21.05.2021
Am 27. April 2021 hat die Bundesregierung die 17. Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) verabschiedet, die bereits am 1. Mai 2021 in Kraft getreten ist. Mit dieser 4. Änderung im Außenwirtschaftsrecht innerhalb der letzten 13 Monate (zu den früheren Änderungen siehe auch folgenden Artikel und Blogbeitrag) wird die Meldepflicht für Beteiligungen an inländischen Unternehmen nochmals erheblich erweitert. Ob damit nun auch wirklich ein Schlusspunkt unter die grundlegende Reform des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) und der deutschen Investitionskontrolle gesetzt ist, bleibt abzuwarten. Zumindest auf europäischer Ebene gehen die Überlegungen weiter, wie heimische Unternehmen besser vor unfairem Wettbewerb aus dem Ausland geschützt werden können. Investitionen aus China stehen dabei besonders im Fokus.
An der grundsätzlichen Unterteilung zwischen sektorübergreifender (§§ 55 ff. AWV) und sektorspezifischer (§§ 60 ff. AWV) Prüfung ändert sich nichts. Das erstgenannte allgemeine Verfahren richtet sich auch weiterhin an Investoren aus dem Nicht-EU-Ausland in allen Branchen, während die sektorspezifische Investitionskontrolle alle ausländischen Erwerber betrifft und bei Akquisitionen in der Verteidigungsindustrie und anderen sicherheitssensiblen Bereichen zur Anwendung kommt. Durch den Brexit unterliegen seit Jahresbeginn auch Investoren aus dem Vereinigten Königreich den Anforderungen der deutschen Investitionskontrolle. Bereits bei den letzten Änderungsrunden wurde die Aufgreifschwelle teilweise von 25 % auf 10 % der Stimmrechte für besonders kritische Sektoren abgesenkt, mit der jüngsten Novelle kommen nun weitere Schwellenwerte hinzu. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie („BMWi“) prüft relevante Erwerbsvorgänge auf Bedenken hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Bis zur Freigabe durch das BMWi unterliegen meldepflichtige Erwerbsvorgänge einem Vollzugsverbot. Verbote wurden bisher nur ganz vereinzelt ausgesprochen, die Zahl der Prüfverfahren hat sich von 78 im Jahr 2018 auf 159 im Jahr 2020 aber verdoppelt und im laufenden Jahr sind bereits in den ersten vier Monaten 142 Fälle beim BMWi registriert.
Die in der Praxis wohl gravierendste Neuerung ist die Aufnahme 16 neuer Industriesektoren in § 55a AWV, um die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu sichern. Wie bei vergleichbaren Entwicklungen auf Ebene der EU und anderer Mitgliedstaaten stehen Technologieunternehmen im Fokus, die vor allem vor dem Zugriff aus China geschützt werden sollen. Es wurden zusätzliche Fallgruppen von meldepflichtigen Tätigkeiten der Zielgesellschaft nach den Vorschriften zur sektorübergreifenden Prüfung eingeführt (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 4, § 5 Abs. 2 AWG und §§ 55 bis 59 AWV); die Zahl der Fallgruppen, die den verschärften Regelungen unterliegen, steigt von 11 auf 27. Die neuen Fallgruppen entsprechen im Wesentlichen den auch in der EU Screening Verordnung (EU) 2019/452 (siehe dazu hier) enthaltenen Sektoren und betreffen Zukunfts- und Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz, autonomes Fahren, Luft- und Raumfahrt, Robotik, Halbleiter, Quanten- und Nukleartechnologie oder Cybersicherheit.
Am 10. Mai 2021 hat zudem der Rat der Europäischen Union wie erwartet die Überarbeitung der "Dual-Use-Verordnung" gebilligt. 90 Tage nach Unterzeichnung und Veröffentlichung im EU-Amtsblatt, somit voraussichtlich im August oder September 2021, wird die neue Verordnung in Kraft treten. Künftig gilt diese Verordnung unter anderem auch für Überwachungstechnologien wie Abhörsoftware, biometrische Überwachung (z. B. Gesichtserkennung), Mikrochips oder Sensoren, die in Ländern wie China bei Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden könnten. Die Ausfuhr solcher Technologien (und unter bestimmten Voraussetzungen künftig auch die Erbringung technischer Hilfe im Zusammenhang mit Dual-Use-Gütern) kann unter Umständen einer Genehmigung der zuständigen nationalen Behörden bedürfen und untersagt werden. Vor diesem Hintergrund werden wohl auch Akquisitionen in diesem Bereich erheblich erschwert werden.
Bereits im vergangenen Jahr hatte die Bundesregierung als Reaktion auf die Pandemie bestimmte Bereiche im Gesundheitssektor wie etwa Hersteller von Impfstoffen, Medikamenten oder Schutzausrüstung als besonders schützenswert festgelegt (Nr. 8 bis 11), die neuen Schlüsseltechnologien finden sich ab Nr. 12. Für Zielgesellschaften, die von den Fallgruppen der Nr. 8 bis Nr. 27 erfasst werden (also insbesondere der Gesundheitssektor und andere Zukunftstechnologien), liegt der Schwellenwert für Stimmrechte, ab dem eine Meldepflicht ausgelöst wird, bei 20 %. Im Referentenentwurf war hier zunächst noch 10 % vorgesehen, doch wurde den Bedenken von Startups und Finanzinvestoren gegen eine bei Finanzierungsrunden zu niedrige Schwelle Rechnung getragen. Für Zielgesellschaften, die von den Fallgruppen der Nr. 1 bis Nr. 7 erfasst werden und bisher schon als sensitiv klassifiziert wurden (insbesondere kritische Infrastrukturen), bleibt der Schwellenwert bei 10 %.
Die Novelle erweitert zugleich die sektorspezifische Prüfung (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 und § 5 Abs. 3 AWG sowie §§ 60 bis 62 AWV) auf Unternehmen, die in der engeren Wertschöpfungskette der Ausfuhrliste tätig sind. Erfasst sind nun auch Investitionen in Unternehmen, die Rüstungsgüter entwickeln, herstellen, modifizieren oder die tatsächliche Gewalt über sie innehaben. Hier sind künftig sämtliche Rüstungsgüter im Sinne des Teils I Abschnitt A der Ausfuhrliste relevant (zuvor waren lediglich 5 der insgesamt 22 Listenpositionen erfasst), auch sollen Kenntnisse oder der sonstige Zugang zu der zugrundeliegenden Technologie ausreichen. Daneben wurden weitere Bereiche der IT-Sicherheit und Kryptotechnologie in den Prüfungskatalog einbezogen. Bei den erfassten Zielgesellschaften muss jede ausländische Investition gemeldet werden, unabhängig davon, ob der Erwerber aus der EU oder aus Drittstaaten kommt, wenn ein Stimmrechtsanteil von 10 % oder mehr (bisher z. T. 25 %) erworben wird.
Schon bisher wurden Stimmrechte mehrerer Investoren etwa aufgrund von Poolingvereinbarungen zugerechnet. Ausdrücklich vermutet wird eine Zurechnung aufgrund § 56 Abs. 4 AWV nun bei parallel investierenden Staatsunternehmen. Offensichtlich hat man auch hier wieder insbesondere China im Visier.
In der neuen Bestimmung des § 56 Abs. 2 AWV wird nun klargestellt, dass nicht nur die erstmalige Beteiligung, sondern auch der Hinzuerwerb von Stimmrechtsanteilen durch denselben Erwerber eine Investitionsprüfung auslösen. Durch die Novelle wurden nun für den Erwerb weiterer Stimmrechte konkrete Schwellenwerte eingeführt, die erreicht oder überschritten werden müssen (20 %, 25 %, 40 %, 50 % oder 75 %). Damit löst der Hinzuerwerb minimaler Beteiligungen unterhalb der Prüfeintrittsschwelle keine Meldepflicht beim BMWi aus. Gleichwohl hat das BMWi die Kompetenz, im Einzelfall auch unterhalb der genannten Schwellenwerte weitere Meldepflichten in einer Unbedenklichkeitsbescheinigung festzulegen.
Auch unterhalb dieser Schwellen unterliegen sog. atypische Kontrollerwerbe nun gemäß § 56 Abs. 3 AWV der Prüfung durch das BMWi. Es genügt, dass der Erwerber einen Stimmrechtsanteil unterhalb der maßgeblichen Schwelle erwirbt, wenn ihm gleichzeitig Zusatzrechte eingeräumt werden wie die Zusicherung „zusätzlicher Sitze oder Mehrheiten in Aufsichtsgremien oder in der Geschäftsführung“, der „Einräumung von Vetorechten bei strategischen Geschäfts- oder Personalentscheidungen“ oder der „Einräumung von Rechten über Informationen im Sinne von § 15 Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 AWG“.
Erfasst werden letztlich Konstellationen, in denen der Erwerber auch ohne bestimmte Stimmrechte besondere Einflussmöglichkeiten und damit letztlich Kontrolle über ein deutsches Unternehmen erlangt. Die Unbestimmtheit von Begriffen wie „Einfluss“ oder „Informationsrechte“ trägt nicht zur Rechtssicherheit bei und wird die M&A-Praxis vor einige Herausforderungen stellen. Immerhin besteht hier keine Meldepflicht per se, aber eine freiwillige Meldung und Einholung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung kann im Einzelfall ratsam sein.
Um frühzeitig Rechtssicherheit zu erlangen, kann der ausländische Investor im sektorübergreifenden Verfahren bereits vor dem Erwerb eine rechtsverbindliche Unbedenklichkeitsbescheinigung beim BMWi beantragen (§ 58 Abs. 1 Satz 1 AWV). Wegen des neuen § 58 Abs. 3 AWV wird es aber nicht mehr möglich sein, im Vorfeld eines meldepflichtigen Erwerbs eine Unbedenklichkeitsbescheinigung beim BMWi zu beantragen. Meldepflicht und Antrag auf Unbedenklichkeitsbescheinigung schließen sich jetzt also aus. Informelle Voranfragen bleiben aber weiterhin möglich.
Konzerninterne Umstrukturierungen unterfallen gemäß § 55 Abs. 1 b AWV nicht mehr der Investitionskontrolle, wenn die Konzernobergesellschaft dieselbe bleibt und das schuldrechtliche Rechtsgeschäft zwischen 100 %-igen Konzerngesellschaften abgeschlossen wird, die in demselben Drittstaat ansässig sind. Außerhalb dieser recht engen „safe harbor“ Klausel bleiben Restrukturierungen aber grundsätzlich im Anwendungsbereich der Investitionskontrolle.
Das BMWi soll künftig zwischen den Prüfungsverfahren wechseln können. Daher wurden durch den neuen § 58 a AWV die Fristen der sektorspezifischen und der sektorübergreifenden Prüfung angepasst, vgl. § 61 AWV n.F. Ein nach Meldung einer Transaktion eingeleitetes Vorverfahren endet entweder durch Freigabe oder Freigabefiktion, wobei dies nach § 14a AWG in beiden Verfahren grundsätzlich dann eintritt, wenn das Ministerium nicht innerhalb von zwei Monaten nach Kenntnis das Prüfverfahren einleitet oder sonst innerhalb von vier Monaten entscheidet.
Die 17. AWV-Novelle erweitert signifikant den Anwendungsbereich und erhöht abermals die Komplexität der Investitionskontrolle. Die Anforderungen an die rechtliche Bewertung der Meldepflichten und Genehmigungschancen sind deutlich gestiegen, was sich auch auf den Zeitplan vieler Transaktionen auswirken wird. Mit dem Fokus auf Zukunftstechnologien kommen nun auch stärker Venture Capital-Beteiligungen mit dem AWG und der AWV in Berührung. Immerhin hat sich die Bundesregierung um eine Präzisierung der neu eingeführten Schlüsseltechnologien bemüht, auch wenn der Wortlaut einiger neuer Fallgruppen immer noch weit ist und eine rechtssichere Einschätzung daher nicht immer möglich sein wird. Auch steht der Praxistest in der Anwendung durch das BMWi noch aus. Deutlich mehr Unternehmen geraten nun in den Radius der Investitionsprüfung und es ist zu erwarten, dass die meldepflichtigen Übernahmen weiter stark ansteigen werden. Zugleich ist zu hoffen, dass die Attraktivität des Investitionsstandortes Deutschland nicht unter langwierigen und intransparenten Prüfverfahren leiden wird. Alle im Transaktionsprozess beteiligten Parteien sind gut beraten, sich frühzeitig mit den Vorgaben der Investitionskontrolle zu befassen und ggf. schon im Vorfeld auf das BMWi zuzugehen. Auch angesichts der zum Teil drakonischen Strafandrohungen bei Verstößen gegen das gesetzliche Vollzugsverbot (bis hin zu Haftstrafen) sollten die neuen Meldepflichten sehr ernst genommen werden.
Thomas Weidlich, LL.M. (Hull)
Partner
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