01.03.2016
EditorialSeite 3Implementation Day:Iran-Embargo gelockert – nicht aufgehoben!Seite 3Mögliche Einstandspflicht des Herstellers nach Produkthaftungsgesetz bereits bei Verdacht eines ProduktfehlersSeite 5Die EU führt die Online-Streitbeilegung für Verbraucherstreitigkeiten ein – Was kommt auf die Unternehmen zu?Seite 8Leistungsmessung in LogistikverträgenSeite 10Reform des Insolvenzanfechtungsrechts – Die geplante Neufassung der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO und die zu erwartenden Auswirkungen auf die problematische Rechtsprechung des BundesgerichtshofesSeite 12Das Imperium schlägt zurück – Logistikverband veröffentlicht Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen 2016Seite 17Wirtschaftsauskunfteien haften für „verantwortungslose Oberflächlichkeit“Seite 20
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
mit dem Selbstlob ist es ja bekanntlich so eine Sache. Doch zum Glück übernehmen dies gelegentlich Andere für uns. So hat das Branchenmagazin JUVE uns für das Jahr 2015/16 schon zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit den Award „Kanzlei des Jahres – Vertrieb/Handel/Logistik“ verliehen. Darauf sind wir stolz, zeigt es doch, dass unsere Fokussierung auf das operative Geschäft unserer Mandanten in den Bereichen Vertrieb, Einkauf, Haftung mitsamt der dazugehörigen „Commercial Litigation“ Anerkennung findet. Wir fühlen uns darin bestärkt, den Weg der Spezialisierung auf diese Bereiche weiterzugehen. Und damit fällt auch in Zukunft stets genug Material für diesen Newsletter an, indem wir die für Ihr Geschäft wichtigen Urteile, neuen Gesetzesvorhaben und anderen Rechtsthemen sichten, die für Sie von Interesse sein könnten.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine spannende Lektüre!
Mit besten Grüßen
Volker Steimle
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
mit dem Selbstlob ist es ja bekanntlich so eine Sache. Doch zum Glück übernehmen dies gelegentlich Andere für uns. So hat das Branchenmagazin JUVE uns für das Jahr 2015/16 schon zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit den Award „Kanzlei des Jahres – Vertrieb/Handel/Logistik“ verliehen. Darauf sind wir stolz, zeigt es doch, dass unsere Fokussierung auf das operative Geschäft unserer Mandanten in den Bereichen Vertrieb, Einkauf, Haftung mitsamt der dazugehörigen „Commercial Litigation“ Anerkennung findet. Wir fühlen uns darin bestärkt, den Weg der Spezialisierung auf diese Bereiche weiterzugehen. Und damit fällt auch in Zukunft stets genug Material für diesen Newsletter an, indem wir die für Ihr Geschäft wichtigen Urteile, neuen Gesetzesvorhaben und anderen Rechtsthemen sichten, die für Sie von Interesse sein könnten.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine spannende Lektüre!
Mit besten Grüßen
Volker Steimle
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Am 14. Juli 2015 („Finalisation Day“) haben sich Deutschland, Frankreich, das Vereinigte Königreich, China, die Russische Föderation und die Vereinigten Staaten („E3+3-Staaten“) mit Unterstützung der Hohen Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik mit Iran über eine langfristige und umfassende Lösung für die iranische Nuklearfrage verständigt und hierzu einen gemeinsamen umfassenden Aktionsplan („Joint Comprehensive Plan of Action“, JCPOA) verabschiedet, den der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Resolution 2231 (2015) vom 20. Juli 2015 bestätigt hat. Darin hat sich Iran zur Vornahme verschiedener Maßnahmen betreffend den Rückbau seines Nuklearprogramms verpflichtet; im Gegenzug sollen die gegen Iran auf VN-, EU- und US-Ebene verhängten Sanktionen schrittweise aufgehoben werden.
Am 14. Juli 2015 („Finalisation Day“) haben sich Deutschland, Frankreich, das Vereinigte Königreich, China, die Russische Föderation und die Vereinigten Staaten („E3+3-Staaten“) mit Unterstützung der Hohen Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik mit Iran über eine langfristige und umfassende Lösung für die iranische Nuklearfrage verständigt und hierzu einen gemeinsamen umfassenden Aktionsplan („Joint Comprehensive Plan of Action“, JCPOA) verabschiedet, den der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Resolution 2231 (2015) vom 20. Juli 2015 bestätigt hat. Darin hat sich Iran zur Vornahme verschiedener Maßnahmen betreffend den Rückbau seines Nuklearprogramms verpflichtet; im Gegenzug sollen die gegen Iran auf VN-, EU- und US-Ebene verhängten Sanktionen schrittweise aufgehoben werden.
Am 18. Oktober 2015 („Adoption Day“) wurde der JCPOA rechtswirksam, das heißt Iran hatte mit dem Rückbau seines Nuklearprogramms zu beginnen und im Gegenzug mussten die ersten Rechtsakte betreffend die Aufhebung der Sanktionen veröffentlicht werden. Letzteres hat die EU mit der Verordnung (EU) Nr. 2015/1861 und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 2015/1862, beide vom 18. Oktober 2015, getan.
Mit Beschluss (GASP) 2016/37 vom 16. Januar 2016, früher als erwartet, hat der Rat der EU unter Bezugnahme auf den von dem Generaldirektor der IAEO gemäß Ziffer 5. der VN-Resolution 2231 (2015) vorgelegten Bericht nunmehr festgestellt, dass Iran die ersten beschlossenen Maßnahmen gemäß Anhang V Nummern 15.1 bis 15.11 des JCPOA vereinbarungsgemäß umgesetzt hat. Infolge dessen haben die Verordnung 2015/1861 und die Durchführungsverordnung 2015/1862 am 16. Januar 2016, dem sogenannten „Implementation Day“, Geltung erlangt.
Die Verordnung 2015/1861 sieht dabei eine grundlegende Änderung der das Iran-Embargo regelnden Verordnung (EU) Nr. 267/2012 des Rates vom 23. März 2012 vor und mit der Durchführungsverordnung 2015/1862 wird zugleich eine Vielzahl von Personen und Organisationen (aber nicht alle!) von den Sanktionslisten gemäß Anhang VIII und IX zu der Verordnung 267/2012 gestrichen.
Zu beachten ist, dass das Iran-Embargo entgegen anders lautender Presseberichterstattungen allerdings keineswegs aufgehoben, sondern lediglich gelockert wurde, wenn auch sehr umfassend.
So wurden etwa die „Finanzierungsbeschränkungen für bestimmte Unternehmen“ (Kapitel III der Verordnung 267/2012) und die „Beschränkungen für Geldtransfers und Finanzdienstleistungen“ (Kapitel V der Verordnung 267/2012) gänzlich gestrichen und auch das Verbot der Einfuhr und Beförderung von Erdöl, Erdölerzeugnissen, petrochemischen Erzeugnissen und Erdgas (Anhänge IV, IVA, V) sowie die Verbote in Bezug auf Schlüsselausrüstung für die iranische Erdöl- und Erdgasindustrie und die petrochemische Industrie (Anhänge VI, VIA) oder Marineschlüsselausrüstung (Anhang VIB) sind weggefallen.
Die Regelung in Artikel 23 der Verordnung 267/2012 in Verbindung mit den Anhängen VIII und IX über das Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen, welche in Artikel 23 Absatz 3 auch das sogenannte Bereitstellungsverbot beinhaltet, bleibt jedoch nahezu unverändert aufrechterhalten. Tatsächlich wurde mit Artikel 23a sogar noch eine gleichgelagerte Regelung aufgenommen, über welche Personen, Organisationen und Einrichtungen, die künftig gegen die in dem JCPOA getroffenen Vereinbarungen verstoßen sollten, entsprechend sanktioniert werden können; die insoweit maßgeblichen Anhänge XIII und XIV der Verordnung 267/2012 sind derzeit allerdings noch unbesetzt. Eine Sanktionslistenprüfung hat also mit anderen Worten auch weiterhin stattzufinden, um zu verhindern, dass den in Anhang VIII, IX, XIII und IV aufgeführten natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen (Ausnahmen bzw. Genehmigungsmöglichkeiten finden sich nach wie vor in den Artikeln 24 bis 29) weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen.
Betroffen hiervon ist etwa die Bank Saderat, welche nach wie vor (Stand 29. Februar 2016) in Anhang IX aufgeführt ist, wohingegen etwa die Bank Melli oder die Europäisch-Iranische Handelsbank mit der Durchführungsverordnung 2015/1862 und die Bank Sepha mit der jüngsten Durchführungsverordnung (EU) Nr. 2016/74 vom 22. Januar 2016 von der Liste gestrichen wurden.
Weitere Verbote finden sich in der Verordnung 267/2012 nur noch wie folgt:
Darüber hinaus sieht die Verordnung 267/2012 Genehmigungsvorbehalte jetzt nur noch in folgenden Fällen vor:
Neben der geänderten Verordnung 267/2012 bleiben selbstverständlich die allgemeinen exportkontrollrechtlichen Vorschriften anwendbar und müssen eingehalten werden, so insbesondere die EG Dual-Use Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 428/2009), das Außenwirtschaftsgesetz und die Außenwirtschaftsverordnung sowie die Iran-Menschenrechtsverordnung (Verordnung (EG) Nr. 359/2011). Zu beachten ist, dass Iran unverändert ein Waffenembargoland ist mit den sich etwa aus Artikel 4 der EG Dual-Use Verordnung oder §§ 50, 51 der Außenwirtschaftsverordnung ergebenden Rechtsfolgen („catch-all“ Klauseln für Ausfuhr und technische Unterstützung in Waffenembargoländern).
Acht Jahre nach dem Adoption Day, also im Jahre 2023, oder gegebenenfalls auch früher, sofern ein entsprechender Bericht der IAEO bestätigt, dass Iran sein Nuklearmaterial ausschließlich zu friedlichen Zwecken einsetzt, werden die restlichen proliferationsbezogenen Sanktionen aufgehoben ( „Transition Day“).
Zehn Jahre nach dem Adoption Day, das heißt im Jahre 2025, sollen schließlich alle verbliebenen Sanktionen gegen Iran aufgehoben werden („Termination Day“).
Zu bedenken ist allerdings, dass die bereits zum Implementation Day oder zu einem späteren Zeitpunkt aufgehobenen Sanktionen auch zeitnah wieder in Kraft gesetzt werden können, falls Iran seinen Verpflichtungen aus dem JCPOA nicht nachkommt. Diesem Umstand sollte in allen Verträgen mit Iran-Bezug Rechnung getragen werden.
Ole-Jochen Melchior
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(BGH, Urteil vom 5. Februar 2015 – VII ZR 109/13)
Die Aufgabe des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) in der hier besprochenen Entscheidung war die Beantwortung der Frage, ob ein Medizinprodukt schon dann als fehlerhaft i.S.d. Produkthaftungsrechts anzusehen ist, wenn „lediglich“ in derselben Produktserie ein Fehler aufgetreten ist. Bei dem in Frage stehenden konkreten Medizinprodukt wurde ein Fehler allerdings gerade nicht nachgewiesen.
Ein amerikanisches Unternehmen, welches Herzschrittmacher und implantierbare Cardioverte Defibrillatoren herstellt, diese nach Deutschland einführt und dort vertreibt, stellte im Rahmen der durchgeführten Qualitätskontrolle fest, dass es bei bestimmten Typen der fraglichen Produkte möglicherweise zu Fehlfunktionen kommen könne. Daraufhin empfahl es den behandelnden Ärzten den Austausch bzw. die Modifikation von bereits in Patienten implantierten Geräten dieses Typs. Hierbei handelte es sich um eine rein präventive Maßnahme, da es bei den bereits implantierten Geräten noch zu keiner bekannten Fehlfunktion gekommen war. In der Folge wurden bei zwei Patienten die Herzschrittmacher durch neue, vom Hersteller kostenlos zur Verfügung gestellte Schrittmacher ersetzt und bei einem weiteren Patienten ein Cardioverter Defibrillator ebenfalls vorzeitig ausgetauscht.
Die Krankenkassen, bei denen die Patienten versichert waren, begehrten daraufhin vom herstellenden Unternehmen Ersatz der Behandlungskosten im Zusammenhang mit der Implantation der ersten Herzschrittmacher bzw. der Operation zum Austausch des Defibrillators.
Nachdem die Vorinstanzen (Landgericht Stendal und Oberlandesgericht Düsseldorf) den Anspruch dem Grunde nach anerkannten, legte der Hersteller Revision beim BGH ein, welcher sich mit der eingangs beschriebenen Frage zur Vorabentscheidung an den EuGH wandte.
Das vorstehende Urteil des EuGH enthält im Hinblick auf die Auslegung der durch das Produkthaftungsgesetz formulierten Anforderungen zur Bejahung eines Anspruchs aufgrund eines fehlerhaften Produkts wesentliche Aussagen. Diese lassen sich aufgrund ihrer grundsätzlichen Bedeutung mit guten Argumenten auch nicht nur auf den dem vorliegenden Verfahren zu Grunde liegenden Bereich der Medizinprodukte begrenzen, sondern können allgemeine Geltung beanspruchen.
Die für die Annahme eines Anspruchs im Falle eines fehlerhaften Produkts zu erfüllenden Tatbestandsvoraussetzungen ergeben sich, sofern keine spezialgesetzlichen Regelungen bestehen, aus dem Produkthaftungsgesetz. Im vorliegenden Fall ergaben sich – insbesondere aus dem Medizinproduktegesetz – insoweit keine spezialgesetzlichen Anspruchsgrundlagen. Eine Harmonisierung der einzelstaatlichen Regelungen erfolgte durch die Richtlinie 85/374/EWG (Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (85/374/EWG), Amtsblatt Nr. L 210 vom 7. August 1985, S. 29 ff).
Voraussetzung für einen Anspruch unter Heranziehung des deutschen Produkthaftungsgesetzes ist zunächst, dass durch den Fehler eines Produktes jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird, vgl. § 1 ProdHaftG. Zentrales Erfordernis ist ausweislich des Wortlauts danach das Vorliegen eines fehlerhaften Produktes, wobei sich die entsprechenden Legaldefinitionen in § 2 (für den Begriff des Produkts) bzw. § 3 ProdHaftG (im Hinblick auf den Begriff des Fehlers) finden. Eine Fehlerhaftigkeit ist nach den Vorgaben des Gesetzes dabei dann anzunehmen, sofern ein Produkt „nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere seiner Darbietung, des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, des Zeitpunkts, indem es in den Verkehr gebracht wurde, berechtigterweise erwartet werden kann“. Die Definition entspricht dabei der Fassung des Art. 6 der Richtlinie 85/374/EWG.
Ausgehend von dieser Legaldefinition hat der EuGH nun dahingehend Position bezogen, dass bereits ein solches Produkt, welches zu einer Gruppe oder Produktserie von Produkten wie Herzschrittmachern gehört, bei denen ein potentieller Fehler festgestellt wurde, als fehlerhaft eingestuft werden kann, ohne dass der Fehler bei dem konkreten Produkt selbst festgestellt zu werden braucht.
Diese Auslegung, nach welcher es somit gerade nicht auf das Vorliegen eines Fehlers bei dem den Anspruch auslösenden Produkt selbst ankommen soll, greift auch die Rechtsauffassung des Generalanwalts Yves Bot, welche dieser in seinem Schlussantrag vertritt, auf. Nach Ansicht des Generalanwalts streiten für eine solche Auslegung des Fehlerbegriffs zunächst der Wortlaut der fraglichen Norm selbst. Dies deshalb, da aufgrund der Fassung der gesetzlichen Regelung das Vorliegen eines Produktfehlers sich ausschließlich „im Hinblick auf die Sicherheit beurteilen muss“. Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses sei die nun erfolgte Auslegung nach Ansicht des Generalanwalts bereits „weitgehend vorgegeben“. Diese Position lässt dabei auch darauf schließen, dass der Generalanwalt auch in zukünftigen, ähnlich gelagerten Verfahren, welche nicht den Bereich der Medizintechnik betreffen, für eine vergleichbare Auslegung eintreten wird. Ergänzend begründe sich dieses Ergebnis durch das Erfordernis zur Wahrung des Verbraucherschutzes, auf welches insbesondere auch die Erwägungsgründe 1, 4, 5 sowie 8 bis 10 zur Richtlinie 85/374/EWG als Ziel abstellten.
Zentrale Kriterien für die Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen eines Produktfehlers in Fällen, in welchen „lediglich“ Produkte aus derselben Produktserie fehlerbehaftet sind, sind nach dem Urteil die „Berücksichtigung des Verwendungszwecks und der wichtigen Merkmale und Eigenschaften des in Rede stehenden Produkts“ unter Einbeziehung der benutzergruppenspezifischen Besonderheiten. Bei einer abstrakten Betrachtung lässt sich daher zunächst folgern, dass es erforderlich für die Bejahung eines Produktfehlers in vergleichbaren Fällen ist, dass es sich bei dem fraglichen Produkten um solche handelt, welche ähnlich medizinischen Geräten, in besonders sensiblen bzw. sicherheitsrelevanten Bereichen eingesetzt werden. Verallgemeinernd gilt dies somit zunächst für den Bereich der Medizintechnik. Da im Rahmen der erforderlichen Bewertungen auch die „Eigenschaften des in Rede stehenden Produkts“ durch das Gericht als zu berücksichtigende Kriterien genannt worden sind, lässt sich die Entscheidung dahingehend verstehen, dass es sich um solche medizinischen Produkte handeln muss, welche zumindest im weiteren Sinne der Lebenserhaltung dienen, bzw. im Schadensfall Lebensgefahr besteht, wobei sich hier sicherlich die Abgrenzung im Einzelfall als schwierig erweisen dürfte. Ein weiteres Feld, auf welches die nun erfolgte Auslegung des EuGH anzuwenden sein dürfte, betrifft insbesondere den Bereich der Produkte aus dem Feld der Sicherungsmechanismen (wie beispielsweise Bremssysteme in einem KFZ). Gegenstand einer solchen Abwägung ist dabei auch die Schwere bzw. Größe eines möglichen Schadens, wie das Gericht unter Verweis auf den Schlussantrag des Generalanwalts ausführt.
Die sich insbesondere auf den Verbraucherschutz fokussierende Entscheidung des EuGH hat somit Kriterien geschaffen, aufgrund derer in weiten Teilen solcher Anwendungsfelder, in welchen Verbraucher in sensiblen Bereichen mit Produkten in Berührung kommen, bereits Fehler aus derselben Serie, jedoch gerade nicht an dem konkreten Produkt, die Annahme eines Produktfehlers und damit auch eine entsprechende Haftung des Herstellers begründen können. Ein Nachweis im konkreten Einzelfall erübrigt sich gerade. Der durch den Hersteller zu ersetzende Schaden umfasst dabei unter Heranziehung von § 8 ProdHaftG auch die im Rahmen des Austauschs des mit dem möglichen Schaden belegten Produkts entstehenden Kosten – im vorliegenden Fall die Kosten für den Austausch des Implantats einschließlich der erforderlichen Operationen.
Mit den nun durch den EuGH formulierten Inhalten für eine vorzunehmende Abwägung ist insofern aus Sicht des Rechtsanwenders eine gewisse Unsicherheit entstanden. Einer Klärung im jeweiligen Einzelfall wird die Frage bedürfen, welche Kriterien bei der Ermittlung „einer Gruppe oder Produktserie von Produkten“ zukünftig zu stellen sein werden. Ihre Entscheidung wird im Ergebnis ganz wesentliche Auswirkungen auf die Frage nach der Annahme oder Verneinung eines Produktfehlers unter Heranziehung der neuerlichen Rechtsprechung haben. Dabei ergibt sich aus dem Urteilsspruch jedoch keine dahingehende Auslegung, nach welcher der Geschädigte von der grundsätzlichen Pflicht zum Nachweis des Fehlers befreit würde, vgl. § 1 Abs. 4 ProdHaftG.
Als Ergebnis der Entscheidung lässt sich daher zusammenfassen, dass der Anwendungsbereich des Produkthaftungsgesetzes durch die nun ergangene Rechtsprechung eine insoweit wesentliche Erweiterung erfahren hat, als dass bereits der Verdacht eines Produktfehlers als ausreichend anzusehen ist, sofern die Serie des fraglichen Produkts betroffen ist. Dabei spricht auch der Umstand, dass der EuGH auf eine gerechte Verteilung der im Rahmen der modernen technischen Produktion bestehenden Risiken zwischen Hersteller und Geschädigtem abzielt, dafür, dass die vorliegend erörterte Auslegung über den Bereich der Medizintechnik hinaus bei der Ermittlung einer etwaigen Haftung zukünftig auch in anderen Bereichen zur Anwendung kommt.
Jens-Uwe Heuer-James
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Dr. Kuuya Josef Chibanguza, LL.B.
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Der Online-Handel hat im Bereich Waren- und Dienstleistungen einen Strukturwandel ausgelöst. Immer mehr Verbraucher beziehen Waren von ausländischen Unternehmen, lassen sich Waren nach Deutschland liefern oder nehmen Online-Dienstleistungen in Anspruch. Dadurch wird die Abwicklung von Kauf- und Dienstleistungsverträgen unübersichtlicher und Konflikte lassen sich nicht mehr einfach durch ein Gespräch mit dem Händler vor Ort lösen.
Der Online-Handel hat im Bereich Waren- und Dienstleistungen einen Strukturwandel ausgelöst. Immer mehr Verbraucher beziehen Waren von ausländischen Unternehmen, lassen sich Waren nach Deutschland liefern oder nehmen Online-Dienstleistungen in Anspruch. Dadurch wird die Abwicklung von Kauf- und Dienstleistungsverträgen unübersichtlicher und Konflikte lassen sich nicht mehr einfach durch ein Gespräch mit dem Händler vor Ort lösen.
Sobald die Ware oder Dienstleistung gar nicht oder nicht wie gewünscht geliefert oder erbracht wird, kann es für den Verbraucher schwierig und teuer werden, wenn er sein Recht durchsetzen will. Für Kleinstbeträge lohnt es sich häufig nicht, einen Anwalt zu beauftragen oder gar vor Gericht Klage gegen den Verkäufer oder Lieferanten zu erheben.
Die EU hat daher bereits im Jahr 2013 ein Gesetzespaket erlassen, das die Einführung eines kostengünstigen europaweiten Online-Streitbeilegungsverfahrens vorsieht. Das Paket besteht aus einer Richtlinie (2013/11/EU) und einer Verordnung (Nr. 524/2012). Nach der Richtlinie sind die Mitgliedstaaten unter anderem dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Verbrauchern bei Streitigkeiten mit Unternehmen außergerichtliche Streitbeilegungsstellen zur Verfügung stehen und dass sie über diese Möglichkeit von Online-Händlern informiert werden. Die Richtlinie legt damit ein in allen EU-Ländern zu erreichendes Ziel fest, zu deren Verwirklichung die Länder dann eigene Rechtsvorschriften erlassen. Die Verordnung über die Online-Streitbeilegung dient hingegen der Einführung einer europaweiten, von der EU-Kommission betriebenen Plattform, mittels derer Beschwerdeverfahren eingeleitet werden. Verbraucher brauchen dort lediglich eine Beschwerde mithilfe eines Online-Formulars zu registrieren. Die Plattform leitet die Beschwerde dann automatisch an die zuständige Online-Streitbeilegungsstelle weiter, welche dann wiederum den Verbraucher über den Eingang der Beschwerde informiert. Die Verordnung enthält konkrete Handlungsanforderungen an die Mitgliedsstaaten (wie zum Beispiel die Benennung einer Streitbeilegungsstelle) und gilt unmittelbar, also ohne die Umsetzung durch Gesetz. Die Verordnung ist am 9. Januar 2016 in Kraft getreten.
Da es in zahlreichen Ländern bisher noch an der Umsetzung der Richtlinie durch Gesetz und Durchführung der Verordnung mangelt, wird die Plattform voraussichtlich erst ab dem 15. Februar 2016 zugänglich sein. In Deutschland wird das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz („VSBG“) der Umsetzung von Richtlinie und Durchführung der Verordnung dienen. Dessen Verabschiedung wird voraussichtlich in den nächsten Monaten erfolgen.
Das Verfahren wird durch einen Antrag des Verbrauchers an die Online-Streitbeilegungsstelle eingeleitet. Grundsätzlich soll der Unternehmer nicht gezwungen sein, eine Online-Streitbeilegung durchzuführen. Ihm stünde es insofern frei, das Online-Streitbeilegungsverfahren anzunehmen oder abzulehnen. Etwas anderes kann sich aber aus der Satzung des Unternehmens ergeben oder wenn sich der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher vertraglich (etwa durch AGB) zur Durchführung verpflichtet hat. Zusätzlich behält sich der deutsche Gesetzgeber vor, Unternehmen spezifischer Branchen zur Beteiligung an einem Online-Streitbeilegungsverfahren zu verpflichten. Dies kann für die betroffenen Unternehmen mit erheblichen Kosten verbunden sein.
Stimmt der Unternehmer dem Schlichtungsverfahren zu, können beide Parteien ihre Tatsachen und Bewertungen in Textform einreichen. Damit ist entsprechend der Vorgabe der Richtlinie auch die Einreichung online (per E-Mail) möglich.
In jedem Streitbeilegungsverfahren wird ein unabhängiger Streitschlichter als Vermittler zwischen den Parteien tätig. Er wird zentral von der Schlichtungsstelle zugeteilt. Der Streitschlichter kann zudem beschließen, die Streitigkeit in einem mündlichen Verfahren zu erörtern.
Nachdem alle Beweise bei der Online-Streitbeilegungsstelle eingereicht wurden, hat der Streitschlichter binnen 90 Tagen einen Schlichtungsvorschlag auszuarbeiten und diesen schriftlich an die Streitparteien zu übermitteln. Die Parteien haben sodann die Möglichkeit, den Schlichtungsvorschlag innerhalb angemessener Frist verbindlich anzunehmen oder abzulehnen.
Nach dem Gesetzesentwurf ist es in Umsetzung der Richtlinie für beide Parteien möglich, das Verfahren jederzeit zu beenden, es sei denn, der Unternehmer ist aus den oben genannten Gründen zur Mitwirkung verpflichtet.
Während des gesamten Online-Streitbeilegungsverfahrens können sich die Parteien durch einen Anwalt oder einen sonstigen Dritten vertreten lassen. Ein Anwaltszwang besteht nicht.
Unabhängig davon, ob sie den Schlichtungsvorschlag annehmen oder nicht, steht den Parteien weiterhin der ordentliche Rechtsweg offen. Die Verjährung etwaiger Ansprüche wird bereits durch das Einreichen des Antrags bei der Online-Streitbeilegungsstelle gehemmt.
Für Unternehmer sieht das VSBG Informationspflichten sowohl im Vorfeld als auch nach Beginn einer Verbraucherstreitigkeit vor. Die AGB eines Unternehmers müssen künftig folgende Angaben enthalten (ist eine Website vorhanden, gilt dies auch für die Website):
Eine entsprechende AGB-Klausel könnte hiernach etwa folgenden Inhalt haben:
Zum Zwecke der Beilegung von Streitigkeiten mit der X GmbH hat ein Verbraucher die Möglichkeit, eine Online-Streitbeilegungsstelle anzurufen. Die X GmbH verpflichtet sich, an einem Online-Streitbeilegungsverfahren teilzunehmen, sofern nicht ein gesetzlicher Ausschlussgrund nach dem VSBG vorliegt. Die X GmbH behält sich vor, ein Streitbeilegungsverfahren ohne Angabe von sachlichen Gründen abzulehnen. Die Beschwerde ist schriftlich an die zuständige Online-Streitbeilegungsstelle der Freien und Hansestadt Hamburg [Web- oder E-Mailadresse der Schlichtungsstelle] zu richten.
Nach Beginn einer Streitigkeit hat das Unternehmen den Verbraucher nochmals detailliert über die Möglichkeit einer Online-Streitbeilegung zu informieren. Dem Verbraucher ist insbesondere die Website der zuständigen Streitbeilegungsstelle mitzuteilen. Unternehmen, die zehn oder weniger Angestellte haben, sind von dieser Informationspflicht entbunden.
Für Verbraucher wird das Online-Streitbeilegungsverfahren grundsätzlich kostenfrei sein. Sofern der Verbraucher allerdings einen nach den Umständen missbräuchlichen Antrag stellt, soll er verpflichtet sein, EUR 30 an die angerufene Online-Streitbeilegungsstelle zu zahlen.
Die Kosten des Verfahrens trägt nach dem derzeitigen Gesetzentwurf allein das Unternehmen. Die Höhe der Verfahrenskosten soll sich an den Streitwerten orientieren. Nach derzeitigem Entwurf betragen beispielsweise die Verfahrenskosten EUR 190 bei einem Streitwert von einschließlich EUR 100 und EUR 380 bei Streitwerten über EUR 2.000. Wenn das Unternehmen den bei der Online-Streitbeilegungsstelle geltend gemachten Anspruch sofort anerkennt, entsteht lediglich eine fixe Gebühr von EUR 75. Diese Kosten kann ein Unternehmen nur vermeiden, wenn es sich von vorneherein nicht auf das Online-Streitbeilegungsverfahren einlässt und auch nicht dazu verpflichtet ist, ein solches Verfahren zu führen. Darin besteht ein wesentlicher Unterschied zum ordentlichen Gerichtsverfahren, in dem stets die unterlegene Partei die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Im Falle der Online-Streitbeilegung hingegen hat das Unternehmen die vollen Verfahrenskosten selbst dann zu tragen, wenn es in vollem Umfang obsiegt.
Für Verbraucher ist die Online-Streitbeilegung eine weitere und kostenfreie Rechtschutzmöglichkeit, bei Streitigkeiten im Bereich des Online-Handels gegen ein Unternehmen vorzugehen.
Für Unternehmen entsteht ein erheblicher Verwaltungsaufwand: Die anwendbaren AGB sind zu überarbeiten. Auf der Website ist auf die Möglichkeit der Online-Streitbeilegung deutlich sichtbar hinzuweisen. Darüber hinaus hat jedes Unternehmen zunächst einmal die zuständige Online-Streitbeilegungsstelle zu ermitteln. Die Verteilung der Online-Streitbeilegungsstellen kann nach dem derzeitigen Gesetzesentwurf sehr unübersichtlich werden. Als Zentrale Anlaufstelle für Fragen zu Online-Streitbeilegungsverfahren ist das Bundesamt für Justiz zuständig.
Im Massengeschäft der großen Onlinehändler entstehen täglich unzählige Streitigkeiten über verspätete Lieferungen, mangelhafte Ware oder Falschlieferungen. Oftmals geht es dabei auch um Artikel mit einem Preis von unter EUR 100. Sofern die Einleitung des Online-Streitbeilegungsverfahrens im Minimum EUR 75 kostet, übersteigen die Streitbeilegungskosten schnell den Streitwert. Um diese Kosten zu umgehen, bleibt für das Unternehmen nur die Möglichkeit, ein Online-Streitbeilegungsverfahren von Anfang an abzulehnen. Dies kann aber weder von der EU noch vom deutschen Gesetzgeber beabsichtigt sein. Bezüglich der Kostenverteilung besteht daher noch dringender Änderungsbedarf. Insbesondere eine gesetzliche Bagatellgrenze erscheint sachgerecht.
Für Unternehmen bietet es sich nach dem derzeitigen Gesetzesentwurf zusätzlich an, eine Bagatellgrenze in den AGB festzulegen. Darin könnte das Unternehmen abklären, erst ab einem Streitwert von mehr als EUR 200 eine Online-Streitbeilegungsverfahren durchzuführen. Bei höheren Streitwerten könnte ein Online-Streitbeilegungsverfahren hingegen für ein Unternehmen durchaus eine interessante Alternative darstellen, wenn dadurch ein Gerichtsverfahren vermieden werden kann.
Dr. Christoph von Burgsdorff, LL.M. (Essex)
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Thea Scheffler-Klenk
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Der Beitrag der Logistik zur Kosteneffizienz gewinnt stetig an Bedeutung. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass in der lange Zeit nur als Unterstützungsfunktion wahrgenommenen Logistik ein Erfolgsfaktor von hoher strategischer Bedeutung liegt. Dies gilt für die Industrie gleicher Maßen wie für Handelsunternehmen.
Der Beitrag der Logistik zur Kosteneffizienz gewinnt stetig an Bedeutung. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass in der lange Zeit nur als Unterstützungsfunktion wahrgenommenen Logistik ein Erfolgsfaktor von hoher strategischer Bedeutung liegt. Dies gilt für die Industrie gleicher Maßen wie für Handelsunternehmen.
In Zeiten einer immer stärkeren Arbeitsteilung spielt das Outsourcing ganzer Prozesse bzw. Bündel von Logistikdienstleistungen auf externe Dienstleister eine zunehmend wichtigere Rolle. Der Logistikdienstleister übernimmt dabei in erster Linie Aufgaben, die nicht zum Kernbereich der Tätigkeiten des Auftraggebers zählen und vom Logistikdienstleister effizienter erledigt werden können. Bei der Erstellung der entsprechenden Verträge ist auf die Fixierung der seitens des Logistikdienstleisters konkret zu erbringenden Leistungen besonderes Augenmerk zu legen (siehe hierzu auch unseren Commercial Newsletter Ausgabe Q3/2015). Tatsächlich zeigt sich in der Praxis, dass die Beschreibung des konkreten Vertragsgegenstands – und damit die Festlegung, wer was wann zu machen hat – häufig nur oberflächlich erfolgt. Dies ist umso überraschender, als sich hieran auch die weiteren Fragen anknüpfen, für welche konkreten Tätigkeiten der Logistikdienstleister eigentlich bezahlt werden soll bzw. wofür genau dieser einzustehen hat und Gewähr leisten soll.
Die präzise und umfassende Beschreibung der im Einzelnen zu erbringenden Leistungen und gegenseitigen Zuständigkeiten stellt die Basis eines jeden guten Logistikvertrags dar. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil es für Verträge über die Erbringung logistischer Dienstleistungen kein gesetzliches Leitbild gibt. Zwar mögen die kodifizierten Regelungen zum Speditions- und Lagergeschäft Anhaltspunkte geben. Vom Wert der Dienstleistung aus betrachtet stellen beide Tätigkeiten aber regelmäßig nicht den Schwerpunkt dar. Es gilt daher, in dem Logistikvertrag die vom Logistikdienstleister im Einzelfall zu erbringenden Leistungen nach Art und Umfang so klar, umfassend und eindeutig wie möglich in einer inhaltlich schlüssigen Abfolge der einzelnen Prozessbausteine zu beschreiben. Dies erfordert eine präzise Darstellung der betroffenen Prozesse (z. B. Warenannahme; Lagerung; Kommissionierung; Bereitstellung zum Versand; Retouren-Logistik; Value Added Services (z. B. Zollabfertigungen)) und der darin im Einzelnen auszuführenden Leistungen – je nach Art der Leistung unter Erfassung und Berücksichtigung der (voraussichtlichen) Mengen und Mengenstrukturen, Vorlaufzeiten sowie Regelungen zu Betriebszeiten und Mitwirkungspflichten des Auftraggebers. Je nach Umfang und Komplexität des Projekts kann es sich dabei anbieten, eine Unterteilung in verschiedene Phasen (Projektphase; Hochlaufphase; Regelbetrieb) vorzunehmen und hierbei jeweils im Detail unterschiedliche Leistungsumfänge bzw. -ziele zu vereinbaren. Um die jeweiligen Verantwortungs- und Haftungsbereiche des Logistikdienstleisters auf der einen, als auch des Auftraggebers auf der anderen Seite festzulegen, bedarf es darüber hinaus der Bestimmung der relevanten Schnittstellen, d. h. einer Definition der jeweiligen Berührungs-/Übergabepunkte der beiderseitigen Leistungsbereiche und Verantwortungssphären. Dies kann sowohl physische als auch informationstechnische Aspekte (z. B. Bereitstellung der IT und IT-Schnittstellen bei Verpflichtung des Logistikdienstleisters zur Wareneingangs- und Warenausgangsbuchung im Kundensystem) betreffen. Hierbei ist darauf zu achten, die Mitwirkungspflichten des Auftraggebers als echte, d. h. notfalls auch einklagbare Pflichten – und nicht nur als bloße Obliegenheiten, die weder einen Erfüllungsanspruch noch im Schadensfalle einen Ersatzanspruch des Logistikdienstleisters begründen – zu vereinbaren.
Um die ordnungsgemäße Vertragserfüllung durch einen Logistikdienstleister angemessen bewerten zu können, bedarf es neben der präzisen Beschreibung der im Einzelnen zu erbringenden Leistungen der Festlegung von Service Levels unter Vereinbarung von konkreten Leistungskennzahlen/Zielwerten (Key Performance Indicator, „KPI“). Sie bestimmen im Detail, in welcher Qualität die jeweiligen Leistungen vom Logistikdienstleister zu erbringen sind, und machen die Dienste des Logistikdienstleisters somit überhaupt erst transparent und messbar. Ziel ist es, Kontrollmöglichkeiten für den Auftraggeber zu schaffen, indem bestimmte Leistungseigenschaften wie etwa Leistungsumfang, Reaktionszeit oder Schnelligkeit der Bearbeitung genau fixiert werden. Die Vereinbarung von „KPI“ konkretisiert also die durch den Logistikdienstleister zu erbringenden Leistungen und soll letztlich der Tatsache Rechnung tragen, dass eine hundertprozentig fehlerfreie Leistungserbringung – insbesondere hinsichtlich der Masse der in der Logistik tagtäglich zu bearbeitenden Warenströme – faktisch unmöglich ist. Die Vereinbarung von Service Levels bzw. KPI ermöglicht darüber hinaus die weitere Konkretisierung, wann – unabhängig von der schuldrechtlichen Einordnung des Vertrags – von einer (wesentlichen) Schlechterfüllung auszugehen ist und welche Rechtsfolgen sich hieran knüpfen. Dabei werden für den Fall der Unterschreitung von KPI in der Praxis regelmäßig Vertragsstrafen vereinbart. Dies ist aus der Sicht des Auftraggebers auch deshalb sinnvoll, weil der Schadensnachweis ansonsten im Einzelfalle schwierig sein kann. Nicht unüblich ist die Vereinbarung leistungsabhängiger Vergütungsbestandteile bzw. von Bonus-/Malus-Anreizsystemen, sodass der Logistikdienstleister umgekehrt die Möglichkeit erhält, bei Über-Erfüllung der vereinbarten KPI seinerseits einen Bonus verlangen zu können. Schließlich kann über die Vereinbarung von KPI-Schwellwerten konkret geregelt werden, wann von einer wesentlichen Störung des Vertragsverhältnisses auszugehen ist, welche als ultima ratio ein Sonderkündigungsrecht des Auftraggebers begründen kann.
Beispiele für KPI aus dem Bereich „Warehouse“ im Versandhandel sind etwa die Festlegung der Anzahl der taggleich einzulagernden Stücke in Relation zur Gesamtmenge aller an einem Tag angelieferten Stücke (Wareneingang) oder die Festlegung der Anzahl aller beauftragten, kommissionierten und gepackten Stücke pro Tag, die versandbereit taggleich verladen wurden, in Relation zur Gesamtmenge aller beauftragten Stücke (Kommissionierdurchlaufzeit). Ein weiteres Beispiel für KPI aus dem Bereich „Transport“ ist die Festlegung der Anzahl der unbeschädigt angelieferten Stücke in Relation zur Gesamtmenge aller an einem Tag angelieferten Stücke (physische Anlieferqualität).
Aus der Sicht des Logistikdienstleisters ist hierbei wichtig, den vereinbarten KPI konkrete Prämissen zugrunde zu legen, beispielsweise derart, dass die im Rahmen der Ausschreibung bzw. der Vertragsverhandlung seitens des Auftraggebers kommunizierten Mengen- und Strukturdaten ausdrücklich vertraglich festgehalten werden. Sollten die tatsächlichen Wareneingangs- und Warenausgangsbewegungen von den zuvor kommunizierten Mengen- und Strukturdaten nicht nur unerheblich abweichen, mag der Logistikdienstleister im Zweifel nicht mehr in der Lage sein, die von ihm vertraglich zugesagten KPI und Service Levels einzuhalten. In diesem Falle ist es dann hilfreich, wenn der Logistikdienstleister darauf verweisen kann, dass die Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses übereinstimmend von anderen Zahlen und Daten ausgegangen sind. Aus dem gleichen Grunde hat der Logistikdienstleister beispielsweise auch ein erhebliches Interesse daran, hinsichtlich der von ihm taggleich zu bearbeitenden eingehenden Ware denjenigen Zeitpunkt vertraglich festzulegen, bis zu welchem die Ware an dem jeweiligen Tag spätestens einzugehen hat, damit er die Quote der taggleich zu bearbeitenden Ware auch tatsächlich erfüllen kann.
Schließlich bedarf es der vertraglichen Festlegung, auf der Basis wessen Datenmaterials die Kontrolle erfolgt. Dabei wird nicht selten vereinbart, dass der Logistikdienstleister selbst die Daten zu liefern hat, die die Leistungskontrolle durch den Auftraggeber bewirken. Häufig ist die Regelung so, dass die jeweiligen Bewegungen bzw. Transaktionen in ein gemeinsam einsehbares Datensystem eingegeben werden, anhand dessen sich die für die Kontrolle relevanten Werte quasi automatisch ermitteln lassen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die präzise und umfassende Fixierung der vom Logistikdienstleister konkret zu erbringenden Leistungen unter Festlegung bestimmter Service Levels und KPI an die Vertragsparteien recht hohe Anforderungen stellt. In der Praxis wird dem seitens der Vertragspartner oftmals nicht hinreichend Rechnung getragen, etwa indem der Fehler gemacht wird, die Konzeption des Logistikvertrags nur auf der Geschäftsführungsebene, nicht aber auf der operativen Ebene – also aus der Sicht des Fachpersonals – zu verhandeln. Hierbei besteht die Gefahr, in der Praxis maßgebliche Abläufe und damit zusammenhängende Probleme nicht zu erkennen – und infolgedessen bei der Vertragsgestaltung auch nicht zu berücksichtigen. Aufgrund der rechtlichen Konsequenzen, die an die (Nicht-)Erfüllung einzelner Leistungspflichten geknüpft sind, ist darüber hinaus erforderlich, frühzeitig mit der Thematik vertraute und erfahrene Rechtsberater einzubinden, gerade auch im Hinblick auf die Erstellung der vergleichsweise wenig juristisch anmutenden Leistungsbeschreibung und die Festlegung der zur Leistungsmessung relevanten Service Levels und KPI.
Martin Schröder, Maître en droit (Paris)
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Mit dem Insolvenzanfechtungsrecht (§§ 129 ff. InsO) gibt der Gesetzgeber dem Insolvenzverwalter ein Instrumentarium an die Hand, welches der Verwirklichung der Gläubigergleichbehandlung und damit direkt der Umsetzung des entsprechenden Verfahrensziels nach § 1 InsO dienen soll. Das Insolvenzanfechtungsrecht steht dabei im Spannungsfeld der unterschiedlichen Gläubigerinteressen. Denn während die einen Gläubiger erst auf eine Befriedigung ihrer Forderungen im Insolvenzverfahren hoffen, befürchten die anderen, eine bereits vorinsolvenzlich gewährte Befriedigung zu Gunsten der Masse zurückgewähren zu müssen.
Mit dem Insolvenzanfechtungsrecht (§§ 129 ff. InsO) gibt der Gesetzgeber dem Insolvenzverwalter ein Instrumentarium an die Hand, welches der Verwirklichung der Gläubigergleichbehandlung und damit direkt der Umsetzung des entsprechenden Verfahrensziels nach § 1 InsO dienen soll. Das Insolvenzanfechtungsrecht steht dabei im Spannungsfeld der unterschiedlichen Gläubigerinteressen. Denn während die einen Gläubiger erst auf eine Befriedigung ihrer Forderungen im Insolvenzverfahren hoffen, befürchten die anderen, eine bereits vorinsolvenzlich gewährte Befriedigung zu Gunsten der Masse zurückgewähren zu müssen.
Dieses Spannungsfeld hatte der Gesetzgeber bereits beim Erlass der Konkursordnung (1898) erkannt und bemühte sich sowohl in der Konkursordnung als auch in der die Konkursordnung ablösenden Insolvenzordnung (1994; in Kraft getreten 1. Januar 1999) um ein ausgeglichenes Anfechtungsrecht. Die Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO, welche auf einem römisch-rechtlichen Ursprung, namentlich der „Actio Pauliana“ beruht und international weit verbreitet ist, spielte bis zum Jahre 2003 in Deutschland eher eine untergeordnete Rolle. Dies lag daran, dass die wesentlichen Tatbestandmerkmalen des § 133 Abs. 1 InsO subjektiver Natur sind, und es dem Insolvenzverwalter daher schwer fiel, diese in einem etwaigen Prozess, in dem er beweisbelastet ist, nachzuweisen. Im Jahre 2003 hat der Bundesgerichtshof in einigen viel beachteten Urteilen die Hürden für die Insolvenzverwalter dadurch deutlich gesenkt, dass er objektive Beweisanzeichen (Anknüpfungstatsachen) anerkannte bzw. definierte, die den Schluss auf das Vorliegen der subjektiven Tatbestandsmerkmale rechtfertigten sollen. Es wurde bereits damals von der „Renaissance des § 133 InsO gesprochen“ (Bork, „Die Renaissance des § 133 InsO“, ZIP 2004, 1684).
Im Jahre 2003 noch nicht zu ahnen waren die Weiterungen, die sich aus einer immer extensiveren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu den Beweisanzeichen ergeben sollten. Zwischenzeitlich hat sich die Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO zum „schärfsten Schwert“ des Insolvenzverwalters gewandelt, was noch nett ausgedrückt ist. Man könnte auch von der Allzweckwaffe sprechen. Die damit verbundenen Unsicherheiten im Rechts- und Geschäftsverkehr und die teilweise kaum mehr zu vermittelnden Ergebnisse haben den Gesetzgeber zum Handeln veranlasst. Nach einem Referentenentwurf vom 16. März 2015 zur Reform des Insolvenzanfechtungsrechts liegt zwischenzeitlich ein Regierungsentwurf vor, welcher hinter dem Referentenentwurf zurück bleibt und keinen deutlichen Gewinn an Rechtssicherheit erwarten lässt. Zudem wird er zu einer verdeckten weiteren Privilegierung des Staates und der Sozialversicherungsträger führen, worauf hier aber nicht weiter eingegangen werden soll.
Wie bereits dargelegt, hat sich die Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO zur zentralen Norm des Anfechtungsrechts entwickelt. Sie knüpft, wie alle Anfechtungstatbestände, zunächst an die objektiven Merkmale der Gläubigerbenachteiligung und der Rechtshandlung an, wobei die Vorsatzanfechtung eine Rechtshandlung des Insolvenzschuldners voraussetzt. Der wesentliche Unterschied zu den weiteren Anfechtungstatbeständen liegt darin, dass die Vorsatzanfechtung im Übrigen, mit Ausnahme der 10jährigen Anfechtungszeitraums, keine weiteren objektiven, sondern lediglich subjektive Tatbestandmerkmale hat.
Nach § 133 Abs.1 Satz 1 InsO ist damit eine Rechtshandlung anfechtbar, die der (spätere) Insolvenzschuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Damit verlagert § 133 Abs. 1 InsO die Anfechtbarkeit der Rechtshandlung einerseits zeitlich am weitesten zurück und andererseits wird die Qualität der Rechtshandlung (objektiv) am wenigsten eingeschränkt.
Die entscheidenden Tatbestandsmerkmale, namentlich
stellen den Insolvenzverwalter, wie oben bereits dargelegt, zunächst vor das prozessuale Problem, dass diese subjektiven Tatbestandsmerkmale als innere Tatsachen nur schwer dem Beweis zugänglich sind und er nach den allgemeinen Grundsätzen des Zivilprozesses die Darlegungs- und Beweislast für deren Vorliegen trägt. Diese Problematik war dem Gesetzgeber bewusst, gleichwohl hat er sich darauf beschränkt, lediglich hinsichtlich der Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz mit der Vermutungsregel des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO eine Beweiserleichterung zu Gunsten des anfechtenden Insolvenzverwalters zu schaffen. Nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO wird die Kenntnis des Anfechtungsgegners vermutet, wenn er wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die übrigen Gläubiger benachteiligte.
Der Bundesgerichtshof hat diese Vermutungsregelung durch einen „Erst-Recht-Schluss“ auf den Schuldner übertragen und hat entschieden, dass (auch) der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners vermutet wird, wenn er zumindest seine drohende Zahlungsunfähigkeit kennt. Damit war zwar eine weitere Beweiserleichterung geschaffen, allerdings blieb das Problem, dass mit der „Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit“ sowohl auf Schuldner- als auch auf Gläubigerseite weiterhin ein subjektiver Anknüpfungspunkt entscheidungserheblich blieb.
In einem weiteren Schritt hat der Bundesgerichtshof die Regelung des § 130 Abs. 2 InsO, nach der der Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit die Kenntnis von Umständen gleichsteht, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen, auf § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO übertragen und dahingehend angepasst, dass der Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit die Kenntnis von Umständen gleichsteht, die zwingend auf die zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Hiermit waren nunmehr objektiv zu bestimmende „Umstände“ entscheidungserheblich. Diese objektiven Umstände nennt der Bundesgerichtshof „Anknüpfungstatsachen“ oder „Beweisanzeichen“. Diese erweiternde Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof noch dadurch bestärkt, dass er auch § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO, nach dem die Zahlungsunfähigkeit bei Zahlungseinstellung zu vermuten ist, für auf § 133 Abs. 1 InsO übertragbar erklärt hat. Damit reicht auch die Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungseinstellung schließen lassen.
Nachfolgend sollen einmal die in der Praxis bedeutendsten Beweisanzeichen für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und die Kenntnis hiervon dargestellt werden, um einen Überblick über die im Geschäftsverkehr wesentlichen Risiken zu geben.
Gewichtige Beweisanzeichen für das Vorliegen des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes sind zum Beispiel:
Gewichtige Beweisanzeichen für die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz sind zum Beispiel:
Dem Bundesgerichtshof ist zu Gute zu halten, dass er die Wirkung, die Beweisanzeichen in einem etwaigen Prozess entfalten, zwischenzeitlich eingeschränkt hat. Während früher wegen der Herleitung aus §§ 131 Abs. 2 Satz 2 und 133 Abs. 1 Satz 2 InsO angenommen wurde, dass das Vorliegen eines Beweisanzeichens die vom Anfechtungsgegner zu widerlegende Vermutung des Vorliegens des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes und/oder der Kenntnis hiervon begründen, hat der Bundesgerichtshof dies nun, unter teilweiser Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung, geändert. Nunmehr sind bei der Feststellung des subjektiven Tatbestandes der Vorsatzanfechtung die Beweisanzeichen neben allen weiteren Umständen des Einzelfalles vom Tatrichter nach § 286 ZPO zu prüfen und zu würdigen (BGH, Urteil vom 13. August 2009 – IX ZR 159/06, NZI 2009, 768 (Tz. 8)).
Weiterhin hat der Bundesgerichtshof zwischenzeitlich sogenannte „Gegenbeweisanzeichen“ entwickelt, bei deren Vorliegen ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz ausnahmsweise nicht vorliegen soll. Zu nennen sind hier Fälle kongruenter Deckung, in denen der Schuldner Zug um Zug gegen seine Leistung eine zur Fortsetzung seines Unternehmens unentbehrliche Gegenleistung erhalten hat, die den Gläubigern im Allgemeinen nutzt. Der subjektive Tatbestand kann hiernach entfallen, wenn im unmittelbaren Zusammenhang mit der potentiell anfechtbaren anfechtbaren Rechtshandlung eine gleichwertige Gegenleistung in das Vermögen des Schuldners gelangt, also ein Leistungsaustausch ähnlich einem Bargeschäfts stattfindet. (BGH, Urteil vom 6. Februar 2014 – IX ZR 221/11, ZInsO 2014, 496 (Tz. 3); BGH, Urteil 10. Juli 2014 – IX ZR 280/13, ZIP 2014, 1887 (Tz. 24). Allerdings soll es bei einem verlängerten Eigentumsvorbehalt an einer gleichwertigen Gegenleistung fehlen.
Nachdem der Gesetzgeber die von der ausufernden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ausgehenden Rechtsunsicherheiten erkannt hat, hat das Bundesministerium der Justiz den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der InsO und nach dem Anfechtungsgesetz erarbeitet und am 16. März 2015 veröffentlicht (vgl. dazu Willemsen/Kühn, BB 2015, 1474 ff.). Die darin enthaltenen Änderungsvorschläge wurden noch einmal „entschärft“, sodass seit dem 16. Dezember 2015 ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vorliegt. Fraglich ist, ob und wenn ja, welche Auswirkungen die geplanten Änderungen auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu den einzelnen Beweisanzeichen haben können.
Die nunmehr geplante Änderung bezogen auf § 133 InsO sehen wie folgt aus:
Aktuelle Fassung | Gesetzesentwurf der Bunderegierung |
§133 Vorsätzliche Benachteiligung | § 133 Vorsätzliche Benachteiligung |
(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. | (1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.
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(2) Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war. | (2) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, beträgt der Zeitraum nach Absatz 1 Satz 1 vier Jahre.
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(3) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglichst, welche dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, tritt an die Stelle der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nach Absatz 1 Satz 2 die eingetretene. Hatte der andere Teil mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungserleichterung gewährt, wird vermutet, dass er zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte. | |
(4) Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war. |
Die geplanten Änderungen hinsichtlich § 133 InsO können wie folgt zusammengefasst werden:
Es ist davon auszugehen, dass diese nunmehr geplanten Änderungen des § 133 InsO kaum Auswirkungen auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshof zu § 133 Abs. 1 InsO, insbesondere zu den entwickelten Beweisanzeichen, haben können.
Die Verkürzung des Anfechtungszeitraumes auf vier Jahre für kongruente/inkongruente Deckungshandlungen nach § 133 Abs. 2 InsO n.F. wird ohne Auswirkungen auf die bisherige Rechtsprechung zu § 133 Abs. 1 InsO bleiben, da der Anfechtungszeitraum bisher keinen Einfluss auf die stark ausdifferenzierte Rechtsprechung hatte. Auch eine tatsächliche Verbesserung hinsichtlich der bestehenden Rechtsunsicherheiten, die aus der ausufernden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu § 133 Abs. 1 InsO sowie der Anwendung dieser Regelungen durch Insolvenzverwalter folgen, ist nicht zu erwarten. Denn die umfangreichen Erfahrungen, die wir in unzähligen Anfechtungsfällen unserer Mandanten sammeln mussten, zeigen, dass der Anfechtungszeitraum bereits jetzt nur in absoluten Ausnahmefällen den Zeitraum von 4 Jahre vor dem Insolvenzantrag übersteigt. Dies liegt einerseits daran, dass in früheren Zeiträumen häufig noch keine (drohende) Zahlungsunfähigkeit vorlag und andererseits an Beweisschwierigkeiten des Insolvenzverwalters hinsichtlich dieser Zeiträume.
Abzuwarten bleibt allerdings, wie die Rechtsprechung auf die Gleichstellung von kongruenten und inkongruenten Rechtshandlungen hinsichtlich der Verkürzung des Anfechtungszeitraums reagieren wird. Denkbar ist eine Einschränkung der Anfechtung inkongruenter Rechtshandlungen, aber auch eine Ausweitung der Anfechtung kongruenter Rechtshandlungen. Die Gleichstellung könnte als Argument für beide Entwicklungen dienen.
Die für kongruente Deckungshandlungen in § 133 Abs. 3 Satz 1 InsO vorgesehene Ausnahme, wonach die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nur bei Kenntnis der (eingetretenen) Zahlungsunfähigkeit vermutet wird, kann Auswirkungen auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, wonach auch die Kenntnis des Schuldners von der drohenden Zahlungsunfähigkeit Indiz für dessen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz ist, haben. Denn für die bisherige Begründung dieser Rechtsprechung in Form eines „Erst-Recht-Schlusses“ bleibt nach der Neufassung des § 133 InsO kein Platz mehr.
Dagegen wird die Vermutungsregel des § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO zu Zahlungsvereinbarungen keine bedeutenden Auswirkungen auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes haben. Denn bereits jetzt kann eine den Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs entsprechende Zahlungsvereinbarung oder Zahlungserleichterung für sich allein nicht als Beweisanzeichen zu Lasten des Anfechtungsgegners ausreichen, sondern nur in Kumulation mit weiteren Indizien.
Es wird also auch in Zukunft bei der Mehrzahl der entwickelten Beweisanzeichen sowie einer breitgefächerten und ausdifferenzierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bleiben. Ob der geplanten Verbesserung der Rechtssicherheit nicht vielmehr ein Bärendienst erwiesen wurde und es in Zukunft zu einer doch detaillierteren und ausdifferenzierteren Rechtsprechung kommt, bleibt abzuwarten.
Dr. Marcus Backes
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Pünktlich zum vergangenen Weihnachtsfest hat der Deutsche Speditions- und Logistikverband e.V. (DSLV) am 14. Dezember 2015 die aktualisierten Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) 2016 veröffentlicht. Erstmals handelt es sich aber nicht um ein gemeinsam von Industrie-/Verladerseite und DSLV empfohlenes Werk, sondern um einseitig vom DSLV erstellte und nicht von Vertretern aus Industrie und Handel unterstützte Bedingungen. Für mit Logistikdienstleistungen befasste Unternehmen gilt es nun sowohl hinsichtlich bereits geschlossener als auch zukünftiger Verträge in diesem Bereich zu überprüfen, ob und in welchem Umfang die neuen Regelungen beachtet werden müssen bzw. Geltung erlangen sollen.
Pünktlich zum vergangenen Weihnachtsfest hat der Deutsche Speditions- und Logistikverband e.V. (DSLV) am 14. Dezember 2015 die aktualisierten Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) 2016 veröffentlicht. Erstmals handelt es sich aber nicht um ein gemeinsam von Industrie-/Verladerseite und DSLV empfohlenes Werk, sondern um einseitig vom DSLV erstellte und nicht von Vertretern aus Industrie und Handel unterstützte Bedingungen. Für mit Logistikdienstleistungen befasste Unternehmen gilt es nun sowohl hinsichtlich bereits geschlossener als auch zukünftiger Verträge in diesem Bereich zu überprüfen, ob und in welchem Umfang die neuen Regelungen beachtet werden müssen bzw. Geltung erlangen sollen.
Bei den ADSp handelt es sich um vorformulierte Vertragsbedingungen für die Logistikbranche. Bis zu der bis dato aktuellen Fassung der ADSp 2003 zeichneten diese sich dadurch aus, dass es sich um einen Kompromiss zwischen Logistikanbietern und Vertretern aus der Industrie handelte, der von beiden Interessenverbänden den jeweiligen Mitgliedern zur Anwendung empfohlen wurde. Im September vergangenen Jahres verkündeten die Parteien jedoch, dass die Verhandlungen über eine gemeinsame Neufassung der ADSp gescheitert seien. In der Folge werden diese nun ausschließlich vom DSLV herausgegeben. Die Verbände des Verladegewerbes haben stattdessen mit den Deutschen Transport- und Lagerbedingungen (DTLB) ein eigenständiges Regelungswerk entwickelt, das in Konkurrenz zu den ADSp 2016 tritt und naturgemäß stärker an den Interessen der eigenen Verbandsmitglieder ausgerichtet ist.
Die ADSp sind keine Regelungen mit Gesetzescharakter, sodass diese nicht ohne Weiteres auf bestimmte Vertragsverhältnisse Anwendung finden. Die Parteien eines Speditionsvertrages oder ähnlicher Vertragstypen können diese jedoch durch Vereinbarung in ihr Vertragsverhältnis einbeziehen. Die enthaltenen Regelungen etwa aus den Bereichen Leistungsumfang, Verzug oder Haftung sind dann für die jeweilige vertragliche Beziehung maßgeblich. Die ADSp 2003 galten in der Branche als inhaltlich insgesamt ausgewogenes Regelwerk, was nicht zuletzt auf die dargestellte Beteiligung von Vertretern beider großen Interessenverbände zurückzuführen sein dürfte.
Die ADSp 2016 beruhen zwar im Grundsatz auf der vorherigen Fassung aus 2003; weisen allerdings zahlreiche wesentliche inhaltliche Unterschiede auf, von denen einige im Folgenden angesprochen werden sollen:
Informationspflichten, Weisungsrechte und sonstige Leistungspflichten
Zunächst wurden die Informationspflichten des Auftraggebers gegenüber dem Spediteur konkretisiert und ausgeweitet. So muss dieser gemäß Ziffer 3.1.2 ADSp 2016 nun uneingeschränkt auf bestehende öffentlich-rechtliche Verpflichtungen (z. B. zollrechtliche Beschränkungen) oder spezielle Ladungssicherungsmittel hinweisen. Hinsichtlich bereits nach der ADSp 2003 bestehender Informationspflichten wurden die vertraglichen Definitionen konkretisiert (so etwa bei „gefährlichen Gütern“, vgl. Ziffer 3.2 ADSp 2016) bzw. angepasst. So liegen etwa „wertvolle Güter“ i.S.d. Ziffer 3.3 ADSp 2016 nun auch bei einem Wert von EUR 10.000 pro Packstück unabhängig von dessen Gewicht vor.
Zugleich wurde in Ziffer 9.1 ADSp 2016 das Weisungsrecht des Auftraggebers dahingehend eingeschränkt, dass der Spediteur dann nicht an Weisungen gebunden ist, wenn diese „Nachteile für den Betrieb seines Unternehmens“ mit sich bringen. Die Auslegung dieses Rechtsbegriffs ist noch weitestgehend offen, kann aber zunächst durchaus weit verstanden werden.
Der Katalog von Leistungen, der vom Spediteur grundsätzlich nicht geschuldet wird, wurde erheblich erweitert. Es bedarf insofern einer vertraglichen Vereinbarung, die zudem nach Ziffer 4.1 ADSp 2016 nunmehr ausdrücklich erfolgen muss. So ist gemäß Ziffer 4.1.4 etwa die Ver- und Entladung von Gütern in Ermangelung einer solchen Vereinbarung nicht vom Spediteur geschuldet. Gleiches gilt nach den folgenden Ziffern für Retouren, Umfuhren, Sendungsverfolgung und vergleichbare Tätigkeiten.
Die Vorschriften zur Ablieferung der Güter in Ziffer 13 ADSp 2016 schließlich konkretisieren und erweitern die Ablieferungsoptionen des Spediteurs – insbesondere ist eine Verfristung der Entladezeit (vgl. hierzu unten c)) nun nach Ziffer 13.1 ADSp 2016 als Ablieferungshindernis einzustufen.
Elektronische Erklärungen und IT-Sicherheit
Weiterhin finden sich im Vertragswerk zeitgemäße Regelungen zu elektronischer Kommunikation, IT-Sicherheit und ähnlichen aktuellen Rahmenbedingungen. Gemäß Ziffer 4a.6 ADSp 2016 sind elektronisch erstellte Dokumente solchen in konventioneller Schriftform ausdrücklich gleichgestellt. Ziffer 29 ADSp 2016 hält zudem einen gänzlich neu eingefügten Passus zu Geheimhaltungspflichten der Parteien bereit.
Außerdem hat nach Ziffer 4a.5 jede Partei dafür zu sorgen, dass das verwendete IT-System die „üblichen Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen“ aufweist. Hiermit soll wohl die Verpflichtung normiert werden, ein dem aktuellen Stand der Technik entsprechendes IT-Sicherheitsniveau zu etablieren. Hiernach sind wohl zumindest grundlegende Sicherheitsmaßnahmen wie eine aktive Firewall und aktueller Virenschutz obligatorisch.
Neuregelung zu Ver- und Entladezeiten
In Ziffer 11 ADSp ist eine der wesentlichsten Änderungen enthalten, da hier ein komplett neuer Regelungskomplex zur Einhaltung von Ver- und Entladezeiten sowie zur etwaigen Leistung eines Standgeldes eingefügt wurde:
Während in Ziffer 11.1 ADSp 2003 lediglich festgehalten worden war, dass in Ermangelung einer entsprechenden Vereinbarung grundsätzlich keine Verlade- und Lieferfristen vereinbart werden, enthält Ziffer 11.1 ADSp 2016 nun die Verpflichtung des Auftraggebers, eine „angemessene“ Ver- und Entladezeit zu gewährleisten. Die folgenden Ziffern 11.2.1 ff. normieren konkrete Zeitvorgaben gestaffelt nach den erforderlichen Stellplätzen bzw. dem umzuladenden Gewicht.
Gemäß Ziffer 11.4 ADSp 2016 ist der Auftraggeber zudem verpflichtet, dem Spediteur bei Überschreitung der benannten Fristen ein „angemessenes“ Standgeld zu bezahlen. Eine solche Verpflichtung war den ADSp 2003 fremd. Zur konkreten Höhe des Standgeldes äußert sich die Neuregelung dagegen nicht, sodass auch insoweit ein erheblicher Auslegungsspielraum verbleibt.
Pfand- und Zurückbehaltungsrechte
Auch die Regelungen zu Aufrechnungs-, Pfand- und Zurückbehaltungsrechten wurden erheblich modifiziert. So wurde die bisher von der Rechtsprechung auszulegende Aufrechnungsmöglichkeit, soweit dem Anspruch „keine Einwände entgegenstehen“, durch das Erfordernis von „Entscheidungsreife“ oder rechtskräftig festgestellten Forderungen ersetzt. Es überrascht, dass sich hier nicht auf die letztere Formulierung beschränkt wurde, da auch das Kriterium der Entscheidungsreife durchaus zu unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich seiner Erfüllung führen wird.
Im Bereich des Pfandrechts des Spediteurs wurde in Ziffer 20.2.2 ADSp 2016 die Verwertungsfrist auf eine Woche verkürzt. Zugleich kann der Auftraggeber nun nach Ziffer 20.3 die Ausübung des Pfandrechts durch Beistellung eines gleichwertigen Sicherungsmittels verhindern. Dies kann eine sachgerechte Handlungsoption für den Auftraggeber darstellen, um eine erhebliche Beeinträchtigung des Warenflusses abzuwenden.
Änderungen im Regelungskomplex Haftung
Während die Regelungen zu Versicherungen (vgl. Ziffer 21 ADSp 2016) fast unverändert geblieben sind, wurde auch der besonders praxisrelevante Regelungskomplex zur Haftung tief greifend modifiziert – und zwar teilweise deutlich zu Gunsten der Auftraggeberseite:
Im Rahmen der Haftungshöchstgrenzen bei Güterschäden während des Transports wird nun statt einer betragsmäßigen Begrenzung vollumfänglich auf Sonderziehungsrechte (8,33/Kg) abgestellt, vgl. Ziffer 23.1.1 ADSp 2016. Zudem existiert hier nun eine absolute Haftungsbegrenzung in Höhe von EUR 1.000.000,- (Ziffer 23.3.3 ADSp 2016). Bei Schäden an eingelagerten Gütern wird die bisherige Haftungsobergrenze in Höhe von EUR 5.000,- auf EUR 25.000,- je Schadensfall gesteigert (Ziffer 24.1.2 ADSp 2016); gleiches gilt hier gemäß Ziffer 24.3 für sonstige Lagerschäden. Bei Vorliegen von Inventurdifferenzen verdoppelt Ziffer 24.1.3 der ADSp 2016 die Haftungsobergrenze sogar von EUR 25.000,- auf EUR 50.000,-. Schließlich wurde der Haftungsausschluss für einfache Fahrlässigkeit in Ziffer 27.1.2 an die AGB-rechtliche Rechtsprechung zu der Verletzung von wesentlichen Vertragspflichten (sog. Kardinalpflichten) angepasst.
Weiterhin steht dem Spediteur nach Ziffer 17.4 der ADSp 2016 ein Freistellungsanspruch zu, sofern dem Auftraggeber die Geltendmachung von Ersatzansprüchen durch Dritte „zuzurechnen“ ist. Unklar ist, welche Voraussetzungen die ADSp 2016 an das für eine Freistellungsklausel untypische Zurechnungskriterium stellt. Schließlich wurden die Regelungen im Bereich der Seebeförderung der neuen Rechtslage angepasst.
Insgesamt lässt sich bereits jetzt festhalten, dass sich die ADSp 2016 in der Gesamttendenz zwar zugunsten der Spediteure entwickelt haben. Andererseits muss man den neuen ADSp 2016 zugutehalten, dass sie auch Verbesserungen für die Auftraggeber enthalten und viele Punkte regeln, die vorher ungeregelt waren wie etwa zu Paletten und Standzeiten. Ob die in den ADSp 2016 hierzu vorgesehenen Inhalte letztlich für beide Seiten akzeptabel sind, muss jedoch im Einzelfall geprüft und verhandelt werden. Es steht deshalb zu erwarten, dass – wie bislang in der Praxis auch – weiterhin Abweichungen von bestimmten Punkten der ADSp individuell vereinbart werden. Die ADSp 2016 liefern den Parteien insofern einen guten Leitfaden zu den Themen, die nicht ungeregelt bleiben sollten. Dies ist im Übrigen ein großer Unterschied zu den DTLB, die einiges ungeregelt lassen oder mit zweifelhafter rechtlicher Wirksamkeit stark einseitig zu Gunsten der Auftraggeber regeln.
Die Versicherungsbranche äußert sich bisweilen in ersten Stellungnahmen dahingehend, dass auch die erhöhten Haftungshöchstsummen der ADSp 2016 von den bestehenden Policen gedeckt seien. Dies könnte sich spätestens nach der ersten Risikobewertung anhand tatsächlich angefallener Schadenssummen ändern. Dann könnten sich die Prämien für die Spediteure erhöhen, was sich wiederum mittelbar auf den Preis der angebotenen Leistungen auswirken dürfte. Die tatsächliche Entwicklung kann hier jedoch noch nicht abschließend beurteilt werden.
Für sämtliche Unternehmen, die selbst im Bereich der Logistik tätig sind oder Verträge mit Logistikdienstleistern geschlossen haben, sorgt die Neuregelung in mehrerlei Hinsicht für grundlegenden Handlungsbedarf:
Zunächst sollte der Altbestand entsprechender Verträge hinsichtlich der enthaltenen Verweisungsklauseln überprüft werden. Wurde ausdrücklich auf die ADSp in einer der vorherigen Fassungen oder auf diese „in der jeweils aktuellen Form“ Bezug genommen? Selbst in letzterem Fall besteht allerdings wohl keine Gewissheit, dass tatsächlich die neuen Regelungen zur Anwendung kommen: Wie oben ausgeführt ergibt sich für die ADSp 2016 erstmalig die Besonderheit, dass die Musterbedingungen einseitig vom DSLV bereitgestellt werden – vor diesem Hintergrund erscheint es zumindest fraglich, ob eine dynamische Verweisung auch die nunmehr einseitig überarbeitete Version umfassen sollte. Hierbei handelt es sich letztlich um eine Frage der Vertragsauslegung. Soweit zu beobachten, spricht einiges dafür, dass selbst bei dynamischer Verweisung nach wie vor die ADSp 2003 fortgelten. Dies kann angesichts der wie dargestellt durchaus erheblichen Änderungen von großer praktischer Relevanz sein. Insofern lautet die Empfehlung, sich unter Parteien gemeinsam Klarheit zu verschaffen, welche ADSp denn nun gelten sollen.
Für den Fall, dass im Streitfall die Geltung der ADSp 2016 von einem Gericht bejaht wird, sollte mit Blick auf die erfolgten Neuregelungen genauestens überprüft werden, welche Konsequenzen sich aus den geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen für das eigene Unternehmen ergeben. Insbesondere die neuen Regelungen zu Ver- und Entladezeiten und die sich hieran anknüpfenden Rechtsfolgen sollten anhand der tatsächlichen Rahmenbedingungen der Leistungserbringung auf ihre Anwendbarkeit überprüft und betriebliche Abläufe ggf. entsprechend angepasst werden.
Sofern Neuverträge im Logistikbereich geschlossen werden, ist aus Sicht des betroffenen Unternehmens zu evaluieren, welcher Bedingungen in welchem Umfang einbezogen werden sollen. Dies erfordert eine vertiefte Auseinandersetzung mit den neuen Regelungsinhalten mit Blick auf ihre Angemessenheit für das jeweils geplante Vertragsverhältnis. In der Folge sind die bisher verwendeten Einbeziehungsklauseln entsprechend anzupassen. Auch im Rahmen der ADSp 2016 sind im Übrigen die allgemeinen Voraussetzungen einer wirksamen Einbeziehung zu wahren.
Dr. Maximilian Dorndorf
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Peter Schneidereit
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(OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 7. April 2015 – 24 U 82/14)
Wirtschaftsauskunfteien sind aus dem heutigen Geschäftsleben nicht mehr wegzudenken. Zu ihnen zählen bekannte Unternehmen wie Schufa und Creditreform. Diese sammeln Informationen über Privatpersonen und Unternehmen, um sie dann Dritten entgeltlich zur Verfügung zu stellen. Die Auswertung dieser Informationen soll insbesondere Auskunft über die Bonität von Geschäftspartnern gewähren. Gerade für Unternehmen, die Versandhandel betreiben, sind die Dienste von Wirtschaftsauskunfteien beim Abschluss von Verträgen unersetzlich. Wirtschaftsauskunfteien können somit schon im Vorfeld eines Vertragsschlusses einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass die Erfüllung der Zahlungspflicht nicht an der fehlenden Solvenz des Schuldners scheitert.
Für das bewertete Unternehmen kann die Bewertung aber mit erheblichen negativen Folgen verbunden sein. Diese können zum Beispiel dadurch entstehen, dass eine Wirtschaftsauskunftei zwischenzeitlich entfallene negative Bonitätsmerkmale nicht löscht, es zu Verwechslungen kommt oder die Bewertung schlichtweg falsche Informationen erhält.
In einer Entscheidung vom 7. April 2015 hat das OLG Frankfurt a. M eine Wirtschaftsauskunftei dazu verurteilt, die Veröffentlichung einer von ihr ermittelten Risikoeinschätzung zu unterlassen.
Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Klägerin, ein seit dem Jahr 1996 im Bereich der Luftfahrtindustrie tätiges Unternehmen, erfuhr von einem Kunden, dass die Beklagte sie mit dem schlechtesten Wert, dem „Risikoindikator 4“ bewertet hatte. Der „Risikoindikator 4“ bedeutet, dass „das Ausfallrisiko des Unternehmens […] als hoch eingestuft [wird]“ und dass „Sicherheiten empfohlen“ werden. Bei dem Unternehmen der Klägerin, das seit dem Jahr 2002 durch einen eingetragenen Einzelkaufmann betrieben wird, kam es bisher weder zu Zahlungsausfällen noch zu einer Insolvenz. Die einzige der Beklagten bekannte Information über die Klägerin war, dass sie ein eingetragener Einzelkaufmann ist. Die Klägerin wies die Beklagte deshalb darauf hin, dass kein Grund für eine derart schlechte Bewertung bestehe. Die Wirtschaftsauskunftei reagierte hierauf, bewertete die Klägerin aber noch immer mit dem „Risikoindikator 3“, bei dem von einem „überdurchschnittlichen“ Ausfallrisiko ausgegangen werden muss. Daher erhob die Klägerin Klage auf Unterlassung der Veröffentlichung der Bewertung.
Die Beklagte verteidigte ihre Risikobewertung damit, dass diese nur ein Werturteil sei und daher nicht vollumfänglich überprüft werden könne. Zudem sei in einem Fall, in dem keine Informationen über das Zahlungsverhalten vorlägen, eher von einem negativen Zahlungsverhalten auszugehen. Die Klägerin ist hingegen der Ansicht, dass die Beklagte aufgrund der dieser bekannten Tatsachen keine negative Bewertung veröffentlichen durfte.
Dieser Ansicht ist das OLG Frankfurt a.M. gefolgt. Das Bewertungsergebnis („Scoring“) einer Wirtschaftsauskunftei sei zwar eine Meinungsäußerung, jedoch bedürfe auch diese einer sachlichen und zutreffenden Tatsachengrundlage. Ein Scoring, das den Anschein erweckt, auf Grundlage verschiedenster Variablen erstellt worden zu sein, in Wahrheit aber nur darauf beruht, dass es sich bei dem bewerteten Unternehmen um einen eingetragenen Einzelkaufmann und nicht um eine Kapitalgesellschaft handelt, könne nur als „verantwortungslose Oberflächlichkeit“ bewertet werden. Ein derartiges Scoring verletzt das Recht des bewerteten Unternehmens am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.
Das OLG Frankfurt a.M. hat ausgeführt, dass bei fehlenden Informationen über ein Unternehmen nicht auf ein negatives Zahlungsverhalten geschlossen werden könne, sondern allenfalls darauf, dass man darüber nichts weiß. Zudem sei nicht nachvollziehbar, warum die Dauer der Geschäftstätigkeit bei der Berechnung des Risikoindikators keine Rolle gespielt habe.
Das OLG Frankfurt a.M. hat durch seine Entscheidung die Rechte von Unternehmen vor unzutreffenden Bewertungen durch Wirtschaftsauskunfteien wesentlich gestärkt und konkretisiert.
Dies ist umso wichtiger, weil § 28b Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) den Wirtschaftsauskunfteien hinsichtlich der Erstellung eines Scoring erhebliche Freiheiten lässt. Danach können Wirtschaftsauskunfteien einen Wahrscheinlichkeitswert für ein bestimmtes zukünftiges Verhalten auf Grundlage eines anerkannten mathematisch-statistischen Verfahrens festlegen.
Welches mathematisch-statistische Verfahren („Scoreformel“) verwendet wird und welchen Einfluss die einzelnen Daten dabei auf das Bewertungsergebnis haben, müssen Wirtschaftsauskunfteien nicht offenlegen (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – VI ZR 156/13). Nach Ansicht des BGH haben Wirtschaftsauskunfteien ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung der Scoreformel. Fest steht aber, dass das bewertete Unternehmen einen Auskunftsanspruch hinsichtlich der Sachverhalte hat, die der Wahrscheinlichkeitsberechnung zu Grunde lagen.
Ob und in welchem Umfang die Bedeutung dieser Sachverhalte für eine Bonitätsbewertung überprüft werden kann, ist allerdings weder gesetzlich geregelt noch durch die Rechtsprechung konkretisiert. Das OLG Frankfurt a.M. hat jetzt jedenfalls eine gewisse Klarheit geschaffen. § 28b BDSG fordert lediglich, dass die Daten, die der Berechnung des Wahrscheinlichkeitswertes zu Grunde liegen, „erheblich“ sein müssen. Wann Daten erheblich sind, hat das OLG Frankfurt a. M. allerdings nur partiell erläutert. Nicht erheblich für eine Einschätzung der Zahlungsfähigkeit ist jedenfalls der Umstand, dass es sich bei dem bewerteten Unternehmen um einen Einzelkaufmann handelt.
Auch nach der Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. bleibt weiterhin ungeklärt, welche konkreten Tatsachen und Erkenntnisse einer Bonitätsbewertung im Sinne einer Minimalanforderung zugrunde liegen müssen.
Ein Unternehmen, das von einem Scoring Kenntnis erlangt, das seiner tatsächlichen wirtschaftlichen und finanziellen Situation nicht entspricht, ist zu raten, sich an die betreffende Wirtschaftsauskunftei zu wenden, um Einsicht in die dem Scoring zu Grunde liegenden Sachverhalte zu nehmen. Die Wirtschaftsauskunftei sollte dann über etwaige Fehler schriftliche informiert werden. Führt dies nicht zu einer Korrektur des Scoring, sollten rechtliche Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Vor dem Hintergrund der Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. sollten Wirtschaftsauskunfteien prüfen, ob die einem Scoring zu Grunde liegenden Tatsachen und Informationen genügen, um eine sichere Beurteilung der Bonität eines Unternehmens vornehmen zu können.
Dr. Christoph von Burgsdorff, LL.M. (Essex)
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