10.04.2018
10.04.2018
Anforderungen an einen Antrag auf Fristverlängerung – Genügt eine konkludente Darlegung den für eine Fristverlängerung erforderlichen Voraussetzungen?
Ja, unter den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls.
In der Entscheidung vom 9. Mai 2017 (Az. VIII ZB 69/16; NJW 2017, 2041) festigte und konkretisierte der Bundesgerichtshof seine geringen Anforderungen an die Darlegung eines erheblichen Grundes im Sinne des § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist: Ein bloßer ausdrücklicher Hinweis auf einen anerkannten erheblichen Grund wie z.B. die Arbeitsbelastung sei – ohne weitere Substanziierung – ausreichend. Darüber hinaus – und das stellt der Bundesgerichtshof unter Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung (NJW 2006, 2192 Rn. 10) nunmehr ausdrücklich klar – genüge den Darlegungsanforderungen bei der für alle Prozesshandlungen gebotenen Auslegung der Umstände des Einzelfalls auch ein konkludent dargelegter Hinweis auf einen erheblichen Grund. Der Gebrauch der Wendung „Arbeitsüberlastung“ käme – so der Bundesgerichtshof – einer „bloßen Förmelei gleich“.
Die Anforderungen an ein erstes Fristverlängerungsgesuch der Berufungsbegründung
Die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist kann verlängert werden und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten (erstinstanzlichen) Urteils, spätestens fünf Monate nach dessen Verkündung (§ 520 Abs. 2 S. 1 ZPO) und damit gleichzeitig mit der Berufungseinlegungsfrist gem. § 517 ZPO. Die Berufungsbegründungsfrist kann – ohne Einwilligung – um bis zu einen Monat verlängert werden, wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt (§ 520 Abs. 2 S. 3, 2. Var. ZPO); mit Einwilligung auch darüber hinaus (§ 520 Abs. 2 S. 2 ZPO).
Der Bundesgerichtshof statuiert in seiner Entscheidung, dass an die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. Daher reiche der bloße Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung zur Feststellung eines erheblichen Grundes im Sinne des § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO aus, ohne dass es einer weiteren Substanziierung bedürfe (Hinweis auf ständige Rechtsprechung, u.a. BVerfG NJW 2001, 812, 813 und BGH NJW 2014, 700 Rn. 15). Zwar sei ein höchstrichterlich anerkannter erheblicher Grund wie hier die Arbeitsbelastung bei fehlendem ausdrücklichen Hinweis, insbesondere wenn eine längere Fristverlängerung begehrt werde, nicht ohne Weiteres als Grund des Verlängerungsantrages zu vermuten. Gleichwohl könne unter Umständen auch eine konkludente Darlegung der für eine Fristverlängerung erforderlichen Voraussetzungen ausreichend sein (Fortführung von BGH NJW 2006, 2192 Rn. 10). Denn Fristverlängerungsgesuche sind als Prozesshandlungen der Auslegung zugänglich. Bei dieser Auslegung dürfe eine Partei nicht am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festgehalten werden, sondern es sei davon auszugehen, dass sie mit ihrer Prozesshandlung im Zweifel dasjenige erreichen will, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der Prozesspartei entspricht (Hinweis auf ständige Rechtsprechung, u.a. BGH NJW-RR 1996, 1210).
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes
In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall hat das Berufungsgericht – so der Bundesgerichtshof – diesen Maßstab rechtsfehlerhaft verkannt, indem es eine gerade nicht erforderliche Substanziierung eines erheblichen Grundes im Sinne von § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO verlangte. Folglich gewährte der Bundesgerichtshof im Rahmen der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Was war passiert? Nachdem der Beklagte durch seinen Prozessbevollmächtigten fristgemäß Berufung eingelegt hatte, beantragte der Prozessbevollmächtige wenige Tage vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist, diese um eine Woche zu verlängern. Begründung: Er habe den Entwurf einer Berufungsbegründung erstellt und diesen auch mit dem Mandanten besprechen können. Hierbei hätten sich allerdings noch einige Änderungen und Ergänzungen ergeben, die eingearbeitet werden müssten. „Insoweit“ bedürfe es hier der beantragten Fristverlängerung. Der Kammervorsitzende des Landgerichts teilte dem Prozessbevollmächtigten einen Tag nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist mit, dass dem Verlängerungsgesuch nicht entsprochen werden könne. Aus dem Antrag seien keine erheblichen Gründe im Sinne des § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO ersichtlich. Noch am selben Tag beantragte der Beklagte durch seinen Prozessbevollmächtigten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – aber ohne Erfolg. Das Berufungsgericht wies das Wiedereinsetzungsgesuch vielmehr zurück und verwarf die Berufung im selben Beschluss vom September 2016 als unzulässig. Dagegen wandte sich die erfolgreiche Rechtsbeschwerde des Beklagten. Der Bundesgerichtshof legte das Fristverlängerungsgesuch des Beklagten aus und sah darin einen konkludenten Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung. Denn bei lebensnaher und vernünftiger Betrachtung sei allein eine Arbeitsüberlastung als Ursache für den zur Begründung der beantragten Fristverlängerung um (nur) eine Woche angeführten zeitlichen Engpass in Betracht gekommen.
Übertragbarkeit auf andere Fristenverlängerungsgesuche
Die Entscheidung entfaltet nicht nur für den ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nach § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO, sondern auch für erste Anträge auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist nach § 551 Abs. 2 S. 6 ZPO sowie der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist nach § 575 Abs. 2 S. 2 ZPO in Verbindung mit § 551 Abs. 2 S. 6 ZPO Relevanz. Selbiges gilt für auch für einen ersten Fristverlängerungsantrag nach § 224 Abs. 2 ZPO (vgl. BVerfG NJW 2007, 3342, m.w.Nw.; Feskorn, in: Zöller, 32. Aufl. 2018, § 224 Rn. 6).
Praxishinweise:
Nach dem Bundesgerichtshof genügen für einen ersten Antrag auf Verlängerung einer Frist für die Darlegung des erheblichen Grundes bereits die bloße und pauschal gehaltene Behauptung eines solchen rechtlich anerkannten Grundes. Diese Behauptung kann sich, wie der Bundesgerichtshof zutreffend feststellt, – bei fehlender ausdrücklicher Benennung – auch im Wege der Auslegung bei objektiver und vernünftiger Betrachtung des Fristverlängerungsgesuchs ergeben.
Aus anwaltlicher Vorsorge ist das geboten, was der Bundesgerichtshof als bloße Förmelei bezeichnet: Namentlich die bloße Benennung eines rechtlich anerkannten erheblichen Grundes wie z.B. die Arbeitsüberbelastung. Auf etwaige – im Wege der Auslegung – ermittelte erhebliche Gründe, die ggf. eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründen, kann und sollte sich der Rechtsanwalt nicht verlassen. Denn er kann – und dies sollte nicht vergessen werden – gegenüber dem Mandanten für die entstandenen Mehrkosten eines unnötigen, wenn auch erfolgreichen Rechtsbehelfsverfahren (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) schadensersatzpflichtig sein.
Nur am Rande sei erwähnt, dass der Bundesgerichtshof am Ende seiner Entscheidung ausführt, dass ein Rechtsanwalt dann nicht gehalten ist, sich vor Fristablauf durch Nachfrage beim Gericht zu versichern, ob einem Fristverlängerungsgesuch stattgegeben wurde, wenn er – wie im entschiedenen Fall – mit der erstmaligen Verlängerung der Begründungsfrist mit großer Wahrscheinlichkeit rechnen durfte.
Dr. Stephan Bausch, D.U.
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Gregor Schulz
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