26.05.2021

Dauerbrenner: Software vs. Mitbestimmung (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG) - Über die Irrungen und Wirrungen des BAG

Hintergrund

Die erforderliche Beteiligung des Betriebsrats bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist ein Dauerbrenner in der betrieblichen Praxis und hat erheblichen Einfluss auf die fortschreitende Digitalisierung von Unternehmen. Corona hat als Katalysator erheblichen Einfluss auf die Arbeitswelt und durch den hierdurch bedingten Zuwachs des Arbeitens von zu Hause steht die Einführung technischer Einrichtungen (hierzu zählt regelmäßig auch Software) an der Tagesordnung. Die oftmals coronabedingte Kooperationsbereitschaft der überwiegenden Mehrheit der Betriebsräte war und ist beeindruckend. Dennoch werden hierbei vielfach Problemfelder eröffnet, die keine sind. Insbesondere fehlt es leider oft an der Überzeugung, dass regelmäßig nicht die Leistungs- und Verhaltenskontrolle Grund für die Einführung von Software ist.

Unternehmen haben ein großes Interesse daran, ihren Mitarbeitern eine zeitgemäße Infrastruktur zu bieten. Produkte wie Office 365 oder MS Teams dienen aus Arbeitgebersicht nicht der Überwachung, sondern sollen den Arbeitsalltag der Mitarbeiter vereinfachen. Das Bundesarbeitsgericht sollte diese Erkenntnis berücksichtigen und seine Rechtsprechung ändern. Denn die seit Jahrzehnten unzutreffende BAG-Rechtsprechung mit Blick auf die „Bestimmtheit“ führt dazu, dass letztlich jede Software eine technische Einrichtung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist.

In der Praxis führt dies leider dazu, dass einige Betriebsräte eine grundsätzliche Blockadehaltung an den Tag legen. Im Kern geht es nicht mehr um den Mitarbeiter und den Betrieb, sondern um die Ausübung von Mitbestimmungsrechten ausschließlich um der Mitbestimmung willen.

Rechtliche Grundlage: Gesetz und zu starre Rechtsprechung

1. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG: Wortlaut und Geschichte

Rechtsgrundlage der betrieblichen Mitbestimmung bei technischen Einrichtungen ist § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Nach der Vorschrift ist der Betriebsrat zu beteiligen bei der „Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen.“ Die tatsächliche Reichweite des Mitbestimmungstatbestands lässt sich vom Wortlaut ausgehend noch nicht erahnen. So war auch bei Inkrafttreten der Vorschrift im Jahr 1971 seine heutige Bedeutung nicht absehbar. Eingefügt wurde diese Regelung, da bei der Überwachung durch technische Einrichtungen die Besonderheit besteht, dass – anders als bei menschlicher Überwachung – eine Vielzahl von Daten erhoben und verarbeitet werden kann. Für die Arbeitnehmer ist oft nicht ersichtlich, ob und wie eine technische Einrichtung ihr Verhalten überwacht. In der Gesetzesbegründung stellt der Gesetzgeber darauf ab, dass diese Gefahr von technischen Kontrolleinrichtungen ausgehe, die den Zweckhaben das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen.

Nach dem Gesetzeswortlaut ist es klar: Die Arbeitnehmerüberwachung muss ureigene Bestimmung der Einrichtung sein. Darüber hinaus dürfte der Anwendungsbereich dann nur eröffnet sein, wenn der Arbeitgeber eine Einrichtung zum Zwecke der Überwachung einsetzen möchte (auch wenn die Einrichtung per se nicht zur Überwachung bestimmt ist).

2. BAG-Rechtsprechung: Bestimmtheit = Möglichkeit

Seine weitreichende Bedeutung hat der Tatbestand erst durch die extensive Auslegung des BAG erhalten. Allen voran eine 46 Jahre alte Grundsatzentscheidung (BAG, 9.9.1975 – 1 ABR 20/74), die bis heute nachwirkt. Zum Zeitpunkt dieser Entscheidung war Microsoft 5 Monate, die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin waren 2 Jahre alt. Das BAG stellte damals fest, dass eine Bestimmung zur Überwachung bereits dann vorliege, wenn die technische Einrichtung dazu geeignet sei, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Es ist weder eine Überwachungsabsicht des Arbeitgebers noch eine tatsächliche Auswertung der leistungs- oder verhaltensbezogenen Daten notwendig. Das BAG stützt seine Auslegung auf die Erwägung, dass es für den Arbeitnehmer keinen Unterschied mache, ob die Überwachung das vom Arbeitgeber verfolgte Ziel sei oder nur einen Nebeneffekt darstelle. Inwiefern mit dieser Begründung die Umdeutung des Wortlauts „bestimmt“ zum Begriff „geeignet“ gerechtfertigt werden kann, ist nicht nur fraglich, sondern falsch. So steht die Rechtsprechung des BAG seitdem zu recht stark in der Kritik. Konkretisiert hat das BAG nicht mehr.

Diese extensive und nach der hier vertretenen Ansicht unzutreffende Auslegung des BAG führt zu einem falschen Verständnis des § 87 I Nr. 6 BetrVG und schließlich dazu, dass der Betriebsrat bei nahezu jeder Einführung einer technischen Einrichtung zu beteiligen ist. In der Folge stellen selbst Microsoft-Excel oder ein Outlook-Gruppenkalender solche Überwachungseinrichtungen dar.

Lese-Tipp: Einen ausführlicheren Beitrag finden Sie in "SPA - Schnellinformation für Personalmanagement und Arbeitsrecht, Heft 8/2020

Best Practice: Umgang mit § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bei der Einführung von Software

In der Praxis zeigt sich deutlich, welche Schwierigkeiten die extensive Rechtsprechung des BAG mit sich bringt. Denn nahezu jeder HR-relevante Sachverhalt ist mitbestimmt.

Da nach der Rechtsprechung des BAG bereits das Sammeln von verhaltensbezogenen Daten den Mitbestimmungstatbestand auslöst, ist auch die Einführung von Office-Software betroffen. Bereits eine in Microsoft Excel geführte Anwesenheitsliste ist zur Überwachung geeignet. Die in Excel hinterlegte Summenformel mache eine Verarbeitung der leistungsbezogenen Daten möglich (LAG Hamm, 10.4.2018 – 7 TaBV 113/16; ungeachtet dessen sah das LAG Hamm die Voraussetzungen selbst ohne hinterlegte Summenformel bereits als erfüllt an). Die Anwendung des Outlook-Gruppenkalenders erlaube dem Arbeitgeber eine Auswertung im Hinblick auf die Koordination der Termine oder der Termindichte des Arbeitnehmers (LAG Nürnberg, 21.2.2017 – 7 Sa 441/16).

Besonders problematisch wird es bei technisch komplexen Lösungen wie Workday, SAP Success Factors oder die bereits angesprochenen Office 365 und MS Teams. Hierbei muss es das Unternehmen schaffen, den Betriebsrat frühzeitig einzubinden, um – wenn im BR selbst nicht schon vorhanden – das erforderliche technische Know-How im Gremium aufzubauen. Andernfalls läuft die Einführung solcher umfassender Systeme oft in die Einigungsstelle.

1. Zugriffsrechte des BR: Mitbestimmung muss anlassbezogen sein

In der Beratungspraxis zeigt sich häufig das Problem, dass Betriebsräte dauerhaft und ohne konkreten Anlass Zugriffsrechte auf bestimmte Software-Lösungen haben wollen (regelmäßig unter dem Begriff „Einhaltung von Datenschutzgrundsätzen“). Hierbei ist herauszustellen, dass Datenschutz per se – d. h. ohne jeden Aufgabenbezug des Betriebsrates – nicht mitbestimmt ist. Insbesondere nach Einführung der DS-GVO besteht jedoch in vielen Unternehmen der Irrtum, dass der Betriebsrat auch ohne Aufgabenbezug bei datenschutzrechtlich relevanten Themen mitzubestimmen habe. Regelmäßig führt dies dazu, dass Betriebsräte weitreichende Zugriffsrechte in System- und auch Mitarbeiterdaten fordern. In einem Beschluss vom 9. April 2019 hat das BAG (1 ABR 51/17) in diesem Kontext – der Betriebsrat forderte in dem dortigen Fall die automatische Weitergabe von Mitteilungen über die Schwangerschaft einer Mitarbeiterin – in Fortführung der ständigen Rechtsprechung nochmals zwei Punkte hervorgehoben:

  • der Betriebsrat muss darlegen, dass „Überhaupt eine Aufgabe des Betriebsrates gegeben ist“ und „im Einzelfall die begehrte Information zur Wahrnehmung der Aufgabe erforderlich ist“;
  • „Daher hat der Betriebsrat bei der Geltendmachung eines auf sensitive Daten gerichteten Auskunftsbegehrens das Vorhalten von Maßnahmen darzulegen, welche die berechtigten Interessen der betroffenen Arbeitnehmer - vorliegend der ihre Schwangerschaft mitteilenden Arbeitnehmerinnen - wahren.“

In einem anderen Kontext – es ging um die durch den Betriebsrat geforderte dauerhafte Überlassung von Gehaltslisten – stellte das BAG fest: „Der Betriebsrat kann die dauerhafte Überlassung der näher beschriebenen Bruttoentgeltlisten an den Betriebsausschuss unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt beanspruchen.“ (BAG, 29.09.2020 – 1 ABR 32/19).

2. Updates: Erneute Mitbestimmung bei Aktualisierungen

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass regelmäßig Updates für die jeweilige Software anstehen. Mit Blick auf § 87 I Nr. 6 BetrVG besteht bei einer Vielzahl von Updateskein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates. Ein solches besteht nur dann, wenn die Aktualisierung (d. h. die durch ein Update eingetretene Veränderung der Software) die Möglichkeit einer intensiveren Überwachung oder eine neue Qualität der Überwachung eröffnet. Die meisten Updates dienen allerdings ausschließlich einer Verbesserung der Systemsicherheit oder der Benutzerfreundlichkeit. In all diesen Fällen ist bereits kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gegeben.

Dennoch fordern Betriebsräte – oftmals ohne Berücksichtigung der eigenen zeitlichen Kapazitäten – ein umfassendes Zustimmungserfordernis sämtlicher Updates. In der Praxis der Gestaltung von Betriebsvereinbarungen hat sich die folgende vermittelnde Lösung bewährt:

Formulierungshilfe:

„Aktualisierung der Software
(1) Die Software wird mit dem technischen Stand, wie er am Tag des Inkrafttretens dieser Vereinbarung besteht, eingeführt. Die Parteien sind sich darüber einig, dass Aktualisierungen der Software keine Neueinführung bzw. Anschaffung der Software darstellen, solange die Edition, bzw. die enthaltenen Module nicht durch den Arbeitgeber verändert werden und der Betrieb der Software nach den in dieser Betriebsvereinbarung geregelten Grundsätzen erfolgt. Vor diesem Hintergrund können durch den Hersteller der Software veranlasste Service- und Sicherheitsupdates sowie Updates, die der Behebung von Fehlern dienen, ohne Information des Betriebsrates durchgeführt werden.

(2) Der Arbeitgeber wird die Entwicklungen im Zusammenhang mit der Software, insbesondere in Hinblick auf Privatsphäre und Sicherheit beobachten und nach eigenem Ermessen notwendige Maßnahmen treffen, um die in dieser Betriebsvereinbarung geregelten Grundsätze sicherzustellen.

(3) Der Betriebsrat kann, sofern und soweit sich der Funktionsumfang in Hinblick auf die Privatsphäre der Mitarbeiter verändert, diese Änderung des Funktionsumfanges bei der Geschäftsleitung rügen, welche diese Rüge prüfen und mit dem Betriebsrat in ergebnisoffene Gespräche eintreten wird, um die weiteren Maßnahmen abzustimmen.“

Ändert sich hingegen durch das Update die Qualität der Überwachung, stellt dies eine (erneute) Einführung einer technischen Einrichtung und somit eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme dar. Das Gleiche gilt natürlich auch dann, wenn bei einer umfangreichen HR-Suite nach Einführung verschiedene Elemente bzw. Pakete zusätzlich gekauft werden. Besondere Vorsicht ist bei einem „SaaS-Modell“ („software as a service“) geboten. Kennzeichnend für SaaS ist, dass die komplette IT-Administration der Software von einem externen Dienstleister übernommen wird. Dieser führt auch Wartungsarbeiten und Softwareaktualisierungen durch, zum Teil ohne dass der Auftraggeber etwas davon erfährt. Somit kann es unbemerkt zum Entstehen eines mitbestimmungswidrigen Zustands kommen.

3. Klassiker: Beweis- und Verwertungsverbote

Verstärkt seit Einführung der DS-GVO teilen Betriebsräte oftmals mit, dass man mit der Einführung einer Software-Lösung einverstanden sei, wenn ein umfassendes Beweis- und Verwertungsverbot in eine Betriebsvereinbarung aufgenommen werde. Tatsächlich ist hierbei zu berücksichtigen, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates insoweit nicht besteht. Selbst wenn man eine solche Regelung aufnehmen würde, hätte diese – jedenfalls bezogen auf die disziplinarische Maßnahme im Verhältnis des Arbeitgebers zu dem betroffenen Mitarbeiter – im Falle eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens keine Wirkung. Denn die Betriebsparteien haben schlicht keine Regelungskompetenz, um Beweis- und Verwertungsverbote zu vereinbaren. So hat das LAG Baden-Württemberg in einem Urteil vom 6. Juni 2018 (21 Sa 48/17) in erfreulicher Klarheit mit Blick auf ein Beweis- und Verwertungsverbot – geregelt in einer BV – auf das Folgende hingewiesen:

„Eventuelle in den Betriebsvereinbarungen zum Ausdruck kommende eigenständige Verwertungsverbote bei Verstößen gegen die in den Betriebsvereinbarungen zur Auswertung und Erhebung von Daten befindlichen Regelungen, begründen kein gerichtliches Verwertungsverbot oder eine Einschränkung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung durch das Gericht. Die Betriebsparteien können gegenüber der Rechtspflege, zu denen u.a. die Gerichte berufen sind, mangels Regelungskompetenz keine über die Gesetze hinausgehenden Verwertungsverbote schaffen.“

Dieses Verständnis ist für Unternehmen deshalb von Bedeutung, weil nach der hier vertretenen Auffassung die Regelung zu einem Beweis- und Verwertungsverbot folgerichtig nicht Gegenstand des Spruchs einer Einigungsstelle sein kann. In der Praxis wird vor diesem Hintergrund bei der Einführung von Software häufig die folgende Formulierung gewählt:

„Leistungs- und Verhaltenskontrolle

  1. Generierte Daten werden im Grundsatz ausschließlich zur Administration der Software genutzt (z.B. Fehlersuche, Zugriffskontrolle). Der Zugriff auf solche generierten Daten ist ausschließlich den mit der Administration betrauten Personen zum Zwecke der Systemadministration gestattet.
     
  2. Der Arbeitgeber verpflichtet sich grundsätzlich, die möglicherweise durch die Software generierte Daten nicht zum Zwecke der Leistungs- und Verhaltenskontrolle zu nutzen. Dies gilt dann nicht, wenn die schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers diejenigen des Mitarbeiters überwiegen.
     
  3. Schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers sind die Vermeidung von Gefährdungen der Systemsicherheit sowie die Verhinderung und die Aufdeckung von arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen und Straftaten, Missbrauch oder Verstoß gegen die in dieser Betriebsvereinbarung aufgestellten Nutzungsregeln. Der begründete, konkrete und dokumentierte Verdacht eines Verstoßes berechtigt den Arbeitgeber unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Einleitung von Kontrollmaßnahmen und ggf. auch zur Durchführung personenbezogener Auswertungen. Der Betriebsrat ist darüber zu unterrichten.“
Fazit

In der Praxis sind Arbeitgeber gut beraten, Betriebsräte frühzeitig in die geplante Anschaffung einer Software einzubinden. Darüber hinaus sollte auch frühzeitig ein klares Verständnis zu den regelmäßig auftretenden Problemen bei dem Umgang mit Updates sowie der Auswertung von Daten (Stichwort: Beweis- und Verwertungsverbot) kommuniziert werden. Andernfalls kann sich die Einführung von Software erheblich verzögern; im worst case können solche Projekte sogar gänzlich scheitern. Regelmäßig hilft es, wenn Vertreter des Betriebsrates bereits mit in die Werbe-Workshops der verschiedenen Anbieter kommen. Eine flankierende Maßnahme bei Software-Lösungen kann der Abschluss einer Rahmenbetriebsvereinbarung sein. In dieser kann im Vorhinein bspw. der Umgang mit späteren Softwareaktualisierungen geregelt werden.

Autor/in
Klaus Thönißen, LL.M. (San Francisco)

Klaus Thönißen, LL.M. (San Francisco)
Partner
Essen
klaus.thoenissen@luther-lawfirm.com
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