05.10.2020

Autobauer müssen freien Ersatzteilhändlern keine elektronisch verarbeitbaren Informationen über Ersatzteile liefern

Im September diesen Jahres ist die neue Typengenehmigungsverfahrensverordnung (VO (EU) 2018/858) über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern in Kraft getreten. Davor war der Zugang zu Reparatur und Wartungsinformationen für Fahrzeuge in z.T. hoch umstrittenen Regelungen der VO (EG) 715/2007 geregelt. Das Urteil des BGH vom 30. Januar 2020 – I ZR 40/17 stellt eine der letzten Entscheidungen auf Grundlage der bisherigen Rechtslage dar.

Hintergrund

Der klagende Branchenverband des Kraftfahrzeuggroßhandels hatte KIA vorgeworfen, den Wettbewerb auf dem Ersatzteilmarkt zu behindern. Grund hierfür sei, dass elektronische Ersatzteile- Datenbanken nur unzureichend zur Verfügung gestellt würden und zwar zum Nachteil der Kunden, die für Ersatzteile und Reparaturen zu hohe Preise zahlten.

Ein Zugang auf die Datenbanken, die alle in einem jeweiligen Fahrzeug verbauten (Original-) Komponenten unter der jeweiligen Fahrzeugidentifikationsnummer bereit halten, war für Nutzer nur in Form eines Lesezugriffs möglich. Ein Preisvergleich aller erhältlichen Ersatzteile war nicht möglich. Der Kläger begehrte daher einen elektronischen Zugriff, um auch Daten von freien Ersatzteileherstellern zur Verfügung stellen zu können. Der BGH legte im Zuge des Verfahrens 2018 dem EuGH zwei Fragen betreffend die Auslegung des – hier maßgeblichen – Art. 6 Abs. 1 S. 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 zur Vorabentscheidung vor (BGH Beschl. v. 21.6.2018 – I ZR 40/07). Zum einen war unklar, ob die Erfüllung der Herstellerpflicht nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Verordnung die Bereitstellung der Informationen in elektronisch weiterzuverarbeitender Form erforderte, und zum anderen, ob eine Diskriminierung unabhängiger Marktteilnehmer in der Versagung eines solchen Zugangs liegt. 2019 nahm der EuGH zu den Rechtsfragen Stellung (EuGH, Urt. v. 19.9.2019 – C-527/18). Art. 6 Abs. 1 S. 1 der VO (EG) 715/2007 müsse dahingehend ausgelegt werden, dass Automobilhersteller nicht verpflichtet seien, unabhängigen Marktteilnehmern Informationen in elektronisch weiterzuverarbeitender Weise bereitzustellen. Es läge zudem keine Diskriminierung unabhängiger Marktteilnehmer vor, wenn durch Schaffung eines Informationskanals für autorisierte Händler, nicht mehr oder bessere Informationen erhältlich wären.

Die Entscheidung

Mit seiner Entscheidung setzte der BGH die Stellungnahme des EuGH nun um.

Art. 6 Abs. 1 S. 1 der VO (EG) 715/2007 statuiere die Pflicht unabhängigen Marktteilnehmern über das Internet mithilfe eines standardisierten Formats uneingeschränkten und standardisierten Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen auf leicht und unverzüglich zugängliche Weise zu gewähren.

Die Gewährung eines standardisierten Zugangs meine, dass die Informationen den technischen Vorschriften des OASIS-Formats entsprechen müssten. Daraus ergebe sich aber nicht die Verpflichtung, die Informationen in elektronisch weiterzuverarbeitender Form zu gewähren. Die

Gewährung eines uneingeschränkten Zugangs demgegenüber beziehe sich auf den Inhalt der bereitzustellenden Informationen und nicht auf die Modalitäten ihrer Bereitstellung, sodass auch hier die Beschränkung auf einen bloßen Lesezugang nicht schädlich sei.

Nichts anderes ergebe sich unter dem Aspekt, dass die Informationen auf leicht und unverzüglich zugängliche Weise bereitzustellen sind.

Es liege auch kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 6 Abs. 1 S. 1 VO (EG) 715/2007 vor. Die vom Kläger geltend gemachte mittelbare Diskriminierung durch die Eröffnung eines Informationskanals, über den ausschließlich Originalersatzteile der autorisierten Vertragshändler bezogen werden könnten, sei nicht gegeben. Das Erfordernis des diskriminierungsfreien Zugangs sei so zu verstehen, dass autorisierte Händler und Reparaturbetriebe sowohl hinsichtlich des Inhalts der bereitgestellten Informationen als auch hinsichtlich der Zugangsmodalitäten nicht in eine vorteilhaftere Lage versetzt werden dürften als unabhängige Marktteilnehmer. Es läge - bei der Eröffnung eines zusätzlichen Informationskanals für autorisierte Händler -  solange keine Diskriminierung unabhängiger Marktteilnehmer vor, wie über den zusätzlichen Informationskanal nicht mehr oder bessere Informationen zugänglich seien.

Fazit

Das Ersatzteil-Geschäft ist in Deutschland ein Milliardenmarkt. Der Kläger erhoffte sich durch das Verfahren die Konkurrenz dadurch zu beleben, dass künftig Alternativen zu Originalersatzteilen für Werkstätten leichter auffindbar werden. Für Verbraucher hätte dies möglicherweise zu niedrigeren Preisen geführt. Das Gericht stellte jedoch fest, dass Automobilhersteller ihren Pflichten schon durch die Gewährung eines Lesezugangs entsprechen.

Nun bleibt abzuwarten, wie sich der Markt unter der neuen Verordnung ab September 2020 entwickeln wird. Da sich die Entscheidung allein auf die spezielle Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 S. 1 VO (EG) 715/2007 bezieht, sollten aus ihr keine allgemeinen Schlüsse für Fragen des Datenzugangs gezogen werden.

Autor/in
Dr. Geert Johann Seelig

Dr. Geert Johann Seelig
Partner
Hamburg
Geert.Johann.Seelig@luther-lawfirm.com
+49 40 18067 16807