16.09.2021
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich aktuell mit dem Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) auseinanderzusetzen und entschieden, dass der Beweiswert der AU erschüttert sein kann, wenn ein Arbeitnehmer kündigt und am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Zeitraum exakt die Dauer der Kündigungsfrist umfasst. Arbeitnehmer müssen dann die Arbeitsunfähigkeit darlegen und beweisen (Beschl. v. 08.09.2021 – 5 AZR 149/21).
Ist ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, erhält er zunächst Entgeltfortzahlung. Voraussetzung ist jedoch, dass er dem Arbeitgeber nach § 5 Abs. 2 S. 2 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) bei einer länger als drei Tage andauernden Arbeitsunfähigkeit eine „ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer“ vorlegt. Legt der Arbeitnehmer eine solche nicht vor, so ist der Arbeitgeber berechtigt, die Entgeltfortzahlung zurückzuhalten. Kommt es dann zu einem Verfahren und macht der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung geltend, so ist dieser voll darlegungs- und beweispflichtig. Die Rechtsprechung schreibt der AU allerdings die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises zu. Das bedeutet, dass aus der Bescheinigung regelmäßig das tatsächliche Vorliegen der zu beweisenden Tatsache – die Arbeitsunfähigkeit – geschlossen wird. Dem gelben Schein kommt somit ein hoher Beweiswert zu. Nur in engen Ausnahmefällen kann der Arbeitgeber diesen Beweiswert erschüttern, indem er Umstände darlegt und ggf. beweist, aus denen sich ernsthafte und objektiv begründete Zweifel an dem tatsächlichen Bestehen der Arbeitsunfähigkeit ergeben. Beispiele dafür sind häufigere Arbeitsunfähigkeit im Zusammenhang mit Urlauben, Tätigkeit während der Arbeitsunfähigkeit in einem Konkurrenzunternehmen oder ein angekündigtes „Krankfeiern“. Gelingt es dem Arbeitgeber den Anscheinsbeweis zu erschüttern, entfällt die Beweiserleichterung und es gilt dann wieder die Ausgangslage: Der Arbeitnehmer trägt die volle Darlegungs- und Beweislast zum Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit. Der Beweis kann dann bspw. durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht erfolgen.
Das BAG hat nunmehr die Palette der Ausnahmefälle um eine weitere Konstellation erweitert.
Geklagt hatte eine kaufmännische Angestellte aus Niedersachsen. Die Mitarbeiterin einer Zeitarbeitsfirma hatte Anfang Februar 2019 zum Monatsende gekündigt und am selben Tag eine AU eingereicht. Laut Aussage der beklagten Arbeitgeberin soll sie am Tag der Ausstellung einem Mitarbeiter telefonisch angekündigt haben, nicht mehr zur Arbeit zu kommen. Von einer Arbeitsunfähigkeit sei in dem Gespräch keine Rede gewesen. Die Arbeitgeberin zweifelte die Krankschreibung an und verweigerte die Entgeltfortzahlung. Die Arbeitnehmerin führte demgegenüber aus, dass sie ordnungsgemäß krankgeschrieben gewesen sei und vor einem Burnout gestanden habe. Sie verlangte Lohnfortzahlung. Entgegen der Entscheidung der Vorinstanzen gab das BAG der Arbeitgeberin Recht und wies die Klage ab.
Nach Auffassung des BAG habe die beklagte Arbeitgeberin den Beweiswert der AU erschüttert. Es bestehe ein ernsthafter Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit, da die AU genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung der Klägerin abdecke. Die Arbeitnehmerin habe daraufhin nicht ausreichend nachweisen können, dass sie zu dem fraglichen Zeitraum tatsächlich arbeitsunfähig war. Die Arbeitgeberin sei demnach nicht zur Lohnfortzahlung verpflichtet.
Für Arbeitgeber ist die Entscheidung des BAG zu begrüßen, da sie die Beweisführung in diesen in der Praxis häufiger anzutreffenden Fällen, einer Arbeitsunfähigkeit nach erfolgter Kündigung, erschwert. Die Entscheidung des BAG hat u.E. darüber hinaus weitreichendere Bedeutung. Auch in vergleichbaren Fällen dürfte zukünftig allein das Vorlegen der AU nicht mehr ausreichen, den Anschein zu erwecken, dass auch tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Vielmehr müssen Arbeitnehmer voraussichtlich konkretere Angaben zur Art und Dauer der AU vor Gericht vortragen und ggf. weitere ärztliche Atteste einholen.
Achim Braner
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