28.11.2016
29.11.2016
Brexit und der EuGH – kein Abschied der Briten ohne Luxemburg?
Muss ein europäisches Gericht demnächst über das Recht der britischen Regierung entscheiden, nach Art. 50 AEUV den Austritt aus der Europäischen Union zu erklären? Diese Frage wird derzeit in Großbritannien kontrovers diskutiert und könnte den Vollzug des Ergebnisses des Brexit-Referendums vom Sommer diesen Jahres weiter verzögern.
Hintergrund dieser Diskussion sind unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die von der britischen Regierung für das Frühjahr 2017 angekündigte Austrittserklärung nach Art. 50 AEUV endgültig wäre oder später widerrufen werden könnte. Wäre letzteres der Fall, könnte dies Auswirkungen auf ein bei dem Supreme Court anhängiges Verfahren zur Erforderlichkeit eines förmlichen Beschlusses des britischen Unterhauses über den Austritt aus der EU haben. Die dortigen Kläger machen geltend, die Regierung unter Premierministerin Theresa May dürfe nicht ohne eine vorherige Zustimmung des Parlaments den Austritt aus der EU erklären. Der High Court hatte ihnen in erster Instanz Recht gegeben, nunmehr muss der Supreme Court als höchstes britisches Gericht über die Revision der britischen Regierung entscheiden. Sollte er zur Auffassung kommen, dass ein späterer Widerruf der Austrittserklärung möglich ist, könnte das zum Erfolg der Regierung führen: Denn das Unterhaus wäre dann auch später noch zu einem „Rückzug vom Rückzug“ in der Lage und müsste den Brexit nicht zwingend vor der Austrittserklärung beschließen.
In der juristischen Diskussion gehen die Meinungen über das richtige Verständnis der Vorgaben des Art. 50 AEUV zu dieser Frage weit auseinander. Es spricht aber einiges dafür, dass hierüber der Europäische Gerichtshof zu einer abschließenden Entscheidung berufen ist. Denn nach den Europäischen Verträgen steht ihm das alleinige Recht zu, eine verbindliche Auslegung des EU-Rechts und damit auch des Art. 50 AEUV vorzunehmen. Ein nationales Gericht, bei dem sich eine bisher ungeklärte Frage des Unionsrechts in letzter Instanz stellt, ist daher nach Art. 267 Abs. 3 AEUV verpflichtet, sein Verfahren auszusetzen und den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens anzurufen.
Unklar ist bisher, wie sich der Supreme Court hierzu verhalten wird. Interessanterweise waren in dem Verfahren beim erstinstanzlichen High Court sowohl die Kläger als auch die britische Regierung übereinstimmend von einer Unwiderrufbarkeit der Austrittserklärung ausgegangen. Sollte es dabei bleiben, ist es durchaus vorstellbar, dass auch der Supreme Court ihnen folgt und keinen Anlass für eine Vorlage nach Luxemburg sieht. Es spräche zwar einiges dafür, dass dies gegen Art. 267 AEUV verstößt, doch dürfte das dann angesichts des Fehlens einer weiteren Gerichtsinstanz über dem Supreme Court kaum praktische Konsequenzen haben.
Verstöße letztinstanzlicher Gerichte gegen ihre Pflicht zur Vorlage an den EuGH kommen übrigens auch in Deutschland immer wieder vor: Wir vertreten derzeit etwa den Betreiber zahlreicher großer Braunkohlekraftwerke in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren beim Bundesverfassungsgericht, das die Unterlassung einer Vorlage nach Luxemburg durch das Bundesverwaltungsgericht betrifft. Gerügt wird hier die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter. Das Besondere in diesem Fall: Der EuGH ist inzwischen in einem anderen Verfahren aus Tschechien der von unserem Mandanten vertretenen Rechtsauffassung gefolgt, unser Mandant kann sich hierauf aber wegen des bisher rechtskräftigen und hiervon abweichenden Urteils des Bundesverwaltungsgerichts nicht berufen. Karlsruhe hat eine Entscheidung in den nächsten Monaten angekündigt.
Dr. Stefan Altenschmidt, LL.M. (Nottingham) |
Foto: Gerichtshof der Europäischen Union