12.04.2017
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Mit Beschluss vom 24. November 2016 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Grundlagen für die Vereinbarung von Sicherstellungszuschlägen gem. § 17b Abs. 1a Nr. 6 KHG i.V.m. § 5 Abs. 2 KHEntgG festgelegt.
Konkret zielen die beschlossenen Grundsätze darauf ab, dass Krankenhäuser, die aufgrund eines geringen Versorgungsbedarfs Leistungen nicht flächendeckend aus den Mitteln des Entgeltsystems für Krankenhäuser finanzieren können, Sicherstellungszuschläge erhalten. Gemeint sind sog. basisversorgungsrelevante Leistungen, wie Leistungen der Notfallversorgung und solche, die für die unmittelbare diagnostische und therapeutische Versorgung erforderlich sind.
Hierfür hat der G-BA in seinem Beschluss festgelegt, wann ein geringer Versorgungsbedarf besteht, welche Leistungen zuschlagsfähig sind und welche Kriterien über die Notwendigkeit eines Krankenhauses zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung entscheiden. Darüber hinaus werden Kriterien zur Prüfung der Einhaltung dieser Vorgaben durch die zuständige Landesbehörde festgelegt.
Ob das Krankenhaus für die flächendeckende Versorgung erforderlich und damit zuschlagsfähig ist, macht der G-BA von der Erreichbarkeit alternativ geeigneter Krankenhäuser abhängig, wobei grundsätzlich nicht mehr als 30 PKW-Fahrtzeitminuten nötig sein dürfen. Eine Gefährdung liegt hingegen vor, wenn mindestens 5000 Einwohner mehr als 30 Minuten PKW-Fahrtzeit aufwenden müssen, um das nächste geeignete Krankenhaus (Grund- und Regelversorger) aufsuchen zu können. Für gering besiedelte Regionen (z.B. Insel) ist aber eine Ausnahmeregelung vorgesehen. Der Beschluss legt zudem die Methode fest, mit der die konkrete Fahrtzeit ermittelt werden soll.
Für die Feststellung, ob in dem betreffenden Krankenhaus ein geringer Versorgungsbedarf vorliegt, stellt der Beschluss auf die durchschnittliche Einwohnerdichte im Versorgungsgebiet des Krankenhauses ab. Für Inseln wird ein geringer Versorgungsbedarf unterstellt.
Gem. § 17b Abs. 1a Nr. 6 KHG können Zuschläge nur für solche Leistungen vereinbart werden, die für die Versorgung der Bevölkerung „vorzuhalten“ sind. Zu diesen basisrelevanten Leistungen zählen laut Beschluss die Leistungen der Fachabteilung Innere Medizin und der chirurgischen Fachabteilung, die zur Versorgung von Notfällen der Grund- und Regelversorgung geeignet sind. Hierbei sind die Vorgaben des sog. Notfallstufensystems zu beachten, worüber der G-BA aber noch Beschluss fassen wird.
Die Zuschlagsfähigkeit eines Krankenhauses kann laut Beschluss auch dann gegeben sein, wenn es für die Feststellung von notwendigen Vorhaltungen an Qualitätsvoraussetzungen fehlt, soweit die zuständige Landesbehörde Auflagen zur Durchführung von Maßnahmen zur Qualitätssteigerung und Fristen zur Umsetzung erlässt
Die Regelungen des Beschlusses vom 24. November 2016 sind am 1. Januar 2017 in Kraft getreten. Damit liegen erstmals bundeseinheitliche Regelungen zur Definition der Krankenhäuser mit einer besonderen Bedeutung für die Flächenversorgung vor. Der G-BA selbst geht davon aus, dass sich hierdurch die Zahl der zuschlagsberechtigten Krankenhäuser in Deutschland verzwanzigfachen wird, wenngleich hierdurch keine grundsätzliche Beseitigung der bisher diskutierten Unterfinanzierung im Investitonsbereich eintreten dürfte.
Dr. Hendrik Bernd Sehy
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Der Verzicht auf die Vollzulassung zugunsten einer Anstellung in einem medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) hatte sich in den letzten Jahren als Weg für Vertragsärzte etabliert, ihre Nachfolge zu regeln und damit den wirtschaftlichen Wert des Vertragsarztsitzes zu realisieren. Das BSG hat dieser Gestaltung Grenzen gesetzt, die die Übernahme neuer Vertragsarztsitze durch MVZ-Trägergesellschaften nunmehr erheblich erschweren. Das Urteil hat zudem erhebliche Bedeutung für jeden Fall der Nachbesetzung, auch im regulären vertragsärztlichen Bereich.
Der Verzicht auf die Vollzulassung zugunsten einer Anstellung in einem medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) hatte sich in den letzten Jahren als Weg für Vertragsärzte etabliert, ihre Nachfolge zu regeln und damit den wirtschaftlichen Wert des Vertragsarztsitzes zu realisieren. Das BSG hat dieser Gestaltung Grenzen gesetzt, die die Übernahme neuer Vertragsarztsitze durch MVZ-Trägergesellschaften nunmehr erheblich erschweren. Das Urteil hat zudem erhebliche Bedeutung für jeden Fall der Nachbesetzung, auch im regulären vertragsärztlichen Bereich.
Klägerin war ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), bei der ein HNO-Arzt mit 23,5 Wochenstunden beschäftigt war. Dieser hatte zuvor unter Rückgriff auf § 103 Abs. 4a Satz 1 SGB V auf seine Vollzulassung zugunsten einer Anstellung im MVZ verzichtet, um dort im Umfang einer ¾-Stelle (30 Wochenstunden) tätig zu werden. Als dieser einige Monate später seine Tätigkeit als Angestellter des MVZ beendete, sollte die nun offene Stelle mit zwei weiteren Ärzten nachbesetzt werden. Der zuständige Zulassungsausschuss genehmigte die Nachbesetzung zunächst im Umfang einer ¼-Stelle (10 Wochenstunden) und stellte sodann nur noch eine Genehmigung einer weiteren Stelle im Umfang von 20 Wochenstunden in Aussicht. Begründet wurde dies damit, dass die ursprüngliche Stelle in dem nunmehr gesperrten Planungsbereich nur in dem bisherigen Umfang nachzubesetzen sei, also insgesamt mit max. 30 Wochenstunden.
Die Klage des MVZ vor dem SG München (Urt. v. 19.9.2013 – S 43 KA 1437/11) hatte zunächst im Hinblick auf eine weitere ¾-Stelle Erfolg, denn das SG sah bei Nachbesetzung nach § 103 Abs. 4a Satz 3 SGB V die vorübergehende Vakanz einer ¼-Arztstelle als sanktionslos an, das Recht auf Nachbesetzung einer solchen Stelle sei zeitlich nicht begrenzt. Die Berufungsinstanz, das bayrische LSG (Urt. v. 14.1.2015 – L 12 KA 31/14), hob das Urteil jedoch auf. Durch die Anstellung nach Verzicht sei eine Stelle nur im Umfang einer ¾-Stelle auf das MVZ übertragen worden, nur diese könne auch nachbesetzt werden.
Das BSG schloss sich der Auffassung des LSG an und wies die Revision der Klägerin zurück. Es entschied, dass der tatsächliche Tätigkeitsumfang bei der Nachbesetzung eines angestellten Arztes maßgeblich sei und somit nur noch eine ¾-Stelle genehmigt werden könne. Es komme darauf an, in welchem Ausmaß der Vertragsarzt tatsächlich als angestellter Arzt im MVZ tätig wurde. Ob der bisherige Arzt auf eine volle Zulassung als Vertragsarzt verzichtet habe, spiele dabei keine Rolle. Maßgeblich sei der tatsächliche Umfang der dem MVZ erteilten Anstellungsgenehmigung.
Dies widerspreche auch nicht der bisherigen Rechtsprechung des BSG, wonach Vakanzen im Umfang von ¼-Arztstellen prinzipiell ohne zeitliche Beschränkung nachbesetzt werden können. Denn diese Frage erlange nur Relevanz, wenn eine bereits existierende Stelle durch eine vorübergehende Nichtbesetzung entfalle. Vorliegend handele es sich aber um die Frage, ob der Umfang einer Genehmigung bei der Nachbesetzung einer Stelle erhöht werden könne. Dies sei jedoch generell – auch im Rahmen einer ¼-Stelle – ausgeschlossen.
Das BSG traf darüber hinaus in der Entscheidung eine grundsätzliche Einordnung der Umwandlung von Zulassungen gemäß § 103 Abs.4a Satz 1 SGB V: Die Regelung sei dahingehend einschränkend auszulegen, dass der Verzicht zur Anstellung eine klare Absicht des auf die Zulassung als Vertragsarzt Verzichtenden fordere, die Anstellung im MVZ ernsthaft anzustreben und auszuüben. Eine solche Absicht manifestiere sich im Regelfall dann, wenn der Arzt in Anstellung mindestens über drei Jahre im MVZ tätig werde.
Begründet wurde dies mit der § 103 Abs. 3a Satz 5 i.V.m. Satz 3 und Abs. 4 Satz 5 Nr 6 SGB V idF des GKV-VSG zu Grunde liegenden Wertung einer Privilegierung von Bewerbern, welche bereits drei Jahre als Angestellter in einer Praxis des bisherigen Vertragsarztes gearbeitet haben oder die Praxis mit diesem gemeinschaftlich betrieben haben. Dies solle verhindern, dass die Regelungen zum Abbau von Überversorgung durch ein nur kurzzeitiges Anstellungs- oder Jobsharing-Verhältnis umgangen werden. Dieser Gedanke müsse auch auf die Anstellungsgenehmigung nach § 103 Abs. 4a S.1 SGB V übertragen werden.
Ende die Tätigkeit des Arztes gleichwohl vorher, hänge das Nachbesetzungsrecht von den Einzelumständen ab. Entscheidend sei dabei, ob jedenfalls ursprünglich ein Wille für eine dreijährige Tätigkeit im MVZ vorhanden war. Dies sei z.B. bei einer erst später auftretenden Erkrankung oder Gründen, die den Arzt zu einer Änderung seiner Berufs- oder Lebensplanung zwingen, der Fall.
Das BSG sah es für den spezifischen Fall der Nachfolge im Sinne eines altersbedingten schrittweisen Rückzugs aus dem Arbeitsleben jedoch als tunlich an, wenn der angestellte Arzt seine Stelle schrittweise pro Jahr um ¼-Stelle zugunsten einer Nachbesetzung reduziere.
Von diesen Grundsätzen unberührt bleiben aus Sicht des BSG jedoch bereits bestandskräftig erteilte Genehmigungen, welche somit auch Grundlage einer späteren Nachbesetzung sein könnten.
Mit dieser Entscheidung setzt das BSG die zunehmend restriktive Rechtsprechung zur Nachbesetzung von Vertragsarztstellen außerhalb des formalen Nachbesetzungsverfahrens (§ 103 Abs. 4 SGB V) fort – wenngleich in diesem Umfang auch unerwartet, da die Entwicklung der „3-Jahres-Frist“ im konkreten Fall gar nicht entscheidungserheblich war. Umso überraschender trifft die Entscheidung gerade MVZ-Trägergesellschaften, und damit auch viele Krankenhausträger, sowie Vertragsärzte, die sich derzeit mit der Nachfolgeplanung befassen.
Das BSG begründet diesen Teil der Entscheidung mit einer klaren Absage an den (angeblich) seit Jahren geübten „Gestaltungsmissbrauch“. In der Sache dürfte hier eher ein rechtspolitischer Wunsch nach Reduzierung von MVZ-Strukturen zugunsten der schleichend abnehmenden Anzahl an Einzelpraxen tragend gewesen sein. Denn weder § 103 Abs. 4a S.1 SGB V noch die Gesetzbegründung hierzu geben eine restriktive Handhabung der Praxis, dass Ärzte ihre Nachfolge durch Eintritt in ein MVZ regeln können, vor – sie sprechen wohl eher für eine gesetzgeberisch gewünschte Förderung von MVZ-Strukturen.
In der Praxis wird das Urteil, dem sich die Zulassungsausschüsse sehr zeitnah angeschlossen haben, jedoch zu einem Umdenken führen müssen: Bestehende MVZ-Trägergesellschaften dürften hierdurch für mögliche Erweiterungen auf das formale Nachbesetzungsverfahren verwiesen sein oder werden sich alternativ weitaus frühzeitiger um neue Vertragsarztsitze bemühen müssen, um für die vorgegebenen drei Jahre noch eine produktive Zusammenarbeit mit dem Altinhaber realisieren zu können. Eine Nachfolge wünschende Ärzte trifft das Urteil gleichwohl härter, wenn sie nicht das Risiko eines Nachbesetzungsverfahrens eingehen möchten, in dem ihre Kaufpreisvorstellungen frustriert werden. Vielmehr müssen auch sie nunmehr frühzeitig den Exit planen; die Aussicht, nach langer Selbstständigkeit die letzten drei Arbeitsjahre in einer Anstellung verbringen zu müssen, dürfte kaum zufriedenstellend wirken.
Ob sich trotz der deutlich restriktiven Sicht des BSG in Sonderfällen, bspw. bei alters- oder krankheitsbedingten Konstellationen, abweichende Lösungsszenarien denken lassen, wird man sorgsam planen und abwägen müssen. Denn noch ist die formale Reaktion der Zulassungsausschüsse auf die Entscheidung weitgehend offen. Auch wenn die Anstellung genehmigt wird, bietet der Beschluss keinen Freibrief für die Nachbesetzung. Vielmehr besteht ein erhebliches Risiko, dass sich – wie im vorliegenden Fall – erst nach Monaten oder einem Jahr nach dem Verzicht zur Anstellung, wenn die Nachbesetzung virulent wird, die Folgen des Urteils zeigen – in Form einer Ablehnung der Nachbesetzung.
Die Beratungspraxis dürfte durch dieses Urteil gefordert sein. Wenn der Weg über das formale Nachbesetzungsverfahren (§ 103 Abs. 4 SGB V) dadurch (wieder) zur Regel werden sollte, wird sich der Fokus auf die Vielzahl an Kriterien richten, die Ausnahmen oder einen Vorrang bei der Nachbesetzung einräumen. Für MVZ-Träger wird sich damit die Frage stellen, wie sie diese Regelungen (§ 103 Abs. 4 Satz 5 Nr. 6 und 7, Abs. 4c Satz 4, Abs. 6 SGB V) für sich nutzen können. Alternativ wird im Einzelfall zu prüfen sein, ob mit einer frühzeitigen Umwandlung der die Nachfolge anstrebenden Praxis in ein MVZ und die spätere Zusammenführung mit dem erwerbenden MVZ auf gesellschaftsrechtlicher Ebene geholfen werden kann.
Auf eine Hilfestellung des Gesetzgebers in Form der überwiegend geforderten „Nachkorrektur“ wird man wohl noch warten müssen.
Dr. Eva Maria K. Rütz, LL.M.
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Dr. Hendrik Bernd Sehy
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Der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat durch seinen Beschluss vom 15. Dezember 2016 (noch nicht in Kraft) die Übergangsfristen für die Einführung verbindlicher Personalvorgaben für die intensivmedizinische Versorgung von Schwangeren und Früh- und Reifgeborenen verlängert.
Durch die am 1. Januar 2006 in Kraft getretene Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Reifgeborenen gem. § 137 Abs. 1 Nr. S SGB V i.V.m. § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 13 SGB V sollte die perinatologische Versorgung durch festgelegte Mindestanforderungen und ein Stufenkonzept (Versorgungsstufen I-IV) je nach Risikoprofil der Schwangeren oder des Kindes gesichert und optimiert werden.
Im Fokus der Neuregelungen stehen die erhöhten Anforderungen an das pflegerische Personal: laut Richtlinie sollen ab dem 1. Januar 2017 auf einer neonatologischen Intensivstation mindestens ein/e Kinderkrankenpfleger/in je intensivtherapiepflichtigem Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von unter 1500 Gramm verfügbar sein. Bei einem Geburtsgewicht über 1500 Gramm, aber medizinischem Überwachungsbedarf, muss ein/e Kinderkrankenpfleger/in für zwei Frühgeborene bereit stehen. Die Stationsleitung muss einen Leitungslehrgang absolviert haben und im Kreißsaal muss die 24-Stunden-Präsenz einer Hebamme oder eines Entbindungspflegers gewährleistet sein.
In der Versorgungsstufe I („Level 1-Zentrum“) müssen 40 Prozent (bzw. 30 Prozent bei Versorgungsstufe II) der Mitarbeiter/innen des Pflegedienstes laut Richtlinie eine Fachweiterbildung im Bereich „Pädiatrische Intensivpflege“ absolviert haben. Auf die geforderte Quote kann aber vorhandene Berufserfahrung angerechnet werden, die dann ausreicht, wenn der/die Kinderkrankenpfleger/in mindestens 5 Jahre in Vollzeit und davon mindestens 3 Jahre im Zeitraum von 2010 bis 2016 auf einer neonatologischen Intensivstation gearbeitet hat. Die Erfüllung des Personalschlüssels muss durch eine dokumentierte Quote von mindestens 95 Prozent aller Schichten des vergangenen Kalenderjahres nachgewiesen werden. Die Richtlinie sieht vor, dass die Regelungen spätestens bis zum 1. Januar 2017 umgesetzt werden.
Der nun gefasste Beschluss eröffnet für die Perinatalzentren die Möglichkeit, bis zum 31. Dezember 2019 von den Vorgaben abzuweichen.
Hierfür muss das Zentrum aber auf Landesebene eine Zielvereinbarung abschließen. Zudem ist ein Beschluss durch den G-BA über ein Verfahren zur jährlichen Strukturabfrage bis zum 31. Juli 2017 vorgesehen. Die Personalvorgaben entsprechen denen der Richtlinie und sehen weiterhin die Möglichkeit der Anrechnung von Berufserfahrung vor, mindestens 3 Jahre der Berufstätigkeit müssen dabei im Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 1. Januar 2017 liegen.
Der G-BA hatte bereits am 20. Juni 2013 durch Beschluss die Übergangsfrist um 3 Jahre bis zum 31. Dezember 2016 verlängert.
Ob der Beschluss des G-BA tatsächlich eine nötige Flexibilisierung oder ein bloßes Aufschieben bewirkt, bleibt ebenso abzuwarten, wie die rechtzeitige Erstellung eines Musterformulars für die Dokumentation des Personalschlüssels bis zum 31. Mai 2016 sowie das angekündigte Verfahren zur jährlichen Strukturabfrage.
Das BMG hat den Beschluss des G-BA mit Nachricht vom 15. Februar 2017 nicht beanstandet, so dass Krankenhausträger bundesweit nunmehr von einer verbindlichen Planungsgrundlage ausgehen können.
Dr. Hendrik Bernd Sehy
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Bei der Erteilung einer Ermächtigung/Genehmigung zum Betrieb einer Zweigpraxis ist im Rahmen der Abwägung, ob eine Verbesserung der Versorgung durch das Leistungsangebot der Zweipraxis eintritt, kein Raum für bedarfsplanerische Erwägungen. Es kommt grundsätzlich nicht darauf an, wie viele Patienten die beantragte Versorgung (hier: in erster Linie MRT-Untersuchungen) nutzen werden und ob diesen Patienten (entsprechend der Rechtsprechung zu Sonderbedarfszulassungen), längere Wege zumutbar sind. Für die erforderliche (nicht ganz unerhebliche) qualitative Verbesserung des Versorgung (Erweiterung des bestehenden Leistungsangebots) reicht es vielmehr aus, dass die an dem Ort der Zweigpraxis tätigen Ärzte bisher keine MRT-Leistungen anbieten und sich die Anfahrtswege für die Versicherten nicht nur geringfügig (im vorliegenden Fall um ca. 15 km bzw. 40 km) verkürzen.
Der Kläger, ein Facharzt für Nuklearmedizin, gehört einer Gemeinschaftspraxis (Berufsausübungsgemeinschaft – BAG) für Radiologie und Nuklearmedizin an und nimmt an der vertrags-ärztlichen Versorgung im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Nordrhein teil. Die BAG bietet in den Räumen einer Klinik – in einer Entfernung von ca. 19 km und im Bezirk der KÄV Rheinland-Pfalz gelegen – für Privatpatienten MRT-Untersuchungen an. Der Kläger begehrt die Erteilung einer Ermächtigung zum Betrieb einer Zweigpraxis an diesem Ort, um dort nuklearmedizinische Leistungen, Ultraschall-Leistungen sowie Kernspintomographien auch für die vertragsärztliche Versorgung anzubieten.
Der Zulassungsausschuss lehnte den Antrag des Klägers auf Ermächtigung zum Betrieb einer Zweigpraxis ab. Der Widerspruch des Klägers scheiterte ebenso wie die Klage und seine Berufung. Das BSG gab der Revision jedoch statt.
Das BSG begründete seine Entscheidung im Wesentlichen auf eine dezidierte Auslegung der Rechtsgrundlage für die Erteilung der begehrten Ermächtigung, § 24 Abs. 3 S. 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV).
Da, wie im vorliegenden Fall, die Zweigpraxis außerhalb des Bezirks der KÄV, in der der antragstellende Arzt Mitglied ist, liegen sollte, bedürfe es auch der Ermächtigung durch den Zulassungsausschuss, in dessen Bezirk der Arzt die Tätigkeit aufnehmen will. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 S.1 Ärzte-ZV habe der Arzt Anspruch auf Erteilung der Ermächtigung.
Die Vorinstanzen, einschließlich des Berufungsausschusses, seien bei der Einschätzung zu einer möglichen Verbesserung der Versorgungssituation am „weiteren Ort“ aufgrund ihres gerichtlich im Grundsatz bestätigten Beurteilungsspielraums zunächst zu dem Ergebnis gekommen, dass die Tätigkeit in der Zweigpraxis nicht zu einer Verbesserung der Versorgung vor Ort führe, da dort die Nachfrage nach MRT-Untersuchungen lediglich gering sei. Zwar erspare die Zweigpraxis den Versicherten eine gewisse Fahrzeit (die nächste Vertragsarztpraxis, die MRT-Untersuchungen anbiete, befand sich in 19 km Entfernung). Das LSG habe aber die Anzahl der davon betroffenen 7414 Einwohner als relativ gering eingeschätzt, um eine Versorgungsverbesserung abzuleiten. Dieser Umstand sei jedoch nicht maßgeblich.
Nach Auffassung des BSG sei allein das Hinzutreten eines weiteren Behandlers – ungeachtet der der damit verbundenen Erweiterungen der Möglichkeiten der Arztwahl – zwar noch keine Versorgungsverbesserung. Andererseits seien Gesichtspunkte der Bedarfsplanung im Sinne der Bedarfsplanungsrichtlinie jedoch für die Entscheidung ebenso irrelevant, wie der Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Tragfähigkeit der Zweigpraxis, der für (Sonderbedarfs-) Zulassungen herangezogen werde. Beides finde keine Stütze im Wortlaut des § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV.
Vielmehr sei für die Genehmigung der Zweigpraxis erforderlich, aber auch ausreichend, dass das bestehende Leistungsangebot an dem „weiteren Ort“, an dem die Zweipraxis betrieben werden solle, zum Vorteil für die Versicherten in qualitativer – unter bestimmten Umständen aber auch in quantitativer Hinsicht – erweitert werde. Eine qualitative Versorgungsverbesserung könne etwa dann gegeben sein, wenn der in der Zweigpraxis tätige Vertragsarzt im Vergleich zu den bereits vor Ort tätigen Ärzten über andere qualifikationsgebundene Genehmigungen gemäß § 135 Abs. 2 SGB V verfüge, ein differenzierteres Leistungsspektrum anböte oder wenn er eine besondere Untersuchungs- oder Behandlungsmethode anwenden könne, die etwa besonders schonend sei oder bessere Diagnoseergebnisse liefere.
Die qualitative Versorgungsverbesserung sei im vorliegenden Fall zu bejahen, da insbesondere MRT-Leistungen am Ort der Zweigpraxis bisher nicht von Vertragsärzten angeboten würden und die Patienten nicht mehr in die 15 km entfernte Stammpraxis des Klägers oder zu alternativen Einrichtungen in ca. 40 km Entfernung fahren müssten. Die Anzahl der potentiellen, von der qualitativen Versorgungsverbesserung profitierenden Patienten sei in den Abwägungsprozess nicht einzubeziehen (keine Planung nach „Bedarf“). Jedenfalls, so das BSG, sei bei einer Zahl von rund 7.500 Einwohner auch eine substantielle, und nicht nur geringfügige Verbesserung der Versorgung gegeben.
Das BSG ließ ausdrücklich offen, wie der „weitere Ort“ im Sinne von § 24 Abs. 3 S.1 Nr. 1 Ärzte-ZV zu definieren sei, da sich in dem entschiedenen Fall die Versorgung in jedem räumlichen Bereich, der als „weiterer Ort“ in Betracht komme, qualitativ verbessern würde. Jedenfalls sei der „weitere Ort“, an dem die Zweigpraxis betrieben werden solle, einerseits enger als der „Planungsbereich“ im Sinne der Bedarfsplanung, andererseits jedoch räumlich weiter als der „Sitz“ (Anschrift) der Zweigpraxis. Dass die Praxisanschrift nicht maßgebend sein kann, ergebe sich aus dem Wortlaut des § 24 Abs. 1 S.1 Ärzte–ZV, wonach die Versorgung „an dem Ort“ verbessert werden müsse. Ob damit der „weitere Ort“ die Ortschaft im räumlichen Sinne, die politische Gemeinde oder die nächst größere politische Einheit (z. B. „Verbandsgemeinde“ / Samtgemeinde“) meine, konkretisierte das BSG indes ausdrücklich nicht.
Die Entscheidung des BSG knüpft nahtlos an die bisherige Rechtsprechung des Gerichts zur Zulässigkeit einer Zweigpraxis an. Der Senat orientiert sich strikt am Wortlaut des § 24 Abs. 1 S. 1 Ärzte ZV und prüft, ob durch das geplante Leistungsangebot in der Zweigpraxis eine spürbare qualitative Verbesserung der Versorgung der Versicherten eintritt, und zwar unabhängig von formalen bedarfsplanerischen Erwägungen.
Insbesondere aus Sicht der Patienten ist eine solche Auslegung der Vorschrift zu begrüßen. Ihnen werden längere Wege erspart. Die Filialtätigkeit von Ärzten wird gefördert.
Daniela Spitz
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Mit Urteil vom 19. Juli 2016 (VI ZR 75/15) hat der BGH entschieden, dass Kliniken und Ärzte bei Verletzung einer Wahlarztvereinbarung durch den regelwidrigen Einsatz eines Wahlarztvertreters bei einem fehlerfreien Eingriff für postoperative Schäden selbst dann haften, wenn diese bei der Operation durch den Chefarzt ebenso eingetreten wären.
In dem zur Entscheidung vorliegenden Fall vereinbarten Patient und Klinik zur Durchführung einer Handoperation eine Chefarztbehandlung. Durchgeführt wurde die Operation jedoch von einem stellvertretenden Oberarzt, ohne dass hierzu in der Wahlleistungsvereinbarung eine ordnungsgemäße Absprache getroffen wurde. Die Operation selbst wurde lege artis ausgeführt. Postoperativ traten dann aber gesundheitliche Beeinträchtigungen an der Hand des Patienten auf.
Der BGH sprach dem Patienten einen Anspruch auf Schadensersatz zu. In der Operation durch den stellvertretenden Oberarzt liege ein rechtswidriger Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten. Eine Einwilligung in die Behandlung beziehe sich bei der Vereinbarung einer Chefarztbehandlung lediglich auf den konkreten Wahlarzt. Eine hypothetische Einwilligung in die Behandlung durch den stellvertretenden Oberarzt scheide aus, wenn der Wahlarztvertrag die Annahme ausschließe, dass der Patient eine wirksame Zustimmung zum Eingriff auch durch einen anderen Arzt erteilt hätte.
Die strengen Anforderungen an die Einwilligung in eine ärztliche Behandlung begründet der BGH mit den bedeutenden Rechtsgütern der körperlichen Integrität und des Selbstbestimmungsrechts des Patienten, die durch einen Heileingriff betroffen werden. Willige der Patient lediglich in die Behandlung durch einen konkreten Arzt ein, wolle er die Risiken der Behandlung hierdurch minimieren. Risiken, die durch die Behandlung eines anderen Arztes entstehen, seien vom Patienten dann nicht gebilligt, weshalb eine Vertretung des Wahlarztes ohne Zustimmung des Patienten nicht in Betracht komme.
Aufgrund der sich auf den Chefarzt beschränkenden Einwilligung zur Vornahme des Heileingriffs könne dem Patienten auch nicht entgegengehalten werden, dass postoperative Schäden genauso auch bei der Operation durch den Wahlarzt eingetreten wären (sog. Einwand des rechtmäßiges Alternativverhaltens). Andernfalls bliebe der rechtswidrige Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten, der durch die Behandlung durch einen Dritten begründet ist, sanktionslos. Daher schließe der Schutzzweck des Einwilligungserfordernisses bei ärztlichen Heileingriffen den Einwand auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten aus.
Mit der Entscheidung führt der BGH seine seit 2014 zunehmend restriktive Rechtsprechung zu Wahlarztvereinbarungen fort. Die Besonderheit des vorliegenden Falls ist die konsequente Übertragung dieser Rechtsprechung auf das Haftungsrecht.
Schon bisher hat der BGH den Kreis der Wahlärzte i. S. v. § 17 Abs. 3 S. 1 KHEntgG sehr weitgehend zu Lasten der Krankenhäuser eingeschränkt und dabei im Lichte des Gebots der persönlichen Leistungserbringung auch die Fälle der Vertretung stark reglementiert hat. Das aktuelle Urteil unterstreicht dies noch einmal. So wird man zukünftig davon ausgehen müssen, dass bei einer nicht ordnungsgemäßen Wahlarztvereinbarung und Ausführung der Wahlleistungen nicht nur der Vergütungsanspruch wegen Verstoßes gegen § 17 Abs. 3 S. 1 KHEntgG entfällt. Vielmehr wertet der BGH ein insofern regelwidriges Vorgehen als Missachtung des Patientenwillens und kommt damit zu zivilrechtlichen Haftungsansprüchen und ggf. sogar strafrechtlichen Sanktionen.
Für die Patientenseite folgt daraus, dass ggf. auch formale Fehler bei der Vereinbarung oder Ausführung von Wahlleistungen in Arzthaftungsfällen dazu führen können, dass mangels Einwilligung die Beweisführung bzgl. etwaiger Behandlungsfehler erheblich erleichtert wird.
Krankenhausträger zwingt das Urteil zu einer nochmals gesteigerten Aufmerksamkeit bei Wahlleistungsangeboten: Dies gilt bereits beim Abschluss von Wahlarztvereinbarungen im Hinblick auf die Einhaltung der notwendigen Formalien und setzt sich fort bei der tatsächlichen Leistungserbringung. Die Lage verschärft sich durch die mittlerweile fast unübersichtlichen Vorgaben der Rechtsprechung zur Wahlleistungsvereinbarung.
Beachtung finden sollte das Urteil auch bei solchen Klinikträgern, die § 17 Abs. 3 S. 1 KHEntgG nicht unmittelbar unterfallen (bspw. Akutkliniken außerhalb des Anwendungsbereichs des KHEntgG oder Rehabilitationskliniken). Der BGH nimmt in seinem Urteil nicht ausdrücklich nur auf Fälle des § 17 Abs. 3 S. 1 KHEntgG Bezug. Er argumentiert mit den Grundsätzen der Einwilligung, die bei jeder klinischen Behandlung zur Anwendung kommen, und damit in praktisch jedem Fall einer Wahlleistungsvereinbarung.
Dr. Hendrik Bernd Sehy
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Nach langwierigem Tauziehen innerhalb der Großen Koalition wurde nunmehr endlich die Novelle des AÜG verabschiedet. Mit ihrem Inkrafttreten zum 1. April 2017 bringt die Reform einige Neuerungen mit sich. Hat sich das Warten gelohnt? Wie viel Klarheit bringt die Reform tatsächlich?
Im Folgenden werden die für den Krankenhausbereich praxisrelevanten Änderungen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen und Handlungsempfehlungen vorgestellt.
Praktische Schwierigkeiten hatte in der Praxis bisher bereitet, dass eine Überlassung nur „vorübergehend“ erfolgen durfte (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG a.F.). Die Auslegung dieses Begriffes war mit großer Rechtsunsicherheit behaftet. Zudem war unklar, ob auf den individuellen Arbeitnehmer oder auf den konkreten zu besetzenden Arbeitsplatz abzustellen war.
Diese Unklarheit wurde nunmehr beseitigt. Wie erwartet wurde die gesetzlich grundsätzlich zulässige Überlassungshöchstdauer in § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG n.F. nunmehr auf 18 Monate festgelegt. Abweichungen von dieser Höchstdauer durch Kollektivvereinbarungen sind möglich. Klargestellt wurde weiterhin dass es dabei auf die Einsatzdauer des individuellen Arbeitnehmers und nicht auf den zu besetzenden Arbeitsplatz ankommt. Dadurch wird es dem Entleiher ermöglicht, einen Arbeitsplatz dauerhaft mit Leiharbeitnehmern, aber eben mit verschiedenen Personen, zu besetzen.
Bei der Berechnung der zulässigen Überlassungshöchstdauer ist zu beachten, dass mehrere Einsätze desselben Leiharbeitnehmers bei demselben Entleiher zusammengerechnet werden. Andererseits beginnt die Frist neu zu laufen, falls zwischen den Einsätzen jeweils drei Monate liegen (vgl. § 1 Abs. 1b AÜG n.F.). Stichtag für die Einhaltung 18-Monats-Frist ist der 1. April 2017. Vorherig geleistete Überlassungszeiten bleiben unberücksichtigt – die Uhr läuft also neu.
Neu geschaffen hat der Gesetzgeber die sog. Festhaltenserklärung. Wurde eine solche wirksam durch den Leiharbeitnehmer abgegeben – erklärt er also ausdrücklich, an dem Arbeitsverhältnis mit seinem Vertragsarbeitgeber, dem Verleiher, trotz Verstoßes gegen das AÜG festhalten zu wollen, greift die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher nach §§ 9, 10 AÜG n.F. (z.B. wegen Verletzung der zulässigen Überlassungshöchstdauer nach § 1 Abs. 1b AÜG n.F.) nicht ein.
Die Wirksamkeitsvoraussetzungen für eine Festhaltenserklärung sind extrem streng. Entleihende Häuser sollten hier unbedingt beachten, dass eine Festhaltenserklärung in keinem Fall vor Beginn der Überschreitung der Überlassungshöchstdauer wirksam erklärt werden kann. Durch die notwendige Überprüfung durch die Agentur für Arbeit ist der administrative Aufwand einer wirksamen Erklärung auch hoch. Ob das gleiche Ergebnis nicht auch auf anderem rechtstechnischen Weg, wie z.B. einer Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses durch den Leiharbeitnehmer, erreicht werden kann, ist fraglich. Deshalb sollte bei einer absehbaren Überschreitung der Überlassungshöchstdauer eine frühzeitige Absprache mit dem überlassenen Leiharbeitnehmer wie auch dem Verleiher erfolgen, wenngleich die Abgabe der Erklärung erst nach der Überschreitung möglich ist. Eine vertragliche Verpflichtung zur (späteren) Abgabe der Festhaltenserklärung kann allerdings nicht wirksam begründet werden.
Von besonderer praktischer Relevanz ist die Regelung in § 1 Abs. 1b a.E. AÜG n.F., wonach Kirchen und öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften eine abweichende Überlassungshöchstdauer festlegen können. Es kann also auch eine längere Überlassungszeit als 18 Monate für den Einsatz des individuellen Leiharbeitnehmers vorgesehen werden.
Die Neuregelungen für Krankenhäuser in regulärer öffentlich-rechtlicher Trägerschaft gehen sogar noch einen Schritt weiter. § 1 Abs. 3 Nr. 2c AÜG bestimmt insoweit, dass das AÜG und damit auch die Überlassungshöchstdauer von grundsätzlich 18 Monaten nach § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG keine Anwendung findet. Bei diesen Krankenhäusern ist also eine dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung (Personalgestellung) zulässig. Voraussetzung ist dafür lediglich, dass dies in den jeweils anwendbaren Tarifwerken auch vorgesehen ist.
Weiterhin treibt die Änderung des AÜG die Gleichstellung von Leiharbeitnehmern und regulären Arbeitnehmern voran. Zum einen sind Leiharbeitnehmer gleich zu vergüten und gleich zu behandeln (vgl. § 8 Abs. 2 , Abs. 4 S. 1 AÜG n. F. / equal pay and equal treatment). Zum anderen zählen Leiharbeitnehmer betriebsverfassungsrechtlich im Betrieb des Entleihers ebenso wie regulär Beschäftigte (vgl. §14 Abs. 2 AÜG n. F).
Verletzungen der Vorgaben des AÜG sind empfindlich sanktioniert, so dass der Einhaltung der Vorgaben besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte:
1 Wird die zulässige Überlassungshöchstdauer überschritten, kann dies mit einer Geldbuße von bis zu EUR 30 000 geahndet werden. Außerdem kommt es zu einer Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zu dem Entleiher (vgl. §§ 9, 10 AÜG n.F.).
2) Gleiches gilt, wenn der Entleiher die AÜ im jeweiligen Vertragswerk nicht ausdrücklich kennzeichnet und die konkret eingesetzten Leiharbeitnehmer nicht schriftlich benennt (vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 1c AÜG n.F., sog. Etikettierungspflicht). Darauf ist bei der Vertragsgestaltung also besonderes Augenmerk zu richten.
3) Im Streikfall darf der Entleiher nicht auf Leiharbeitnehmer zurückgreifen. Hier liegt das Bußgeld sogar bei EUR 500 000 (vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 8a AÜG n.F.).
Ob sich das Warten auf die AÜG-Reform gelohnt hat, liegt wohl im Auge des Betrachters. Feststeht, dass sie Klarheit bzgl. der zulässigen Überlassungshöchstdauer bringt, indem eine fixe zeitliche Höchstgrenze statt des unbestimmten Begriffs der nur vorübergehenden Überlassung definiert. Ein neues Praxisproblem ist aber sicherlich durch die Einführung des dogmatischen Fremdkörpers der Festhaltenserklärung geschaffen worden.
Dr. Eva Maria K. Rütz, LL.M.
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Identitätsstiftend für den Betrieb eines Rettungsdienstes sind nicht ausschließlich die materiellen Betriebsmittel. Allerdings wird die Identität eines Rettungsdienstes auch durch die Fahrzeuge entscheidend mitgeprägt.
Die Klägerin war zunächst als Rettungsassistentin bei einem Verein beschäftigt, der den Rettungsdienst für den beklagten Landkreis absicherte und hierzu vier Rettungswachen betrieb. Ende 2010 entschied sich der Landkreis, den Rettungsdienst ab Juni 2011 selbst durchzuführen. Er kündigte mit dem Verein bestehende Mietverträge über die Rettungswachen, bestellte neue Rettungsfahrzeuge und schrieb die Stellen des Rettungsdienstes neu aus. Aus 70 Bewerbern wählte der Landkreis neben den zuvor beim Verein tätigen 41 Beschäftigten ca. zehn neue Beschäftigte aus, um ein verändertes Schichtmodell durchführen zu können. Er schloss mit allen Beschäftigten einschließlich der Klägerin neue Arbeitsverträge ab, die von denen des Vereins inhaltlich teilweise zum Nachteil der Arbeitnehmer abwichen. Ab Juni 2011 übernahm der Landkreis die Rettungswachen des Vereins, setzte aber neu beschaffte Fahrzeuge ein. Die bisherigen Rettungsfahrzeuge des Vereins übernahm der Landkreis – anders als die Einrichtungsgegenstände der Rettungswachen – nicht.
Die Klägerin hat geltend gemacht, der beklagte Landkreis sei im Wege des Betriebsübergangs nach § 613a BGB in die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverträgen mit dem Verein eingetreten. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen.
Das BAG hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen und festgestellt, dass das vormalige Arbeitsverhältnis zwischen ihr und dem Verein nicht im Wege eines Betriebsübergangs auf den Landkreis übergegangen ist:
Ein Betriebs(teil)übergang nach § 613 a BGB liegt vor, wenn bei einem Arbeitgeberwechsel der neue Inhaber eine auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt. Dies muss anhand einer Gesamtbewertung sämtlicher den Vorgang kennzeichnenden Tatsachen und darf nicht durch Betrachtung isolierter Teilaspekte beurteilt werden. Insbesondere auf folgende Kriterien ist dabei abzustellen:
Den Kriterien kommt je nach Art des Betriebs unterschiedliches Gewicht zu. Die Identität eines Rettungsdienstbetriebes wird u. a. geprägt durch das Rettungspersonal, das aufgrund seiner spezialisierten Ausbildung für eine ordnungsgemäße Durchführung des Rettungsdienstes unverzichtbar ist. Hierauf weist das BAG in Abgrenzung zu älteren Entscheidungen ausdrücklich hin, betont gleichzeitig aber, dass den Rettungsfahrzeugen wegen deren spezieller medizintechnischer Ausstattung neben dem Personal und der Rettungswache identitätsbestimmende Wirkung zukommt. Mit dieser Begründung und unter Hinweis auf die Tatsache, dass der beklagte Landkreis den Rettungsdienst mit neuen Fahrzeugen durchführt, lehnt das BAG einen Betriebsübergang im entschiedenen Fall ab.
Das BAG knüpft an bestehende Grundsätze des Betriebsübergangs an und entwickelt seine diesbezügliche Rechtsprechung fort. Auf den ersten Blick scheint die Entscheidung speziell für den Bereich von Rettungsdiensten zugeschnitten zu sein. Bei genauerer Betrachtung lässt sich jedoch auch eine branchenübergreifende Botschaft herauslesen: Sofern wesentliche Assets für die Aufrechterhaltung bzw. Fortführung eines Betriebs unverzichtbar sind, dürfte ein Betriebsübergang regelmäßig ausgeschlossen sein, wenn sie im Zuge eines Arbeitgeberwechsels z. B. infolge einer Unternehmensveräußerung nicht auf den Erwerber übertragen werden. Die Rechtsfolgen von § 613 a BGB dürften in diesem Fall insbesondere auch nicht durch Übernahme der Hauptbelegschaft auszulösen sein.
Robert Pacholski
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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) soll einen langjährigen Streit über die Arbeitgeberkündigung eines wiederverheirateten Chefarztes an einem katholischen Krankenhaus entscheiden.
Zugrunde liegt das Kündigungsschutzverfahren eines katholischen Chefarztes, der seit dem Jahr 2000 bei der institutionell mit der römisch-katholischen Kirche verbundenen Trägerin mehrerer Krankenhäuser beschäftigt war. Dem Dienstvertrag war die so genannte Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 23. September 1993 (GrO 1993) zugrunde gelegt. Diese bestimmt, dass der Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß darstellt.
Nach seiner Scheidung heiratete der Chefarzt im Jahr 2008 ein zweites Mal standesamtlich. Nachdem die Arbeitgeberin Kenntnis hiervon erlangt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis ordentlich mit der Begründung, er – der Chefarzt – habe schwerwiegend gegen ihm obliegende Loyalitätspflichten verstoßen. Aufgrund seiner Position sei er als leitender Mitarbeiter anzusehen. Nach Maßgabe der GrO 1993 schließe dieser Umstand eine Weiterbeschäftigung des Chefarztes im Falle eines Loyalitätsverstoßes grundsätzlich aus. Die Vorinstanzen haben der Klage des Chefarztes jeweils stattgegeben. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat das die Revision der beklagten Krankenhausträgerin zurückweisende Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Jahr 2014 aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Aus Sicht des BVerfG hat das BAG die verfassungsgemäße Rolle der Kirchen nicht ausreichend berücksichtigt.
Das BAG hat dem EuGH nun die Frage vorgelegt, ob Kirchen nach dem Unionsrecht bei einem an Arbeitnehmer in leitender Stellung gerichteten Verlangen nach loyalem und aufrichtigem Verhalten unterscheiden dürfen zwischen Arbeitnehmern, die der Kirche angehören, und solchen, die einer anderen oder keiner Kirche angehören.
Ob bzw. inwieweit Verstöße gegen die Glaubens- und Sittenlehre oder sonstige Bestimmungen einer kirchlichen oder anderen Glaubensgemeinschaft die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen können, wird seit langem kontrovers diskutiert. Je näher ein Arbeitnehmer dem so genannten Verkündungsbereich der Kirche bzw. Glaubensgemeinschaft steht und je mehr die Vermittlung von deren Glaubens- und Sittenlehre als Teil seiner Arbeitspflichten anzusehen ist, desto stärker kann von ihm nach zunehmend vertretener Ansicht Loyalität in Bezug auf selbstbestimmte Regelungen der Einrichtung gefordert werden. Insbesondere bei Vorgesetzten ist es berechtigt, aufgrund von deren Vorbildcharakter ein gesteigertes Maß an Loyalität zu verlangen.
In dem nun dem EuGH vorgelegten Fall rückt das BAG eine weitere Frage in den Mittelpunkt: Ist es mit unionsrechtlichen Grundsätzen vereinbar, wenn eine Kirche bei der Aufstellung und Durchsetzung interner Verhaltensregeln Unterschiede macht zwischen Arbeitnehmern, die der Kirche angehören, und solchen, die einer anderen oder keiner Kirche angehören? Der klagende katholische Chefarzt hatte eingewandt, dass er gegenüber evangelischen Kollegen benachteiligt werde, da bei diesen nach den Bestimmungen der GrO 1993 eine Wiederverheiratung ohne arbeitsrechtliche Folgen bleibt.
Die Frage nach der Gleichbehandlung hat für die Praxis eine erhebliche Bedeutung. Denn längst arbeiten insbesondere in vielen kirchlichen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen Angehörige unterschiedlicher Konfessionen sowie Menschen ohne Konfession zusammen. Wünschenswert ist daher die Klärung, ob an die Angehörigen der eigenen Glaubensrichtung strengere Maßstäbe gestellt werden dürfen als an die übrigen Arbeitnehmer. Unabhängig davon, wie sich der EuGH in diesem konkreten Fall positionieren wird, ist damit zu rechnen, dass die Entscheidung Signalwirkung auch für die umgekehrte Frage, inwieweit kirchliche Arbeitgeber die Angehörigen der eigenen Glaubensrichtung gegenüber anderen Arbeitnehmern besser stellen dürfen, entfalten wird. Zudem dürften diesbezügliche Feststellungen des EuGH nicht nur kirchliche Häuser betreffen, sondern Auswirkungen auch auf andere Glaubensgemeinschaften haben.
Robert Pacholski
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Der EuGH hat mit Urteil vom 19. Oktober 2016 (Az.: C-148/15) die Vorlagefragen des OLG Düsseldorf dahingehend beantwortet, dass die Festlegung einheitlicher Abgabepreise wie die deutsche Preisbindung eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung gem. Art. 34 AEUV darstelle und dadurch der Marktzugang für in anderen Ländern ansässige Apotheken erschwert werden würde.
Der den Vorlagefragen zugrunde liegende Fall betraf eine Vereinbarung zwischen einer Selbsthilfeorganisation von Parkinson-Patienten (DPV) mit der niederländischen Versandapotheke Doc Morris, die vorsah, dass Mitglieder des DPV von Doc Morris verschreibungspflichtige Parkinson-Medikamente durch ein Bonussystem günstiger beziehen können. Das Landgericht Düsseldorf hatte daraufhin einer Unterlassungsklage der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. (ZBUW) stattgegeben, da das Bonussystem gegen die Regelung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises für verschreibungspflichtige Medikamente verstoße. Der DPV legte hiergegen Berufung vor dem OLG Düsseldorf ein (Az.: I-20 U 149/13), welches den EuGH anrief.
Der EuGH argumentiert, dass der Versandhandel gerade für ausländische Apotheken das entscheidende Instrument für einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt sei. Die deutschen Apotheken hätten durch die Möglichkeit der Beratung vor Ort einen Vorteil gegenüber Versandapotheken.
Zudem sieht der EuGH keine ausreichende Rechtfertigung einer solchen Beschränkung durch Gründe des Gesundheits- und Lebensschutzes. Vielmehr könne ein Preiswettbewerb unter den Apotheken die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln fördern, indem durch höhere Preise in dünn besiedelten Regionen Anreize zur Niederlassung von Apotheken gesetzt werden könnten. Ein Rückgang der Präsenzapotheken ohne die Preisbindung sieht der EuGH ebenfalls als unbegründet an und verweist auf andere Wettbewerbsfaktoren, die die Konkurrenzfähigkeit von Präsenzapotheken erhalten könnten. Betont werden auch die Vorteile, die der Patient durch möglicherweise günstigere Preise haben könnte.
Das Urteil des EuGH hat damit den Preiswettbewerb für Arzneimittel nachhaltig eröffnet. Trotz des bereits bekannten Schlussantrags des Generalanwalts, dem sich der EuGH mit seinem Urteil angeschlossen hat, überrascht die deutliche Absage gegenüber der deutschen Gesetzeslage.
Folgen für den Apothekenmarkt
Zunächst betrifft das Urteil aber nur die Preisbindung für Apotheken anderer Mitgliedstaaten. Inländische Präsenz- und Versandapotheken bleiben an die einheitlichen Abgabepreise gebunden.
Offen bleibt, wie der deutsche Gesetzgeber mit der europäischen Absage an die Preisbindung umgehen wird. Auf nationaler Ebene bestehen zahlreiche Lösungsansätze:
Als weitgehender Ansatz wird erwogen, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln insgesamt zu verbieten, mit der Unsicherheit, dass der EuGH nun auch dem eine Absage erteilen könnte. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde vom Gesundheitsministerium angekündigt. Dies hätte zur Folge, dass die Versorgung ausschließlich über öffentliche Apotheken, die an das Arzneimittelpreisrecht gebunden sind, erfolgen würde.
Ein alternativer Vorschlag geht dahin, möglichst den Großteil der europäischen Versandapotheken in den Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung gem. § 129 Abs. 2 SGB V zu integrieren, um somit eine freiwillige Verpflichtung zur Preisbindung zu erreichen. Angesichts des vorliegenden EuGH-Urteils dürfte indes fraglich sein, ob die europäischen Versandapotheken diesen Weg freiwillig mitgehen.
Schließlich wird auch eine Kopplung des einheitlichen Abgabepreises an die Erstattung von Arzneimitteln diskutiert, um damit die Preisbindung zukünftig sozialrechtlich zu regeln.
Im Ergebnis ist nun der Gesetzgeber aufgerufen, eine europarechtlich konforme, praxistaugliche Lösung auf nationaler Ebene umzusetzen. Ob dies zu der für den nationalen Apothekenmarkt ggf. verheerenden Folge einer völligen Aufgabe der Preisbindung auch in Deutschland folgt, ist bisher nicht absehbar, aber auch nicht auszuschließen. Zwar wären auch nationale Apotheken dann frei, in den Preiswettbewerb einzutreten; fraglich ist aber, ob die Vielzahl kleiner Apotheken diesem Wettbewerb folgen kann, ohne dass es zu einer Preisgabe der derzeit noch flächendeckenden Versorgung käme.
Dr. Hendrik Bernd Sehy
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Die Muster-Klage des Bundesverbands Deutscher Privatkliniken gegen die Finanzierung öffentlicher Krankenhäuser ist gescheitert. Der BGH hat entschieden, dass die weit verbreitete Defizit-Finanzierung mit dem EU-Beihilfenrecht vereinbar ist, wenn ein fachmännisch gestalteter Betrauungsakt vorliegt. Dieser muss Sonderaufgaben nicht detailliert definieren, wenn der Krankenhausträger einem Sicherstellungsauftrag unterliegt und sein Krankenhaus in einen Krankenhausplan aufgenommen ist. Zur Rechtslage ohne Sicherstellungsauftrag sagt das BGH-Urteil nichts.
Viele Krankenhäuser weisen Jahresverluste aus. Öffentlich-rechtliche Träger gleichen diese Defizite in der Regel aus, oft über etliche Jahre. Ebenso unterstützen öffentlich-rechtliche Träger ihre Krankenhäuser mit Zuschüssen oder Sicherheiten, wenn sie größere Investitionen wie etwa den Bau eines Bettenhauses nicht mit eigenen Mitteln stemmen können. So war es auch in dem der Klage zugrunde liegenden Fall: Zum einen hatte der Kreistag beschlossen, die handelsrechtlichen Verluste der Kreiskliniken Calw jährlich auszugleichen. Zum anderen übernahm der Kreis ohne Gegenleistung Ausfallbürgschaften zur Absicherung von Darlehen, die die Kliniken zur Finanzierung von Investitionsmaßnahmen aufgenommen hatten oder aufzunehmen beabsichtigten. Schließlich gewährte der Kreis den Kliniken Investitionszuschüsse für Zinszahlungen aus Investitionskrediten.
Der Bundesverband Deutscher Privatkliniken klagte auf Unterlassung. Das LG Tübingen wies die Klage ab, die Berufung war ebenfalls erfolglos. Der BGH hat das OLG-Urteil teilweise aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverweisen.
Die für die meisten öffentlichen Krankenhäuser wesentlichen und für sie erfreulichen Aussagen stehen mit dem BGH-Urteil aber bereits fest.
Rechtlicher Anknüpfungspunkt war ein Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 UWG. Entscheidende Voraussetzung war, ob der beklagte Landkreis bei der Unterstützung seiner Kliniken „einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt(e), die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln“ (§ 3 a UWG). Diese Vorschrift ist Art. 108 Abs. 3 Satz 3 EUV.
Sie – das beihilfenrechtliche Durchführungsverbot – stand im Mittelpunkt des Streits.
Die Gewährung staatlicher Beihilfen muss der Mitgliedstaat bei der Europäischen Kommission zur Genehmigung anmelden. Solange die Genehmigung nicht erteilt ist, darf der Mitgliedstaat die Beihilfe nicht durchführen. Das Durchführungsverbot hat sich bereits in anderen zivilrechtlichen Auseinandersetzungen als scharfes Schwert erwiesen, weil es ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB ist, das jedenfalls grundsätzlich zur Nichtigkeit führt und Dritten einen Anspruch auf Auskunft, Beseitigung, Unterlassung und Schadensersatz gewährt. Auf solch einen Verstoß hatte die Klägerin gesetzt.
Notwendige Voraussetzungen eines Vorstoßes sind das Vorliegen einer Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV und die fehlende Genehmigung der Kommission.
Das OLG Stuttgart hatte offen gelassen, ob der Tatbestand der Beihilfe erfüllt war, weil es von einer Genehmigung der Maßnahmen durch die Kommission ausging (5.2.). Der BGH sah dies hinsichtlich der Jahresfehlbeträge aus den Jahren 2012 und 2013 anders. Das OLG hat nun zu entscheiden, ob insoweit ein bestimmtes Unternehmen aus staatlichen Mitteln begünstigt wurde, diese Begünstigung den Wettbewerb verfälschen kann und den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt. Eine Begünstigung ist auszuschließen, wenn sich der Kreis unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Maßnahmen verfügbaren Informationen so verhalten hat, wie es ein marktwirtschaftlich handelnder Wirtschaftsbeteiligter in ähnlicher Lage getan hätte (Market Economy Operator Test, auch Private Investor Test genannt). Dafür kommt es auf faktische Umstände an, die im BGH-Urteil nicht oder nicht ausreichend genannt werden. Größere Zweifel wird man jedoch daran haben können, ob der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt sein kann. Der BGH verwies dazu auf mehrere Entscheidungen der Europäischen Kommission, sämtlich vom 29. April 2015, von denen mehrere Krankenhaus-Finanzierungen betrafen. Diese und andere Entscheidungen, die jeweils eine Binnenmarktwirkung verneinten, fasste die Kommission in einer Pressemittelung zusammen, die allgemein als Ermutigung verstanden wird, dieses in der Vergangenheit zuweilen leichtfertig bejahte Tatbestandsmerkmal genau zu prüfen. Ein Blick auf die Landkarte und die im Internet genannten Leistungen der Kreiskliniken Calw legen nah, dass es an der Binnenmarktwirkung wohl fehlen dürfte, das OLG daher den Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV vermutlich verneinen wird.
Sehr viele Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft werden in einer ähnlichen Lage sein. Ihren Trägern bleibt es natürlich unbenommen, vorsorglich Betrauungsakte zu erlassen, insbesondere weil nach dem BGH-Urteil eine recht große Flexibilität besteht.
Liegt hingegen eine Beihilfe vor, bedeutet dies nicht, dass sie überhaupt nicht gewährt werden darf. Vielmehr ist sie bei der Europäische Kommission zur Genehmigung anzumelden und darf vor einer solchen Genehmigung nicht durchgeführt werden. Um die individuelle Beihilfenprüfung eines jeden Falles zu vermeiden, hat die Kommission eine große Zahl abstrakt-genereller Regelungen erlassen, die von der Anmeldepflicht und dem Durchführungsverbot befreien. Für Krankenhäuser ist insbesondere der DAWI-Beschluss vom 20. Dezember 2011 von Bedeutung. Er setzt zum einen eine „Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ (DAWI) voraus (6.). Zum anderen sind die inhaltlichen Anforderungen des DAWI-Beschlusses einzuhalten. Dazu zählen insbesondere einige Angaben im Betrauungsakt, etwa wie die Einnahmen und Ausgaben ermittelt werden, die voraussichtlich auf die DAWI entfallen und aus denen sich der erforderliche Ausgleichsbetrag ergibt. In den lege artis gefertigten Betrauungsakten wird dazu auf die Jahreswirtschaftspläne des Krankenhauses Bezug genommen (7.). Das war im Fall Calw für die Jahre 2012 und 2013 allerdings nicht geschehen.
Aus der Perspektive der privaten Krankenhausbetreiber ist schwer verständlich, dass ihre öffentlich-rechtlichen Wettbewerber auf staatliche Mittel zugreifen dürfen, die ihnen verschlossen sind, obwohl das Beihilfenrecht bei einer unternehmerischen Tätigkeit der öffentlichen Hand durchgängig eine Finanzierung zu Marktbedingungen fordert – und kein privater Gesellschafter finanziert dauerhaft ein defizitäres Unternehmen. Genau dies aber ist nach Ansicht des BGH die entscheidende Differenzierung, die für eine beihilfenrechtliche Zulässigkeit spricht: Der Sicherstellungsauftrag (hier § 3 Abs. 1 LKHG BW) verbietet es dem Träger, wie ein Market Economy Operator zu handeln. Denn ungeachtet etwaiger Defizite muss der Träger die erforderlichen Krankenhauskapazitäten permanent vorhalten. Wenn also – wie in den meisten Fällen – den öffentlich-rechtlichen Träger ein Sicherstellungsauftrag trifft, er ein Krankenhaus betreibt und dieses im Krankenhausplan aufgenommen ist, sind nach Ansicht des BGH die Voraussetzungen einer DAWI erfüllt und Ausgleichsleistungen nach dem DAWI-Beschluss zulässig.
Der Betrauungsakt für die vom BGH als unkritisch betrachteten Jahre hielt sich eng an den Musterbetrauungsakt des Landkreistags Baden-Württemberg, das auch von unserer Kanzlei regelmäßig aus Ausgangspunkt für die Gestaltung von Krankenhaus-Betrauungsakten empfohlen wird. Dieses Muster ist durch das BGH-Urteil höchstrichterlich bestätigt worden. Nicht erforderlich ist daher, jedenfalls bei Vorliegen eines Sicherstellungsauftrags, eine sehr enge Beschreibung jeder einzelnen Aufgabe des Krankenhauses – ein Vorgehen, das mit Bezug auf das Urteil des EuG zu Brüsseler Krankenhäusern („CBI“) von anderen Kanzleien – aus unserer Sicht in der Regel ohne Not – empfohlen worden war. Diese sehr detaillierte Beschreibung hat die Finanzverwaltung teilweise zum Anlass genommen, in den mit dem Betrauungsakt übertragenen Aufgaben der Umsatzsteuer unterliegende Leistungen zu sehen. Damit fiel auf die Ausgleichszahlungen Umsatzsteuer an. Diesem Problem ist mit dem Urteil des BGH die Schärfe genommen.
Eine Hilfe im Einzelfall kann die Aussage des BGH sein, es genüge, wenn dem Betrauten die Pflicht zur getrennten Buchführung auferlegt werde. Stellt sich also im Laufe des Betrauungszeitraums heraus, dass der Betraute diese Pflicht nicht oder nur unzureichend erfüllt, könnte dieser Mangel also nachträglich behoben werden.
Dr. Helmut Janssen, LL.M. (London)
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Am 28. September 2016 veröffentlichte das BMF ein Schreiben, das steuerrechtlich Klarheit hinsichtlich der Umsatzsteuerbefreiung von Umsätzen von Krankenhausapotheken mit Zytostatika und allen für individuelle Behandlungen erzeugten Medikamenten bringt. Haftungsrechtlich geht mit dem Schreiben dagegen aufgrund der Steuerbefreiung die Gefahr einer Inanspruchnahme der Krankenhäuser durch die Krankenkassen auf Erstattung der Umsatzsteuer einher.
Entgegen dem Urteil des BFH vom 24. September 2014
(V R 19/11), hatte die Finanzverwaltung die ambulante Abgabe von Zytostatika durch eine Krankenhausapotheke bislang als umsatzsteuerpflichtige Leistung und damit grundlegend anders als die umsatzsteuerfreie Abgabe während der stationären Therapie im Krankenhaus behandelt. Angerufen durch den BFH, entschied der EuGH am 13. März 2014 (Rs. C-366/12), dass die Lieferung von Zytostatika umsatzsteuerfrei sein kann, wenn die Lieferung in tatsächlicher und wirtschaftlicher Hinsicht von der Hauptleistung der ärztlichen Heilbehandlung untrennbar ist.
Maßgeblich für das Vorhandensein eines solchen eng verbundenen Umsatzes ist es, dass die Verabreichung eines für den Patienten individuell hergestellten Arzneimittels zur Durchführung einer ambulanten Heilbehandlung im Krankenhaus zur Erreichung der damit verfolgten therapeutischen Ziele unentbehrlich ist. Ergänzend muss die Bereitstellung der patientenindividuellen Medikamente durch die Krankenhausapotheke des behandelnden Krankenhauses erfolgen.
Das BMF folgt in seinem Schreiben der BFH-Rechtsprechung und behandelt die Lieferung von Zytostatika bei Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen nunmehr als umsatzsteuerfrei.
Die Grundsätze des BMF-Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Für Umsätze, die vor dem 1. April 2017 ausgeführt werden, besteht ein Wahlrecht. Sie dürfen ohne Beanstandung der Finanzbehörden weiterhin als umsatzsteuerpflichtig behandelt werden, sodass unter den weiteren Voraussetzungen des § 15 UStG der Vorsteuerabzug aus den damit im Zusammenhang stehenden Eingangsleistungen geltend gemacht werden kann.
Krankenhäuser müssen jetzt genau prüfen, wo die in der Krankenhausapotheke hergestellten Medikamente eingesetzt werden. Beliefert eine Krankenhausapotheke fremde Krankenhäuser für die Behandlung, greift die Steuerbefreiung nach dem BMF-Schreiben bspw. nicht und es kommt zu umsatzsteuerpflichtigen Sachverhalten.
In sog. „Altfällen“ werden derzeit deutschlandweit Krankenhäuser von Krankenkassen angeschrieben und zur Rückerstattung der auf Zytostatika entrichteten Umsatzsteuer aufgefordert, obgleich in vielen dieser Fälle die steuerliche Behandlung seitens der Krankenhäuser bereits bestandskräftig geworden und damit eine Anwendung der neuen Verwaltungsgrundsätze ausgeschlossen ist. In diesem Zusammenhang ist auch die sozialgerichtliche Rechtsprechung zur Bindungswirkung gegenüber dem Krankenhaus ergangener bestandskräftiger Steuerbescheide im Verhältnis der Krankenhäuser zu den Krankenkassen zu berücksichtigen.
Ist die Steuerfestsetzung noch nicht bestandskräftig geworden, stellt sich die Frage, ob das Krankenhaus gegenüber der Krankenkasse verpflichtet ist, das ihm vom BMF-Schreiben für die Vergangenheit eingeräumte Wahlrecht gegenüber der Finanzverwaltung im Sinne der Umsatzsteuerfreiheit der Zytostatikaumsätze auszuüben, selbst wenn das für das Krankenhaus bedeutet, die in der Vergangenheit gezogene Vorsteuer berichtigen zu müssen. Hier sind die Träger also gut beraten, steuer- und medizinrechtliche Expertise einzuholen, um nicht vorschnell Rückerstattungszahlungen an die Krankenversicherungen auszulösen.
Ramona Hubracht, LL.M. Taxation
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Mehmet Dogan Dogruyol, LL.M.
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