19.02.2020
Mit dem am 01.01.2020 in Kraft getretenen „Gesetz zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften“ gehen einige Änderungen im Zivilprozessrecht einher, etwa wird dem Zivilgericht in § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO n.F. die Möglichkeit der „Hinzuziehung eines Sachverständigen“ eröffnet.
Die Neuregelung des § 144 Abs. 1 ZPO n.F. sieht die Befugnis des erkennenden Zivilgerichts vor, auch ohne entsprechenden Antrag einer Partei nach eigenem Ermessen einen Sachverständigen als Berater zum Rechtsstreit hinzuzuziehen, um den Prozess zu beschleunigen. Die frühe Beteiligung eines Sachverständigen am Rechtsstreit ermöglicht eine frühe Einschätzung des Rechtsstreits aus fachkundiger Perspektive. Hierdurch kann das Gericht etwa bei der Erfassung und Einordnung des Streitstoffes sowie bei gerichtlichen Vergleichsvorschlägen unterstützt werden. Ein eventuell später notwendiges Gutachten als Sachverständigenbeweis kann durch eine frühe Beteiligung des Beraters bereits vorbereitet werden, gleiches gilt für die präzise fachgerechte Formulierung eines eventuellen Beweisbeschlusses. Daneben kann der einer Zeugenvernehmung beiwohnende sachverständige Berater bereits gezielte Rückfragen an den Zeugen stellen, sodass spätere Rückfragen vermieden werden können.
Ob eine Anordnung der Hinzuziehung eines Sachverständigen erfolgt, steht im Ermessen des Gerichts; ein entsprechender Antrag einer Partei ist nicht notwendig. Dies unterscheidet die Hinzuziehung von dem Beweismittel des Sachverständigen, der einen entsprechenden Beweisantritt einer Partei erfordert. Nachdem das Gericht einen geeigneten Sachverständigen ausgewählt hat, dürfte es sinnvoll sein, die Parteien auf das beabsichtigte Vorgehen hinzuweisen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Anordnung der Hinzuziehung erfolgt durch einen Beschluss des Gerichts oder als vorbereitende Verfügung. Durch die Neufassung, die eine „Hinzuziehung“ anstatt wie zuvor eine „Begutachtung“ vorsieht, ist klargestellt, dass der Sachverständige auch außerhalb einer Beweisaufnahme als fachlicher Berater fungieren kann. Inhaltlich kann die Anordnung die Erstattung eines mündlichen oder schriftlichen Gutachtens, eine Inaugenscheinnahme oder die Vornahme einer Untersuchung vorsehen. § 144 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO n.F. ermöglichen es dem Gericht, weitere Anordnungen zur Durchsetzung der Hinzuziehung zu treffen. Dort sind Vorlage- und Duldungsanordnungen gegenüber den Parteien und Dritten geregelt, die nach Ansicht des Gerichts im Besitz des Gegenstandes zur Begutachtung sind. Für das weitere Verfahren gelten nach § 144 Abs. 3 ZPO n.F. die Vorschriften entsprechend, die eine auf Antrag angeordnete Einnahme des Augenscheins oder Begutachtung durch Sachverständige zum Gegenstand haben. Die Anordnung der Hinzuziehung eines Sachverständigen darf nicht von der Zahlung eines Auslagenvorschusses abhängig gemacht werden. Dies ergibt sich zwar nicht ohne weiteres aus der gesetzlichen Regelung, jedoch geht dieser Wille eindeutig aus der Gesetzesbegründung des Regierungsentwurfs hervor. Es ist hierbei jedoch zu berücksichtigen, dass die Kosten der Hinzuziehung des Sachverständigen dennoch zu den Kosten des Rechtsstreits gehören und nach dessen Abschluss von den Parteien zu tragen sind.
Teils besteht bei der Hinzuziehung eines Sachverständigen die Gefahr, dass verwertbare Erkenntnisse für eine Beweiswürdigung gewonnen werden. Hierdurch kann der im Zivilprozess geltende Beibringungsgrundsatz verletzt werden. Nach diesem ist der Prozessstoff von den Parteien vorzutragen und das Gericht stellt, anders als im Strafprozess, keine eigenen Sachverhaltsermittlungen an. Dieser Grundsatz ist daher bei der Ermessensausübung des Gerichts zu berücksichtigen. Ermessensfehlerhaft ist eine Anordnung der Hinzuziehung etwa, wenn ein entsprechender Beweisantrag als unzulässiger Ausforschungsbeweis zurückzuweisen wäre. Umgekehrt kann jedoch auch die Unterlassung der Hinzuziehung fehlerhaft sein, wenn zum Beispiel besondere Schwierigkeiten des Klägers bestehen, der ihm auferlegten Darlegungslast zu genügen.
Die Hinzuziehung eines Sachverständigen stellt dem Gericht ein Mittel zur Verfügung, auf eigene Initiative den Zivilprozess zu beschleunigen. Unklar bleibt allerdings, inwieweit das Verfahren dieser Hinzuziehung der Parteiöffentlichkeit unterliegt. Aus der entsprechenden Anwendung der Vorschriften zu der auf Antrag angeordneten Begutachtung ergibt sich, dass konkrete Weisungen des Gerichts an den Sachverständigen jedenfalls den Parteien mitzuteilen sind, vgl. § 404a ZPO. Bereits im Gesetzgebungsverfahren nahmen der Deutsche Richterbund und die Bundesrechtsanwaltskammer zu dem Entwurf Stellung und forderten, dass die Beratung durch den Sachverständigen für die Parteien transparenter gestaltet sein solle. Es müsse innerhalb des Verfahrens im Einzelnen geregelt werden, ob den Parteien ein Anspruch auf aktive oder passive Teilnahme an der Beratung durch den Sachverständigen zustehe. Aus diesen Gründen erscheint eine weitere Konkretisierung des Verfahrens wünschenswert, um eine angemessene Beteiligung der Parteien sicherstellen zu können.
Dr. Stephan Bausch, D.U.
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