29.04.2021
Mit Beschluss vom 24. März 2021 hat das Bundesverfassungsgericht mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz (KSG) für teilweise erfolgreich erklärt. Namentlich die nationalen Klimaschutzziele im KSG sind nach Ansicht der Richter mit den Grundrechten unvereinbar, soweit eine Regelung über die Fortschreibung der Minderungsquoten für Zeiträume ab dem Jahr 2031 fehlt. Die Entscheidung bedeutet eine erhebliche Aufwertung des Klimaschutzes als in Art. 20a GG geregeltes Staatsziel und kann mit Fug und Recht als Paukenschlag bezeichnet werden.
Mehrere Jugendliche, unter ihnen Luisa Neubauer von „Fridays for Future“, hatten mit Unterstützung des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND e.V.) Verfassungsbeschwerden erhoben. Die Beschwerdeführer machten geltend, der Staat habe mit dem Klimaschutzgesetz keine ausreichenden Regelungen geschaffen, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens, insbesondere die Erwärmung der Erde bei 1,5 °C oder wenigstens bei deutlich unter 2 °C zu halten, zu erreichen. § 3 KSG sieht vor, dass die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 reduziert werden müssen. § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG regelt in Verbindung mit Anlage 2 des Gesetzes die zulässigen Jahresemissionsmengen in den einzelnen Sektoren, durch die dieses Ziel erreicht werden soll. Eine Regelung über das Jahr 2030 hinaus ist in dem Gesetz nicht vorgesehen. Vielmehr sollen entsprechende Minderungsquoten für Jahresemissionsmengen durch Rechtsverordnung der Bundesregierung getroffen werden. Das Fehlen einer Regelung für den Zeitraum nach dem Jahr 2030 rügten die Beschwerdeführer als unzureichend.
Das Bundesverfassungsgericht gab nun den Verfassungsbeschwerden in Teilen statt. Die Richter erklärten § 3 Absatz 1 Satz 2 und § 4 Absatz 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 für unvereinbar mit dem Grundgesetz, soweit eine Regelung für den Zeitraum ab 2031 fehle.
Der in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit schließe auch den Schutz vor Beeinträchtigungen durch Umweltbelastungen ein. Aus der Norm folge eine Schutzpflicht des Staates. Sie verpflichte dazu, Leben und Gesundheit einzelner Menschen vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Diese Schutzpflicht bestehe auch gegenüber künftigen Generationen, so das Bundesverfassungsgericht.
Das Staatsziel in Art. 20a GG, nach dem der Staat auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere schütze, verpflichte die Bundesrepublik Deutschland zum Klimaschutz. Dies erfasse auch die Herstellung der Klimaneutralität. Das Klimaschutzziel des Art. 20a GG sei dahingehend konkretisiert worden, dass der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen sei.
Diese Schutzpflichten sind nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht durch das Klimaschutzgesetz verletzt. Dem Gesetzgeber komme ein weiter Entscheidungsspielraum bei den Regelungen zu. Nur wenn überhaupt keine oder offensichtlich unzureichende Regelungen getroffen würden, liege eine Verletzung der staatlichen Schutzpflichten vor. Dies sei jedoch nicht der Fall.
Die Grundrechte der Beschwerdeführer seien aber dadurch verletzt, dass die bis zum Jahr 2030 zugelassenen Emissionsmengen die nach 2030 noch verbleibenden Emissionsmöglichkeiten erheblich reduzierten. Noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens seien mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von umso drastischeren Einschränkungen bedroht. Vorschriften, die jetzt CO2-Emissionen zuließen, begründeten eine rechtliche Gefährdung künftiger Freiheit, weil sich mit jeder heute noch zugelassenen CO2-Emissionsmenge die in Einklang mit Art. 20a GG verbleibenden Emissionsmöglichkeiten verringerten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordere es, die nach Art. 20a GG verfassungsrechtlich notwendigen Reduktionen von CO2-Emissionen bis hin zur Klimaneutralität vorausschauend in grundrechtsschonender Weise über die Zeit zu verteilen. Diesem Erfordernis werde das Klimaschutzgesetz nicht gerecht.
Problematisch ist damit aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts, dass es durch die im Klimaschutzgesetz vorgesehenen Emissionsmengen zu erheblichen CO2-Einsparungen in der Zukunft kommen wird, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Diese Reduktion der Treibhausgase bringe Einschränkungen der grundrechtlich garantierten Freiheiten mit sich.
Darüber hinaus sieht es das Bundesverfassungsgericht als problematisch an, dass die Regelungen für den Zeitraum nach 2030 in Form einer Verordnung getroffen werden sollen. Der Gesetzgeber müsse die erforderlichen Regelungen selbst treffen. Eine bloße Zustimmung des Parlaments zur Verordnung der Bundesregierung sei nicht ausreichend. Damit erkennt das Bundesverfassungsgericht zugleich die Festlegung von Minderungsquoten beim Klimaschutz wegen der einhergehenden Beschränkungen von Grundrechten als wesentlich an.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann als richtungsweisendes Signal in der der Rechtsprechung zum Klimaschutz gewertet werden. Bemerkenswert sind dabei insbesondere die allgemeinen Ausführungen, die das Bundesverfassungsgericht zum Klimawandel und den daraus erwachsenden Verpflichtungen des Staates trifft.
Der Gesetzgeber wird nun bei den entsprechenden Regelungen nachbessern müssen. Damit werden zwangsläufig schneller größere Herausforderungen auf die Industrie auf die anderen Sektoren zukommen. Das Gericht hat dafür eine Frist bis zum 31. Dezember 2022 gesetzt.
Dr. Gernot-Rüdiger Engel
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