06.10.2023
Vergangenen Freitag hat die 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“) – das sog. „Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz“ – den Bundesrat passiert. Dieser hat sich dagegen entschieden, die verbleibenden Bedenken der Unternehmensverbände und zahlreicher Expertinnen und Experten (siehe unsere Kommentare zum ursprünglichen Entwurf hier und hier) aufzugreifen und den Vermittlungsausschuss anzurufen. Damit steht der 11. GWB-Novelle, die von den Sachverständigen im Wirtschaftsausschuss des Bundestags noch äußerst konträr diskutiert worden war, nichts mehr im Wege: Sie wird am Tag nach ihrer Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt, die für die kommenden Wochen erwartet wird, in Kraft treten.
Nach der Zielsetzung des für das Gesetzesvorhaben federführend verantwortlichen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz („BMWK“) sollen die nun beschlossenen Änderungen für „mehr Wettbewerb auf vermachteten Märkten“ sorgen. Bundeswirtschaftsminister Habeck spricht von der „größten Reform [des Kartellrechts] seit Ludwig Erhard“. Das Kartellrecht erhalte durch die Neuerungen die „Klauen und Zähne“, die es brauche, um die Wettbewerbssituation in „vermachteten und verkrustetet Sektoren mit strukturellen Problemen“ zu verbessern.
Der Gesetzentwurf wurde im Laufe des Gesetzgebungsprozesses mehrfach überarbeitet. Im Vergleich zum ursprünglichen Regierungsentwurf enthält die jetzt angenommene Fassung eine Reihe von Klarstellungen und zusätzliche Verfahrensgarantien. Ob diese tatsächlich dabei helfen werden, zukünftige Untersuchungs- und Eingriffsmaßnahmen des Bundeskartellamts transparent und angemessenes zu gestalten, wird sich zeigen.
In jedem Fall handelt es sich wohl um eine wegweisende Reform des Kartellrechts.
Bisher dienten Sektoruntersuchungen dazu, die Strukturen und Wettbewerbsbedingungen in bestimmten Wirtschaftszweigen zu untersuchen und zu analysieren. Im Vordergrund stand die Informationsgewinnung des Bundeskartellamts und die Schaffung einer Datengrundlage für die mögliche Einleitung weiterer Verfahren. Viele dieser Untersuchungen hatten bzw. haben eine lange Verfahrensdauer. Ihren Abschluss fanden sie bisher regelmäßig in einem Bericht des Bundeskartellamts, weitere unmittelbare Folgen waren nicht vorgesehen – insbesondere richteten sich die Marktstudien nicht gegen einzelne Unternehmen. Wenn das Bundeskartellamt ein wettbewerbswidriges Verhalten (vermutete), konnte es bislang zwar Einzelverfahren gegen die betroffenen Unternehmen einleiten, jedoch dies nur mit der vollen Beweislast und den "gewöhnlichen" Maßnahmen, um sie zu stoppen.
Das ändert sich jetzt:
Nach wie vor steht es im Ermessen des Bundeskartellamts, eine Sektoruntersuchung durchzuführen, wenn „Umstände vermuten [lassen], dass der Wettbewerb im Inland möglicherweise eingeschränkt oder verfälscht ist“ (§ 32e Abs. 1 GWB). Neu ist, dass nun die Monopolkommission Empfehlungen für die Durchführung von Sektoruntersuchungen aussprechen kann (§ 44 Abs. 4 GWB) – diese sind zwar nicht verbindlich, allerdings muss das Bundeskartellamt eine Stellungnahme abgeben, wenn es einer solchen Empfehlung nicht folgt. Die Sektoruntersuchung „soll“ nach der neu in § 32e Abs. 3 GWB eingefügten Beschleunigungsvorschrift innerhalb von 18 Monaten abgeschlossen werden und das Bundeskartellamt wird verpflichtet, einen Bericht über die Ergebnisse zu veröffentlichen (zuvor handelte es sich lediglich um eine „kann“-Regelung).
Spannend ist aber vor allem der neu hinzu gekommene § 32f GWB, der dem Bundeskartellamt weitreichende Eingriffsbefugnisse im Anschluss an die Sektoruntersuchung einräumt:
Zum einen kann das Bundeskartellamt gem. § 32f Abs. 2 GWB einzelne Unternehmen für einen Zeitraum von drei Jahren dazu verpflichten, jeden Zusammenschluss in dem untersuchten Wirtschaftszweig anzumelden, wenn „objektiv nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch künftige Zusammenschlüsse der wirksame Wettbewerb (…) erheblich behindert werden könnte“.
Erfasst werden hierbei nur Zusammenschlüsse, bei denen der Erwerber im letzten Geschäftsjahr Inlandsumsätze von mehr als EUR 50 Mio. und das zu erwerbende Unternehmen Inlandsumsätze von mehr als EUR 1 Millionen erzielt hat. Diese Schwellenwerte waren zuletzt durch den Wirtschaftsausschuss des Bundestags teilweise noch angehoben worden. Die Anordnung einer Anmeldepflicht gemäß § 32f Abs. 2 GWB kann maximal drei Mal wiederholt werden.
Der als „Remondis-Klausel“ bekannte § 39a GWB, der zuvor eine vergleichbare Regelung enthielt, wurde gestrichen.
§ 32f Abs. 3 und 4 GWB ermöglicht es dem Bundeskartellamt, zunächst durch Verfügung festzustellen, „dass [auf einem oder mehreren Märkten oder marktübergreifend] eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs vorliegt“, soweit die übrigen, bereits zuvor bestehenden Befugnisse der Behörde voraussichtlich nicht ausreichend erscheinen, um die Wettbewerbsstörung wirksam und dauerhaft zu beseitigen. Diese feststellende Verfügung ergeht gegenüber denjenigen Unternehmen, die in einem nächsten Schritt als Adressaten von Abhilfemaßnahmen in Betracht kommen. Das sind Unternehmen, „die durch ihr Verhalten und ihre Bedeutung für die Marktstruktur (kumulative Voraussetzungen) zur Störung des Wettbewerbs wesentlich beitragen“. § 32f Abs. 5 GWB gibt der Behörde einige Regelbeispiele und Kriterien an die Hand, nach denen das Vorliegen einer Wettbewerbsstörung bewertet werden soll. Rechtswidriges Verhalten (etwa ein Verstoß gegen das Kartellverbot oder das Marktmachtmissbrauchsverbot) wird gerade nicht gefordert. Außerdem kann die Verfügung zu einem späteren Zeitpunkt noch auf weitere Unternehmen ausgedehnt werden.
Gegenüber diesen Unternehmen kann das Bundeskartellamt dann in einem weiteren Schritt „alle Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art [verhängen], die zur Beseitigung oder Verringerung der Störung des Wettbewerbs erforderlich sind.“ Die denkbaren Maßnahmen sind vielgestaltig und variieren in ihrer Eingriffstiefe erheblich. Beispielhaft werden in § 32f Abs. 3 S. 6 GWB u.a. die Zugangsgewährung zu Daten/Netzen/Schnittstellen/Einrichtungen, die Verpflichtung zur Etablierung von Transparenzstandards, die Vorgabe bestimmter Vertragsgestaltungen und Geschäftsbeziehungen (z.B. Untersagung langfristiger Bindungen in Lieferverträgen), die Pflicht zur buchhalterischen oder organisatorischen Trennung von Unternehmensbereichen oder das Verbot der Offenlegung bestimmter Informationen (zur Verhinderung stillschweigender Abstimmungen) genannt. Bei besonders regulierten Märkten (z.B. Eisenbahn, Telekommunikation, Energie und Gas) müssen die Maßnahmen im Einvernehmen mit der Bundesnetzagentur erfolgen.
§ 32f Abs. 4 GWB enthält als ultima ratio sodann das schärfste Schwert des Bundeskartellamts: Marktbeherrschende Unternehmen und Unternehmen mit überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb i.S.v. § 19a Abs. 1 GWB können durch Verfügung dazu verpflichtet werden, Unternehmensanteile oder Vermögen zu veräußern, wenn zu erwarten ist, dass (nur) durch diese Maßnahme die erhebliche und fortwährende Wettbewerbsstörung beseitigt oder erheblich verringert wird.Aufgrund des damit einhergehenden erheblichen Grundrechtseingriffs ist eine solche Entflechtungsanordnung an hohe Voraussetzungen geknüpft: Sie ist zulässig, wenn die anderen, o.g. Abhilfemaßnahmen nicht möglich, nicht gleich wirksam oder (im Einzelfall denkbar) für das betroffene Unternehmen belastender sind. Als verfahrensrechtliche Voraussetzung ist zudem vorgesehen, dass die Monopolkommission und die zuständige oberste Landeskartellbehörde Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Veräußerung von Vermögensteilen kann nicht angeordnet werden, wenn diese in den letzten zehn Jahren vor Einleitung der Sektoruntersuchung noch Gegenstand einer bestandskräftigen Freigabe eines Zusammenschlusses durch das Bundeskartellamt oder die Europäische Kommission war – es gibt also einen zehnjährigen Bestandsschutz für fusionskontrollrechtliche Freigaben.
Schon nach alter Rechtslage war das Bundeskartellamt gem. § 34 Abs. 1 GWB befugt, bei vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstößen gegen die kartellrechtlichen Vorschriften den dadurch erlangten wirtschaftlichen Vorteil bei den Unternehmen abzuschöpfen. Der Hintergrund dieser Regelung ist klar: Unternehmen sollen von ihrem kartellrechtswidrigen Verhalten nicht finanziell profitieren.
Allerdings spielte das Instrument der Vorteilsabschöpfung in der Praxis bislang keine Rolle, weil die Feststellung und Bezifferung des durch den Kartellrechtsverstoß erlangten wirtschaftlichen Vorteils erhebliche Schwierigkeiten bereitete. Die Vorgängerregelung sah lediglich vor, dass die Höhe des Vorteils geschätzt werden konnte. Das ändert sich nun durch den neu gefassten § 34 Abs. 4 GWB:
Es handelt sich nach wie vor um eine Schätzung, wobei für die freie Würdigung zur Bestimmung der Vorteilshöhe nach § 287 ZPO ausdrücklich die gesetzliche Maßgabe gilt, dass die „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ eines bestimmten wirtschaftlichen Vorteils genügt. Die Vermutung kann nur unter qualifizierten Voraussetzungen widerlegt werden. Nach oben wird die Abschöpfungssumme auf 10 Prozent des Gesamtumsatzes des Unternehmens beschränkt. Die Fristen für die Vermögensabschöpfung bleiben unverändert (bis zu sieben Jahre nach Beendigung der Zuwiderhandlung; der Abschöpfungszeitraum beträgt maximal fünf Jahre).
Nicht zuletzt erhält das Bundeskartellamt durch den neu eingefügten § 32g GWB die Befugnis, die Europäische Kommission bei der (öffentlichen) Durchsetzung des DMA zu unterstützen. Eine solche Einbindung der nationalen Kartellbehörden in die Ermittlungen zu DMA-Verstößen ist in der EU-Verordnung bereits vorgesehen (Art. 38 Abs. 7 DMA) – allerdings nur, wenn entsprechende Untersuchungskompetenzen auch im jeweils nationalen Recht vorgesehen sind. Diese Eingriffsgrundlage wurde nun durch den neuen § 32g GWB geschaffen.
Zwar bleibt die Europäische Kommission alleinige Durchsetzungsbehörde des DMA. Das Bundeskartellamt kann nun aber eigenständig und auf eigene Initiative „alle erforderlichen Ermittlungen“ anstellen, um Untersuchungen bei möglichen wettbewerblichen Zuwiderhandlungen im digitalen Sektor (Art. 5, 6 und 7 DMA) durchzuführen. Dabei handelt es sich um dieselbe Kompetenzen wie im nationalen Kartellverfahren. Vor Ergreifen der ersten förmlichen Ermittlungsmaßnahme muss das Bundeskartellamt die Kommission schriftlich darüber informieren. Über die Ergebnisse der Untersuchungen erstattet das Bundeskartellamt der Kommission Bericht.
Neben der Erweiterung der behördlichen Ermittlungskompetenz wird auch die private Durchsetzung des DMA erleichtert. So werden insbesondere die für zivilrechtliche Klagen auf Kartellschadensersatz geltenden Prozesserleichterungen und Zuständigkeitskonzentrationen der Gerichte auch für DMA-Verstöße für anwendbar erklärt.
Die 11. GWB-Novelle gibt dem Bundeskartellamt eine in der Geschichte der deutschen Kartellrechtsdurchsetzung noch nie dagewesene Eingriffsbefugnis – auch wenn der endgültige Entwurf mehr Schutzmechanismen für Unternehmen enthält, die von den neuen Instrumenten betroffen sein könnten. Es bleibt abzuwarten, wie das Bundeskartellamt seine neu geschaffenen „Klauen und Zähne“, die sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gewünscht hatte, einsetzen wird und in welchem Umfang es von seinen – nun durchaus in erheblichem Umfang vorhandenen – Möglichkeiten der Marktgestaltung Gebrauch machen wird.
Sowohl die Einleitung einer Sektoruntersuchung als auch die Verhängung der daran anknüpfenden eingriffsintensiven Abhilfemaßnahmen liegen im Ermessen der Behörde, sodass es entscheidend darauf ankommen wird, wo das Bundeskartellamt seine Ermittlungs- und Regulierungsschwerpunkte setzen wird. Bisherige Sektoruntersuchungen des Bundeskartellamts betrafen etwa die Entsorgungswirtschaft, den Lebensmitteleinzelhandel oder den Markt für Baustoffe. Aktuell laufen Sektoruntersuchungen zu Raffinerien und dem Kraftstoffhandel sowie zu Ladesäulen für Elektrofahrzeuge.
Unternehmen in „vermachteten und verkrusteten Sektoren“ müssen sich auf eine strenge Überwachung ihres Marktes und ihrer Tätigkeiten einstellen. Eingriffe gegen sie in Form von Abhilfemaßnahmen einschließlich Entflechtungsanordnungen sind zukünftig auch dann möglich, wenn sie sich kartellrechtskonform verhalten.
Jedenfalls als kurzfristige Intervention müssen diese Maßnahmen jedoch nicht befürchtet werden: Zuvor muss jeweils die i.d.R. 18-monatige Sektoruntersuchung abgeschlossen werden. Außerdem habenRechtsmittel gegen sämtliche Abhilfemaßnahmen aufschiebende Wirkung (hier hat der Wirtschaftsausschuss des Bundestags in § 66 Abs. 1 Nr. 1 GWB noch einmal nachgebessert), sodass sich Unternehmen effektiv gerichtlich gegen entsprechende Verfügungen wehren können.
Auch in Zukunft ist das Bundeskartellamt trotz seines erheblichen Ermessensspielraums an rechtliche Grenzen und insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Es ist also nicht zu erwarten, dass das es bewusst ultra vires handeln wird und leichtfertig market design betreiben wird (so wie von Kritikern der Novelle befürchtet). Allerdings kann wohl mit harten Auseinandersetzungen vor den Gerichten gerechnet werden, wenn die Behörde die neuen Wettbewerbsregeln „mit Klauen und Zähnen“ tatsächlich durchsetzt.
Dr. Sebastian Felix Janka, LL.M. (Stellenbosch)
Partner
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Anne Caroline Wegner, LL.M. (European University Institute)
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