16.12.2020
Die Richtlinie 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union – auch Arbeitsbedingungenrichtlinie genannt – ist am 31. Juli 2019 in Kraft getreten. Sie löst die sog. Nachweisrichtlinie (Richtlinie 91/533/EWG vom 14. Oktober 1991) ab. Dabei erweitert die Arbeitsbedingungenrichtlinie im Vergleich zu der Nachweisrichtlinie nicht nur den Katalog der arbeitgeberseitigen Informationspflichten, sondern führt zusätzlich eine Reihe von materiellen Arbeitnehmerschutzbestimmungen ein.
Der europäische Gesetzgeber wollte schon beim Erlass der Nachweisrichtlinie nicht nur die Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer transparenter machen, sondern auch die Arbeitsbedingungen selbst verbessern. Während die Nachweisrichtlinie aus Sicht des europäischen Gesetzgebers nur dem ersten dieser beiden Ziele gerecht wurde, soll die Arbeitsbedingungenrichtlinie einen Schritt weiter gehen. Die Mitgliedstaaten haben bis zum 01.08.2022 Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Sollte die Umsetzung in nationales Recht nicht bis zum 01.08.2022 erfolgt sein, finden die Regelungen ab diesem Zeitpunkt jedenfalls aber direkte Anwendung.
Die Arbeitsbedingungenrichtlinie soll für „jeden Arbeitnehmer in der Union gelten, der nach den Rechtsvorschriften, Kollektiv- bzw. Tarifverträgen oder Gepflogenheiten in dem jeweiligen Mitgliedstaat einen Arbeitsvertrag hat oder in einem Arbeitsverhältnis steht“. Dabei ist auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen. Das wird voraussichtlich dazu führen, dass neben den Arbeitnehmern i.S.d. § 611a BGB auch diejenigen von der Richtlinie profitieren werden, die zwar nicht von § 611a BGB erfasst sind, aber nach unionsrechtlicher Bewertung als vergleichbar schutzwürdig erachtet werden.
Ein besonderes Augenmerk legt die Arbeitsbedingungenrichtlinie auf atypische Beschäftigte, deren Schutz mit den neuen Regelungen verbessert werden soll. Dazu zählen Arbeitnehmer, die befristet, in Teilzeit oder als Zeitarbeiter beschäftigt sind. So trifft den Arbeitgeber z.B. die Pflicht, vorab Referenzstunden und –tage zu bestimmen, innerhalb derer der Arbeitnehmer zur Arbeit aufgefordert werden kann. Zudem hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer innerhalb einer angemessenen Ankündigungsfrist über einen Arbeitsauftrag zu informieren. Kommt er einer dieser Verpflichtungen nicht nach, kann der Arbeitnehmer den Arbeitsauftrag ablehnen, ohne dass ihm daraus Nachteile entstehen dürfen.
Bei befristeten Arbeitsverhältnissen soll zukünftig die Dauer der Probezeit im Verhältnis zur Dauer des erwarteten Arbeitsverhältnisses und der Art der Tätigkeit stehen. Wann genau dies noch der Fall sein soll, lässt sich der Richtlinie leider nicht entnehmen. Es ist zu hoffen, dass der deutsche Gesetzgeber an dieser Stelle etwas deutlicher wird, damit diese Frage am Ende nicht durch die Gerichte zu klären ist.
Die Informationspflichten werden sich zukünftig u.a. auch auf die Dauer und Bedingungen der Probezeit, die Identität der entleihenden Unternehmen im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung sowie das bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses einzuhaltende Verfahren erstrecken. In diesem Zusammenhang unklar und kontrovers diskutiert ist, ob die Arbeitsbedingungenrichtlinie auch eine Warn- und Hinweispflicht des Arbeitgebers bezüglich der Klage- und Ausschlussfristen gemäß §§ 4, 7 KSchG für das gerichtlichen Kündigungsschutzverfahren vorsieht. Es bleibt abzuwarten, wie sich der deutsche Gesetzgeber in dieser Hinsicht positionieren wird.
Die Arbeitsbedingungenrichtlinie greift schließlich auch die voranschreitende Digitalisierung auf und eröffnet dem Arbeitgeber die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer die erforderlichen Informationen nicht nur schriftlich, sondern alternativ auch in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass der Arbeitnehmer das elektronische Dokument speichern und drucken können muss.
Hinsichtlich der Fälligkeit der Informationspflichten sieht die Arbeitsbedingungenrichtlinie eine Verschärfung im Vergleich zu ihrem Vorgänger vor. Die Informationen müssen zukünftig zwischen dem ersten Arbeitstag und spätestens dem siebten Kalendertag des Arbeitsverhältnisses zur Verfügung gestellt werden.
Um eine effektive Durchsetzung der Informationspflichten zu gewährleisten, lässt die Arbeitsbedingungenrichtlinie den Mitgliedstaaten die Wahl, für den Fall der nicht oder nur unzureichend erfolgten Information des Arbeitnehmers, für diesen entweder günstige Vermutungsregelungen einzuführen, oder ihm die Möglichkeit zu eröffnen, bei einer zuständigen Behörde eine Beschwerde einzureichen. Darüber hinaus werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, Sanktionen für Verstöße festzulegen.
Achim Braner
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