31.03.2020

Ausnahmsweise erlaubt: Die virtuelle Hauptversammlung

Zuletzt haben mehrere große deutsche Konzerne ihre Jahreshauptversammlung wegen der Corona-Krise auf unbestimmte Zeit verschoben. Um Publikumsgesellschaften in die Lage zu versetzen, handlungsfähig zu bleiben und etwa über Kapitalmaßnahmen und Gewinnausschüttungen zu beschließen, hat der Gesetzgeber für dieses Jahr die Organisation und Durchführung von Hauptversammlungen erheblich erleichtert. Die neuen Regeln gelten für Aktiengesellschaften, Europäische Gesellschaften (SE) und Kommanditgesellschaften auf Aktien. Eine Börsennotierung ist nicht erforderlich.

Hintergrund

Virtuelle Hauptversammlung

Anders als sonst sind die Unternehmen diesmal berechtigt, eine präsenzlose Hauptversammlung abzuhalten. Die erforderlichen Anordnungen kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats treffen. Einer Satzungsermächtigung bedarf es nicht.

Voraussetzungen für eine virtuelle Hauptversammlung sind:

  • Übertragung der gesamten Versammlung, also auch der Generaldebatte, in Bild und Ton
  • Elektronische und papiergebundene Stimmrechtsausübung ist zu ermöglichen
  • Aktionären ist die Möglichkeit einzuräumen, Fragen einzureichen
  • Aktionäre, die ihr Stimmrecht ausgeübt haben, können elektronisch Widerspruch bis zum Ende der Versammlung erklären

Eingeschränkte Auskunftspflicht

Die Gesellschaft kann bestimmen, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung einzureichen sind, etwa unter einer dafür eingerichteten Email-Adresse. Die Aktionäre haben, anders als sonst, kein echtes Auskunftsrecht. Der Vorstand beantwortet die Fragen nach freiem Ermessen. Er ist nicht verpflichtet, alle Fragen zu beantworten. FAQ kann er schon auf der Website beantworten, sonstige Fragen in der Versammlung.

Eingeschränktes Anfechtungsrecht

Die im Zusammenhang mit der Abhaltung der virtuellen Hauptversammlung getroffenen Anordnungen stellt der Gesetzgeber weitgehend anfechtungsfrei. Das gilt auch für mögliche Verletzungen der eingeschränkten Auskunftspflicht des Vorstands. Vorsätzliche Verstöße gegen die gesetzlichen Regelungen können aber eine Anfechtbarkeit der gefassten Beschlüsse begründen.

Verkürzte Einberufungsfrist

Die Gesellschaft kann ausnahmsweise mit einer verkürzten Einberufungsfrist von 21 Tagen (sonst 30 Tage) zur Hauptversammlung einladen.

Aussetzung der 8-Monats-Frist

Anders als sonst muss die ordentliche Hauptversammlung in diesem Jahr nicht bis zum 30. August stattfinden, sondern kann auch noch bis zum 31. Dezember abgehalten werden. Dies gilt nicht für die SE, deren Hauptversammlung nach europarechtlichen Vorgaben zwingend innerhalb von sechs Monaten stattzufinden hat.

Hinweise für die Praxis

Schon heute übertragen zahlreiche größere Unternehmen die Rede ihres Vorstandsvorsitzenden im Internet, schalten die Kamera dann aber ab. In diesem Jahr muss das gesamte Aktionärstreffen, das üblicherweise mehrere Stunden dauert, übertragen werden. Die Gesellschaften sollten frühzeitig sicherstellen, dass ihnen die für das Bildstreaming erforderliche Technik zur Verfügung steht. Bekanntlich sind die Netze derzeit stark belastet.

Die neuen Regelungen schaffen einen weitgehend sicheren Rechtsrahmen für die Abhaltung virtueller Hauptversammlungen während der Corona-Krise. Allerdings müssen die Gesellschaften damit rechnen, dass einzelne Beschlüsse gleichwohl angefochten werden. Eine sorgfältige Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlungen ist deshalb unerlässlich.

Luther verfügt über langjährige Erfahrung in der Begleitung von Hauptversammlungen börsennotierter und nichtbörsennotierter Unternehmen.

Autor/in
Stephan Gittermann

Stephan Gittermann
Partner
Frankfurt a.M.
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