04.12.2017
Die Betriebsratswahlen stehen vor der Tür. Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) schreibt in einem Turnus von vier Jahren regelmäßige Betriebsratswahlen vor. Die nächsten Wahlen finden im Zeitraum vom 1. März bis zum 31. Mai 2018 statt.
Die Betriebsratswahlen stehen vor der Tür. Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) schreibt in einem Turnus von vier Jahren regelmäßige Betriebsratswahlen vor. Die nächsten Wahlen finden im Zeitraum vom 1. März bis zum 31. Mai 2018 statt.
Betriebsratswahlen haben eine rechtliche und praktische Brisanz. Die Betriebsstruktur und Anzahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer sind entscheidend für die Anzahl der Betriebsratsmitglieder und Freistellungen, was sich wiederum für den Arbeitgeber finanziell auswirkt. Im Rahmen einer Betriebsratswahl erlangen nicht nur die gewählten Betriebsratsmitglieder besonderen Kündigungsschutz, sondern auch die Mitglieder des Wahlvorstands und die Wahlbewerber. Die Wahl selbst ist gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt und Aufweichung von Betriebsgrenzen fehleranfällig. Fehler bei der Wahl können zur Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit der Wahl führen. So hat das Arbeitsgericht Hamburg jüngst entschieden, dass die Stimmenabgabe in einem Online-Wahlverfahren zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führt.
Dieser Beitrag bietet – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einen Überblick über die im letzten Jahr zur Durchführung von Betriebsratswahlen ergangene Rechtsprechung.
Besteht in einem Betrieb kein Betriebsrat und kein Gesamtbetriebsrat, wird in einer Betriebsversammlung von der Mehrheit der anwesenden Arbeitnehmer ein Wahlvorstand gewählt. An dieser Betriebsversammlung können alle Arbeitnehmer teilnehmen, mit Ausnahme der Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 2 und Abs. 3 BetrVG. Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat mit Beschluss vom 30. Januar 2017 (Az. 3 TaBVGa 1/17) entschieden, dass dies auch für einen außerordentlich fristlos gekündigten Arbeitnehmer gilt, dem der Arbeitgeber ein Hausverbot erteilt hat, wenn der Arbeitnehmer gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben hat.
Hintergrund der Entscheidung waren die außerordentlichen fristlosen Kündigungen des Arbeitgebers vom 22. Dezember 2016 und 23. Januar 2017. Zudem hatte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer am 10. Januar 2017 ein Hausverbot erteilt. Bereits vor Ausspruch der Kündigungen hatte der Arbeitnehmer dem Geschäftsführer am 13. Dezember 2016 eine Einladung zur Durchführung einer Betriebsversammlung am 30. Januar 2017 zur Bestellung eines Wahlvorstands zur erstmaligen Wahl eines Betriebsrats übersandt. Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage und beantragte, das gegen ihn ausgesprochene Hausverbot für den Tag der Betriebsversammlung aufzuheben und ihm Zutritt bis zur Beendigung der Betriebsversammlung zu gewähren.
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das LAG Mecklenburg-Vorpommern gaben dem Antrag statt. Die fristlose Kündigung stehe einem Zutrittsrecht des Arbeitnehmers nicht entgegen.
Lediglich wenn feststehe, dass Arbeitnehmer nicht mehr in den Betrieb zurückkehren werden (z.B. aufgrund von Altersteilzeit im Blockmodell in der Freistellungsphase) erlösche das Teilnahmerecht nach § 42 Abs. 1 BetrVG. Bei Erhebung einer Kündigungsschutzklage bleibe im Fall eines gekündigten Arbeitnehmers die rechtswirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses und damit die Zugehörigkeit zum Betrieb im Sinne des § 42 Abs. 1 BetrVG ungeklärt. Dieser Unsicherheitszustand führe nicht zum Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts. Das Hausrecht bei der Durchführung einer Betriebsversammlung nach § 42 Abs. 2 BetrVG falle dem Betriebsratsvorsitzenden bzw. den Wahlinitiatoren zu und erstrecke sich sowohl auf den Versammlungsraum als auch auf die Zugangswege dorthin.
Arbeitgeber dürfen Arbeitnehmern nach einer fristlosen Kündigung oder nach Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist daher nicht den Zutritt zur Wahlversammlung verweigern, wenn diese Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung erhoben haben. Andernfalls liegt ein Verstoß gegen den in § 20 Abs. 1 BetrVG geregelten Wahlschutz vor, wonach niemand die Wahl des Betriebsrats behindern und kein Arbeitnehmer an der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts beschränkt werden darf.
Im Rahmen der Betriebsratswahl kommt der Wählerliste eine zentrale Bedeutung zu, da die Nennung des Namens in der Wählerliste formale Voraussetzung für die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts der Arbeitnehmer ist. Fehler in der Wählerliste sind gemäß § 4 Abs. 1 Wahlordnung (Erste Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes – WO) innerhalb einer Einspruchsfrist von zwei Wochen nach Erlass des Wahlausschreibens beim Wahlvorstand schriftlich zu rügen. Nach Ablauf der Einspruchsfrist kann die Wählerliste nach § 4 Abs. 3 WO nur bei Schreibfehlern, offenbaren Unrichtigkeiten oder Eintritt oder Ausscheiden von Wahlberechtigten aus dem Betrieb bis zum Tag vor Beginn der Stimmabgabe berichtigt oder ergänzt werden.
Das BAG hat mit Beschluss vom 21. März 2017 (Az. 7 ABR 19/15) entschieden, dass die Ergänzung der Wählerliste durch den Wahlvorstand am Wahltag selbst um bislang nicht aufgeführte wahlberechtigte Arbeitnehmer die Anfechtung der Wahl rechtfertigen kann. Die Betriebsratswahl kann nach § 19 Abs. 1 BetrVG beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und durch den Verstoß das Wahlergebnis geändert oder beeinflusst werden konnte. In dem vom BAG zu entscheidenden Fall waren drei Arbeitnehmer bis zum Wahltag nicht auf der Wählerliste aufgeführt, da der Arbeitgeber die neu eingestellten Arbeitnehmer dem Wahlvorstand nicht nachgemeldet hatte. Als die drei Arbeitnehmer am Wahltag zur Wahl erschienen, ergänzte der Wahlvorstand die Wählerliste um die drei Arbeitnehmer, die anschließend an der Wahl teilnahmen. Die Auszählung der Stimmen ergab, dass auf eine Liste 140 Stimmen und auf eine andere Liste 141 Stimmen entfallen waren, die daraufhin fünf Sitze erhielt. Die Wahl wurde von drei Arbeitnehmern des Betriebs angefochten. Dem Antrag wurde in den Vorinstanzen stattgegeben. Das BAG hat die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde zurückgewiesen, da der Wahlvorstand gegen § 4 Abs. 3 Satz 2 WO verstoßen habe und das Wahlergebnis aufgrund der vorliegenden knappen Entscheidung durch die Änderung der Wählerliste beeinflusst werden konnte.
Die Entscheidung des BAG hält sich an den Wortlaut der WO und ist nicht überraschend. Gleichwohl ist das Ergebnis nicht zufriedenstellend, da der Wahlvorstand Wahlberechtigte, die am Tag der Wahl auf der Wählerliste fehlen und unstreitig wahlberechtigt sind, nicht nachtragen darf und ihnen die Wahl damit verweigert ist. Möglicherweise könnte die Wahl auch in diesem Fall angefochten werden, weil nach § 7 BetrVG wahlberechtigte Arbeitnehmer nicht auf der Wählerliste stehen. Zumindest in dem Fall, in dem das Arbeitsverhältnis eines nicht auf der Wählerliste befindlichen Arbeitnehmers bereits während der Einspruchsfrist bestand, scheint eine Anfechtbarkeit jedoch fraglich, wenn die Arbeitnehmer keinen Einspruch gegen die Wählerliste erhoben haben.
Die Betriebsratswahl ist eine geheime und unmittelbare Wahl. Der Wahlvorstand muss organisatorische Maßnahmen treffen, damit der Grundsatz der geheimen Wahl eingehalten wird. Dieser Grundsatz war in einem vom LAG Düsseldorf am 13. Dezember 2016 (Az. 9 TaBv 85/16) zu entscheidenden Fall nicht eingehalten.
Der Betriebsrat lud zu einer Betriebsratswahl am 10. Dezember 2015 in einen etwa 40 m² großen Raum ein. Die Mitglieder des Wahlvorstandes saßen an drei Tischen am Kopf des Raumes. In den beiden Ecken auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes befand sich jeweils ein Tisch mit Stuhl für die Abgabe der Stimmen. Die Wählenden saßen am jeweiligen Wahltisch mit dem Rücken zum Wahlvorstand. Es gab keine Wahlkabinen oder Trennwände. Links neben den Tischen des Wahlvorstandes befand sich ein weiterer Tisch, auf dem die Wahlurne aufgestellt war und vor dem die Wähler warteten, die den Wahlraum betraten, um anschließend an einem frei werdenden Wahltisch Platz zu nehmen. Der Arbeitgeber hat die Auffassung vertreten, die Wahl sei wegen gravierender Mängel im Wahlverfahren nichtig, jedenfalls aber anfechtbar.
Das Arbeitsgericht hat die Wahl für unwirksam erklärt. Die hiergegen vom Betriebsrat eingelegte Beschwerde wurde vom LAG Düsseldorf zurückgewiesen. Der Wahlvorstand hat nach Ansicht des LAG Düsseldorf gegen die sich aus § 12 WO ergebenden Anforderungen an eine geheime Wahl verstoßen. Er hat bei der Durchführung der Wahl nicht dafür Sorge getragen, dass eine unbeobachtete Wahl durchgeführt wird. Hierzu hätte er sich des Aufstellens von Wandschirmen oder Trennwänden bedienen können. Eine Zuordnung der getroffenen Wahl zu dem jeweiligen Wähler darf auch bei Abgabe des Stimmzettels nicht möglich sein. Dabei komme es nicht darauf an, ob das konkrete Ausfüllen eines Wahlzettel durch den Wähler tatsächlich beobachtet worden ist. Der Wähler müsse die subjektive Überzeugung haben, unbeobachtet und nicht auf ihn zurückführbar seine Stimme abgeben zu können. Diesen Anforderungen wird die Wahl nicht gerecht, wenn die Wähler in einem ca. 40 m² großen Raum lediglich mit dem Rücken zum Wahlvorstand sitzen. Angesichts der geringen Distanz konnten sich die Wähler sich nicht vor einer Beobachtung sicher fühlen. Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass das Wahlergebnis anders ausgegangen wäre, wenn die Anforderungen eingehalten worden wären, sei der Verstoß auch geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
Die Durchführung der Betriebsratswahl ist in der WO als Präsenzwahl und Briefwahl vorgesehen. Das Arbeitsgericht Hamburg hatte mit Beschluss vom 7. Juni 2017 (Az. 13 BV 13/16) über die Rechtmäßigkeit einer Online-Wahl zu entscheiden. Dem Beschlussverfahren lag eine Betriebsratswahl zugrunde, die neben der Präsenz- und Briefwahl als Online-Wahl durchgeführt wurde. Für die Durchführung der Wahl setzte der Wahlvorstand eine Software ein, die durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifiziert ist. Der Hersteller der Software wies auf seiner Website darauf hin, dass der Gesetzgeber die Online-Stimmabgabe für Betriebsratswahlen derzeit noch nicht vorsehe. Zudem wurde der Betriebsrat in einem vorgelagerten Beschlussverfahren beim Arbeitsgericht Hamburg mit Beschluss vom 1. März 2016 (Az. 25 BV 29/115) von der Kammer darauf hingewiesen, dass die Festlegung einer zusätzlichen Online-Wahl neben der Präsenz- und Briefwahl im Wahlausschreiben mit der WO nicht vereinbar sein dürfte, da die WO in § 25 genaue Vorgaben zur Stimmabgabe außerhalb der Präsenzwahl vorsieht. Mehrere Arbeitnehmer beantragten, die Nichtigkeit der erfolgten Betriebsratswahl festzustellen, hilfsweise die Anfechtung der Betriebsratswahlen.
Das Arbeitsgericht Hamburg entschied, dass die Betriebsratswahl nicht nur anfechtbar war, es erklärte die Betriebsratswahl sogar für nichtig, da sie mittels eines nicht von der WO vorgesehenen Wahlverfahrens durchgeführt worden ist. Die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl kann nur festgestellt werden bei groben und offensichtlichen Verstößen gegen wesentliche Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts, die so schwerwiegend sind, dass auch der Anschein eines dem Gesetz entsprechenden Verfahrens nicht mehr besteht. Diese Grundsätze sah das Arbeitsgericht Hamburg vorliegend als erfüllt an. Die Durchführung einer Online-Wahl verfahrstoße in grober Weise gegen die Bestimmungen der WO, die neben der klassischen Präsenzwahl nach den §§ 11 ff. auch die Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe im Rahmen einer Briefwahl gemäß den §§ 24 ff. vorsieht. Die WO sieht hingegen keine elektronische Stimmabgabe per Online-Wahl vor. Auch können die Regelungen zur Briefwahl nicht dahingehend ausgelegt werden, dass ein Online-Wahlverfahren von ihnen erfasst wäre. Gegen eine solche Auslegung spreche der Wortlaut der in der WO verwendeten Begriffe wie „schriftliche Stimmabgabe“, „Wahlumschlag“, „vorgedruckte Erklärung“, „Verschließen des Wahlumschlags“, „Unterschrift“ und „Briefumschläge“. Aus diesen Begriffen werde deutlich, dass es sich um eine schriftliche Stimmabgabe im herkömmlichen Sinne, also eine Papierwahl handelt. Der diesbezügliche Wortlaut der WO sei eindeutig und abschließend und der Sinn und Zweck der Normen begründen keine abweichende Beurteilung. Der durch das Online-Verfahren begangene Verstoß sei auch schwerwiegend, da bewusst ein Wahlverfahren angewendet wurde, das von der WO nicht vorgesehen ist. Es sei für jedermann erkennbar gewesen, dass die WO das Online-Wahlverfahren nicht vorsieht. Zudem wurde der Betriebsrat in dem vorherigen Beschlussverfahren vom Arbeitsgericht Hamburg auf die rechtlichen Bedenken zu einem Online-Wahlverfahren hingewiesen. Auch die Softwarefirma hatte schließlich darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber ein Online-Wahlverfahren noch nicht vorsehe.
Zurecht geht das Arbeitsgericht Hamburg von der Nichtigkeit der Wahl aus, da die WO weder eine Online-Wahl vorsieht noch einen Anlass zur ergänzenden Auslegung der klaren gesetzlichen Regelungen enthält. Zur Durchführung eines Online-Wahlverfahrens bedarf es vielmehr einer Gesetzesänderung, worauf das Gericht an zahlreichen Stellen hinweist. Bis zu einem Handeln des Gesetzgebers wird es bei der Papierwahl bleiben.
Das Verfahren zur Wahl des Betriebsrats ist kompliziert und formal. Es enthält rechtliche und tatsächliche Hürden, die vom Betriebsrat zu meistern sind. Da auch Arbeitgeber für gewöhnlich ein starkes Interesse an einer wirksamen Wahl haben, sollten sie die Betriebsräte bei der Durchführung der Wahlen soweit möglich unterstützen. Immerhin wirkt die Nichtigkeit einer Wahl ex tunc, so dass der Betriebsrat niemals bestanden hat und sämtliche Handlungen und in der Zwischenzeit abgeschlossene Betriebsvereinbarungen unwirksam sind. Eine solche rechtliche Unsicherheit ist weder für den Arbeitgeber noch für die Arbeitnehmer wünschenswert.
Die Entscheidung zum Online-Wahlverfahren zeigt, dass der Gesetzgeber – wie häufig – noch nicht in der Gegenwart angekommen ist. Gerade vor dem Hintergrund flexibler Arbeitsorte wäre es wünschenswert, wenn die WO eine Online-Wahl zuließe. Ein entsprechendes gesetzgeberisches Tätigwerden wird mittlerweile auch von vielen Stimmen in der juristischen Literatur gefordert. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber für die nächste Wahlperiode ein Update der WO vornimmt. Hierzu bleiben ihm immerhin vier Jahre.
Sandra Sfinis |
EGMR, Urteil vom 5. September 2017 – 61496/08
Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Zugriff auf das dienstliche E-Mailpostfach zulässig ist oder der Browserverlauf auf dem Dienstrechner kontrolliert werden darf, beschäftigt nicht nur regelmäßig die Compliance- und Personalabteilungen, sondern immer häufiger auch die Gerichte. Denn während Arbeitnehmer üblicherweise möchten, dass die von ihnen geführte Kommunikation vor Zugriffen Dritter und damit auch dem Arbeitgeber geschützt ist, hat dieser regelmäßig ein Interesse daran, von den Arbeitsergebnissen, wie etwa E-Mails und sonstigen Dokumenten, Kenntnis zu haben. Darüberhinausgehend besteht vielfach auch ein erhebliches Interesse daran, das Verhalten am Arbeitsplatz zu überprüfen.
Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Zugriff auf das dienstliche E-Mailpostfach zulässig ist oder der Browserverlauf auf dem Dienstrechner kontrolliert werden darf, beschäftigt nicht nur regelmäßig die Compliance- und Personalabteilungen, sondern immer häufiger auch die Gerichte. Denn während Arbeitnehmer üblicherweise möchten, dass die von ihnen geführte Kommunikation vor Zugriffen Dritter und damit auch dem Arbeitgeber geschützt ist, hat dieser regelmäßig ein Interesse daran, von den Arbeitsergebnissen, wie etwa E-Mails und sonstigen Dokumenten, Kenntnis zu haben. Darüberhinausgehend besteht vielfach auch ein erhebliches Interesse daran, das Verhalten am Arbeitsplatz zu überprüfen.
Die Rechtslage im Bereich Datenschutz ist an vielen Stellen komplex und vielschichtig, sodass für den Arbeitgeber häufig nicht ohne Weiteres erkennbar ist, wann, in welchem Umfang und mit welchen Mitteln er die Kommunikation seiner Mitarbeiter kontrollieren darf. So hatte zuletzt das Bundesarbeitsgericht (Az. 2 AZR 681/16) im Juli 2017 darüber zu entscheiden, ob der heimliche Einsatz von Key-Loggern – einer Hard- oder Software zur Überwachung von Eingaben am Dienstrechner – ein zulässiges Mittel zur Überwachung von Mitarbeitern ist und dies jedenfalls ohne begründeten Verdacht einer Straftat oder einer anderen schwerwiegenden Pflichtverletzung für unzulässig erachtet.
Das Thema Datenschutz am Arbeitsplatz ist jedoch nicht allein auf nationaler Ebene hochaktuell. Mit Blick auf die sog. Datenschutz-Grundverordnung („DS-GVO“), die ab Mai 2018 in allen Mitgliedstaaten verbindlich wird, zeigt sich, dass dieses Thema auch auf europäischer Ebene immer mehr an Bedeutung gewinnt.
So hatte sich nunmehr auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte („EGMR“) bereits zum zweiten Mal mit der Kündigung eines rumänischen Arbeitnehmers zu befassen. Dieser hatte trotz Verbotes der Privatnutzung der dienstlichen Kommunikationsmittel ein auf dem Dienstrechner installiertes Chatprogramm während der Arbeitszeit auch für die Kommunikation mit Freunden und Angehörigen genutzt. Der Verstoß gegen die internen Bestimmungen wurde durch eine mehrtägige heimliche Überwachung der Kommunikation über das Chatprogramm festgestellt. Es folgte daraufhin die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der gekündigte Mitarbeiter sah hierdurch sein in Art. 8 EMRK verankertes Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens und seiner Korrespondenz verletzt.
Nachdem die kleine Kammer des EGMR im Januar 2016 zunächst einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK abgelehnt hatte, nahm die Große Kammer des EGMR am 17. September 2017 mit überwiegender Mehrheit eine Verletzung dieser Rechtsposition an. Eine Kontrolle der Internetkommunikation von Mitarbeitern sei nicht ohne Weiteres zulässig. Diese müsse insbesondere verhältnismäßig sein. Hierzu müssten nach Auffassung des EGMR nachfolge Punkte beachtet werden:
Als weitere Voraussetzung für eine zulässige Überwachung nannte der EGMR ferner, dass die Mitarbeiter vor Durchführung etwaiger Überwachungsmaßnahmen über die Möglichkeit einer Kontrolle durch den Arbeitgeber, die Art der Kontrolle sowie deren Umfang informiert werden müssen.
Diese Voraussetzungen sah der EGMR vorliegend nicht als gegeben an. Zwar habe der Arbeitgeber die Privatnutzung der dienstlichen Kommunikationsmittel verboten, der Mitarbeiter sei jedoch zuvor nicht über etwaige Kontrollmöglichkeit informiert worden. Ferner sei offengeblieben, ob es für die Kontrolle einen legitimen Grund gab und es sich bei einer achttägigen Überwachung von Chatinhalten um das mildeste Mittel gehandelt habe.
Die Entscheidung hat eine erhebliche Bedeutung auch für das deutsche Arbeits- und Datenschutzrecht. Der EGMR definiert nunmehr die Kriterien für eine zulässige Überwachung am Arbeitsplatz. Allerdings bleiben auch wesentliche Fragen nach wie vor unbeantwortet. Insbesondere vermag die Entscheidung keine Klarheit im Hinblick auf die aus Unternehmenssicht wesentliche Frage der Zulässigkeit von Kontrollen bei erlaubter Privatnutzung zu bringen. Diese ist daher weiterhin als grundsätzlich per se unzulässig einzustufen.
Dass jede Kommunikationsüberwachung grundsätzlich eines legitimen Zwecks bedarf, ist allerdings auch jetzt schon Gegenstand der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des § 32 BDSG und wird es auch bei Geltung der DS-GVO bleiben, da § 26 BDSG-neu ähnliche Anforderungen vorsieht. Auch dass es sich bei der Kontrollmaßnahme um den geringstmöglichen Eingriff handeln muss und ferner einer Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen bedarf, ist dem deutschen Datenschutzrecht nicht neu. Eine wesentliche Neuerung liegt demgegenüber darin, dass das Gericht auch bei ausdrücklich verbotener Privatnutzung verlangt, den Mitarbeiter vorab über die Möglichkeit und den Umfang von Kontrollen durch den Arbeitgeber zu informieren.
Es empfiehlt sich anlässlich dieser Entscheidung, einmal die im Unternehmen bestehenden Regelungen zur Nutzung von dienstlichen Kommunikationsmitteln daraufhin zu überprüfen, ob diese bereits jetzt Regelungen zu Kontrollmaßnahmen des Arbeitgebers enthalten und ob diese den Mitarbeitern vorliegen. Soweit es derzeit noch an entsprechenden Regelungen fehlen sollte, sollten diese im Unternehmen implementiert und die Mitarbeiter hierüber entsprechend unterrichtet werden. Dies mit Blick auf die Rechtsprechung des EGMR auch dann, wenn die Privatnutzung verboten ist. Anderenfalls können zukünftig Bußgelder bis hin zu Freiheitsstrafen drohen. Es ist nämlich mit Blick auf die restriktive Rechtsprechung im Arbeitnehmerdatenschutz davon auszugehen, dass diese Entscheidung jedenfalls mittelbar auf die Entscheidungspraxis deutscher Gerichte Einfluss haben wird.
Eine Überprüfung der derzeitigen Datenschutzregelungen im Unternehmen dürfte sich mit Blick auf die zukünftigen Änderungen durch die DS-GVO ohnehin empfehlen, da diese zahlreiche inhaltliche Neuerungen mit sich bringt (etwa im Bereich der Auftragsdatenverarbeitung, der Verfahrensverzeichnisse oder der Einwilligung in die Datenverarbeitung durch Betroffene). Insbesondere werden durch die DS-GVO die potentiellen finanziellen Sanktionen massiv verschärft: Die drohenden Bußgelder sind fortan erst bei 4% des jährlichen Umsatzes (wohl konzernweit) bzw. EUR 20.000.000 gedeckelt.
Paul Schreiner |
Nina Alexandra Stephan
|
Dr. Peter Schneidereit
|
Aus einem Schreiben des Bundesfinanzministeriums ergibt sich, dass in bestimmten Fällen bis Ende des laufenden Wirtschaftsjahres Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die gewinnerhöhende Auflösung steuerlicher Pensionsrückstellungen zu vermeiden. Einigen Unternehmen droht bei Nichtbeachtung ein erheblicher Steuerschaden.
Aus einem Schreiben des Bundesfinanzministeriums ergibt sich, dass in bestimmten Fällen bis Ende des laufenden Wirtschaftsjahres Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die gewinnerhöhende Auflösung steuerlicher Pensionsrückstellungen zu vermeiden. Einigen Unternehmen droht bei Nichtbeachtung ein erheblicher Steuerschaden.
Betroffen sind Unternehmen, die Pensionszusagen in Form sogenannter Gesamtversorgungszusagen erteilt haben, wenn diese für den Beginn der Versorgung ausdrücklich auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abstellen. Pensionszusagen, die auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abstellen, sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts so auszulegen, dass damit auf die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung Bezug genommen wird. Kennzeichnend für die Gesamtversorgungszusage ist die Zusage einer bestimmten Höhe der Gesamtversorgung des Berechtigten unter Anrechnung etwa der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Dabei wird die Zusage regelmäßig limitiert auf einen bestimmten Prozentsatz des zuletzt bezogenen Brutto- oder Nettoeinkommens oder einen bestimmten Betrag. Gesamtversorgungszusagen wurden früher vielfach in staatsnahen Unternehmen (z.B. Energieversorger) erteilt.
Das Bundesfinanzministerium verlangt in seinem Schreiben vom 9. Dezember 2016 in diesen Fällen, dass das bisher vereinbarte Pensionsalter („65 Jahre“) schriftlich geändert wird und ausdrücklich auf das Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze abgestellt wird. Andernfalls ist nach der Anweisung des BMF an die Finanzämter die Pensionsrückstellung gewinnerhöhend aufzulösen.
Nach Auffassung des Bundesfinanzministeriums reicht bei mit unverfallbaren Anwartschaften ausgeschiedenen Arbeitnehmern zur Änderung der Versorgungszusage eine betriebsöffentliche Erklärung des Versorgungsverpflichteten aus. Als Beispiele zur Umsetzung werden die Veröffentlichung im Bundesanzeiger und der Aushang am Schwarzen Brett genannt.
Steuerpflichtige, deren Wirtschaftsjahr dem Kalenderjahr entspricht, müssen die Änderung nach der im Schreiben des Bundesfinanzministeriums geregelten Übergangsregelung bis Ende des Jahres 2017 umsetzen. Bei abweichendem Wirtschaftsjahr können die Maßnahme bis zum Ende des ersten Wirtschaftsjahres, das nach dem 9. Dezember 2016 begann, vorgenommen werden.
Ulrich Siegemund
|
BAG, Urteil vom 26. Oktober 2017 – 6 AZR 158/16
In einer erheblichen Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer kann eine unangemessene Benachteiligung liegen, selbst wenn die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber in gleicher Weise verlängert wird.
In einer erheblichen Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer kann eine unangemessene Benachteiligung liegen, selbst wenn die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber in gleicher Weise verlängert wird.
Der Beklagte war bei der Klägerin seit Dezember 2009 als Speditionskaufmann angestellt. Seine monatliche Bruttovergütung betrug zunächst 1.400 Euro bei einer Wochenarbeitszeit von 45 Stunden. Im Juni 2012 unterzeichneten die Parteien eine Zusatzvereinbarung, wonach die gesetzliche Kündigungsfrist für beide Seiten auf 3 Jahre zum Monatsende verlängert wird und die monatliche Bruttovergütung auf 2.400 Euro ansteigt. Zudem vereinbarten die Klägerin und der Beklagte, dass die Vergütung bis zum 30. Mai 2015 nicht erhöht wird und bei einer späteren Erhöhung erneut mindestens zwei Jahre unverändert bleibt. Nachdem der Beklagte erfuhr, dass die Klägerin auf ihren Computern das zur Überwachung des Arbeitsverhaltens geeignete Computerprogramm „PC Agent“ installiert hat, kündigte er am 27. Dezember 2014 das Arbeitsverhältnis zum 31. Januar 2015. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten bis zum 31. Dezember 2017 fortbesteht.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Die von der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des LAG eingelegte Revision blieb erfolglos. Das BAG bestätigte, dass die im vorliegen Fall vereinbarte Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfrist eine für den Beklagten unangemessene Benachteiligung darstelle und daher nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam sei. Entsprechend der vorliegenden Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts müsse bei einer vom Arbeitgeber vorformulierten Kündigungsfrist, welche länger ist als die gesetzliche Regelfrist des § 622 Abs. 1 BGB, geprüft werden, ob nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls die verlängerte Frist eine unangemessene Beschränkung der beruflichen Bewegungsfreiheit darstelle. Trotz der beiderseitigen Verlängerung der Kündigungsfrist sei eine solche unangemessene Beschränkung vorliegend gegeben. Daran ändere auch die vorgesehene Gehaltserhöhung nichts, zumal das Vergütungsniveau durch die Zusatzvereinbarung sogar eingefroren worden sei.
Gemäß der Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats kündigen. Eine automatische Verlängerung der Arbeitnehmerkündigungsfrist ist in § 622 BGB nicht vorgesehen. Die in Abhängigkeit der Betriebszugehörigkeit in § 622 Abs. 2 BGB geregelte Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfrist findet nur auf die Arbeitgeberkündigung Anwendung und hat keine Auswirkungen auf eine Kündigungserklärung durch den Arbeitnehmer. Selbst nach langjähriger Tätigkeit für seinen Arbeitgeber gilt daher für einen Arbeitnehmer die vierwöchige Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB, es sei denn, auf das Arbeitsverhältnis ist eine abweichende Kündigungsfrist anwendbar.
Eine solche abweichende Kündigungsfrist kann sich beispielsweise aus einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung ergeben. So kann der Arbeitgeber mit seinem Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag eine verlängerte Arbeitnehmerkündigungsfrist vereinbaren. Bei einer solchen Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfrist muss der Arbeitgeber allerdings bestimmte rechtliche Einschränkungen beachten. So darf zunächst gemäß § 622 Abs. 6 BGB für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung des Arbeitgebers.
Ist die vom Arbeitgeber vorformulierte Kündigungsfrist außerdem wesentlich länger als die gesetzliche Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB, muss sich die Verlängerungsvereinbarung – entsprechend dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 26. Oktober 2017 – zusätzlich an den §§ 305 ff. BGB messen lassen. Die arbeitsvertragliche Verlängerungsvereinbarung ist dabei hinsichtlich ihrer Angemessenheit nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB zu kontrollieren. Im Rahmen dieser Angemessenheitskontrolle ist zu prüfen, ob die Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfrist für den betroffenen Arbeitnehmer im jeweiligen Einzelfall eine unangemessene Beschränkung der beruflichen Bewegungsfreiheit darstellt. Im Mittelpunkt steht somit die Frage, ob der Arbeitnehmer durch die Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfrist zu sehr in seiner Suche nach einer neuen Anschlussbeschäftigung beeinträchtigt wird. Aus der bisher nur vorliegenden Pressemitteilung des BAG lässt sich bereits entnehmen, dass dies jedenfalls bei einer Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfrist auf das mehr als 36-fache der gesetzlichen Grundkündigungsfrist grundsätzlich der Fall sein soll. Auch wenn bisher lediglich die Pressemitteilung vorliegt, ist davon auszugehen, dass das Bundesarbeitsgericht eine solch erhebliche Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfrist nur in ganz besonderen Einzelfällen zu rechtfertigen vermag. Letztlich bleibt allerdings abzuwarten, auf welche konkreten Abwägungskriterien das BAG in seinen schriftlichen Urteilsgründen abstellt und ob diese Ausführungen zu dem Maß des noch rechtlich Zulässigen enthalten.
Florian Marquardt
|
BAG, Urteil vom 18. Oktober 2017 – 10 AZR 330/16
Ein Arbeitnehmer ist nach § 106 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO), § 315 BGB nicht – auch nicht vorläufig – an eine Weisung des Arbeitgebers gebunden, die die Grenzen billigen Ermessens nicht wahrt.
Ein Arbeitnehmer ist nach § 106 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO), § 315 BGB nicht – auch nicht vorläufig – an eine Weisung des Arbeitgebers gebunden, die die Grenzen billigen Ermessens nicht wahrt.
Der Kläger ist seit dem Jahr 2001 bei der Beklagten bzw. den Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Der Kläger war als Immobilienkaufmann am Standort Dortmund eingesetzt. Nachdem sich der Kläger gerichtlich erfolgreich gegen eine Kündigung vor Gericht gewehrt hat, versetzte ihn sein Arbeitgeber im Anschluss nach Berlin. Grund der Versetzung war, dass Mitarbeiter der Beklagten eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger ablehnten. Eine Beschäftigungsmöglichkeit in Dortmund außerhalb des Teams bestand nach Auffassung der Beklagten nicht. Der Kläger nahm die Tätigkeit in Berlin nicht auf, woraufhin ihn die Beklagte abmahnte. Nach einer weiteren Abmahnung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Mit seiner Klage möchte der Kläger festgestellt wissen, dass er nicht verpflichtet war, der Weisung am Standort Berlin tätig zu werden, Folge zu leisten. Zudem begehrt er die Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte. In einem weiteren Verfahren wendet er sich gegen die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung. Die Vorinstanzen hatten der Klage stattgegeben. Die Beklagte legte gegen das Urteil des LAG Revision ein.
Der 10. Senat des BAG möchte von der bisher vom 5. Senat des BAG vertretenen Auffassung abweichen, ein Arbeitnehmer dürfe sich über unbillige Weisungen des Arbeitgebers nicht hinwegsetzen und hat deshalb mit Beschluss vom 14. Juni 2017 beim 5. Senat angefragt, ob dieser an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalte (wir haben berichtet in der 3. Ausgabe 2017). Der 5. Senat des BAG teilte mit Beschluss vom 14. September 2017 (Az.: 5 AS 7/17) mit, dass er an der in seinem Urteil vom 22. Februar 2012 (Az.: 5 AZR 249/11) vertretenen Auffassung, wonach sich ein Arbeitnehmer über eine unbillige Ausübung des Weisungsrechts nicht hinwegsetzen darf, sondern entsprechend § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB die Gerichte für Arbeitssachen anrufen muss, nicht mehr festhält. Der 10. Senat des BAG konnte daraufhin abschließend entscheiden und wies die Revision der Beklagten zurück. Die Versetzung des Klägers von Dortmund nach Berlin entspreche nicht billigem Ermessen im Sinne des § 106 GewO, weshalb der Kläger hieran nicht – auch nicht vorläufig – gebunden sei. Eine vorläufige Bindung an eine unbillige Weisung lasse sich nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 106 GewO ableiten, denn diese sehe nicht vor, was passiere, wenn eine Weisung billigem Ermessen nicht entspreche. Ohne ausdrückliche Anordnung könne der Arbeitnehmer nicht an eine gesetzeswidrige Weisung gebunden sein. Zwar präge die Weisungsgebundenheit das Arbeitsverhältnis. Gleichwohl könne hieraus kein Rückschluss auf eine vorläufige Bindung abgeleitet werden, da es an einer konkreten gesetzlichen Regelung fehle (vgl. aber z.B. § 124 Abs. 1 Satz 1 SeeArbG). Eine Verbindlichkeit von unbilligen Weisungen könne auch nicht im Umkehrschluss zu § 275 Abs. 3 BGB (Unzumutbarkeit) hergeleitet werden, da bei § 275 Abs. 3 BGB ein anderer Maßstab gelte. Die vorläufige Bindung an eine unbillige Weisung könne auch nicht aus § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB hergeleitet werden. Diese Vorschrift sei im Arbeitsverhältnis nicht anwendbar, da die wechselseitigen Rechte und Pflichten regelmäßig mit der einmaligen Ausübung des Weisungsrechts bestimmt werden und durch eine neue (wirksame) Weisung abänderbar seien. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB sieht vor, dass im Fall der Unbilligkeit einer Leistung die Bestimmung durch Urteil getroffen wird. Das BAG ist der Auffassung, dass ein solches Gestaltungsurteil unzulässigerweise in die Organisationshoheit des Arbeitgebers eingreifen würde. Auch aus dem Sinn und Zweck des Weisungsrechts des Arbeitgebers könne keine vorläufige Verbindlichkeit von Weisungen hergeleitet werden. Vielmehr würden Weisungen nicht in einem „Über- oder Unterordnungsverhältnis“ erfolgen, sondern in einem „eher partnerschaftlichen Miteinander“ im Arbeitsverhältnis (so Gesetzesbegründung, BT-Drs. 14/8796, Seite 24). Mit dieser Zielrichtung sei ein Verständnis, wonach der Arbeitnehmer sanktionsbewehrt an unbillige Weisungen gebunden sein soll, nicht vereinbar. Aus Sicht des BAG gebe es auch keine praktischen Gründe, warum von einer vorläufigen Verbindlichkeit von unbilligen Weisungen auszugehen sei. Das Risiko der Unwirksamkeit einer Weisung treffe denjenigen, der sie erteile. Dieses Risiko könne nicht auf die Arbeitnehmer abgewälzt werden. Folge wäre sonst, dass Arbeitgeber risikolos unbillige Weisungen erteilen könnten und sich faktisch keine Folgen ergäben, wenn der Arbeitnehmer der unbilligen Weisung Folge leisten würde. Aus Sicht des BAG wäre bei der Verbindlichkeit unbilliger Weisungen eine „Spielwiese für trennungswillige Arbeitgeber“ eröffnet.
Der 10. Senat hat mit dieser Entscheidung die bisherige Rechtsprechung des 5. Senat geändert, die in der Literatur sowie von einigen Landesarbeitsgerichten (LAG Hamm, Urteil vom 13. März 2016 – 17 Sa 1660/15; LAG Düsseldorf, Urteil vom 6. April 2016 – 12 Sa 1153/15) kritisiert wurde. Die Rechtsprechungsänderung hat zur Folge, dass Arbeitgeber vor Ausspruch einer Weisung bereits die Billigkeit prüfen müssen. Dies dürfte insbesondere bei Weisungen, bei denen eine umfassende Interessenabwägung erforderlich ist, eine Herausforderung darstellen. Verweigert ein Arbeitnehmer die Befolgung einer Weisung, kann der Arbeitgeber aufgrund der Leistungsverweigerung die Zahlung des Arbeitsentgelts verweigern. Ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn besteht nur, wenn die Weisung tatsächlich unbillig war und der Arbeitnehmer zurecht die Arbeitsleistung verweigern durfte. Die Frage der Billigkeit von Weisungen wird in Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach im Rahmen von Lohnklagen zu klären sein.
Nicht geklärt ist bisher, welche Auswirkungen die Verweigerung einer unbilligen Weisung auf die Wirksamkeit einer wegen Nichtbefolgung der unbilligen Weisung ausgesprochenen außerordentlichen fristlosen Kündigung hat. Hiermit hat sich der 2. Senat in dem Verfahren, in dem es um die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung geht, zu befassen.
Dr. Anna Schnitzer
|
BAG Urteil vom 27. April 2017 – 2 AZR 67/16
Der Bezug einer Regelaltersrente ist bei der Sozialauswahl zum Nachteil des Regelaltersrentenberechtigten zu bewerten.
Der Bezug einer Regelaltersrente ist bei der Sozialauswahl zum Nachteil des Regelaltersrentenberechtigten zu bewerten.
Dem Fall liegt der Streit über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung zugrunde. Der im Jahr 1947 geborene Kläger war seit 1981 beim beklagten Arbeitgeber beschäftigt. Im Mai 2014 kündigte dieser das Arbeitsverhältnis aus betrieblichen Gründen. Der Kläger bezog zu diesem Zeitpunkt bereits die Regelaltersrente. Er war der Ansicht, dass die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt sei, da einer jüngeren Kollegin nicht gekündigt wurde. Damit habe der Arbeitgeber das Auswahlkriterium „Lebensalter“ nicht ausreichend berücksichtigt, weshalb die Kündigung unwirksam und die Kündigungsschutzklage begründet sei.
Das BAG hat die Kündigung als sozial gerechtfertigt bestätigt, nachdem sowohl das ArbG Hagen als auch das LAG Hamm ursprünglich der Klage stattgegeben hatten.
Im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG ist grundsätzlich dem Arbeitnehmer zu kündigen, der am wenigsten auf das Arbeitsverhältnis angewiesen ist. Dies richtet sich nach den im Gesetz definierten Auswahlkriterien, als Merkmale besonderer individueller Schutzwürdigkeit. Im Kriterium „Lebensalter“ sieht der Gesetzgeber dabei den Maßstab für die Vermittlungschancen des jeweiligen Arbeitnehmers am Arbeitsmarkt nach einer Kündigung. Eine Altersberücksichtigung ist also als Sozialauswahlkriterium zulässig, wenn hierdurch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt werden.
Dabei kommt das BAG zum Ergebnis, dass ein Arbeitnehmer bezüglich des Kriteriums „Lebensalter“ deutlich weniger schutzwürdig ist, wenn er bereits eine Regelaltersrente bezieht. Das BAG begründet dies damit, dass dem Arbeitnehmer ein dauerhaftes Ersatzeinkommen für das zukünftig entfallende Arbeitsentgelt zur Verfügung steht. Damit treffe ihn der Verlust des Arbeitsplatzes weniger schwer als einen Mitarbeiter, der erst noch Rentenanwartschaften erwerben müsse. Diese Auslegung entspricht nach Ansicht des BAG auch dem Gesetzeszweck des § 10 Abs. 2 Satz 2 KSchG. So bestünde bei jüngeren Arbeitnehmern ohne Anspruch auf die Regelaltersrente ein höheres Risiko, über einen längeren Zeitraum oder gar durchgehend arbeitslos und somit auf Entgeltersatzleistungen und staatliche Hilfe angewiesen zu sein.
Auch § 41 Satz 1 SGB VI verbiete die Sozialauswahl zulasten des deutlich älteren Mitarbeiters nicht. Die Vorschrift verbiete zwar die Kündigung wegen der Regelaltersrente, betreffe aufgrund des Begriffs „bedingt“ jedoch lediglich Kündigungen aus Gründen der Rentenberechtigung an sich. Eine negative Berücksichtigung im Rahmen der Sozialauswahl sei daher nicht ausgeschlossen.
Nach Ansicht des BAG verstößt diese Auslegung auch nicht gegen die Richtlinie 2000/78/EG wegen einer Ungleichbehandlung aufgrund des Alters. Ungleichbehandlungen können nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt sein, wenn der nationale Gesetzgeber ein legitimes Ziel verfolgt und die Maßnahme im Rahmen des ihm zustehenden Ermessensspielraum beschließt. Ein derartiges legitimes Ziel erkannte das BAG in der gerechten Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen, welche die wirtschaftliche Existenz durch den Verbleib in Beschäftigung sichern soll. Dieses Ziel verfolge der nationale Gesetzgeber im Rahmen der Sozialauswahl auf verhältnismäßige Weise.
Die sehr praxisbezogene Entscheidung des BAG ist zu begrüßen. Das Urteil ist besonders im Hinblick auf Interessensausgleichsverhandlungen und der damit verbundenen Sozialauswahl bis hin zu Nachteilsausgleichsregelungen und Sozialplanabfindungsregelungen von großer Bedeutung. Das BAG urteilt in verständlicher Weise sehr ergebnisorientiert und schreckt auch nicht davor zurück, ohne Vorlage an den EuGH zu entscheiden. Es lässt allerdings offen, wie es sich mit dem Auswahlkriterium „Betriebszugehörigkeit“ verhält, welches häufig mit dem Lebensalter Hand in Hand geht.
Das BAG hat in der Vergangenheit bereits für andere Themenbereiche entschieden, dass der Altersrentenbezug negativ berücksichtigt werden kann. In seinem Urteil vom 11. November 2008 (Az.1 AZR 475/07) hielt es das BAG für zulässig, wenn in einem Sozialplan für Arbeitnehmer, die im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf vorzeitige Altersrente haben, geringere Abfindungen vorzusehen. Dies gilt wegen des Benachteiligungsverbots nach § 75 BetrVG jedoch nicht für Mitarbeiter, welche eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach § 236a SGB VI beziehen können (BAG, Urteil vom 17. November 2015 – 1 AZR 938/13).
In der vorliegenden Entscheidung vom 27. April 2017 wird offen gelassen, ob die Orientierung an Entgeltersatzleistungen auch für Mitarbeiter in zeitlicher Nähe zur Regelaltersrente gelten soll. Überträgt man die Wertungen des BAG, käme man zu dem Schluss, dass gerade langjährig Versicherte deutlich besser abgesichert sind, als Arbeitnehmer zu Beginn ihrer Erwerbsbiografie. Umgekehrt bedeutet ein hohes Lebensalter nicht zweifelsohne eine (auskömmliche) Altersversorgung.
Durch den Einbezug eines wortlautfremden Auswahlkriteriums – dem individuellen Grad der sozialen Absicherung – kehrt das BAG die Sozialauswahl quasi um. Stellt man auf das vom BAG zur Richtlinie 2000/78/EG entwickelte Ziel der Generationengerechtigkeit ab, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass jedem Mitarbeiter die Chance gegeben sein muss, sich einen vollständigen Regelrentenanspruch durch Erwerb von Entgeltpunkten zu verdienen. Dieses Ziel kann ein älterer Arbeitssuchender – generell betrachtet – schwerer erreichen als ein jüngerer.
Hendrik Dankelmann
|
BAG, Urteil vom 18. Oktober 2017 – 10 AZR 47/17
Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX ist keine formelle Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Versetzung. Entscheidend ist vielmehr, ob die Weisung des Arbeitgebers billigem Ermessen entspricht.
Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX ist keine formelle Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Versetzung. Entscheidend ist vielmehr, ob die Weisung des Arbeitgebers billigem Ermessen entspricht.
Der Kläger ist bei der Beklagten als Maschinenbediener tätig. Er leistete seit 1994 zunächst Wechselschicht (Frühschicht/Spätschicht), seit 2005 wurde er fast ausschließlich in der Nachtschicht eingesetzt. Der Kläger war seit 2013 jeweils an mindestens 35 Arbeitstagen pro Jahr arbeitsunfähig erkrankt. Im März 2015 fand ein Krankenrückkehrgespräch statt, welches von der Beklagten nicht als Maßnahme des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) beabsichtigt und/oder ausgestaltet war. Nach diesem Gespräch ordnete die Beklagte zur Vermeidung betrieblicher Störungen und weiterer Fehltage an, dass der Kläger seine Arbeit zukünftig in Wechselschicht zu erbringen habe.
Der Kläger ist der Auffassung, die Anordnung, in der Wechselschicht tätig zu werden, sei unwirksam, weil die Beklagte vor der Maßnahme kein BEM durchgeführt habe. Im Übrigen entspreche die Versetzung nicht billigem Ermessen im Sinne von § 106 GewO, § 315 BGB. Die Beklagte meint, eine Dauernachtschicht sei generell gesundheitlich belastender als jede andere Arbeitszeit. Deshalb habe sie mit der Versetzung prüfen dürfen, ob sich die gesundheitliche Situation des Klägers bei einem Einsatz in der Wechselschicht verbessere. Außerdem sei aus betrieblicher Sicht zu berücksichtigen, dass der Kläger bei Fehlzeiten in der Wechselschicht leichter ersetzbar sei als in der Nachtschicht.
Der Kläger begehrt mit der Klage die Beschäftigung in der Nachtschicht. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das LAG hat ihr stattgegeben.
Die Revision der Beklagten war erfolgreich. Das BAG hat entschieden, dass die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements keine formelle Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Versetzung ist. Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Versetzung jedenfalls auch auf Gründe gestützt wird, die im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers stehen. Das BAG erachtet es vielmehr für maßgeblich, ob die Weisung des Arbeitgebers insgesamt billigem Ermessen im Sinne von § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 1 BGB entspricht, wobei sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigten sind. Da zu diesen Umständen noch keine hinreichender Feststellungen des LAG vorlagen, konnte der Senat nicht abschließend entscheiden und verwies die Sache zurück an das LAG.
Das BAG stellt in dieser Entscheidung, die aktuell nur als Pressemitteilung vorliegt, für die Arbeitgeberseite klar, dass die Durchführung eines BEM keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Ausübung des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts ist. Das LAG Baden-Württemberg hatte diese Frage noch anders entschieden und festgestellt, dass die Beklagte bei Ausübung ihres Direktionsrechts die Grenzen billigen Ermessens überschritten hatte. Dies hatte das LAG damit begründet, dass die bloße Erwartung, dass sich eine Maßnahme positiv auf den Gesundheitszustand und die Arbeitsfähigkeit des Klägers auswirken würde, ohne ein BEM kein berechtigtes Interesse der Beklagten für die Ausübung des Direktionsrechts darstellt. Das BEM sei ein milderes und geeigneteres Mittel, um das von der Beklagten gewünschte Ziel zu erreichen. Die Beklagte könne sich ohne die Einleitung eines BEM nicht auf einen möglichen positiven Effekt einer Versetzung als betriebliches Interesse berufen, sondern sie wäre verpflichtet gewesen, dem Arbeitnehmer zunächst ein BEM anzubieten.
Das Unterlassen eines BEM hat nach § 84 Abs. 2 SGB IX keine unmittelbaren Folgen für das Arbeitsverhältnis, insbesondere keine unmittelbare Nichtigkeit oder Unwirksamkeit arbeitsrechtlicher Maßnahmen. Dennoch ist der Arbeitgeber bei der personenbedingten Kündigung gehalten, dem Arbeitnehmer die Durchführung eines BEM anzubieten, da ein ordnungsgemäßes BEM gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX nach der Rechtsprechung des BAG geeignet ist, mildere Mittel zur Kündigung, so beispielsweise die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen, zu erkennen und zu entwickeln. Verschließt sich der Arbeitgeber diesem kooperativen Suchprozess führt dies zu einer verschärften Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzverfahren. Der Arbeitgeber kann sich, wenn er entgegen der Verpflichtung aus § 84 Abs. 2 SGB IX kein ordnungsgemäßes BEM durchgeführt hat, im Kündigungsschutzverfahren nicht auf den Vortrag beschränken, dass er keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer kenne und es keine leidensgerechten Arbeitsplätze gebe, die der Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung einnehmen könne. Er hat in diesem Fall vielmehr von sich aus die objektive Nutzlosigkeit eines BEM darzulegen und zu beweisen.
Für die Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts führt diese Entscheidung somit zu Rechtssicherheit. Der Arbeitgeber wird das BEM allerdings auch bei anderen arbeitsrechtlichen Maßnahmen als der Kündigung nicht völlig außer Acht lassen können. Die Pressemitteilung des BAG enthält keine Aussagen des BAG dazu, in welcher Weise ein BEM im Rahmen einer erforderlichen Ermessensabwägung berücksichtigt wird. Es bleibt daher abzuwarten, ob das BAG die Bedeutung der Durchführung oder Nichtdurchführung eines BEM in den Urteilsgründen konkretisiert. Grundsätzlich sollte daher bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 84 Abs. 2 SGB IX stets ein BEM in Betracht gezogen werden.
Martina Ziffels |
Die Klägerin ist Fachanwältin für Arbeits- und Sozialrecht und war seit Februar 2003 als Lehrkraft im Fachbereich Sozialversicherung der Beklagten, der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, beschäftigt. Bei der Beklagten gilt eine Evaluationsordnung, nach deren Maßgabe die Lehrveranstaltungen der Klägerin bewertet wurden. Die Ergebnisse der Evaluation wurden an mehrere Mitarbeiter der Beklagten weitergeleitet. Dieses Vorgehen hielt die Klägerin für datenschutzrechtswidrig. Sie erstattete aus diesem Grund Strafantrag wegen einer Straftat nach § 44 Abs. 1 BDSG gegen unbekannt. Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wurde im weiteren Verlauf eingestellt; die von der Klägerin dagegen erhobene Beschwerde blieb erfolglos. Auch im Rahmen eines später anhängigen Bußgeldverfahrens wurden keine Verstöße gegen gesetzliche Datenschutzbestimmungen festgestellt. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht wiesen die Kündigungsschutzklage ab.
Gewährt ein Unternehmen seinen Arbeitnehmern Leistungen auf Grundlage einer Gesamtzusage oder betrieblichen Übung, so ist eine Ablösung auch durch verschlechternde Betriebsvereinbarung möglich, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass die Leistungsgewährung betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet war.
In dem durch das LAG Düsseldorf entschiedenen Fall hatte ein öffentliches Nahverkehrsunternehmen u.a. seinen Arbeitnehmern und deren Ehegatten seit Ende der 50er Jahre kostenlose Fahrtmöglichkeiten gewährt. Die Rechtsgrundlage für die Gewährung der Freifahrten war zunächst eine Gesamtzusage. Im Laufe der Jahre wurden die Regelungen zur Gewährung von Freifahrten immer wieder in einigen Details verändert, wobei verfügt wurde, dass diese Änderungen jeweils dem Betriebsrat zur Kenntnis zu bringen seien. Im Jahr 1991 schlossen die Beklagte und ihr Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung, welche die ausschließliche Gewährung eines kostenlosen Fahrtickets für die Arbeitnehmer regelte. Tatsächlich wurden über die Regelungen in der Betriebsvereinbarung hinausgehend u.a. aber auch den Ehegatten weiterhin kostenlose Fahrtickets zur Verfügung gestellt. Schließlich schlossen die Betriebsparteien im Jahr 2015 eine zum 1. Januar 2016 in Kraft tretende Betriebsvereinbarung (BV „FirmenTicket“), die „alle vorhergehenden Regelungen und Betriebsvereinbarungen bezüglich des Erhalts eines FirmenTickets“ ersetzen sollte. Die Betriebsvereinbarung sah keine Gewährung kostenloser Tickets für Angehörige der Mitarbeiter mehr vor. Der Kläger erhielt als Arbeitnehmer der Beklagten, wie in der Betriebsvereinbarung vorgesehen, ab dem 1. Januar 2016 nur noch ein Freifahrtticket für eine niedrigere Preisstufe als in der Vergangenheit, seine Ehefrau erhielt gar kein Freifahrtticket mehr. Hiergegen wendete sich der Kläger mit seiner Klage und vertrat die Auffassung, dass die Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2015 die bisherigen Regelungen zur Gewährung von Freifahrttickets nicht wirksam abgelöst habe. Das Arbeitsgericht hatte die Klage als teilweise begründet erachtet und die Beklagte dazu verurteilt, der Ehefrau weiterhin ein Freiticket zu gewähren.
Das LAG Düsseldorf erachtete die Klage als vollumfänglich unbegründet. Das Gericht vertritt die Auffassung, dass die Regelungen über die Gewährung von Freifahrttickets an die Mitarbeiter der Beklagten sowie die Ehegatten der Mitarbeiter, welche zunächst im Rahmen einer Gesamtzusage erfolgten und später möglicherweise im Rahmen einer betrieblichen Übung – ob tatsächlich eine betriebliche Übung bestand, ließ das LAG unentschieden – durch die BV „FirmenTicket“ wirksam abgelöst worden seien. Die entsprechenden kollektiven Regelungen standen nach Ansicht des LAG unter dem konkludenten Vorbehalt einer späteren Abänderung durch eine Betriebsvereinbarung. Das Gericht setzte sich in seiner Argumentation insbes. intensiv mit der jüngeren Rechtsprechung des BAG auseinander. So können nach Auffassung des BAG kollektivrechtliche Regelungen auch durch verschlechternde Betriebsvereinbarungen abgelöst werden, wenn sie betriebsvereinbarungsoffen gestaltet sind. Ein Hinweis auf einen solchen Vorbehalt könne sich bereits daraus ergeben, dass die abzulösenden Regelungen ursprünglich mit dem Betriebsrat abgestimmt wurden. Das BAG (1 AZR 417/12) habe zudem angenommen, dass bei der Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB) stets konkludent die Abänderung durch betriebliche Normen vorbehalten sei. Mit der Verwendung von AGB mache der Arbeitgeber deutlich, dass im Betrieb einheitliche Vertragsbedingungen gelten sollen. Dies könne aber nur erreicht werden, wenn eine Änderung und Umgestaltung der Arbeitsbedingungen möglich, d.h. die AGB betriebsvereinbarungsoffen seien. In einer weiteren Entscheidung habe das BAG (3 AZR 56/14) die Ansicht vertreten, dass im Wege der Gesamtzusage erteilte Leistungen der betrieblichen Altersversorgung üblicherweise der Abänderbarkeit unterliegen. Das BAG argumentierte, dass Regelungen, die auf einen längeren, unbestimmten Zeitraum angelegt würden, für den Begünstigten von vorneherein erkennbar einem möglichen Änderungsbedarf ausgesetzt seien.
Nach der Auffassung des LAG Düsseldorf seien die Begründungen des BAG ohne Weiteres auf alle allgemeinen, generalisierenden Arbeitsbedingungen mit kollektivem Bezug übertragbar, sofern diese sich auf sonstige dauerhafte oder wiederkehrende Leistungen richteten. Die höchstrichterliche Rechtsprechung stufe offensichtlich alle auf allgemeinen, generalisierenden Arbeitsbedingungen beruhenden Regelungen mit kollektivem Bezug als betriebsvereinbarungsoffen ein. Die auf Gewährung von Freifahrtmöglichkeiten gerichtete Gesamtzusage und etwaige betriebliche Übung seien betriebsvereinbarungsoffen gewesen. Es sei erkennbar gewesen, dass die Zusagen - schon vor dem Hintergrund des sich stetig weiterentwickelnden Tarifsystems – nicht unverändert bleiben sollten. Zudem seien die ursprünglichen Regelungen auch mit Billigung des Betriebsrats erfolgt.
Die Auslegung der BV „FirmenTicket“ ergebe auch, dass die Ehegatten der Arbeitnehmer künftig keine Freifahrttickets mehr beanspruchen könnten. Zwar seien die Ehegatten nicht explizit aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten ausgenommen, einer solchen Negativregelung habe es aber auch nicht bedurft, da es zu keinem Zeitpunkt eine Gesamtzusage oder betriebliche Übung gegeben habe, die sich ausschließlich auf die Ehegatten bezogen habe.
Die Entscheidung des LAG Düsseldorf folgt konsequent der jüngeren Rechtsprechung des BAG, nach welcher kollektive Zusagen als betriebsvereinbarungsoffen zu erachten sind, wenn es erkennbare Hinweise darauf gibt, dass der Arbeitgeber auf einen sich möglicherweise zukünftig ergebenden Änderungsbedarf reagieren können möchte. Zwar hatte das BAG bisher nur Gelegenheit, im Zusammenhang mit AGB und einer auf betriebliche Altersversorgung gerichteten Gesamtzusage hierzu Stellung zu beziehen, allerdings lässt sich die höchstrichterliche Argumentation – wie das LAG Düsseldorf zutreffend feststellt – auch auf andere Sachverhalte übertragen. Dies ist insoweit erfreulich, als für Arbeitgeber – sofern im Betrieb ein Betriebsrat gewählt ist – die Möglichkeit besteht, durch den Abschluss von Betriebsvereinbarungen auf sich ändernde wirtschaftliche oder tatsächliche Rahmenbedingungen zu reagieren. Ein Erstarren der Rechtslage, welche insbes. im Zusammenhang mit betrieblicher Altersversorgung, aber auch im Zusammenhang mit anderen an Arbeitnehmer gewährten Leistungen zu erheblichen wirtschaftlichen Belastungen des Arbeitgebers führen kann, wird so verhindert. Für Arbeitgeber, in deren Betrieb kein Betriebsrat gewählt ist, bleibt allerdings auch zukünftig nur der Weg über eine Änderungskündigung.
Nadine Ceruti
|
BAG, Urteil vom 25. April 2017 – 1 AZR 714/15
Der Fall
Die Parteien streiten über eine Sozialplanabfindung. Die Klägerin war bei der Beklagten seit 1991 zuletzt im Bereich Asset Management beschäftigt. Bei der Arbeitgeberin erfolgten arbeitsrechtliche Restrukturierungen sowie organisatorische Veränderungen. Die Betriebsvereinbarung zur Strategieumsetzung vom 21. April 2004 enthält für den Fall betriebsbedingter Beendigungskündigungen eine Abfindungsregelung. Mit Schreiben vom 27. Juni 2012 wurde der Klägerin aus betriebsbedingten Gründen gekündigt. Die Klägerin erhob hiergegen Kündigungsschutzklage. Mit Beschluss vom 8. Januar 2014 stellte das Landesarbeitsgericht gemäß § 278 Abs. 6 ZPO einen Vergleich fest. Gegenstand des Vergleiches war neben der Zahlung einer Abfindung die folgende Klausel...
Die Parteien streiten über eine Sozialplanabfindung. Die Klägerin war bei der Beklagten seit 1991 zuletzt im Bereich Asset Management beschäftigt. Bei der Arbeitgeberin erfolgten arbeitsrechtliche Restrukturierungen sowie organisatorische Veränderungen. Die Betriebsvereinbarung zur Strategieumsetzung vom 21. April 2004 enthält für den Fall betriebsbedingter Beendigungskündigungen eine Abfindungsregelung. Mit Schreiben vom 27. Juni 2012 wurde der Klägerin aus betriebsbedingten Gründen gekündigt. Die Klägerin erhob hiergegen Kündigungsschutzklage. Mit Beschluss vom 8. Januar 2014 stellte das Landesarbeitsgericht gemäß § 278 Abs. 6 ZPO einen Vergleich fest. Gegenstand des Vergleiches war neben der Zahlung einer Abfindung die folgende Klausel:
„Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind sämtliche beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, abgegolten.“
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Differenz zwischen der Sozialplanabfindung gemäß der Betriebsvereinbarung 2004 und der im Vergleich vereinbarten Abfindungssumme verlangt. Die Arbeitgeberin war der Auffassung, dass die Klägerin durch die Abgeltungsklausel wirksam auf etwaige Sozialplanabfindungen verzichtet habe. Es habe sich um einen Tatsachenvergleich gehandelt, der keiner Zustimmung des Betriebsrates bedurfte.
Die Revision der Klägerin war begründet. Sie führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das LAG.
Ein etwaiger Anspruch der Klägerin auf eine Sozialplanabfindung nach einer für sie unmittelbar und zwingenden Betriebsvereinbarung sei aufgrund der Abgeltungsklausel in dem Vergleich nicht erloschen. Nach Auffassung der Kammer ist der vereinbarte Verzicht auf eine etwaige Sozialplanabfindung kein sogenannter Tatsachenvergleich. Nach § 77 Abs. 4 Satz 2 sei ein Verzicht auf die Rechte der Klägerin aus der Betriebsvereinbarung 2004 nur mit Zustimmung des Betriebsrates zulässig gewesen. Ein Sozialplan habe gemäß § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG die Wirkung einer Betriebsvereinbarung. Im vorliegenden Fall sei ein Verzicht auf die Sozialplanabfindung wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB nichtig gewesen.
Der Senat betonte, dass die Abgeltungsklausel in dem Prozessvergleich keinen sogenannten Tatsachenvergleich, für den das Verzichtsverbot des § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG nicht gelte, sondern einen Rechtsverzicht darstelle. Ein Vergleich über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruches auf Sozialplanabfindung sei mit dem betriebsverfassungsrechtlichen Verzichtsverbot vereinbar, wenn die Parteien allein über die Erfüllung der tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen gestritten hätten. Handele es sich aber um eine vergleichsweise Verständigung über Rechtsfragen, etwa diejenige, wie bestimmte Regelungen in einem Sozialplan auszulegen sind, sei die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten der Parteien zwangsläufig mit einem Verzicht auf einen Rechtsanspruch verbunden. Die Formulierung, dass beiderseitige Ansprüche „abgegolten“ sind, beseitige keine tatsächliche Ungewissheit über die Voraussetzungen eines etwaigen Anspruches, sondern die rechtliche Unsicherheit, ob ein solcher bestehe. Da das LAG keine Feststellungen zu der Frage getroffen habe, ob der Sozialplan 2004 auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin anwendbar war, erfolgte eine Zurückverweisung an das LAG.
Das BAG stellte anlässlich der Entscheidung ebenfalls klar, dass die Betriebsparteien Rechte und Pflichten nur im Verhältnis zueinander festlegen könnten. Sie vermögen keine unmittelbar und zwingend geltenden Ansprüche gegenüber und zu Lasten Dritter – etwa gegenüber einem Betriebserwerber – zu begründen.
Der Beschluss des Senats ist in sich schlüssig und nachvollziehbar. Auch im Rahmen eines gerichtlich protokollierten Vergleiches ist in der Praxis auf die Einhaltung des Verzichtsverbotes nach § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG sowie § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG zu achten. Dieses findet jedoch keine Anwendung, wenn der Betriebsrat oder die Tarifparteien einem Verzicht zustimmen. Eine vorherige Klärung sollte bei geeigneten Sachverhalten erfolgen. Zulässig bleibt – wie auch bisher – ein Tatsachenvergleich über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Sachverhaltes.
Sebastian Fedder
|
Bitte nur ausfüllen, wenn Text auf Startseite erscheinen soll.
BAG, Urteil vom 19. Oktober 2017 – 8 AZR 845/15
Der Kläger macht in der Revisionsinstanz noch einen Wiedereinstellungsanspruch gegenüber dem beklagten Unternehmen (Beklagte zu 2.) geltend. Er war bei der in den Vorinstanzen Beklagten zu 1., die eine Apotheke betrieb, als Apothekenangestellter beschäftigt. Die zunächst mitverklagte Beklagte zu 1. kündigte sämtliche bestehenden Arbeitsverhältnisse zum 30. Juni 2014, darunter auch das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger. Da es sich bei dem Betrieb der Beklagten zu 1. um einen Kleinbetrieb nach § 23 Abs. 1 Satz 2 bis 4 KSchG handelte, genoss der Kläger keinen Kündigungsschutz und griff die Kündigung nicht an. Die Beklagte zu 1. führte die Apotheke nach dem 30. Juni 2014 mit verringerter Beschäftigtenanzahl weiter und verkaufte diese einschließlich des Warenlagers mit Kaufvertrag vom 15. Juli 2014 zum 1. September 2014 an die Beklagte zu 2., gegen die sich in der Revisionsinstanz noch der Weiterbeschäftigungsantrag richtet. Die Beklagte verpflichtete sich im Kaufvertrag zur Übernahme und Weiterbeschäftigung von drei Arbeitnehmern. Das Arbeitsgericht wies die damals noch gegen die Beklagte z u1. und Beklagte zu 2. gerichtete Klage auf Wiedereinstellung ab. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Das BAG stellt klar, dass ein Wiedereinstellungsanspruch Arbeitnehmern grundsätzlich nur dann zustehen kann, wenn diese zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung Kündigungsschutz nach dem KSchG genießen, was bei dem Kläger nicht der Fall war. Ein etwaiger Wiedereinstellungsanspruch, der sich aus Treu und Glauben nach § 242 BGB ergeben könnte, hätte der Kläger nur gegenüber dem veräußernden Unternehmen geltend machen können. Insoweit hatte der Kläger jedoch kein Rechtsmittel gegen das Urteil des Arbeitsgerichts eingelegt.
BAG, Urteil vom 17. Mai 2017 – 7 AZR 301/15
Die Parteien streiten um die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Befristung. Der Kläger wurde von der Beklagten für die Zeit vom 1. August 2011 bis 31. Januar 2014 befristet als Junior-Referent Recruitment / Resourcing für die Vertretung eines Arbeitnehmers in Elternzeit eingestellt. Der Arbeitsvertrag enthält eine Versetzungsklausel, wonach die Beklagte berechtigt ist, dem Kläger eine andere, seinen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechende mindestens gleichwertige Tätigkeit zu übertragen. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 12. Februar 2013 mit, dass er aufgrund einer Umstrukturierung innerhalb der Organisationseinheit HR-Business-Services auf eine andere Stelle versetzt werde. In einem weiteren Schreiben vom 20. März 2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er ab dem 1. März 2013 für die Dauer von 32 Monaten eine Einkommenssicherung in Höhe der Differenz zwischen dem bisherigen Monatsentgelt und dem Monatsentgelt der neuen Tätigkeit erhalte. Der Kläger machte mit seiner Klage geltend, das Arbeitsverhältnis habe nicht aufgrund der Befristung geendet, da zum 1. März 2013 zwischen den Parteien ein Änderungsvertrag in Kraft getreten sei, der keine Befristung mehr enthalte. Zudem sei die Befristung nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Das Arbeitsgericht und das LAG haben die Klage abgewiesen.
Die hiergegen eingelegte Revision des Klägers hatte beim BAG keinen Erfolg. Nach Auffassung des BAG war die Befristung vom 1. August 2011 bis zum 31. Januar 2014 durch den Sachgrund der Vertretung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG, § 21 Abs. 1 BEEG gerechtfertigt. Die Übertragung einer anderen, niedriger vergüteten Tätigkeit zum 1. März 2013 berühre die Wirksamkeit der Befristung nicht, da sich diese nach dem im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gegebenen Umständen beurteile. Die Versetzung zum 1. März 2013 stelle kein unbefristetes Arbeitsverhältnis im Wege eines Änderungsvertrags dar. Eine Versetzung ist keine zweiseitige Vereinbarung, sondern eine einseitige Maßnahme des Arbeitgebers, die aufgrund des arbeitsvertraglichen Direktionsrechts vorgenommen wird. In einer Versetzung sei auch kein Angebot auf Änderung des Arbeitsvertrages zu verstehen. Der Kläger konnte aus dem Schreiben vom 12. Februar 2013 auch nicht den Schluss ziehen, die Übertragung einer anderen Stelle würde ein Angebot auf Änderung des Arbeitsvertrages darstellen.
BAG, Beschluss vom 2. August 2017 – 7 ABR 51/15
Die Beteiligten streiten über die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder gemäß § 38 BetrVG. Der beteiligte Arbeitgeber beschäftigt deutlich über 500 Arbeitnehmer. Hierunter befinden sich ca. 150 Leiharbeitnehmer. Die Anzahl der Vertragsarbeitnehmer beträgt im Jahresdurchschnitt unter 500 Arbeitnehmern. Der Betriebsrat ist der Auffassung, dass die Leiharbeitnehmer bei der Anzahl der nach § 38 BetrVG freizustellenden Betriebsratsmitglieder mitzuzählen sind und beantragt, ein weiteres vom Betriebsrat zu wählendes Betriebsratsmitglied von der vertraglichen Tätigkeit freizustellen. Das Arbeitsgericht und das LAG haben dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben.
Die vom Arbeitgeber hiergegen gerichtete Revision war unbegründet. Nach Auffassung des BAG sind Leiharbeitnehmer bei der gestaffelten Arbeitnehmeranzahl des § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, bei deren Erreichen Betriebsratsmitglieder von der Arbeitsleistung freizustellen sind, mitzurechnen, wenn sie zum regelmäßigen Personalbestand des Betriebs zählen. Dies folge aus § 17 Abs. 2 Satz 4 AÜG in der seit dem 1. April 2017 geltenden Fassung, da das streitgegenständliche Verfahren die gegenwärtige und zukünftige Verpflichtung zu einer weiteren Freistellung betreffe. Auch vor Inkrafttreten des § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG n.F. waren Leiharbeitnehmer bei der Freistellungsstaffel des § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu berücksichtigen, wenn sie zu dem regelmäßigen Personalbestand des Betriebes gezählt haben. Der Arbeitgeber hat keine konkrete Veränderungsentscheidung im Verfahren dargelegt, die einen unmittelbar bevorstehenden Rückgang der Arbeitnehmeranzahl erwarten lässt, wodurch der regelmäßige Personalbestand unter die Schwelle von 501 Arbeitnehmern fällt.
LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 31. Mai 2017 – 1 Ta BV 48/16
Der Arbeitgeber und der Betriebsrat streiten über die Überlassung von Räumlichkeiten an den Betriebsrat. Die Arbeitgeberin betreibt eine Klinik. Bei ihr ist der beteiligte Betriebsrat gebildet, der aus 13 Mitgliedern besteht. Im Jahr 2016 bezog die Arbeitgeberin einen Neubau, der sich ca. 750 Meter in Entfernung zu den bisherigen Räumlichkeiten befand, in dem lediglich fünf Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz behalten haben. Der Fußweg zwischen den alten und den neuen Gebäuden beträgt ca. 7,5 Minuten. Der Betriebsrat hat seine Räume in dem alten Gebäude behalten und begehrt im Beschlussverfahren in dem Neubau ein Betriebsratsbüro, ein Besprechungszimmer und einen Sitzungsraum. Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, dass die Räumlichkeiten im bisherigen Gebäude ausreichend seien. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag insoweit statt gegeben, als das dem Betriebsrat im Neubau ein Betriebsratsbüro und ein Besprechungszimmer zur Verfügung zu stellen ist. Den Antrag auf Zurverfügungstellung eines Sitzungsraumes hat es abgewiesen.
Das LAG hat die Beschwerden der Arbeitgeberin und des Betriebsrats zurückgewiesen. Der Betriebsrat habe grundsätzlich einen Anspruch auf Räumlichkeiten innerhalb des Betriebsgebäudes. Es genüge nur in besonders gelagerten Fällen, dass ihm Räume außerhalb des Betriebsgebäudes zur Verfügung gestellt werden. Dabei sei entscheidend, ob der Betriebsrat durch die Unterbringung an einem anderen Ort bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben nach dem BetrVG behindert werde. Ein Fußweg für den Hin- und Rückweg zum Betriebsrat von ca. 15 Minuten verhindere typischerweise ein ungestörtes und vertrauliches Gespräch innerhalb einer normalen Pause von ca. 30 Minuten. Zudem würden Arbeitnehmer, insbesondere bei hoher Arbeitsbelastung, vor einem entsprechenden Zeitaufwand eher zurückscheuen. Ein kurzes Gespräch oder das mündliche Vorbringen eines Anliegens von Mitarbeitern entfalle in diesen Fällen. Für regelmäßig längerdauernde Sitzungen des Betriebsrats sei ein Fußweg von 7,5 Minuten für eine einfache Strecke jedoch zumutbar, sodass ein Sitzungsraum auch außerhalb des Betriebsgebäudes liegen kann.
BAG, Urteil vom 27. Juni 2017 – 9 AZR 851/16
Die Parteien streiten darüber, ob Leistungen teilweise im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses und teilweise im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses erbracht werden können. Die Klägerin ist bei dem beklagten Land zunächst auf Grundlage eines Dienstvertrags vom 25. März 1985 als Lehrerin an einer Musikschule tätig. Am 18. Juni 1986 schlossen die Parteien zusätzlich einen Arbeitsvertrag über die Beschäftigung als Musikschullehrerin mit 50 % der Vollzeitarbeitszeit. Die Klägerin unterrichtete neben ihrer Tätigkeit im Rahmen des Arbeitsverhältnisses weiterhin Musikschüler aufgrund des Dienstvertrags in zeitlich unterschiedlichem Umfang. Im Jahr 2013 ersetzten die Parteien den Dienstvertrag durch eine als Honorarvertrag bezeichnete Vereinbarung, nach der die Klägerin als freie Mitarbeiterin beschäftigt sei und ihren Unterricht frei gestalten könne sowie nicht den Weisungen der Musikschule unterworfen sei. Die Klägerin klagte auf Feststellung, dass sie in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis mit der Beklagten mit 21,6/30 einer Vollzeitstelle stehe. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das LAG wiesen die Klage ab.
Die vor dem BAG von der Klägerin eingereichte Revision hatte ebenfalls keinen Erfolg. Nach Auffassung des BAG stellt die Tätigkeit der Klägerin im Rahmen des Honorarvertrags eine freie Mitarbeit dar, sodass zwischen den Parteien sowohl ein Arbeitsverhältnis als auch ein freies Mitarbeiterverhältnis besteht. Entscheidend für die Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von einem freien Mitarbeiterverhältnis sei der Grad der persönlichen Abhängigkeit, wobei es auf eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls ankomme. Unerheblich sei, dass die Klägerin neben dem Dienstverhältnis in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten stehe. Es sei aus rechtlichen Gründen nicht ausgeschlossen, dass ein Arbeitnehmer zur selben Person gleichzeitig in einem Arbeitsverhältnis und einem freien Dienstverhältnis stehe. Voraussetzung hierfür sei, dass das Weisungsrecht des Arbeitgebers nur für das Arbeitsverhältnis und nicht auch für die Tätigkeiten gelte, die der Arbeitnehmer aufgrund des freien Dienstverhältnisses schulde.
BAG, Urteil vom 27. Juni 2017 – 9 AZR 576/15
Die Beklagte streitet mit der Revisionsklägerin und Alleinerbin des verstorbenen Klägers um Schadensersatzansprüche. Der verstorbene Kläger war bei der Beklagten als Leiter der Hauptabteilung Projekte beschäftigt und nahm im Rahmen seiner Tätigkeit von einem Auftragnehmer der Beklagten, mit dem er auch privat Kontakt hatte, in den Jahren 2004, 2011 und 2008 insgesamt € 80.000,00 an, die er im Jahr 2008 an den Auftragnehmer zurückzahlte. Aufgrund dieser Zahlungen erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den verstorbenen Kläger wegen Vorteilsannahme. Die Beklagte hörte den verstorbenen Kläger zunächst zu dem Verdacht der Vorteilsannahme an und sprach anschließend eine fristlose Verdachtskündigung aus. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage blieb erfolglos. Erst nach rechtskräftigem Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens wurde der verstorbene Kläger vom Vorwurf der Vorteilsannahme freigesprochen. Nach dem Freispruch verlangte er von der Beklagten Wiedereinstellung und Schadensersatz sowie Schmerzensgeld. Nach dem Tod des Klägers verfolgt die Revisionsklägerin in der Revision den Schadensersatzanspruch weiter.
Die Revision blieb ohne Erfolg. Das BAG war der Auffassung, dass die Beklagte den Schaden nicht zu vertreten hatte. Zwar durfte sich die Beklagte nicht allein auf die Anklage der Staatsanwaltschaft und die Eröffnung des Hauptverfahrens berufen, da diese noch keinen dringenden Verdacht zur Rechtfertigung einer Verdachtskündigung begründen. Die StPO erfordert für die Eröffnung des Hauptverfahrens lediglich einen hinreichenden Tatverdacht. Das LAG hatte in seiner rechtskräftigen Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren jedoch entschieden, dass die Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, weitere eigene Ermittlungen anzustellen. Daher konnte der Beklagten nicht vorgeworfen werden, die Kündigung mangels weiterer Ermittlungen fahrlässig ausgesprochen zu haben, sodass ein Anspruch aus § 823 BGB mangels Verschulden ausschied.
Bitte nur ausfüllen, wenn Text auf Startseite erscheinen soll.