13.11.2020
Seit Beginn der Corona-Krise geistern die Schlagwörter Sperrzeiten und Ruhezeiten durch alle Medien. Während die Bedeutung meist relativ klar bekannt ist, besteht hinsichtlich ihrer Abgrenzung von einander vielfach Unsicherheit. Der nachfolgende Beitrag versucht Licht ins Dunkel zu bringen.
Otto von Bismarck gilt als Erfinder der Sozialversicherung. Zwischen 1883 und 1889 führte er in Deutschland zunächst die Krankenversicherung, danach eine Unfall- und schließlich eine Invalidenversicherung ein. Im Jahre 1927 folgte dann die Arbeitslosenversicherung. Insbesondere der Zweig der Arbeitslosenversicherung sorgt in Deutschland dafür, dass die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses nicht zu einem radikalen Einschnitt in die Lebensverhältnisse des bislang Beschäftigten führt, sondern vielmehr für die (idealerweise kurze) Übergangszeit bis zu einer erneuten Beschäftigung ein ansehnliches Niveau von 60% bzw. bei bestehendem Anspruch auf Kindergeld sogar von 67% des bisherigen (pauschalierten) Nettoentgelts beibehalten werden kann.
Nicht selten führt der Bescheid der Agentur für Arbeit aber zu Erstaunen. Dies zwar nicht zwingend aufgrund der Höhe des bewilligten Arbeitslosengeldes, denn der Betrag ist über den Prozentsatz des zu Grunde liegenden Leistungsentgelts leicht zu errechnen, sondern vielmehr im Hinblick auf den Beginn und die tatsächliche Dauer der Leistung. Bei beiden Parametern lassen sich Abweichungen von der gesetzlichen Höchstdauer gemäß der Tabelle in § 147 Abs. 2 SGB III auf die einschlägigen Sperrzeiten und/oder Ruhezeiten zurückführen. Beide Begriffe liegen von der Auswirkung nahe beieinander, bezwecken und bewirken jedoch höchst unterschiedliche Effekte, die nachfolgend dargestellt werden sollen.
In Abhängigkeit von der bisherigen Dauer des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses und dem bereits vollendeten Lebensalter variiert die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld zwischen 6 und 24 Monaten. So erhalten bspw. Versicherte mit einem bereits mindesten 48 Monate bestehenden Beschäftigungsverhältnis Arbeitslosengeld I für volle 24 Monate, wenn sie bei Beginn der Leistung das 58. Lebensjahr bereits vollendet haben. Ein 57-jähriger würde hingegen lediglich für 18 Monate Leistungen beziehen können, während bei Vollendung des 50. Lebensjahr, aber noch nicht des 55. Lebensjahres der Anspruch auf 15 Monate beschränkt ist. Unabhängig vom vollendeten Lebensalter besteht bei einer Beschäftigungsdauer von 24 Monaten für 1 Jahr Anspruch auf Arbeitslosengeld I.
Diese grundsätzlich bestehende Anspruchsdauer mindert sich u.a. bei Vorliegen eines Sperrzeittatbestandes. Eine entsprechende Rechtsfolge sieht § 148 Abs. 1 SGB III in seinen Nummern 3 und 4 vor.
Während § 148 Abs. 1 Nr. 3 SGB III die Anspruchsdauer für den Fall mindert, dass angebotene Arbeit abgelehnt wird, die Eigenbemühen als unzureichend eingestuft werden, berufliche Eingliederungsmaßnahmen, Integrationskurse oder auch berufsbezogene Deutschsprachförderungen abgelehnt oder abgebrochen werden, Meldefristen versäumt werden oder auch nur die Arbeitssuchendmeldung verspätet erfolgt, sieht § 148 Abs. 1 Nr. 4 SGB III die in der Praxis häufigste Minderungsmöglichkeit vor. Die Anspruchsdauer mindert sich nach dieser Norm für die Anzahl von Tagen einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe. In seinem zweiten Halbsatz verschärft die Regelung die Kürzungspflicht sogar noch auf ein Viertel der Anspruchsdauer, so dass bei der maximal möglichen Anspruchsdauer von 24 Monaten bei einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe insgesamt 6 Monate der Anspruchsdauer gekürzt werden können. Umgekehrt kann sich diese Verschärfung dann nicht auswirken, wenn die originäre Anspruchsdauer lediglich 12 Monate beträgt. Dann entsprechen sich die ¼-Kürzung und die originäre Minderung um 12 Wochen zeitlich. Beiden gemeinsam ist der sanktionsähnliche Charakter bei einem festgestellten Fehlverhalten der versicherten Person. Auf die einzelnen Tatbestände soll nachfolgend näher eingegangen werden.
Die einzelnen Sperrzeittatbestände der Nummer 3 betreffen im Kern die in § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 7 SGB III geregelten Fälle. Die Minderung der Anspruchsdauer beträgt, wie sich aus dieser Norm ergibt, zwischen einer und zwölf Wochen. Die genaue Dauer der Sperrzeit hängt dabei von der Häufigkeit des versicherungswidrigen Verhaltens ab. Sowohl bei Arbeitslosen, als auch bereits bei frühzeitig bei der Agentur für Arbeit als Arbeitssuchende gemeldete Personen werden bei Ablehnung von Arbeit mit einer Sperrzeit von 3 bis 12 Wochen sanktioniert. Damit können selbst Personen vom Tatbestand erfasst werden, die noch in einem Arbeitsverhältnis stehen, sich aber bereits wegen dessen bevorstehender Beendigung nach Maßgabe des § 38 Abs. 1 SGB III arbeitssuchend gemeldet haben. Hintergrund ist die Einbeziehung in die Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit vom Zeitpunkt der Arbeitssuchendmeldung an. Dies dient dem Ziel, schon vor Eintritt der Arbeitslosigkeit eine nahtlose Anschlussbeschäftigung zu finden und folglich den Leistungsfall der Arbeitslosigkeit zu vermeiden. In der Praxis empfiehlt es sich daher, die gesetzlich normierte Obliegenheit einer Arbeitssuchendmeldung bis spätestens 3 Monate vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses möglichst weit auszureizen und diese Meldung folglich möglichst spät erst zu tätigen. So soll einerseits die Sanktion einer verspätet erfolgten Meldung vermieden, zugleich aber auch sichergestellt werden, dass die sanktionsbehafteten Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit nicht zu früh beginnen. Selbstredend ist die Intention des Gesetzgebers mit einer möglichst frühen Arbeitssuchendmeldung die Arbeitslosigkeit nach Möglichkeit gänzlich zu vermeiden, nachvollziehbar und aus arbeitspolitischer Sicht zu begrüßen. Für Zwecke dieses Aufsatzes soll jedoch auf den Leistungsbezug und mögliche Hinderungsgründe eingegangen werden, so dass zumindest gedanklich ein anderer Ansatz notwendig ist.
Doch nicht jede Arbeitsablehnung führt in ihrer Konsequenz zu einer Sperrzeit. Soweit das von der Agentur für Arbeit angebotene Beschäftigungsverhältnis für den Versicherten unzumutbar ist, begründet die Ablehnung desselben auch keine Sperrzeit. Für die Frage, ob allgemeine oder personenbezogene Gründe der Annahme des Angebots entgegenstehen, das Angebot mithin unzumutbar erscheint, ist auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abzustellen. Die zentralen Anknüpfungspunkte dürften hier regelmäßig der angebotene Lohn und die Pendelstrecke zur neuen Beschäftigungsstätte sein. Im Hinblick auf die neue Vergütung ist auf die Grenzen des § 140 Abs. 3 SGB III hinzuweisen, wonach in den ersten 3 Monaten eine Minderung im Vergleich zum bisherigen Bemessungsentgelt von mehr als 20 Prozent und vom vierten bis einschließlich sechsten Monat vom mehr als 30% unzumutbar ist. Ab dem siebten Monat der Arbeitslosigkeit sinkt die Zumutbarkeitsschwelle indes auf die Höhe des ansonsten zustehenden Arbeitslosengeldes ab.
Im Hinblick auf die zumutbare Pendelzeit zwischen Wohnort und neuer Beschäftigungsstätte hat die Schwelle der Zumutbarkeit bei einer Fahrtstrecke von zweieinhalb Stunden (bei mehr als sechs Arbeitsstunden täglich) und zwei Stunden bei einer Tätigkeit bis sechs Arbeitsstunden täglich inzwischen Eingang in das Gesetz gefunden. Jedoch gibt es hiervon vereinzelt Ausnahmen, die eine generelle Aussage verhindern.
Schließlich hat die Agentur für Arbeit bei Vermittlungsvorschlägen aber auch familiäre Bindungen zu berücksichtigen sowie gesundheitliche Aspekte in die Entscheidung einfließen zu lassen. Letztere können beispielsweise durch entsprechende ärztliche Atteste nachgewiesen werden.
Weiterhin sanktioniert § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III unzureichende Eigenbemühungen bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung mit einer Sperrzeit von zwei Wochen. Die generelle Bereitschaft zur Beendigung der Arbeitslosigkeit ist bereits Anspruchsvoraussetzung gem. § 138 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 SGB III, so dass ohne sie Arbeitslosengeld I nicht gezahlt werden kann. Da die Bereitschaft zu Eigenbemühungen und damit die Voraussetzung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld I dem Grunde nach schwer zu überprüfen ist, hat der Gesetzgeber den Weg zu einer Konkretisierungmit anschließender Einzelfallprüfung und ggf. moderaten Sanktionen gewählt. Fehlt es an erkennbaren Eigenbemühung und/oder kann der Versicherte hierüber keine ausreichenden Nachweise vorlegen, so vermindert sich der Anspruch um 2 Wochen.
Der Sperrzeittatbestand des § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB III setzt, trotz vorheriger Belehrung über die Rechtsfolgen, die Weigerung des Arbeitslosen voraus, an einer der Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung teilzunehmen, welche ihm konkret angeboten worden sind. Der Tatbestand erfasst jedoch aufgrund der abschließenden Aufzählung nur die dort genannten Maßnahmen der Aktivierung und beruflichen Eingliederung iSd. § 45 SGB III, der Maßnahmen zur beruflichen Ausbildung oder Weiterbildung und schließlich der Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Hat die Maßnahme bereits begonnen, der Arbeitslose damit an dieser teilgenommen und bricht er erst in der Folgezeit die Maßnahme ab, so ist dies nicht mehr von der Nummer 4 umfasst. Allerdings sanktioniert § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB III explizit auch den Abbruch einer zumutbaren Maßnahme durch eine bewusste und gewollte und damit schuldhafte endgültige Einstellung der Teilnahme einerseits sowie alternativ durch maßnahmewidriges Verhalten, welches zum Ausschluss führt. Selbstverständlich führt der Abbruch einer Maßnahme aufgrund objektiver Hinderungsgründe, wie z.B. Krankheit oder einem unabwendbaren Ereignis (Schließung der Einrichtung aufgrund der Corona-Pandemie) nicht zu einer Sanktionierung durch Ausspruch einer Sperrzeit. Eine Sperrzeit wird auch dann nicht verhangen, wenn in der zweiten Alternative der Abbruch durch einen unrechtmäßigen Ausschluss von der Maßnahme erfolgte. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss sich der Abbrecher nur berechtigte Reaktionen auf sein (Fehl-)Verhalten zurechnen lassen. Für die Frage der Rechtmäßigkeit kommt es jedoch nicht auf die formellen Aspekte (formelle Rechtmäßigkeit) an.
Weiter sanktioniert § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB III das Fehlverhalten eines Arbeitslosen, sich trotz Aufforderung (Einladung) der Agentur für Arbeit nicht zu melden oder nicht zu einem ärztlichen Untersuchungstermin zu erscheinen. Auch bei dieser Norm kann eine Sanktion nur dann erfolgen, wenn die Einladung rechtmäßig erfolgte, d.h. inhaltlich bestimmt und an die konkrete arbeitslose Person gerichtet war. So muss bspw. auch die Stelle, bei der sich der Arbeitslose melden soll, konkret bezeichnet sein. Nicht ausdrücklich geregelt und bisher auch noch nicht durch die Rechtsprechung entschieden ist, ob das Fehlverhalten schuldhaft erfolgt sein muss. Allerdings sprechen hierfür die Vergleiche zu den anderen Sperrzeittatbeständen.
Schließlich sanktioniert § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB III die verspätete Arbeitssuchendmeldung mit einer Sperrzeit von einer Woche. Diese hat nach dem mittlerweile geänderten Wortlaut des § 38 Abs. 1 SGB III spätestens drei Monate vor Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zu erfolgen.
Anders als die Sperrzeit lässt das Vorliegen eines Ruhenstatbestandes den grundsätzlich bestehenden Leistungsanspruch, d.h. das Stammrecht, im Hinblick auf die Anspruchsdauer unberührt. Der Anspruch ruht vielmehr im Sinne einer gesetzlichen Zahlungssperre. Der Arbeitslose kann folglich seinen eigentlich bestehenden Anspruch auf Auszahlung des Arbeitslosengeldes I nicht geltend machen. Folge des Ruhens ist daher, dass die Zahlbarkeit des Anspruchs nur zeitlich hinausgeschoben wird.
Liegt einer der oben dargestellten Sperrzeittatbestände vor, so treffen Ruhens- und Sperrzeit aufeinander. Während der Ruhenstatbestand lediglich den Auszahlungsanspruch hinausschiebt, führt der Sperrzeittatbestand zu einer Kürzung der Anspruchsdauer. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen.
Der 59-jährige Arbeitnehmer A hat in den letzten 20 Jahren als loyaler Mitarbeiter mitgeholfen das Unternehmen X am Markt zu etablieren. Nunmehr möchte die Geschäftsführung der Kurs des Unternehmens radikal verändern. A, der mit diesem Richtungswechsel so nicht einverstanden ist, überwirft sich mit der Geschäftsführung und kündigt noch am 31. März sein Beschäftigungsverhältnis in einer Affekthandlung. Nachdem A keinen neuen Arbeitsplatz findet, möchte er schnellstmöglich Arbeitslosengeld I beziehen.
Aufgrund der deutlich mehr als vierjährigen versicherungspflichtigen Tätigkeit für das Unternehmen und des bereits vollendeten 58. Lebensjahres hat A dem Grunde nach einen Anspruch auf 24 Monate Arbeitslosengeld I.
Bedingt durch die Aufgabe des Beschäftigungsverhältnisses ohne wichtigen Grund stellt die Agentur für Arbeit den Eintritt einer Sperrzeit gem. § 148 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 SGB III für 12 Wochen fest und kürzt den Stammanspruch aufgrund der gesetzlichen Anordnung in § 148 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 SGB III um ein Viertel des grundsätzlich zustehenden Anspruchs, vorliegend um 6 Monate. Der verbleibende Anspruch auf Arbeitslosengeld beträgt daher 24 – 6 = 18 Monate.
Darüber hinaus ruht der Anspruch auf die 18 Monate Arbeitslosengeld führ die Dauer der Sperrzeit gem. § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Diese Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe beträgt 12 Wochen beginnend mit dem Folgetag nach der Arbeitsaufgabe, so dass der Anspruch erst am dem 24. Juni Arbeitslosengeld gezahlt werden kann.
Während ein Ruhenstatbestand lediglich zur einer Verschiebung des Leistungsanspruchs führt, verringert eine festgestellte Sperrzeit die eigentlich zustehende Anspruchsdauer. Der Anspruch verringert sich dabei grundsätzlich um die Dauer der festgestellten Sperrfrist. In den Fällen der Arbeitsaufgabe kann die Verringerung aufgrund der gesetzlich verankerten Viertel-Kürzung deutlich größer ausfallen. Bei richtiger Gestaltung kann zwar nicht die Wirkung des Ruhens, wohl aber die Verminderung der Anspruchsdauer aus dem Sperrzeittatbestand vermieden werden.
Dr. Joachim Reichenberger, LL.M., EMBA (Washington D.C.)