11.05.2022
Dem Arbeitsmarkt machen schon seit einiger Zeit in vielen Bereichen nicht nur die Veränderungen in der Arbeitswelt zu schaffen, sondern insbesondere auch der mit dem demografischen Wandel einhergehende Fachkräftemangel. Ähnlich verhält es sich mit den kontinuierlich ändernden Wünschen und Vorstellungen der Mitarbeitende und den aktuellen politischen Entwicklungen.
Der Fachkräftemangel besteht branchenübergreifend. Spätestens nach den „Hilferufen“ aus Großbritannien mit Blick auf leere Supermarktregale im vergangenen Jahr ist offenkundig, dass unter anderem die Logistikbranche mit einer dramatischen Personalnot zu kämpfen hat. Mit Beginn der Pandemie rückte auch die Personalnot in der Gesundheitswirtschaft in den Fokus, die vom demografischen Wandel ohnehin doppelt betroffen ist. Denn einerseits sinken die verfügbaren Arbeitskräfte, gleichzeitig steigt der Bedarf durch die alternde Gesellschaft. Und auch die im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine immer dringlicher werdende Energiewende wird derzeit durch den Fachkräftemangel in der Energiebranche ausgebremst.
Aktuelle demografische Daten lassen vorhersehen, dass sich diese Situation – soweit hier nicht zeitnah effektiv und kreativ gegengesteuert wird – in der Zukunft leider noch deutlich verschärfen wird. Die Abnahme der erwerbsfähigen Bevölkerung wird erst etwa im Jahr 2030 mit dem Ausscheiden des geburtenstärksten Jahrgangs (1964) in Deutschland ihren Höhepunkt erreichen. Es ist zu erwarten, dass sich dieser Trend auch danach noch weiter fortsetzt. Modellrechnungen gehen von einem Absinken des Arbeitsangebots um etwa 30 % bis zum Jahr 2060 im Vergleich zum Jahr 2010 aus (vgl. Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Auftrag der Bundesregierung, Mai 2011).
Was können Unternehmen also tun, um mit dem Personal- und Fachkräftemangel effizient und nachhaltig umzugehen?
Insbesondere durch die fortschreitende Digitalisierung und Technologisierung verändern sich die Arbeitsbedingungen kontinuierlich. Aus- und Weiterbildungskonzepte von Arbeitgebenden werden daher weiter an Bedeutung gewinnen. Daneben wird vielfach auch der Einsatz fremden Personals und Outsourcing – national und international – wichtiger, um der Personalnot und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Darüber hinaus wird auch immer mehr der Fokus darauf gelegt werden müssen, wie bewährtes Personal gehalten und Bewerbern attraktive Arbeitsbedingungen geboten werden können. Ein zentraler Punkt, der hier immer weiter in den Vordergrund rückt, ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und damit einhergehend die Frage der Ermöglichung von Flexibilität und Freiräumen.
1. Ausländerbeschäftigung bzw. grenzüberschreitende Beschäftigungen
Als Strategie um dem Personal- und Fachkräftemangel wirksam entgegenzusteuern, kommen insbesondere Konzepte zur Beschäftigung bzw. gezielten Anwerbung von ausländischem Personal in Betracht. Deutschland ist dabei schon seit Jahren bemüht, die Einwanderung von Fachkräften zu fördern. Unter anderem die „Flüchtlingskrise 2015/2016“ hat insoweit noch einmal viel Bewegung in die (Neu-)Regulierung zur Beschäftigung von Ausländern gebracht. Viele Unklarheiten konnten zwischenzeitlich geklärt werden, Verfahren wurden teils neu geregelt. Aktuell wurden zudem für durch den Ukrainekrieg Vertriebene zwischenzeitlich eine Vielzahl von Vereinfachungen und Erleichterungen geschaffen. Dies betriff
u. a. den erleichterten Erhalt einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis über § 24 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Zudem steht derzeit in Rede, dass auch die Anerkennung von Berufsqualifikationen aus der Ukraine erleichtert werden soll.
Trotz der Neuregelungen und Schaffungen von (ggf. auch nur vorübergehenden) Ausnahmen und Erleichterungen lauern jedoch nach wie vor einige rechtliche Fallstricke, u. a. im Zusammenhang mit dem Aufenthalts- und Arbeitsrecht. Ähnliches gilt auch für die Anerkennung von Berufsqualifikationen, die rechtlich komplex bleiben werden und vom Arbeitgebenden im Zuge der Anwerbung und Beschäftigung von Personen mit Berufsabschlüssen aus dem Ausland beachtet werden müssen.
2. Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen
Der derzeitige Wandel der Arbeitswelt führt dazu, dass neben der Zuwanderung zur Arbeitsaufnahme weitere spannende Konzepte zur Flexibilisierung mit und ohne Auslandbezug zunehmend in den Fokus rücken und an praktischer Relevanz gewinnen.
Bereits vor Beginn der Corona-Pandemie zeigte sich zum Beispiel immer deutlicher, dass auf Seiten der Arbeitnehmenden der Wunsch immer größer wird, möglichst frei darüber entscheiden zu dürfen, „wann“, „wie“ und insbesondere von „wo“ die Arbeitsleistung erbracht werden kann bzw. darf. Während der Pandemie haben Arbeitnehmende zwischenzeitlich sogar überwiegend mobil oder von zu Hause gearbeitet. Hieran möchte ein Großteil der Arbeitnehmerschaft – ggf. auch nur teilweise – weiterhin festhalten, wie sich auch aus einer Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aus November 2021 ergibt. Insofern wird auch die Option zur mobilen Arbeit u. U. verbunden mit Konzepten zur frei(er)en Arbeitszeitgestaltung ggf. auch aus dem Ausland eine spannende Option im Wettbewerb um hochqualifizierte Fachkräfte sein.
3. Rechtliche Rahmenbedingungen
Insbesondere Konzepte mit Auslandsbezug stellen Arbeitgebende allerdings vor rechtliche Hürden, die bei der Beschäftigung von Ausländern und allgemein bei der Arbeit aus dem Ausland überwunden werden müssten. Denn ansonsten drohen unvorhergesehene Überraschungen – sowohl für den Arbeitgebenden als auch den Arbeitnehmenden selbst.
Neben Fragen der (vertraglichen und inhaltlichen) Ausgestaltung oder der ordnungsgemäßen Beteiligung der Arbeitnehmervertretungen stellen sich u. a. auch Fragen nach etwaigen sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Auswirkungen.
Flexible Beschäftigungskonzepte können sich aus unterschiedlichen Hintergründen und Interessenlagen ergeben. Aktuell wirft insbesondere der Ukrainekrieg bei vielen (inter-)nationalen Arbeitgebenden die Frage auf, wie Vertriebenen möglichst schnell und insbesondere unbürokratisch in der aktuellen Situation geholfen werden kann, um anzukommen, fußzufassen und wieder ein wenig Freiheit zurückzugewinnen. Dazu zählen neben einer Unterkunft und dem Erhalt von medizinischer Versorgung und Sozialleistungen sicherlich auch der Zugang zum nationalen Arbeitsmarkt und damit die Aufnahme einer Beschäftigung. Auch wenn einige Arbeitgeber während der sog. „Flüchtlingskrise 2015/2016” bereits erste oder vertieftere Erfahrungen mit dem deutschen Aufenthaltsrecht und den verschiedenen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnissen sammeln konnten, bestehen nach wie vor erhebliche Unsicherheiten, wann, wie und auf welche Weise ausländische Arbeitskräfte beschäftigt oder durch Subunternehmer eingesetzt werden können und dürfen.
In unserer Beitragsserie zum Themenschwerpunkt „Dem Personal- und Fachkräftemangel effektiv begegnen“ werden wir u. a. die grundlegenden rechtlichen Rahmenbedingungen (bspw. Grundvoraussetzungen für eine bzw. bei einer Beschäftigung in Deutschland) aufzeigen, um ein wenig Licht in die Wirrungen des deutschen Aufenthalts- und Arbeitsrechts, einschließlich des Sozialversicherungs- und Steuerrechts, zu bringen. Dabei werden wir praktische Möglichkeiten aufzeigen und Tipps zu geben sowie einen besonderen Fokus auf aktuelle Sonderregelungen bei der Beschäftigung von vertriebenen Ukrainern legen.
Neben diesen grundlegenden Themen werden außerdem Beiträge zu Branchenbesonderheiten (z. B. zur Anerkennung von Berufsqualifikationen reglementierter Berufe im Gesundheitswesen) und Beiträge zu flexiblen (inter-)nationalen Beschäftigungskonzepten folgen. Dabei werden wir uns mit praktischen Handlungsoptionen, Grenzen und Haftungsrisiken rund um die nachfolgenden Fragestellungen befassen:
Nina Stephan
Counsel
Essen
nina.stephan@luther-lawfirm.com
+49 201 9220 24758
Anna Büscher
Senior Associate
Düsseldorf
anna.buescher@luther-lawfirm.com
+49 221 5660 13624