29.11.2018
29.11.2018
Überraschung aus Brüssel: In einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) hat sich die Europäische Kommission für eine deutliche Reduzierung des bisherigen Anwendungsbereichs des EU-Emissionshandels ausgesprochen. Konkret sollen Emissionsquellen innerhalb einer emissionshandelspflichtigen Anlage (u.a. Nebeneinrichtungen) und Freisetzungen von CO2, die für sich betrachtet nicht emissionshandelspflichtig wären, bereits aktuell nicht dem Anwendungsbereich der Emissionshandelsrichtlinie 2003/87/EG unterfallen. Die Kommission weicht damit insbesondere von dem in Deutschland seit 2005 auf der Grundlage des TEHG praktizierten Anlagenbezug mit einer Einbeziehung sämtlicher CO2-Quellen im Bereich einer emissionshandelspflichtigen Anlage in das Handelssystem ab. Die entsprechenden Stellungnahmen der Kommission erfolgten im schriftlichen und mündlichen Verfahren in der Rechtssache C-682/17 (ExxonMobil Production Deutschland). Sie führten zu intensiven Fragen des Gerichtshofs, dessen Urteil nicht vor April 2019 erwartet wird. Sollte der EuGH der Kommission folgen, hätte dies wahrscheinlich das Herausfallen großer CO2-Emissionsmengen aus dem EU-Emissionshandelssystem zur Folge. Betroffene Anlagenbetreiber sollten prüfen, ob sie hieraus bereits für die anstehende Emissionsberichterstattung für das Jahr 2018 Konsequenzen ziehen, etwa durch die Einreichung geänderter Überwachungspläne.
Was genau meint die Europäische Kommission?
Brüssel geht davon aus, dass Deutschland (und andere Mitgliedstaaten) bereits seit 2005 den Anwendungsbereich des Emissionshandelssystems zu weit gezogen hat. Aus Sicht des juristischen Dienstes der Kommission seien nur solche Emissionen, die unmittelbar aus den im Anhang I der Emissionshandelsrichtlinie aufgelisteten Tätigkeit stammen, emissionshandelspflichtig. Nicht erfasst werden sollen hingegen solche CO2-Freisetzungen, die zwar im Bereich einer emissionshandelspflichtigen Anlage erfolgen, bei denen das Kohlendioxid selbst aber nicht aus einer Tätigkeit nach Anhang I der Richtlinie resultiert. Dem Anlagenbezug des § 2 Abs. 4 TEHG mit einer Erstreckung des Anwendungsbereichs des Emissionshandels auf sämtliche von der BImSchG-Genehmigung erfassten Teile einer Anlage stellt die Kommission damit einen strikten Tätigkeitsbezug gegenüber. Sie begründete dies in der mündlichen Verhandlung in Luxemburg mit der in der EU ganz unterschiedlichen Bestimmung des Umfangs einer Anlage. Dies führe zu erheblichen Abweichungen bei der Einbeziehung von CO2-Emissionen in das EU ETS. Der EU-Gesetzgeber habe demgegenüber durch seinen bereits im Wortlaut der Emissionshandelsrichtlinie zum Ausdruck kommenden Tätigkeitsbezug eine größere Einheitlichkeit angestrebt.
Welche CO2-Emissionen sind betroffen?
Die konkret vor dem EuGH verhandelte Rechtssache betrifft die Freisetzung von im Untergrund vorkommenden Kohlendioxid bei der Aufbereitung von Erdgas. Das tätigkeitsbezogene Verständnis der Europäischen Kommission erfasst aber auch andere Konstellationen, bei denen CO2 aus einer Tätigkeit resultiert, die für sich betrachtet nach dem Tätigkeitsverzeichnis des Anhangs I der Richtlinie 2003/87/EG nicht emissionshandelspflichtig wäre und die lediglich wegen der formalen Zugehörigkeit zu einer Anlage mit einer emissionshandelspflichtigen (Haupt-)Tätigkeit bisher vom Anwendungsbereich des TEHG erfasst wird. Insbesondere gilt dies etwa für Wärme- und Stromerzeugungsanlagen mit Feuerungswärmeleistungen von bis 20 MW, die als Nebeneinrichtungen emissionshandelspflichtiger Hauptanlagen betrieben werden. Gleiches kann für Abgasreinigungsanlagen gelten. Oder auch für Reaktoren in der chemischen Industrie, in denen sowohl emissionshandelspflichtige Tätigkeiten als auch solche, die nicht in den Anwendungsbereich der Emissionshandelsrichtlinie fallen, stattfinden. Im Grunde sind die Fälle betroffen, die von der DEHSt im amtlichen Leitfaden zum TEHG-Anwendungsbereich unter Ziffer 2.3 als Beispiele für die Erfassung sämtlicher CO2-Quellen einer Gesamtanlage mit einer emissionshandelspflichtigen Haupttätigkeit genannt werden.
Was wären die Konsequenzen?
Wenn sich die Europäische Kommission vor dem EuGH durchsetzt, unterfallen die betroffenen CO2-Emissionen nicht mehr dem Emissionshandel. Für sie bestehen dann weder Berichterstattungs- noch Abgabepflichten. Gleiches dürfte für die kostenlose Zuteilung von Emissionsberechtigungen gelten, die dann für die betroffenen CO2-Emissionen und die relevanten Prozesse ebenfalls nicht mehr in Betracht kommt. Zeitlich würde ein entsprechendes Urteil des EuGH dabei die Rechtslage mit Rückwirkung (ex tunc) klären, wenn nicht der Gerichtshof die zeitliche Wirkung seines Urteils beschränkt. Weitere Konsequenzen sind nicht auszuschließen, etwa im Hinblick auf die zukünftige Einbeziehung der betroffenen CO2-Emissionsmengen in Klimaschutzmaßnahmen außerhalb des Emissionshandelssystems.
Wie realistisch ist, daß der EuGH der Europäischen Kommission folgt?
Das lässt sich derzeit nicht sicher bewerten. Die Fragen der Richter der 5. Kammer des Gerichtshofs und des Generalanwalts waren intensiv, eine klare Präferenz war ihnen aber nicht zu entnehmen. Dass der Gerichtshof aber im Grundsatz bereit ist, die Grenzen des Emissionshandelssystems enger zu ziehen, als dies der langjährigen Praxis in den Mitgliedstaaten entspricht, hat er erst im Frühjahr dieses Jahres mit seinem Urteil vom 28. Februar 2018 in der Rechtssache C-577/16 (Trinseo) und der dortigen Herausnahme der sog. Null-Emissionen-Anlagen bewiesen. Eine gewisse Indikation für die mögliche Entscheidung der Richter wird der Schlussantrag des Generalanwalts bieten, der für den 28. Februar 2019 angekündigt wurde. Klar ist derzeit nur, dass Brüssel eine Frage aufgeworfen hat, die jetzt von den Richtern juristisch zu beantworten sein wird. Es geht hier nicht um eine politische Entscheidung.
Was sollten Anlagenbetreiber jetzt tun?
Emissionshandelspflichtige Anlagenbetreiber sollten jetzt prüfen, ob ihre Anlagen von der Position der Kommission betroffen sind. Insbesondere bei signifikanten Emissionsmengen, die je nach Entscheidung des EuGH aus dem Emissionshandelssystem herausfallen, kann es sich dann anbieten, bereits jetzt Maßnahmen zu ergreifen. In Betracht kommt insbesondere das Einreichen eines neuen Überwachungsplans bei der DEHSt mit dem Antrag, die relevanten CO2-Emissionen von der Überwachung und Berichterstattung ausschließen zu können, ggf. auch rückwirkend ab dem 1. Januar 2013. Denkbar ist es auch, bereits die Berichterstattung für das Jahr 2018 zu beschränken und für die relevanten Emissionen keine CO2-Zertifikate mehr abzugeben. Da es aber wahrscheinlich ist, dass der EuGH eine finale Entscheidung erst nach dem 30. April 2019 verkünden wird, wäre ein solches Vorgehen zur Vermeidung eines Sanktionsrisikos gesondert zu prüfen und zu strukturieren. Es drohen insofern einerseits Bußgelder wegen unrichtiger Emissionsberichterstattung, andererseits aber auch der ggf. endgültige und ersatzlose Verlust von Emissionsberechtigungen, für die keine materielle Abgabepflicht bestand. Abhilfe ist hier etwa durch geeignete Absprachen mit der DEHSt oder auch der Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes denkbar.
Dr. Stefan Altenschmidt, LL.M. (Nottingham) |