28.11.2023
Völkerrechtliche Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen bestehen bisher nur in wenigen Spezialgebieten oder sind regional begrenzt. Für die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen eines EU-Staates in einem anderen EU-Staat gilt die EuGVVO, die dafür sorgt, dass Urteile in Zivil- und Handelssachen aus einem EU-Mitgliedstaat in anderen EU-Staaten vereinfacht durchgesetzt werden.
Schwierigkeiten bestehen bei der Durchsetzung von Entscheidungen eines Drittstaates. Die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Urteils in einem Staat, mit dem kein Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen besteht, richtet sich nach innerstaatlichem Recht des ersuchten Staates, in Deutschland nach §§ 328, 722 ZPO. Für den Vollstreckungsgläubiger, der in einem Drittstaat ein Urteil vollstrecken möchte, besteht damit kein einheitlicher Rechtsrahmen. Vielmehr sieht er sich mit zahlreichen Übereinkommen (deren Anwendbarkeit er überprüfen muss) sowie innerstaatlichen Regelungen konfrontiert, die erheblich voneinander abweichen können.
Die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht hat am 2. Juli 2019 das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (HAVÜ) verabschiedet. Das Übereinkommen soll die zurzeit noch erheblichen Hindernisse bei der Durchsetzung ausländischer Urteile abbauen und einheitliche Voraussetzungen für die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung schaffen. Das neue Übereinkommen regelt die Anerkennung und Vollstreckung einer von einem Gericht eines Vertragsstaats erlassenen Entscheidung in einem anderen Vertragsstaat (Art. 1 Abs. 2 HAVÜ). Ausgenommen vom Anwendungsbereich sind damit Entscheidungen von Schiedsgerichten (Art. 2 Abs. 3 HAVÜ). Für sie gilt bereits das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche.
Am 29. August 2022 hat die Europäische Union ihre Beitrittsurkunde hinterlegt und wurde damit erste Vertragspartei des Übereinkommens. Bei der Hinterlegung der Beitrittsurkunde hat die EU von Art. 18 HAVÜ Gebrauch gemacht und erklärt, „dass sie das Übereinkommen nicht auf die nicht wohnraumbezogene Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen, die in der EU belegen sind, anwenden wird“. Dadurch soll sichergestellt werden, dass ausschließlich EU-Gerichte für Streitigkeiten betreffend in der EU belegener Immobilien zuständig bleiben. Kurz darauf hinterlegte die Ukraine ihre Urkunde zur Ratifizierung des Übereinkommens. Mit dem EU-Beitritt und der Ratifizierung durch die Ukraine hatte das Übereinkommen zwei Vertragsparteien, sodass es ein Jahr später, am 1. September 2023, gem. Art. 28 HAVÜ in Kraft getreten ist. Durch den Beitritt der Union bindet das Übereinkommen alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks, Art. 27 HAVÜ. Auch Uruguay hat das Übereinkommen im Jahr 2019 unterzeichnet und inzwischen ratifiziert. Das Übereinkommen tritt dort am 1. Oktober 2024 in Kraft. Weitere sechs Staaten haben das Übereinkommen bislang unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert: Costa Rica, Israel, Montenegro, Nordmazedonien, Russland sowie die USA. Im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander wird die EuGVVO auch nach Inkrafttreten des Übereinkommens nach Art. 23 Abs. 4 HAVÜ Vorrang vor diesem behalten.
Das Haager Übereinkommen ist auf die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen staatlicher Gerichte in Zivil und Handelssachen anzuwenden. Es erfasst nicht Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten. Ausgenommen vom Anwendungsbereich sind auch diverse Teilgebiete des Zivilrechts, so z.B. das Familienrecht, das Insolvenzrecht, Streitigkeiten auf dem Gebiet des geistigen Eigentums sowie Teile des Kartellrechts, vgl. Art. 2 HAVÜ. Die Ausschlüsse sind u.a. dadurch begründet, dass die aufgelistete Angelegenheit bereits durch andere internationale Instrumente, insbesondere andere Haager Übereinkommen, abgedeckt ist und die Anwendung dieser Instrumente nicht durch Überschneidungen mit dem vorliegenden Übereinkommen beeinträchtigt werden sollte.
Art. 4 HAVÜ begründet die Verpflichtung der Vertragsstaaten zur gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und legt allgemeine Bedingungen und Auswirkungen dieser Verpflichtung fest. Eine Entscheidung ist gem. Art. 5 HAVÜ anerkennungs- und vollstreckungsfähig, wenn das Gericht im Ursprungsstaat seine Zuständigkeit aufgrund eines in Art. 5 Abs. 1 HAVÜ vorgesehenen Gerichtsstandes begründet hat. Die aufgeführten Zuständigkeitskriterien lassen sich in drei Kategorien einteilen: 1. Verbindungen zwischen Ursprungsstaat und dem Beklagten, 2. auf Zustimmung basierende Verbindungen sowie 3. Verbindungen zwischen Anspruch und Ursprungsstaat. Art. 7 HAVÜ zählt abschließend die möglichen Versagungsgründe auf, z. B. kann die Anerkennung und Vollstreckung versagt werden, wenn die Entscheidung durch Betrug erlangt worden ist oder die Anerkennung bzw. Vollstreckung der öffentlichen Ordnung („ordre public“) des ersuchten Staates offensichtlich widerspräche.
Da im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten bereits die EUGVVO gilt und diese nach wie vor Vorrang hat, halten sich die praktischen Auswirkungen des Übereinkommens derzeit in Grenzen. Das Haager Übereinkommen hat gegenwärtig lediglich Einfluss auf das Verhältnis der Vertragsstaaten zur Ukraine und ab dem 1. Oktober 2024 zu Uruguay. Das sind die einzigen Nicht-EU-Staaten, die bis heute das Übereinkommen nicht nur unterzeichnet, sondern auch ratifiziert haben. Zur Erreichung der bereits aufgeführten Ziele des Übereinkommens müssten zahlreiche Staaten (außerhalb der EU, insb. die USA) das Übereinkommen noch ratifizieren. Sollte dies geschehen, so würde das Übereinkommen tatsächlich zu einer Vereinfachung sowie Vereinheitlichung der Rechtslage hinsichtlich der Anerkennung und Durchsetzung ausländischer Urteile führen. Allerdings ist nach wie vor zu beachten, dass das Übereinkommen ein sog. „Hintertürchen“ vorsieht: Nach Art. 29 Abs. 2, 3 HAVÜ kann jeder Staat erklären, "dass die Ratifikation, die Annahme, die Genehmigung oder der Beitritt eines anderen Staates nicht das Zustandekommen von Beziehungen zwischen den beiden Staaten nach diesem Übereinkommen bewirkt." Der extensive Gebrauch dieser Vorschrift könnte die Zielsetzung des Übereinkommens, eine einheitliche Grundlage für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsurteile zu schaffen, konterkarieren. Die daraus resultierende Gefahr der Entstehung eines sog. „Flickenteppichs“ ist nicht zu unterschätzen.
Iman Bayrouti
Associate
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