15.05.2017

Schiedsreform in Russland

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04.07.2017

Schiedsreform in Russland

Schiedsgerichte sind eine wichtige Einrichtung, um Streitigkeiten zwischen Unternehmen beizulegen. Am 1. September 2016 sind das Föderale Gesetz Nr. 382-FZ „Über das Schiedsverfahren in der Russischen Föderation” vom 29. Dezember 2015 (Gesetz Nr. 382-FZ) und das Föderale Gesetz Nr. 409-FZ „Über die Einbringung von Änderungen in einzelne Gesetzgebungsakte der Russischen Föderation” (Gesetz Nr. 409-FZ) in Kraft getreten. Beide Gesetze führen neue Regelungen hinsichtlich des Schiedsverfahrens in der Russischen Föderation sowie der schiedsfähigen Streitigkeiten in die russische Rechtsordnung ein.

Ein Grund für die Verabschiedung des Gesetzes Nr. 382-FZ war die fehlende Unabhängigkeit der Schiedsgerichte, da die Schiedsgerichte durch beliebige Organisation oder juristische Personen errichtet werden konnten. Solche ad hoc Schiedsgerichte, die für einzelne konkrete Streitigkeiten errichtet wurden, waren oftmals nicht objektiv und unabhängig. Somit war ein ad hoc Schiedsgericht ein Instrument für Beilegung von Streitigkeiten zugunsten von großen Unternehmen.

Ständige Schiedsgerichte
Die wichtigsten gesetzlichen Änderungen betreffen das Verfahren der Einrichtung von ständigen Schiedsgerichten. Gemäß dem Gesetz Nr. 382-FZ können ständige Schiedsgerichte seit dem 1. September 2016 ausschließlich  bei nichtgewerblichen Organisationen und nur auf der Grundlage einer Erlaubnis der Regierung der Russischen Föderation errichtet und tätig sein. Das Gesetz Nr. 382-FZ verbietet die Errichtung von ständigen Schiedseinrichtungen bei bestimmten nichtgewerblichen Organisationen, wie Anwaltsvereinigungen, Notarkammern oder Staatskorporationen.

Früher wurden ad hoc Schiedsgerichte durch Industrie-und Handelskammern, gesellschaftliche Vereinigungen, Banken und andere Organisationen errichtet. Jetzt regelt das Gesetzes Nr. 382-FZ die Tätigkeiten der ad hoc Schiedsgerichte und legt folgende wesentliche Einschränkungen für die Tätigkeiten solcher ad hoc Schiedsgerichte fest:

  • die Parteien sind nicht berechtigt, eine Vereinbarung  über den Verzicht, ein staatliches Gericht anzurufen, zu treffen;
  • das ad hoc Schiedsgericht entzieht den Parteien das Recht, sich an die staatlichen Gerichte zu wenden, um eine Unterstützung bei der Erlangung von Beweismitteln zu erhalten;
  • eine Vereinbarung der Parteien dahingehend, dass die Entscheidungen eines ad hoc Schiedsgerichts rechtskräftig sind, ist unwirksam;
  • das ad hoc Schiedsgericht ist nicht berechtigt, über gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten zu urteilen.

Um die Funktionen eines ständigen Schiedsgerichts in Russland ausüben zu dürfen, brauchen ausländische Schiedsgerichtsinstitutionen eine Erlaubnis der Regierung der Russischen Föderation. Einzige Voraussetzung für die Erteilung der Erlaubnis ist eine hohe Reputation.

Ein besonderer Status wurde zwei russischen Schiedsinstitutionen gewährt. Für das Internationale Wirtschaftsschiedsgericht der Handels- und Industriekammer der Russischen Föderation (MKAS) und die Seeschiedskommission (MAK) gelten die gesetzlichen Bestimmungen in Bezug auf die Errichtung bei nichtgewerblichen Organisationen und zum Erhalt der Erlaubnis durch die Regierung der Russischen Föderation nicht.

Schiedsfähigkeit von Streitigkeiten
Im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Gesetzes Nr. 382-FZ ist am 1. September 2016 das Gesetz Nr. 409-FZ in Kraft getreten, das wesentliche Änderungen in die verschiedenen Gesetze eingebracht hat.

Die Arbitragegerichtsverfahrensordnung der Russischen Föderation (APK) und die Zivilprozessordnung der Russischen Föderation wurden mit neuen Artikeln ergänzt. Diese regeln, wann Streitigkeiten nicht an ständige Schiedsgerichte übertragen werden dürfen:

  • Einige gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten;
  • Streitigkeiten über die Privatisierung des staatlichen und kommunalen Vermögens oder im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe;
  • Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Regulierung von Umweltschäden;
  • Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Regulierung von Lebens- und Gesundheitsschäden;
  • Streitigkeiten aus Arbeits-, Erbschafts- und Familienverhältnissen, einschließlich Rechtsstreitigkeiten in Bezug zur Vermögensverfügung durch einen Vormund.

Gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten
Der meist diskutierte Aspekt der Reform ist die Möglichkeit der Verweisung eines Teils von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten an die „ständigen Schiedsgerichten“. Die Beteiligten von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten können frei entscheiden, ob sie sich an staatliche Gerichte (ordentliches Gericht, Staatsarbitrage) wenden oder eine alternative Form ihrer Rechtsschutzverfolgung wählen und sich an die ständigen Schiedsgerichte wenden.

Eine Verweisung von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten an die ad hoc Schiedsgerichte ist dagegen nicht zulässig.

Im Hinblick auf die Besonderheiten einiger gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten ist die Verweisung dieser Streitigkeiten an die Schiedsgerichte nicht zulässig. Zu solchen Streitigkeiten gehören insbesondere:

  • Streitigkeiten über die Einberufung von Gesellschafterversammlungen einer juristischen Person;
  • Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Notaren zur Beurkundung von Rechtsgeschäften mit Anteilen an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung;
  • Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Anfechtung von Beschlüssen, Handlungen und Unterlassungen durch die staatlichen Organe, kommunale Selbstverwaltungsbehörden, Organisationen mit öffentlichen Befugnissen oder Beamten;
  • Streitigkeiten mit Beteiligung einer Gesellschaft, die wesentliche Bedeutung für die Sicherstellung der Landesverteidigung und der staatlichen Sicherheit hat;
  • Streitigkeiten im Zusammenhang mit Erwerb und Ankauf von platzierten Aktien durch die Gesellschaft;
  • Streitigkeiten im Zusammenhang mit einem freiwilligen, obligatorischen Konkurrenzangebot oder mit dem Ankauf von Aktien durch eine Person, die mehr als 95 Prozent der Aktien der öffentlichen Gesellschaft erworben hat;
  • Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Ausschluss von Gesellschaftern juristischer Personen.

Eine Streitigkeit kann grundsätzlich erst dann an ein Schiedsgericht verwiesen werden, wenn das Schiedsgericht seinen Gerichtsstand in Russland hat und im Einklang mit einer speziellen Schiedsgerichtsordnung tätig wird. Dabei muss man darauf achten, dass ein solches ständiges Schiedsgericht eine Verhandlungsordnung von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten genehmigt und auf seiner Website veröffentlicht hat.

Diese Einschränkung findet keine Anwendung auf die folgenden Streitigkeiten:

  • Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Inhaberschaft von Aktien und Anteilen, u. a. Streitigkeiten aus Kaufverträgen, Zwangsvollstreckung in die Aktien und Anteile;
  • Streitigkeiten aus der Tätigkeit von Wertpapierregisterverwaltern im Zusammenhang mit der Aktienberechtigung, Ausübung anderer Rechte und Pflichten durch den Wertpapierregisterverwalter gemäß der Gesetzgebung über das Verfahren der Ausgabe von Wertpapieren.

Schiedsvereinbarungen
Eine wichtige Voraussetzung für die Verhandlung von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten vor einem Schiedsgericht ist das Vorliegen einer Schiedsvereinbarung über die Verweisung von Streitigkeiten zwischen den Parteien an ein Schiedsgericht. Schiedsvereinbarungen über die Verweisung von Streitigkeiten an ein Schiedsgericht können erst seit dem1. Februar 2017 abgeschlossen werden. Dabei gelten Schiedsvereinbarungen, die vor dem 1. Februar 2017 Jahr abgeschlossen wurden, als nicht vollstreckbar.

Empfehlung: Zwecks Anpassung von bereits bestehenden Schiedsvereinbarungen an die neue Gesetzgebung empfiehlt es sich, Änderungen in den vor dem 1. Februar 2017 abgeschlossenen Schiedsvereinbarungen vorzunehmen und explizit gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten ab dem 1. Februar 2017 an ein Schiedsgericht zu verweisen.

Eine Schiedsvereinbarung kann in Form eines separaten Vertrags abgeschlossen werden oder durch einen Gesellschaftsvertrag von den Gesellschaftern geregelt werden, oder in die Satzung einer juristischen Person einstimmig durch alle Gesellschafter aufgenommen werden (mit Ausnahme der öffentlichen Aktiengesellschaften und Aktiengesellschaften mit einer Aktienanzahl von mehr als 1.000).

Eine Schiedsvereinbarung, die in die Satzung eingenommen wurde, gilt für Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftern, der juristischen Person und einer anderen (dritten) Person erst dann, wenn diese andere Person der Schiedsvereinbarung ausdrücklich zugestimmt hat. Aus praktischem Gesichtspunkt kann eine solche Situation zu Schwierigkeiten in der Abwicklung der durch die Satzung bestimmten Schiedsvereinbarung führen. Beispielsweise, wenn ein neuer Gesellschafter einer juristischen Person die Satzung nicht einsehen und daher von der in der Satzung aufgenommenen Schiedsvereinbarung nichts wissen konnte, war es für ihn nicht möglich, von dem bevorstehenden Schiedsverfahren Kenntnis zu erlangen.

Empfehlung: Es ist empfehlenswert, zu bestimmen, ob eine Schiedsvereinbarung, die in die Satzung aufgenommen wurde, für die neuen Gesellschafter einer juristischen Person gilt.

Fazit
Die Existenz der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit erleichtert die Verweisung gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten an die Schiedsgerichte in der Russischen Föderation. Die Verschärfung der Anforderungen an Schiedsgerichte seit dem 1. Februar 2017 führt zu einer Verbesserung der Qualität und Vollständigkeit der Entscheidungen der Schiedsgerichte.

Vorteil der Führung einer gesellschaftsrechtlichen Streitigkeit vor einem Schiedsgericht ist die deutlich kürzere Dauer des Verfahrens im Vergleich zu der Verhandlung vor einem staatlichen Arbitragegericht.

Für ein großes Unternehmen sind die im Vergleich zum staatlichen Verfahren höheren Gebühren kein wesentliches Hindernis für die Übergabe einer Streitigkeit an ein Schiedsgericht. Für Unternehmen mit kleinen Umsätzen, großer Kreditverschuldung und anderen finanziellen Schwierigkeiten ist die Übertragung einer Streitigkeit an ein Schiedsgericht jedoch finanziell problematisch oder gar unmöglich.

Die Schiedsreform zeugt von der allgemeinen Tendenz die staatliche Kontrolle über die Schiedsgerichte zu erhöhen. Das neue Verfahren der Errichtung von Schiedsinstitutionen beschränkt einerseits die Tätigkeit von ad hoc Schiedsgerichte im Geschäftsverkehr, was die Streitbeilegung unabhängig und objektiv macht, kann aber andererseits die Entwicklung von unabhängigen Schiedsgerichten in der Russischen Föderation verlangsamen.
 

 

Anna Skaldina, LL.M.
Wirtschaftsjuristin
Associate
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
München
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