09.04.2021
Im deutschen Arbeitszeitrecht stellen Zeiten der Rufbereitschaft, in denen keine tatsächliche Arbeit verrichtet wird, keine Arbeitszeit dar, sondern werden grundsätzlich der vergütungsfreien Ruhezeit zugerechnet. Das für die Rufbereitschaft entscheidende Kriterium ist die freie Ortswahl des Arbeitnehmers. Der EuGH hatte sich in zwei aktuellen Entscheidungen vom 9. März 2021 (Az. C-344/19 und C-580/19) mit der Einordnung der Rufbereitschaft als Arbeitszeit im Sinne der Arbeitszeitrichtlinie RL 2003/88/EG Art. 2 (Arbeitszeit-RL) auseinanderzusetzen und entschied, dass Zeiten der Rufbereitschaft bei erheblichen Einschränkungen der freien Zeit komplett als Arbeitszeit betrachtet werden können.
Ein Feuerwehrmann aus Offenbach hatte auf die Vergütungszahlung von Bereitschaftsdiensten in Form von Rufbereitschaft vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt geklagt. Während dieser Zeiten war er zwar nicht verpflichtet, sich an einer von seinem Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten, musste allerdings auf Abruf innerhalb von 20 Minuten in Einsatzkleidung und mit dem ihm zur Verfügung gestellten Einsatzfahrzeug an seiner Dienststelle eintreffen. Der Kläger war der Ansicht, dass die Zeit während der Rufbereitschaft, in der er tatsächlich keine Arbeitsleistung erbrachte, als Arbeitszeit zu werten und dementsprechend zu vergüten sei. Das Verwaltungsgericht Darmstadt setzte das Verfahren aus und bat den EuGH um eine Klärung der Rechtsfrage, ob die Rufbereitschaft als reguläre Arbeitszeit oder als vergütungsfreie Ruhezeit einzuordnen sei.
Nach Auffassung des EuGH sind Rufbereitschaftszeiten dann in vollem Umfang als Arbeitszeiten einzustufen, wenn die dem Arbeitnehmer während dieser Zeit auferlegten Einschränkungen, die Zeit frei zu gestalten, diesen „objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen.“ Dabei sollen nur solche Einschränkungen berücksichtigt werden, die dem Arbeitnehmer durch Rechtsvorschriften, Tarifvertrag oder durch seinen Arbeitgeber auferlegt werden, was bedeutet, dass bspw. die Entfernung zwischen dem Wohnort des Arbeitnehmers und dem Ort, an dem er seine Tätigkeit erbringen muss, keine Rolle spiele. Maßgeblich sei hingegen die Reaktionszeit, innerhalb derer der Arbeitnehmer am Einsatzort eintreffen muss. Bei einer zu knapp bemessener Zeit, könne der Arbeitnehmer seine Freizeit nicht nach seinen eigenen Vorstellungen planen, sondern sei ständig auf Abruf. Für die Beurteilung sei ferner entscheidend, ob dem Arbeitnehmer Erleichterungen wie ein Dienstfahrzeug zur Verfügung gestellt werden. Ein weiteres Kriterium stelle die Wahrscheinlichkeit des Einsatzes während der Rufbereitschaft dar. Bei häufig vorkommenden Einsätzen, schränke dies die Planung der freien Zeit des Arbeitnehmer erheblich ein.
Der EuGH führt auch aus, dass das EU-Recht keine Regelung hinsichtlich der Art und Weise der Vergütung für Bereitschaftszeiten vorsieht. Demnach steht es dem nationalen Gesetzgeber, den Tarifvertragsparteien bzw. den Arbeitsvertragsparteien frei, Rufbereitschaftszeiten abweichend zu vergüten, selbst wenn diese Zeiten in vollem Umfang als Arbeitszeit gelten.
Der Fall selbst wurde an das Verwaltungsgericht Darmstadt zurückverwiesen, das in einer Gesamtwürdigung aller Umstände der Ruhe- und Arbeitsbedingungen des Klägers zu prüfen hat, ob es sich bei der Rufbereitschaft um Arbeitszeit handelt.
In der Praxis wird man daher jeweils im Einzelfall prüfen müssen, ob es sich bei der Rufbereitschaft um Arbeitszeit handelt. Der EuGH hat hierzu klar festgestellt, dass Rufbereitschaftszeiten nur dann in vollem Umfang als Arbeitszeiten einzustufen sind, wenn die dem Arbeitnehmer während dieser Zeit auferlegten Einschränkungen ein ganz erhebliches Ausmaß erreichen. Stellt sich die Rufbereitschaft als Arbeitszeit heraus, so sollten Arbeitgeber im Rahmen der ihnen gebotenen Gestaltungsmöglichkeiten die Vergütung dieser Zeiten der Rufbereitschaft gesondert regeln, um die wirtschaftlichen Belastungen zu reduzieren.
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