24.01.2022
Im Sommer 2021 warf ein Verfahren vor dem BGH (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. Juni 2021 – II ZB 35/20) Licht auf eine fast vergessene europäische Prozesstaktik: die Torpedoklage.
Bei der Torpedoklage wird im Kern der Umstand ausgenutzt, dass manche Gerichte in der EU langsamer arbeiten als andere. Das Prinzip der Torpedoklage lässt sich wie folgt erklären: Eine Partei erwartet in näherer Zukunft, verklagt zu werden. Noch bevor die Gegenpartei tätig wird, erhebt die Partei selbst Klage. Dies tut sie an einem Gerichtsstand, welcher entweder für eine für sie eher vorteilhafte Rechtsprechung oder auch für eine besonders langsame Arbeitsweise und für Verzögerungen bekannt ist. Berüchtigt hierfür sind etwa italienische Gerichte, weshalb die Torpedoklage auch öfter als „italienischer Torpedo“ bezeichnet wird. Wegen der Rechtshängigkeit der Sache kann nun die eigentliche Klage der Gegenpartei nicht verhandelt werden, bevor nicht das Gericht der Torpedoklage über seine Zuständigkeit entschieden hat. Die Partei hat es dadurch also geschafft, Zeit zu schinden. Ein Verfahren kann sich auf diese Weise um Jahre verzögern.
Die europäische Gesetzgebung, der Torpedoklagen schon länger ein Dorn im Auge waren, reagierte 2012 in ihrer neuen EuGVVO darauf. Art. 31 Abs. 2 EuGVVO regelt für die oben beschriebenen Fälle eine Ausnahme, welche Torpedoklagen verhindern soll:
„Wird ein Gericht eines Mitgliedstaats angerufen, das gemäß einer Vereinbarung nach Artikel 25 ausschließlich zuständig ist, so setzt das Gericht des anderen Mitgliedstaats unbeschadet des Artikels 26 das Verfahren so lange aus, bis das auf der Grundlage der Vereinbarung angerufene Gericht erklärt hat, dass es gemäß der Vereinbarung nicht zuständig ist.“
Art. 25 EuGVVO regelt die vertragliche Vereinbarung eines Gerichtsstands: Noch vor Beginn eines Rechtsstreits kann vertraglich festgelegt werden, vor welchem Gericht ein zukünftiges Verfahren stattfinden soll. Wurde nun eine solche Vereinbarung getroffen, so genießt der dadurch bestimmte Gerichtsstand einen faktischen Vorrang vor dem Gerichtsstand einer eventuellen Torpedoklage. Die Regelung des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO stellt somit eine Art Schutzschild gegen Torpedoklagen dar, wenn die Parteien sich vertraglich auf einen Gerichtsstand geeinigt haben. Wie wirksam dieser Schutzschild ist, zeigt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 15. Juni 2021 – II ZB 35/20).