25.10.2019

Beschleunigter Energieleitungsbau 2.0 - Energiewende stärken – Netzausbau erleichtern

Das „Rückgrat der Energiewende“ ist der Netzausbau. Nur ein hinreichend ausgebautes Netz gewährleistet, dass der Strom aus erneuerbaren Energien dorthin verteilt werden kann, wo er gebraucht wird. Dass der Netzausbau bislang eher stockend voran geht, ist nicht neu. Auch gesetzliche Beschleunigungsinitiativen hat es bereits mehrfach gegeben. Mit den im Mai 2019 in Kraft getretenen Neuregelungen zum Energieleitungsbau sollen die Genehmigungsverfahren weiter beschleunigt und erleichtert werden (Gesetz zur Beschleunigung des Energieleitungsausbaus, BGBl. I, 706). Was sehen sie vor und sind sie wirklich hilfreich?

Hintergrund

Netzausbau zwischen Energiewende, Ausstiegsszenarien und NIMBY-Mentalität

Das Thema Netzausbau polarisiert: Während „Energiewende“ und „Atomausstieg“ mehrheitlich begrüßt und der Netzausbau für erneuerbare Energien „abstrakt“ gutgeheißen werden, regt sich sofort Widerstand, wenn es im eigenen Umfeld konkret wird: Das „Not In My BackYard-Phänomen“ (NIMBY) greift um sich, sobald klar wird, wo eine Trasse konkret verlaufen soll. Bürgerinitiativen machen mobil und Landespolitiker bemühen sich, den Trassenverlauf aus ihrem Wahlkreis „herauszuhalten“. Der allseits geforderte „zügige Netzausbau“ ist vor diesem Hintergrund eine echte Herausforderung. Die neuen Gesetzesregelungen von Mai 2019 setzen an unterschiedlichen Stellen an, um für Erleichterungen und Beschleunigung zu sorgen.


Die Änderungen im Überblick

Hervorzuheben sind vor allem drei Neuerungen, die die Gesetzesnovelle vorsieht:

Ein Verfahren zur Prüfung der Raumverträglichkeit der Trasse (Bundesfachplanung) ist nicht mehr erforderlich, wenn es um Änderungen oder Erweiterungen bestehender Leitungen sowie um die Verlegung von Leerohren für Erdkabel geht. Hier existieren bereits Trassen, eine erneute Abstimmung zur Raumverträglichkeit ist daher nicht geboten. Durch diesen Verzicht wird eine Verdoppelung von Verfahrensschritten vermieden.

Bei anderen Änderungsvorhaben, wie Um- oder Zubeseilungen von Freileitungen, soll in der Regel die Umweltverträglichkeitsprüfung entfallen. Anstelle eines aufwendigen Planfeststellungsverfahrens genügt dann ein Anzeigeverfahren. Auch das ist ein Beitrag, um langwierige und redundante Prüfungen zu vermeiden.

Schließlich ist nun auch im Bereich des Energieleitungsausbaus der sog. „vorzeitige Baubeginn“ eröffnet. Vorhabenträger von Netzausbaumaßnahmen, die unter besonderem Zeitdruck stehen, müssen nicht mehr die endgültige Entscheidung der Behörde abwarten, bevor sie mit dem Bau beginnen können. Damit können Verzögerungen der Bauphase vermieden werden.


Beschleunigungswirkung?

Der Verzicht auf die Bundesfachplanung bei Änderungen oder Erweiterungen vorhandener Leitungen ist zu begrüßen: Allerdings ist der Anwendungsbereich dieser Regelungen nicht besonders groß. Denn die Neuregelung greift nur bei Änderungen an länderübergreifenden Leitungen.

Eng beschränkt ist der Anwendungsbereich auch in Bezug die Ermöglichung des Anzeige- anstelle eines Planfeststellungsverfahrens für Änderungen, wie Um- oder Zubeseilungen. Hinzu kommt, dass sich hier schwierige Fragen bei der Abgrenzung von UVP-rechtlichen und fachrechtlichen Fragen stellen. So ist insbesondere unklar, welche Tiefe die Prüfung der Behörde, ob die neu eingeführten Schwellenwerte im Einzelfall eingehalten sind, im Verhältnis zur UVP hat.

Die Zulassung des vorzeitigen Baubeginns ist zu begrüßen. Die neue Regelung erlaubt indes nur, dass der Beginn der Maßnahme möglich ist, bevor eine endgültige Entscheidung der Behörde vorliegt. Alle anderen Schritte, insbesondere die Umweltverträglichkeitsprüfung und die Öffentlichkeitsbeteiligung, müssen bereits abgeschlossen sein.


Akzeptanzerhöhung durch Ausgleichszahlungen?

Neue gesetzliche Regelungen zielen auch auf eine erleichterte Entschädigungspraxis in Bezug auf Land- und Forstwirte. Dadurch soll zugleich ein Beitrag zur Akzeptanzsteigerung geleistet werden: Netzbetreiber können ihre Entschädigungszahlungen an Land- und Forstwirte für die Eintragung von Dienstbarkeiten nunmehr auf die Netzkosten umlegen. Für eine besonders schnelle Einigung ist ein Bonus vorgesehen. Das soll die Zustimmung und Einigungsbereitschaft erhöhen und Widerstände gegen Trassen, die forst- oder landwirtschaftliche Flächen durchqueren, mindern. Ob dieses Ziel erreicht wird, ist allerdings fraglich: Die vorgesehenen Entschädigungszahlungen fallen gering aus, was von Seiten der Interessenverbände kritisiert wird. Hinzu kommt, dass nur eine einmalige Zahlung für eine dauerhafte Beeinträchtigung vorgesehen ist.


Fazit: Richtige Richtung – hohe Hürden bleiben

Die neuen Regelungen sind in ihrer Wirkung überschaubar, gehen aber in die richtige Richtung. Für einen zügigen Netzausbau bleiben die schon bekannten hohen Hürden: u.a. komplexe und langwierige Umweltprüfungen, aufwendige Beteiligungsverfahren und eine hohe Kontrolldichte vor Gericht. Es wird also gewiss nicht das letzte Mal gewesen sein, dass der Gesetzgeber sich mit Beschleunigungsmaßnahmen für den Netzausbau befasst hat. Der Druck durch die Energiewende bleibt hoch.

 

Prof. Dr. Tobias Leidinger
Counsel
Düsseldorf
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