27.04.2021
Berlin Brands Group, Thrasio, SellerX, Branded, Heroes, Razor Group, Heyday, Perch…. Diese Unternehmen haben in den letzten Monaten durch Finanzierungsrunden und Debt Finanzierung Kapital in Höhe von über USD 1,5 Mrd. eingenommen, um in eCommerce Unternehmen zu investieren. Gerade im Zeichen der Covid-19 Pandemie ist dieser Markt für Investoren noch einmal interessanter geworden, als er das bisher schon war. Was aber macht die Geschäftsmodelle der Zielunternehmen aus und welche rechtlichen Besonderheiten sind bei Transaktionen zu berücksichtigen?
April 2021: | Berlin Brands Group gibt eine Debt Finanzierung in Höhe von USD 240 Millionen unter Beteiligung der Deutschen Bank, der Commerzbank und UniCredit Group bekannt. Thrasio schließt eine Series C Finanzierungsrunde in Höhe von USD 100 Millionen ab |
März 2021: | Das Berliner Unternehmen SellerX sammelt einen Betrag in Höhe von EUR 26 Millionen ein, nachdem es bereits im Novembe 2020 USD 118 Millionen einwerben konnte |
Februar 2021: | Branded erhält eine USD 150 Millionen-Finanzierung und erwirbt 20 Bestseller-Marken |
Januar 2021: | Thrasio gibt eine Debt Finanzierung von USD 500 Millionen bekannt |
November 2020: | Heroes erhält eine USD 65 Millionen Seedfinanzierung (Gründer rund um Ex-EQT Venture Manager Riccardo Bruni) |
Oktober 2020: | Perch sammelt USD 123,5 Millionen in dritter Finanzierungsrunde ein |
Dieser Überblick aus dem letzten halben Jahr stellt nur einen Auszug aus der derzeitigen Entwicklung der Unternehmen dar, die sich auf den Erwerb von Amazon Sellers und insbesondere Amazon FBA-Seller spezialisiert haben. Thrasio hat mit dem eigenen Wachstum seit dem Start 2018 sogar den US-Rekord für die schnellste Wandlung in ein sog. Unicorn (Unternehmen mit einer Bewertung von über einer Milliarde US-Dollar) gebrochen.
Wegen der beschleunigten Digitalisierung des Einzelhandels nimmt die Bedeutung von virtuellen Verkaufsplattformen immer weiter zu. Covid-19 wirkt hier wie ein zusätzlicher Katalysator. Diese Entwicklung nutzen die genannten Investoren. Sie suchen auf Amazon gezielt nach Händlern (insbesondere im Bereich „Fulfillment by Amazon“, kurz FBA) mit umsatzstarken Produkten, die aufgekauft und in eine Unternehmensgruppe mit weiteren Marken integriert werden. So sollen hochprofitable und ggf. spezialisierte Unternehmen mit Amazon als europaweitem Absatzkanal entstehen.
Auf den ersten Blick scheinen die Amazon-FBA-Seller für die Investoren geradezu prädestiniert, um ein schnelles Wachstum mit einer große Zahl an Transaktionen in kurzer Zeit zu erreichen: Die Geschäftsabläufe sind wiederkehrend und meist einfach strukturiert. Das erlaubt ein schnelles Verständnis und rasche Analyse der Geschäftsmodelle und eine zügige Prüfung der finanziellen, rechtlichen und steuerlichen Verhältnisse im Rahmen einer Due Diligence. Gleichzeitig gibt es bei der Strukturierung der (primär) Share Deals keine wesentlichen Besonderheiten, so dass die Parteien auf bewährte Schemata und Muster zugreifen.
Tatsächlich aber weisen die Transaktionen doch eine Reihe von Besonderheiten auf und der Teufel steckt – wie so oft – im Detail. Das beginnt schon mit der Kaufpreisermittlung im Term Sheet und im Kaufvertrag. So wird z. B. der Kaufpreis häufig aus den Nettoumsätzen abzüglich der variablen Kosten abgeleitet, ohne aber die variablen Kosten genau zu erfassen. Kaufpreisrelevant ist auch die Ermittlung und Bewertung der Lagerbestände, insbesondere spielen mögliche Abschläge für sog. „Lagerpenner“ eine wichtige Rolle. Hier muss möglichst frühzeitig eine Bewertungsmethode festgelegt werden. In der Due Diligence spielt die Vertraulichkeit der Beziehungen zu den Lieferanten für die Verkäufer eine wichtige Rolle, so dass deren Identität oft erst spät im Prozess offengelegt werden soll. Das kann die Due Diligence stark verkomplizieren, muss aber auf jeden Fall in der Bewertungs- und Prüfungsstruktur berücksichtigt werden. Außerdem sind die Verkaufsprozesse und Kaufpreisregelungen stark von Earn-Out-Regelungen geprägt, die oft einen wesentlichen Teil des zu erzielenden Kaufpreises ausmachen. Die dazu erforderliche Umsetzung der wirtschaftlichen Ergebnisse in juristisch (oft Jahre später) präzise mess-, handhab- und durchführbare Regelungen erfordert nicht nur (gemessen am Prozess) verhältnismäßig viel Zeit, sondern auch ein klares Verständnis vom jeweiligen Geschäftsmodell, Markt und dessen Volatilität. Schließlich muss insgesamt die Abhängigkeit von Amazon und der Bewertung auf der Plattform einen passenden Niederschlag in den Vertragsdokumentationen finden, was ohne die Kenntnis der entsprechenden Mechanismen und Dependenzen unmöglich ist. Das alles erfordert wirtschaftliche und rechtliche Berater mit einem Blick für‘s Wesentliche und dem passenden Fingerspitzengefühl für die relevanten Problempunkte.
Der Markt ist – noch – riesig. Auf der einen Seite steht eine größere Zahl an Investoren, die jeweils über erhebliche finanzielle Mittel verfügen und ein sehr großes Volumen an Transaktionen anstreben (jeweils bis zu 100 Transaktionen in den nächsten zwei bis drei Jahren). Auf der anderen Seite geht man davon aus, dass über die verschiedenen Produktkategorien hinweg allein in Deutschland mehrere tausend Amazon-FBA-Seller aktiv sind, die ganz oben auf der Liste der Investoren stehen. Hinzu kommt eine vergleichbare Zahl von Onlineshop-Betreibern, deren Produkte ebenfalls auf Amazon vertrieben werden und zusätzlich für einen Erwerb durch diese Investoren in Frage kommen. Das vermeintlich einfache Geschäftsmodell mag dazu verleiten, die bestehenden tatsächlichen und rechtlichen Besonderheit des FBA-Business zu übersehen. Wir haben bereits bei einigen Verkaufs- und Kaufprozessen mit spezialisierten Investoren intensive Erfahrungen gemacht. Wir wissen, wie schlummernde Potentiale gehoben werden können und wie bei der rechtlichen Gestaltung der Verträge Fehler vermieden werden.
Michael Ströbel, LL.M. (University of Auckland)
Partner
Stuttgart
michael.stroebel@luther-lawfirm.com
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