04.11.2019

Reverse Engineering nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) – Vertragliche Ausschlussmöglichkeiten

Background

Am 26. April 2019 ist das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) in Kraft getreten. Dieses bezweckt den Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor unerlaubter Erlangung, Nutzung und Offenlegung, § 1 Abs. 1 GeschGehG. Vor Inkrafttreten existierte im deutschen Recht kein Spezialgesetz zum Geschäftsgeheimnisschutz, vielmehr ergaben sich Ansprüche bisher vor allem aus den lauterkeitsrechtlichen Normen des UWG (§§ 17 – 19 UWG). Nunmehr sind die Ansprüche (Schadensersatz, Auskunft, Vernichtung etc.) explizit im GeschGehG normiert. Eine wichtige Änderung betrifft das sogenannte Reverse Engineering: nach dem GeschGehG ist die Entschlüsselung eines Geschäftsgeheimnisses durch Beobachtung, Rückbau etc. („Reverse Engineering“) nunmehr grundsätzlich zulässig, soweit die gesetzlichen vorliegen. Aufgrund dieser Änderung werden viele Unternehmen sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, welche Möglichkeiten zum vertraglichen Ausschluss des Reverse Engineerings nach neuer Rechtslage bestehen. Diese Frage soll vorliegend beantwortet werden.

Reverse Engineering: Begriff und bisherige Regelung

Nach dem GeschGehG ist die Entschlüsselung eines Geschäftsgeheimnisses durch ein Beobachten, Untersuchen, Rückbauen oder Testen eines Produkts oder Gegenstands („Reverse Engineering“) zulässig, soweit die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) bzw. lit. b) GeschGehG vorliegen.

Vor dem Inkrafttreten des GeschGehG galt das Reverse Engineering nach herrschender Meinung als Verletzung von § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG, wenn es mit erheblichem Analyseaufwand verbunden war. Dagegen lag nach Auffassung der Rechtsprechung aufgrund der Offenkundigkeit der Information kein Geschäftsgeheimnisses vor, wenn jeder Fachmann ohne größeren Zeit-, Arbeits- und Kostenaufwand zur Ableitung in der Lage wäre.

Im Zuge des GeschGehG hat sich der Gesetz- bzw. Richtliniengeber dazu entschieden, das Reverse Engineering unter Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen als grundsätzlich zulässige Handlung anzusehen. Ausweislich der Erwägungsgründe der Richtlinie (EU) 2016/943, welche durch das GeschGehG umgesetzt wurde, sollen die Bestimmungen der Richtlinie „im Interesse von Innovation und Wettbewerbsförderungen […] keine Exklusivrechte an als Geschäftsgeheimnis geschütztem Know-how oder als solchem geschützten Informationen begründen“. Daher solle auch das Reverse Engineering an einem rechtmäßig erworbenen Produkt ein zulässiges Mittel zum Erwerb von Informationen sein (ErwG 16). Dahinter steht die Wertung, dass, anders als bei Patenten oder Urheberrechten, kein Exklusivrecht an Geschäftsgeheimnissen begründet werden soll.

Reverse Engineering nach gegenwärtiger Rechtslage

Das Gesetz regelt die Voraussetzungen, unter denen Reverse Engineering zulässig ist, in § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG. Es ist erlaubt, wenn einer der beiden gesetzlich geregelten Fälle vorliegt; namentlich wenn das Produkt oder der Gegenstand öffentlich verfügbar gemacht wurde (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. a GeschGehG) oder es sich im rechtmäßigen Besitz des Beobachtenden, Untersuchenden, Rückbauenden oder Testenden befindet und dieser keiner Pflicht zur Beschränkung der Erlangung des Geschäftsgeheimnisses unterliegt (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. b GeschGehG). Es dürfen also Produkte und Gegenstände zurückgebaut werden, die am Markt öffentlich verfügbar gemacht wurden oder die ohne entsprechenden vertraglichen Ausschluss rechtmäßig erlangt wurden.

Von der Zulässigkeit des Reverse Engineering nach dem GeschGehG zu unterscheiden und unabhängig davon zu bewerten sind die Schranken, die durch andere Gesetze zum Immaterialgüterrechtsschutz gezogen werden. Der Gesetzesentwurf nennt hier insbesondere die lauterkeitsrechtlichen Regelungen zum Schutz vor Herkunftstäuschung und Rufausbeutung nach § 4 Nr. 3 UWG. Diese gehen einen Schritt weiter als die Bestimmungen des GeschGehG, indem Sie die Nutzung der durch das Reverse Engineering gewonnenen Erkenntnisse regulieren, während es bei § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG um die Erlangung des Geschäftsgeheimnisses geht. Ausdrücklich erlaubt ist das Reverse Engineering im Patenrecht (§ 11 Nr. 2 PatG: Handlungen zu Versuchszwecken) und im Urheberrecht (§ 69d Abs. 3 UrhG: beobachten, untersuchen oder testen der Funktion eines Programms).

Vertraglicher Ausschluss von Reverse Engineering

Für Unternehmen besonders relevant sind die Möglichkeiten, das Reverse Engineering auszuschließen, d.h. selbiges zu verbieten. Nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. a GeschGehG ist das Reverse Engineering bei öffentlich verfügbaren Produkten bzw. Gegenständen uneingeschränkt erlaubt. Eine Einschränkung der gesetzlichen Erlaubnis des Reverse Engineerings besteht gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. b GeschGehG lediglich dann, wenn das Produkt einem Geschäftspartner zur Verfügung gestellt wurde, ohne dass es öffentlich verfügbar gemacht wurde, und dieser Geschäftspartner einem vertraglichen Verbot bzw. einer Nutzungsbeschränkung unterliegt. Es muss also zunächst zwischen öffentlich verfügbaren und nicht öffentlich verfügbaren Produkten unterschieden werden.

Wie festgestellt, stehen Geheimnisinhaber nach dem Gesetzeswortlaut vor dem Problem, dass ihre am Markt öffentlich verfügbaren Produkte dem Reverse Engineering zunächst offenstehen. Folglich stellt sich für sie die Frage, ob ein Ausschluss über AGB oder zumindest individualvertragliche Klauseln möglich ist.

Eine Beschränkung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die pauschal das Reverse Engineering bei am Markt öffentlich verfügbaren Produkten ausschließen will, könnte nach deutschem Recht an der sogenannten gesetzlichen Inhaltskontrolle scheitern, da ein derartiger AGB-Ausschluss von Reverse Engineering dem ausdrücklichen Wortlaut und dem Grundgedanken des Gesetzes widersprechen und somit gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam sein könnte. Einem individualvertraglichen Ausschluss dürfte demgegenüber in der Regel nichts im Wege stehen. Fraglich bleibt jedoch, inwiefern eine solche individualvertragliche Ausschlussmöglichkeit bei öffentlich verfügbaren Produkten tatsächlich praktikabel oder effektiv ist.

Im Verhältnis zu Geschäftspartnern, denen ein nicht öffentlich verfügbar gemachtes Produkt zugänglich gemacht wird, dürfte die Möglichkeit eines vertraglichen Ausschlusses des Reverse Engineerings noch deutlich relevanter sein, da es hier oftmals einen Entwicklungs- und Marktvorsprung zu sichern gilt. Im Gegensatz zum Ausschluss bei öffentlich verfügbaren Produkten, dürfte der Ausschluss des Reverse Engineerings bei nicht öffentlich verfügbar gemachten Produkten auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zulässig sein. Der deutschen Gesetzesbegründung lässt sich explizit entnehmen, dass ein vertraglicher Ausschluss hier möglich sein soll. Dass die Vereinbarung zwingend individualvertraglich erfolgen müsste, lässt sich der Begründung demgegenüber nicht entnehmen. In Erwägungsgrund 16 der zugrundeliegenden EU-Richtlinie heißt es zwar, dass die (Vertrags-)Freiheit zum Abschluss derartiger vertraglicher Vereinbarungen zum Ausschluss des Reverse Engineerings durch die Mitgliedsstaaten beschränkt werden kann. Diese an die EU-Mitgliedstaaten gerichtete Möglichkeit dürfte aber kaum – ohne weitere Signale des Gesetzgebers diesbezüglich – im deutschen § 307 Abs. 1 BGB zu erblicken sein. Anderenfalls – d.h. wenn man in der deutschen allgemeinen AGB-Kontrolle eine Einschränkung des vertraglichen Rechts zum Reverse Engineering-Ausschluss sehen würde – würde man die Vertragsautonomie zwischen Geheimnisinhabern und Vertragspartnern über Gebühr einschränken. Dies wiederum dürfte dem ausdrücklichen Wortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. b GeschGehG sowie dem erklärten Ziel der Richtlinie zuwiderlaufen, einen einheitlichen Mindestschutz für Geschäftsgeheimnisse in den Mitgliedsstaaten sicherzustellen.

Bis zur Klärung durch die Rechtsprechung bleibt weitestgehend unklar, wie die Konstellation zu bewerten ist, in der einem Vertragspartner ein (noch) nicht öffentlich verfügbares Produkt zugänglich gemacht wurde und diesem ein vertragliches Reverse Engineering Verbot auferlegt wurde, später dieses Produkt jedoch am Markt öffentlich verfügbar gemacht wird. Es stellt sich naturgemäß die Frage, ob dieser Vertragspartner weiter durch das Verbot gebunden sein kann, während nunmehr andere Konkurrenten regelmäßig zulässig (s.o.) Reverse Engineering betreiben können. Für eine Weitergeltung spricht, dass der Vertragspartner bereits einen Wissens- und Vorbereitungsvorsprung durch die Produktoffenbarung vor Markteintritt erhalten hat und er aus Sicht des Geheimnisinhabers somit einen „gefährlicheren“ Konkurrenten darstellt. Dagegen spricht die hieraus folgende Schlechterstellung gegenüber anderen Marktteilnehmern, die sich nicht im Wege eines Reverse Engineering Verbots gebunden haben, sodass faktisch der redliche, den Geheimnisinhaber schützende Vertragspartner schlechter gestellt würde.

Fazit

Die vom Gesetzgeber im Zuge des GeschGehG eingeführte grundsätzliche Zulässigkeit des Reverse Engineerings macht vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Zielsetzung der Innovationsförderung durchaus Sinn. In der praktischen Handhabung ergeben sich für den Geheimnisinhaber unter dem Aspekt des demgegenüber stehenden Innovations- und Investitionsschutzes jedoch einige praktische Probleme und rechtlichen Unsicherheiten. Während der vertragliche Ausschluss des Reverse Engineerings in AGB oder Individualklauseln bei öffentlich noch nicht verfügbar gemachten Produkten regelmäßig wirksam vereinbart werden kann, sind die Hürden für ein solches Verbot bei bereits öffentlich verfügbaren Produkten deutlich höher. Bei vor Marktveröffentlichung vereinbarten Reverse Engineering Verboten, die nach Wunsch des Geheimnisinhabers auch nach Marktveröffentlichung den Vertragspartner weiter beschränken sollen, verbleiben bis zur Klärung durch die Rechtsprechung erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der (fortdauernden) Wirksamkeit eines solchen Verbots. Bei öffentlich in Verkehr gebrachten Produkten bleibt dem Know-How-Inhaber jedoch der Schutz über andere Immaterialgüterrechte und durch das Lauterkeitsrecht. Weitere Informationen zum Geschäftsgeheimnisgesetz finden Sie auch auf unserer eigens eingerichteten Themenseite .
 

Daniel Lehmann
Associate
Köln

Yvonne Wolski
Rechtsreferendarin u. Wiss. Mitarbeiterin
Köln