19.06.2024

Das Renaturierungsgesetz der EU – Das ökologische Kernstück des Green Deal

Hintergrund und Kontext

In den letzten Jahrzehnten hat sich der Verlust von Biodiversität, Artenvielfalt und Schädigung der Ökosysteme weltweit stark beschleunigt. Fast 80 % aller Lebensräume in der EU sind laut dem Weltklimarat (IPCC) sowie der zwischenstaatlichen Plattform für Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen inzwischen in einem solch schlechten Zustand, dass ein Schaden für Mensch, Wirtschaft und Klima besteht.

Konkret zeigt sich laut dem IPCC ein solcher Verlust an Biodiversität durch unzureichenden Hochwasserschutz, durch kanalisierte Flüsse und zerstörte Auen, „kranke“ Wälder, die Treibhausgase ausstoßen, statt sie zu speichern, und durch die schwindende Anzahl von bestäubenden Insekten, was zur Gefahr für die Lebensmittelproduktion werden kann.

Zur Gewährleistung von mehr Bäumen und zur Renaturierung von Mooren und Flüssen wurde in dieser Woche die europäische Verordnung zur Wiederherstellung der Natur – das sogenannte EU-Renaturierungsgesetz – beschlossen. Dabei waren die Verhältnisse im Rat der Mitgliedstaaten zur Abstimmung über das neue Gesetz bis zuletzt knapp. Die Mehrheit kam schließlich durch einen Kurswechsel Österreichs zustande. Die österreichische Klimaschutz- und Umweltministerin stimmte dem Gesetz zu und stellte sich damit gegen die Partei des Bundeskanzlers ÖVP.

Die wichtigsten Inhalte des Renaturierungsgesetzes

Ziel des Renaturierungsgesetzes ist die kontinuierliche, langfristige und nachhaltige Erholung der biologischen Vielfalt und widerstandsfähige Natur in den Land- und Meeresgebieten innerhalb der Europäischen Union durch die Wiederherstellung von Ökosystemen.

Die EU-Mitgliedstaaten werden dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2050 geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um nahezu alle geschädigten Ökosysteme auf ihrem jeweiligen Staatsgebiet zu renaturieren. Sämtliche Arten von Lebensräumen müssen einbezogen werden – darunter Wälder, Moore, Wiesen, Seen, Flüsse und Meere.

In diesem Zuge soll unter anderem die Pflanzung von mindestens drei Milliarden zusätzlicher Bäume bis zum Jahr 2030 erfolgen und die gleichzeitige Schaffung frei fließender Flüsse auf einer Länge von 25.000 km oder mehr gewährleistet werden.

Zudem sieht die Verordnung einen Stufenplan vor:

  • bis zum Jahr 2030 müssen die Mitgliedsstaaten in mindestens 30 % der terrestrischen und aquatischen Ökosysteme Maßnahmen zur Renaturierung einführen;
  • Bis zum Jahr 2040 müssen die Staaten in mindestens 60 % und
  • bis zum Jahr 2050 in mindestens 90 % der geschädigten Ökosysteme die vorgesehenen Maßnahmen für die Renaturierung vornehmen, um die Land- und Meeresflächen wieder in einen „guten“ Naturzustand zu versetzen.

Darüber hinaus sollen bis zum Jahr 2050 sukzessiv die landwirtschaftlichen Moorflächen wiedervernässt und somit renaturiert werden.

Sobald ein terrestrisches und/oder aquatisches Gebiet wieder in einem guten Zustand ist, müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass es zukünftig zu keiner wesentlichen Verschlechterung kommt.

Bewertung und Ausblick

Nach langwieriger Ausarbeitung des Renaturierungsgesetzes sollte mit der Verabschiedung im Rat eine Ausrichtung für eine biologische Vielfalt auf landwirtschaftlichen Flächen und damit eine Ausrichtung für ein nachhaltiges Wirtschaften geschaffen werden. Ob die vorzunehmenden Maßnahmen im Einklang mit den Interessen des landwirtschaftlichen Sektors stehen werden, bleibt jedoch abzuwarten.

Auch eine etwaige Auflockerung der verabschiedeten Regelungen ist indes noch möglich. Denn der Bundeskanzler Österreichs hat im Vorfeld der Abstimmung zur Verabschiedung des Renaturierungsgesetzes aufgrund einer aus seiner Sicht rechtswidrigen Abstimmung durch die Umweltministerin angekündigt, eine Nichtigkeitsklage beim EuGH einzureichen. Daher ist überdies noch unklar, ob das Gesetz tatsächlich in der nun verabschiedeten Form bestehen bleibt.

Autor/in
Dennis Gerdes

Dennis Gerdes
Legal Consultant
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