Das Bundesverfassungsgericht erklärte im April 2021 das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung teilweise für nichtig, weil durch unzureichende Maßnahmen in den nächsten Jahren langfristig erhebliche Belastungen und Einschränkungen insbesondere für die zukünftige Generationen drohten. Knapp einen Monat später verpflichtete ein niederländisches Gericht in Den Haag einen der weltgrößten Ölkonzerne dazu, seine Treibhausgasemissionen bis 2030 drastisch zu senken. Das Gericht gab dem Unternehmen dabei ein genaues Reduktionsziel von einer Einsparung von 45 Prozent gegenüber dem Jahr 2019 vor und erklärte die Geschäftsführung für verantwortlich, diese Vorgabe auch gegenüber Lieferanten und Endabnehmern durchzusetzen. Wird Klimaschutz nunmehr hauptsächlich von Gerichten durchgesetzt?
Klimaklagen sind nur ein Zahnrad im weit verzweigten internationalen und europäischen Klimaschutz. Als grundlegendes völkerrechtliche Übereinkommen zum Klimaschutz sieht die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, die 1992 in Rio von 154 Staaten unterzeichnet wurde, als Ziel die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre vor. Konkretisiert wurde dieses allgemeine Ziel im Kyoto-Protokoll, das erstmals die Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen vorsah, und durch das Übereinkommen von Paris, das bis zum Jahr 2050 Treibhausgasneutralität erreichen will. Auf europäischer Ebene verpflichtet die EU-Klimaschutzverordnung Deutschland zur Minderung seiner Treibhausgasemissionen. Mit dem europäischen Grünen Deal wurde zudem ein Maßnahmenpaket für eine nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft in der Europäischen Union geschaffen, das so gut wie alle Lebensbereiche durchdringt und auf die Treibhausgasneutralität zur Mitte des Jahrhunderts hinwirkt.
In diesem Kontext werden Klimaklagen vermehrt erhoben, um vom Staat oder von Unternehmen die Einhaltung der Schutzziele und die Gewährleistung eines hohen Klimaschutzniveaus einzufordern. Wurden der Großteil der Klagen in der Vergangenheit noch abgewiesen, so gelangen seit einigen Jahren immer öfter Urteile in den Schlagzeilen, in denen Gerichte im Sinne der Kläger entscheiden und Regierungen oder Unternehmen zu mehr Klimaschutz verpflichten.
Klimaklagen sind dabei Ausdruck eines neuen Bewusstseins für den Klima- und Umweltschutz, das in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Wie sehr dieses Thema in die Öffentlichkeit gerückt ist, zeigt sich insbesondere am rasanten Aufstieg der Fridays for Future Bewegung. Die Klimaklagen fügen sich damit ein in die allgemeine Entwicklung zur Durchsetzung eines hohen Klimaschutzniveaus. Internationale, europäische und nationale Verträge und Gesetze schaffen den Rechtsrahmen, der immer mehr Klagen ermöglicht.
Klimaklagen haben zunächst keine direkten Auswirkungen auf Unternehmen und Privatpersonen. Wie andere Gerichtsentscheidungen binden sie grundsätzlich nur die Parteien des Rechtsstreits. Doch mittelbar können Klimaklagen auch weitergehende Bedeutung erlangen. Sie erzeugen Öffentlichkeit, nehmen Einfluss auf politische Prozesse und entfalten eine Signalwirkung für die Wirtschaft. Ihre Bedeutung reicht damit weit über die einzelnen Fälle hinaus.
Bei der sog. Klimaklage (im angloamerikanischen Raum auch Climate Change Litigation genannt) handelt es sich um ein Gerichtsverfahren, das meist von Bürgerinnen und Bürgern, sowie Nichtregierungsorganisationen betrieben wird. Streitgegenstand ist hierbei grundsätzlich immer der Klimawandel sowie Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel.
Klimaklagen sind häufig darauf gerichtet, Staaten zu klimabezogenen Handlungen zu verpflichten. Oftmals stützen sich die Klägerinnen und Kläger hierbei auf gesetzliche oder verfassungsrechtliche Normen, die sich nur mittelbar mit dem Klimawandel auseinandersetzen. Zudem sollen im Rahmen der Klimaklagen die verantwortlichen politischen Träger zur Einhaltung ihrer Aussagen und Versprechen verpflichtet werden. Einige Klägerinnen und Kläger setzen aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse Emissionen und den Klimawandel in Beziehung zueinander und versuchen somit Unternehmen in die Haftung zu nehmen, die in Kenntnis der Auswirkungen auf das Weltklima Emissionen erzeugen. Hierbei enthalten die Klagen meist konkrete Nachweise, dass bestimmte Emissionen die unmittelbare Ursache für bestimmte schädliche Auswirkungen auf unser Klima und insbesondere auf die Erderwärmung mit sich bringen. Eine Klimaklage kann auch darauf gerichtet sein, eine Haftung für Versäumnisse in der Klimaanpassung herbeizuführen. Außerdem kann in diesen Gerichtsverfahren der Grundsatz der staatlichen Treuhänderschaft für Gemeingüter (public trust doctrine) auf den Klimawandel angewandt werden. Dieser Grundsatz weist den Staaten Verantwortung für die Erhaltung der Integrität der Gemeinschaftsgüter in staatlicher Treuhänderschaft (public trust resources) für künftige Generationen zu.
Des Weiteren gibt es Gerichtsverfahren, die feststellen sollen, dass Umweltbelastungen Einzelpersonen und Gemeinschaften in die Migration treiben. Die überwiegenden Gerichtsverfahren, die den Klimawandel betreffen, fanden vor Gerichten der Industrieländer der nördlichen Hemisphäre sowie in Australien und Neuseeland statt.
Häufig sind bei sog. Klimaklagen zwischen den Streitbeteiligten im Besonderen die Justiziabilität, die Quellen der Klimaverpflichtungen sowie die Abhilfemaßnahmen strittig.
David Markell und J.B. Ruhl haben das voranstehende zusammengefasst und eine greifbare Definition entwickelt, die auch von den Vereinten Nationen verwendet wird ((Markell/Ruhl in: An empirical assessment of climate change in the courts, Florida Law Review, Vol. 64, 2012, 15 (27); Umweltprogramm der Vereinten Nationen, Klimawandel vor Gericht – ein globaler Überblick, Mai 2017, S. 10). Danach sind Klimaklagen jegliches administrative oder gerichtliche Verfahren auf Bundes-, bundesstaatlicher, Stammes- oder lokaler Ebene, in dem die gerichtliche Entscheidung direkt und ausdrücklich eine tatsächliche oder rechtliche Frage bezüglich des Wesens oder der Politik zu Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels behandelt. Klimaklagen können damit sowohl gegen den Staat als auch gegen Unternehmen gerichtet sein.
Die Klimaklagen können unterschiedliche Zielsetzungen haben. Teilweise werden konventionelle Abhilfemaßnahmen angestrebt. Zu diesen gehören etwa die gerichtliche Feststellung der Illegalität bestimmter Handlungen oder auch aktive Vorsorgemaßnahmen gegen drohende Schäden durch die Änderung des Erdklimas. Auch liegt eine Motivation der Klimaklagen in der Verpflichtung des Staates zu mehr Klimaschutz. Ferner sind Haftungsfragen und Schadensersatzforderungen eine Motivation für Klimaklagen.
Unkonventionelle Abhilfemaßnahmen wären etwa Verfügungen mit dem Ziel, grundlegende Eigenschaften der nationalen Energie- und Verkehrspolitik zu verändern. Sowohl staatliche als auch private Akteurinnen und Akteure sollen wegen ihrer Verpflichtung zum Klimaschutz zur Rechenschaft gezogen werden.
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