19.01.2023
Auch verbundene Unternehmen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und sich jeweils mit einem eigenen Angebot an einem Vergabeverfahren eines öffentlichen Auftraggebers beteiligen wollen, müssen ihre Angebote trotz des für sie geltenden Konzernprivilegs eigenständig und unabhängig voneinander abgeben. Andernfalls sind sie wegen Verletzung des vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zwingend auszuschließen. Dies hat das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) mit Beschluss vom 11. Januar 2023 (Az. Verg 2/21) in Anwendung der hierzu vom Europäischen Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 15. September 2022, Rs. C-416/21 – Landkreis Aichach-Friedberg) verkündeten Grundsätze entschieden.
Der EuGH hatte am 15.09.2022 in einem sog. Vorabentscheidungsverfahren des BayObLG eine wichtige Grundsatzentscheidung getroffen zu der Frage, ob sich in einer wirtschaftlichen Einheit verbundene Bieter trotz wechselseitiger Kenntnis vom Angebotsinhalt jeweils mit einem eigenen Angebot an einem öffentlichen Ausschreibungsverfahren beteiligen dürfen. Nach dem EuGH kann dies jedenfalls ein Grund sein, die verbundenen Unternehmen von der Ausschreibung auszuschließen (siehe hierzu unseren Beitrag vom 16. September 2022).
Das BayObLG hatte nunmehr die Aufgabe, die EuGH-Entscheidung in das nationale Vergaberecht umzusetzen und den konkreten Fall zu entscheiden. Die Entscheidung des BayObLG dürfte wegweisend für künftige Entscheidungen der Vergabenachprüfungsinstanzen zu vergleichbaren Fallkonstellationen einer Parallelbeteiligung von konzernverbundenen Unternehmen an öffentlichen Vergabeverfahren sein.
Am 19. Dezember 2019 veröffentlichte der Landkreis Aichach-Friedberg eine Bekanntmachung über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags für öffentliche Busverkehrsdienstleistungen in einem EU-weiten offenen Verfahren. J ist ein Kaufmann, der unter seiner Firma auftritt; K. Reisen ist eine Busverkehrsgesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Geschäftsführer und Alleingesellschafter J ist. Über das Vermögen von J war zuvor ein Insolvenzverfahren eröffnet worden, wobei der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit von J mit Entscheidung vom 1. Dezember 2019 aus diesem Verfahren freigegeben hatte. Sowohl J als auch K. Reisen gaben über dieselbe Person, nämlich J, fristgerecht Angebote ab. Daneben beteiligten sich andere Verkehrsdienstleister an der Ausschreibung, u.a. die E. GmbH & Co. KG.
Nach Auswertung sämtlicher Angebote teilte der Auftraggeber J und K. Reisen mit, dass ihre Angebote – da von derselben Person gefertigt – wegen Verstoßes gegen Wettbewerbsregeln ausgeschlossen worden seien und dass der in Rede stehende Auftrag an die E. GmbH & Co. KG vergeben werden solle. Nachdem ihre Rügen zurückgewiesen worden waren, stellten J und K. Reisen bei der Vergabekammer Südbayern einen sog. Nachprüfungsantrag. Dieser Rechtsbehelf führt zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Vergabeentscheidung des Auftraggebers.
Mit Beschluss vom 12. Januar 2021 gab die Vergabekammer dem Antrag statt und verpflichtete den Landkreis, die Angebote dieser Bieter wieder in das in Rede stehende Vergabeverfahren aufzunehmen. Deren Verhalten sei nach Ansicht der Vergabekammer nicht als unzulässige wettbewerbsbeschränkende Abrede i. S. von § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu bewerten, da sie eine wirtschaftliche Einheit bildeten und das „Konzernprivileg“ für sich in Anspruch nehmen könnten. Diese Vorschrift sieht einen sog. „fakultativen Ausschlussgrund“ vor, also die Möglichkeit des öffentlichen Auftraggebers zum Ausschluss bestimmter Bieter, sofern es hinreichende Anhaltspunkte dafür gibt, dass das bietende Unternehmen mit anderen Unternehmen Vereinbarungen getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hat, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Sofern das Konzernprivileg gilt, gebe es aber keine „anderen“ Unternehmen, mit denen man sich abstimmen könnte, so dass dieser Ausschlussgrund nicht greife.
Ein Ausschluss könne nach Ansicht der Vergabekammer auch nicht auf den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz gestützt werden, weil dieser neben den abschließenden fakultativen Ausschlussgründen gem. § 124 Abs. 1 GWB keine Anwendung finde.
Der Landkreis Aichach-Friedberg legte gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde beim BayObLG ein. Er machte geltend, dass es gegen die Interessen der übrigen Bieter verstoße und den Gleichbehandlungsgrundsatz sowie die Wettbewerbsregeln verletze, wenn zwei Bietern, die eine wirtschaftliche Einheit bildeten, gestattet würde, an dem Vergabeverfahren teilzunehmen, und zwar insbesondere deshalb, weil diese Bieter ihre jeweiligen Angebote abstimmen konnten und dies im vorliegenden Fall auch unstrittig taten.
Das BayObLG setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH mehrere entscheidungserhebliche Fragen zur Auslegung der § 124 Abs. 1 GWB im Wesentlichen entsprechenden Regelung des Art. 57 Abs. 4 der EU-Vergaberechts-Richtlinie zur Vorabentscheidung vor.
Der EuGH hat hierzu Folgendes entschieden:
Das BayObLG hatte nunmehr die Aufgabe, die EuGH-Entscheidung in das nationale Vergaberecht umzusetzen und in die Dogmatik zu den – an sich abschließenden – Ausschlussgründen gem. den §§ 123 und 124 GWB einzuordnen. In Anwendung der vom EuGH getroffenen Grundsatzentscheidung bestätigt das in letzter Instanz zuständige BayObLG mit Beschluss vom 11. Januar 2023 (Az. Verg 2/21) im Ergebnis die ursprünglich zugunsten des Busunternehmens E. GmbH & Co. KG getroffene Vergabeentscheidung des Auftraggebers. Der Auftraggeber habe die untereinander abgestimmten Angebote der in einer wirtschaftlichen Einheit verbundenen, personell verflochtenen Bieter J und K. Reisen zu Recht ausgeschlossen. Das BayObLG entschied, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 2 GWB einer Berücksichtigung dieser Angebote entgegensteht, die zwar getrennt abgegeben wurden, aber weder eigenständig noch unabhängig sind. Dass die fakultativen Ausschlussgründe in § 124 GWB abschließend aufgezählt sind, bedeute bei richtlinienkonformer Auslegung nicht, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen stehen könnte. Bei miteinander verbundenen Bietern wäre der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt, wenn man es zuließe, dass diese Bieter abgesprochene oder abgestimmte, d. h. weder eigenständige noch unabhängige, und ihnen deshalb gegenüber den anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile verschaffende Angebote einreichen könnten. Ein wichtiger Aspekt war dabei für das BayObLG, dass die Antragsteller, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, hier ihre abgestimmten Angebote in den Wettbewerb gestellt haben, also wie Konkurrenten auftraten, obwohl sie tatsächlich nicht miteinander konkurrieren.
Ein Ausschluss der Angebote der Antragsteller nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB wegen einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung komme mangels einer Vereinbarung zwischen zwei Wirtschaftsteilnehmern, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielt, allerdings nicht in Betracht. Die Anwendung dieses Ausschlusstatbestands setze zwingend eine Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei verschiedenen Wirtschaftsteilnehmern voraus. Nach den Ausführungen des EuGH (Urteil vom 15. September 2022, Rn. 50) könne bei einer Fallgestaltung wie der hier in Rede stehenden nicht davon ausgegangen werden, dass zwei Wirtschaftsteilnehmer, deren Entscheidungsfindung im Wesentlichen über dieselbe natürliche Person läuft, untereinander „Vereinbarungen“ schließen können, da nicht ersichtlich sei, dass es zwei verschiedene Willensäußerungen gäbe, die übereinstimmen könnten. Entscheidend sei nicht, dass es sich bei den Antragstellern juristisch um zwei unterschiedliche Rechtssubjekte handelt, sondern dass auch für die Antragstellerin zu 2) die Willensbildung ausschließlich über den Antragsteller zu 1) möglich ist, der als Geschäftsführer deren Vertretungsorgan ist (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG) und als Alleingesellschafter die Gesellschafterversammlung bestimmt (§§ 45 ff. GmbHG).
Der EuGH-Rechtsprechung folgend geht das BayObLG auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein. Danach muss miteinander verbundenen Unternehmen der Nachweis möglich sein, dass ihre Angebote eigenständig und unabhängig voneinander erstellt worden sind. Im konkreten Fall war es jedoch wegen der Personenidentität des Unterzeichners der beiden Angebote unstreitig, dass die Antragsteller ihre Angebote nicht eigenständig und unabhängig abgegeben haben.
Mit der Entscheidung des EuGH vom 15. September 2022 und der des BayObLG vom 11. Januar 2023 ist nunmehr geklärt, dass künftig in vergleichbaren Konstellationen der Parallelbeteiligung konzernverbundener Unternehmen in einem Vergabeverfahren ein Ausschluss dieser Bieter auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gem. § 97 Abs. 2 GWB gestützt werden kann. Der abschließende Charakter der vergaberechtlichen Ausschlussgründe gem. §§ 123, 124 GWB steht dem bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung nicht entgegen.
Öffentliche Auftraggeber müssen künftig in vergleichbaren Konstellationen sorgfältig prüfen, ob die Angebote der verbundenen Unternehmen eigenständig und unabhängig voneinander erstellt wurden. Im Zweifel sind die betreffenden Unternehmen anzuhören. Ein Ausschluss darf jedenfalls kein Automatismus sein (so auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16. März 2022 - Verg 28/21). Kommt jedoch der Auftraggeber zu dem Schluss, dass die Angebote nicht eigenständig und unabhängig voneinander erstellt wurden, dann ist der Ausschluss beider Angebote zwingend.
Angesichts dieser scharfen Rechtsfolge sollten konzernverbundene Unternehmen Vorkehrungen treffen, wenn sie beabsichtigen, sich mit jeweils einem eigenen Angebot an einem Vergabeverfahren zu beteiligen. Hier gilt es eine Reihe von technischen und personellen Maßnahmen zu ergreifen (u. a. die Einrichtung von „Chinese walls“), um bei etwaigen geäußerten Zweifeln über die Eigenständigkeit der Angebote auch im Nachgang zum Vergabeverfahren einen eindeutigen Nachweis erbringen zu können.
Die Unterzeichner haben im Verfahren vor dem BayObLG und dem EuGH die Beigeladene (E. GmbH & Co. KG) vertreten, die nach der nunmehr bestätigten Vergabeentscheidung des Auftraggebers den Zuschlag erhalten soll.
Dr. Sebastian Felix Janka, LL.M. (Stellenbosch)
Partner
München
sebastian.janka@luther-lawfirm.com
+49 89 23714 10915
Tobias Osseforth, Mag. rer. publ.
Partner
München
tobias.osseforth@luther-lawfirm.com
+49 89 23 714 12129
Ulf-Dieter Pape
Partner
Hannover
ulf-dieter.pape@luther-lawfirm.com
+49 511 5458 17627
Dr. Henning Holz, LL.M.
Counsel
Hannover
henning.holz@luther-lawfirm.com
+49 511 5458 15021