juni 2017 veröffentlichte Beschluss des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit der Kernbrennstoffsteuer ist ein dreifacher Paukenschlag:
1.Keine Verbrauchssteuer
Bei der jahrelang geführten Diskussion zu der Frage, ob es sich bei der Kernbrennstoffsteuer um eine Verbrauchssteuer i.S.v. Art. 106 GG handelt (nur für diese steht dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zu), stand das Tatbestandsmerkmal der „Überwälzbarkeit“ auf den Verbraucher, als angebliches „Kerncharakteristikum“ einer Verbrauchssteuer, im Mittelpunkt. Nur wenn die Steuerbelastung vom Steuerschuldner (EVU) auf den Verbraucher (Stromkunden) überwälzt werden kann, ist von einer Verbrauchssteuer auszugehen. Dabei besteht im Strommarkt aufgrund des dort vorherrschenden Preisbildungsmechanismus („Merit Order“) die Besonderheit, dass der in Kernkraftwerken produzierte Strom – aufgrund seiner günstigen Gestehungskosten – praktisch nie preisbildend wirkt. Die Folge ist, dass die Kernbrennstoffsteuer praktisch nie über den Strompreis auf den Verbraucher „überwälzt“ werden konnte. Sie wirkt insoweit nicht preiserhöhend. Insoweit blieben die EVU auf der Kernbrennstoffsteuer zu 100% „sitzen“. Sie wirkte wie eine Produktionssteuer. Gleichwohl war sie als Verbrauchssteuer deklariert. Von Seiten des Bundes und in der Literatur wurde dennoch argumentiert, dass es für die „Überwälzbarkeit“ bei der Verbrauchssteuer genüge, wenn sie nicht tatsächlich, sondern nur „denkgesetzlich“ gegeben sei. Das aber sei auch in Bezug auf die Kernbrennstoffsteuer zu bejahen.
Bemerkenswert an der Entscheidung des BVerfG ist vor diesem Hintergrund zunächst, dass sich das Gericht auf die ausgiebig geführte Diskussion zur Frage der „Überwälzbarkeit“ im Kern gar nicht einlässt. Denn darauf kam es für das Gericht entscheidend nicht an. Das BVerfG hat der Kernbrennstoffsteuer bereits aus prinzipiellen Erwägungen die Eigenschaft einer Verbrauchssteuer i.S.v. Art. 106 GG abgesprochen: Der Typus einer Verbrauchsteuer umfasst danach im Ausgangspunkt nur solche Steuern, die nach ihrem Regelungskonzept den Verbrauch bestimmter Güter des ständigen Bedarfs durch den privaten Endverbraucher belasten sollen und auf Grund eines äußerlich erkennbaren Vorgangs - regelmäßig das Verbringen des Verbrauchsgutes in den allgemeinen Wirtschaftsverkehr - von demjenigen als Steuerschuldner erhoben werden, in dessen Sphäre sich der Vorgang verwirkliche. Die Kernbrennstoffsteuer erfüllt diese Anforderungen aber ganz offensichtlich nicht: Weder handelt es sich bei Kernbrennstoff um ein „Gut des ständigen Bedarfs“, noch geht es um die Besteuerung der privaten Einkommensverwendung beim Verbraucher. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Besteuerung eines reinen Produktionsmittels. Das entspricht gerade nicht dem Typus einer Verbrauchssteuer i.S.v. Art. 106 GG. Dem Gesetzgeber fehlte daher die Gesetzgebungskompetenz. Das führt zur Nichtigkeit des Gesetzes über die Kernbrennstoffsteuer.
2. Kein allgemeines Steuererfindungsrecht des Bundes und der Länder
Der zweite „Paukenschlag“ in der Begründung des Gerichts ist die klare Feststellung, dass weder dem Bund noch den Ländern ein freies Steuererfindungsrecht zustehe. Insofern kann die Kernbrennstoffsteuer auch nicht „als neu erfundene Steuer“ – außerhalb des Kanons der in Art. 106 normierten Steuertypen – gerechtfertigt werden. Die Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen an Bund und Länder durch Art. 105 GG in Verbindung mit Art. 106 GG sei abschließend. Der einfache Gesetzgeber dürfe nur solche Steuern einführen, deren Ertrag durch Art. 106 GG dem Bund, den Ländern oder Bund und Ländern gemeinschaftlich zugewiesen werde. Mit dieser Begründung beendet das BVerfG eine jahrzehntelang währende Grundsatzdiskussion im Bereich des Steuerrechts. Hier gerieten „Glaubensschulen“ und „Dogmatiker“ unter den Steuerrechtlern mit neuen und alten und alten neuen Argumenten immer wieder aneinander. Mit einem „Federstrich“ - der jetzt ergangenen Entscheidung des BVerfG - ist dieses Thema nun abgeräumt. Es gibt kein allgemeines Steuererfindungsrecht. Basta!
3. Teures Lehrgeld
Schließlich ist die Entscheidung des BVerfG auch deshalb bemerkenswert, weil sie sich im Hinblick auf die Höhe der nun zu erstattenden, zu Unrecht erhobenen Steuer als einmalig darstellt. Aufgrund der jährlich 6%tigen Verzinsung der vom Bund unrechtmäßig vereinnahmten Kernbrennstoffsteuer in Höhe von 6,285 Milliarden Euro, summiert sich der insgesamt vom Bund zurück zu zahlende Betrag im Ergebnis auf über 7 Milliarden Euro. Im Vorfeld der Entscheidung war daher immer wieder das Argument zu vernehmen gewesen, dass ein „politisch“ denkendes Gericht angesichts der schieren Höhe der in Rede stehenden Summe, mit Rücksicht auf den Staatshaushalt und seine Finanz- und Haushaltsplanung in dessen Sinn entscheiden würde, ja müsste. Genau dieses Argument greift das Gericht nun auf und argumentiert, dass der Staat sich jedenfalls dann nicht auf seine Finanz- und Haushaltsplanung verlassen könne, wenn er eine Steuer einführe, die schon vor ihrer ersten Erhebung grundsätzlich und bis in alle Details umstritten und daher mit absehbaren finanzverfassungsrechtlichen Unsicherheiten versehen war.
Nach der Entscheidung des BVerfG vom 6. Dezember 2016 (Aktenzeichen 1 BvR 2821/11) über das für teilweise verfassungswidrig erklärte Kernenergieausstiegsgesetz (13. AtG-Novelle) hat das Gericht nun auch das Gesetz über die Kernbrennstoffsteuer „gekippt“. Dieses Gesetz war Teil der Gesetzgebung zum Kernenergieausstieg und blieb auch dann noch in Kraft, als der Ausstieg nach dem Unfall im März 2011 in Fukushima beschleunigt und gesetzlich besiegelt wurde. Damit hat das Gericht der Regierung zum zweiten Mal ein denkbar schlechtes Zeugnis zum Thema „Ausstieg aus der Kernenergie“ ausgestellt: Ja, man kann aus der Kernenergie aussteigen. Aber so nicht! Teures Lehrgeld.
Prof. Dr. Tobias Leidinger |