30.04.2020
Während Branchen wie etwa die Luftfahrtindustrie bereits auf sie zugeschnittene staatliche Unterstützung erhalten haben, kann der Automobil- und Fahrzeugbau bislang lediglich allgemeine, branchenunabhängige Hilfsprogramme in Anspruch nehmen (Stand 24. April 2020). Dies könnte sich aber bald ändern, da zumindest in Deutschland Hilfen für die Automobilbranche, etwa in Form einer Kaufprämie, diskutiert werden. Staatliche Unterstützungsmaßnahme, die eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV sind, darf Deutschland erst dann gewähren, wenn die Europäische Kommission („Kommission“) sie genehmigt hat (siehe 1.). Dies geschieht derzeit grundsätzlich sehr schnell (siehe 2.). Erinnert sei daran, dass Maßnahmen, die Unternehmen aller Branchen, also nicht nur dem Automobil- und Fahrzeugbau oder der Logistikbranche zu Gute kommen (wie etwa Steuerstundungen), überhaupt keiner Genehmigung durch die Kommission bedürften (siehe 3.). Die kommenden Wochen und Monate dürften gekennzeichnet sein durch eine Reihe weitere Entscheidungen der Kommission, möglicherweise auch zu einigen der derzeit diskutierten Beihilfen für Unternehmen aus dem Automobil- und Fahrzeugsektor (siehe 4.).
Führende Automobilhersteller forderten jüngst, die Bundesrepublik Deutschland solle eine Kaufprämie zur Stimulierung des Absatzes einführen, welcher durch die Corona-Pandemie zuletzt stark eingebrochen war („Kaufprämie“). Eine solche Kaufprämie wäre eine staatliche Beihilfe im Sinne des EU-Beihilfenrechts (Art. 107 Abs.1 AEUV). Denn bei einer Kaufprämie würde es sich – unabhängig von ihrer Ausgestaltung oder Bezeichnung („Innovationsprämie“ oder „Abwrackprämie“) – stets um einen staatlich gewährten, wirtschaftlichen Vorteil handeln, der nur bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen (nämlich solchen der Automobilindustrie) zu Gute kommt. Beihilfen müssen grundsätzlich von der Kommission genehmigt werden, bevor sie gewährt werden können. Die Kommission genehmigt derzeit Beihilfen zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie sehr schnell, in der Regel innerhalb weniger Tage. Solche schnellen Genehmigungen erteilt die Kommission insbesondere auf Grundlage des sog. „Befristeten Rahmens“, den sie am 19. März 2020 veröffentlicht und zuletzt am 3. April 2020 erweitert hatte. Beim Befristeten Rahmen handelt es sich um eine Mitteilung, unter welchen Voraussetzungen die Kommission Beihilfen zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie schnell genehmigt, weil sie gem. Art. 107 Abs. 3 b) AEUV „zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats“ dienen (weitere Informationen zum Befristeten Rahmen auf www.luther-lawfirm.com/newsroom/blog/detail/staatliche-beihilfen-und-die-corona-pandemie). Auch eine Kaufprämie könnte zwar grundsätzlich so gestaltet werden, dass sie die Vorgaben des Befristeten Rahmens einhält und somit schnell genehmigt würde. Dies würde aber insbesondere erfordern, dass die Beträge der Kaufprämie pro Hersteller EUR 800.000 nicht übersteigen. Bei einer Prämie von etwa EUR 5.000 pro gekauftem Fahrzeug wäre die Schwelle also schon bei 160 Fahrzeugen pro Hersteller überschritten – offensichtlich kein gangbarer Weg. Daher könnte eine Genehmigung der Kaufprämie nicht auf Grundlage des Befristeten Rahmens gestützt werden, sondern müsste auf Grundlage des Art. 107 Abs. 3 b) AEUV beruhen. Diese Grundlage würde den Gesamtbetrag der Kaufprämie pro Automobilhersteller nicht deckeln. Eine darauf fußende Genehmigung erfordert insbesondere, dass Höhe und Laufzeit der Kaufprämie darauf beschränkt bleiben, „zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats“ zu dienen. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, wird die Kommission nicht ganz so schnell prüfen können, wie die übrigen Fälle, die sie nach den Maßgaben des Befristeten Rahmens freigegeben hat.
Allein auf Grundlage des Befristeten Rahmens genehmigte die Kommission bislang über 60 Hilfsmaßnahmen aller EU-Mitgliedstaaten (Stand 30. April 2020). Hinzu kommen einige Genehmigungen auf Basis des Art. 107 Abs. 2 b) und 3 b) AEUV. Alle Beihilfen zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie genehmigte die Kommission sehr schnell. Hierzu gehörte etwa auch der sog. Wirtschaftsstabilisierungsfonds Deutschlands, der mittleren und großen Unternehmen aller Branchen, die von der Corona-Pandemie getroffen wurden, finanzielle Hilfen zur Verfügung stellt.
Wie alle anderen Branchen können auch Automobil-Unternehmen und Logistiker selbstverständlich staatliche Fördermaßnahmen in Anspruch nehmen, die allen Unternehmen und Wirtschaftszweigen gleichermaßen zu Gute kommen, wie etwa Subventionierung von Kurzarbeit, Lohnzuschüsse oder Steuervorteile (z. B. Stundung von Körperschafts- und Umsatzsteuer oder Sozialbeiträgen). Diese Maßnahmen enthalten keine Begünstigung eines bestimmten Unternehmens(zweigs) und stellen daher keine genehmigungspflichtige Beihilfe i.S.v. Art 107 Abs.1 AEUV dar.
Es ist auch weiterhin kurzfristig mit zahlreichen weiteren Entscheidungen der Kommission zu rechnen, mit denen sie nationale Hilfsprogramme schnell genehmigen wird. Hierunter könnten erstmals auch Maßnahmen speziell für Unternehmen aus dem Automobil- und Fahrzeugbau oder der Logistikbranche sein. Bereits diskutiert werden insoweit in Deutschland eine Kaufprämie zur Förderung des Automobilabsatzes (siehe 1.). Der Verein Netzwerk Logistik Mitteldeutschland e.V. forderte zudem bereits ein befristetes Aussetzen der Lkw-Maut bei Leerfahrten von Logistikunternehmen, die durch die Corona-Pandemie eintreten können. Schließlich wollen mehrere EU-Mitgliedstaaten ihre Schlüsselindustrien zunehmend vor einer feindlichen Übernahme etwa durch Staatskonzerne schützen, notfalls per Verstaatlichung. Zu einer solchen Schlüsselindustrie zählen in Deutschland zumindest die Automobilhersteller und auch deren größere Zulieferer.
Dr. Helmut Janssen, LL.M. (King's College London)
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