04.09.2020

Die in Vergessenheit geratenen Brexit-Verhandlungen

Autoren: York-Alexander von Massenbach und Ronja Grönwoldt

Hintergrund

Auch die siebte Brexit-Verhandlungsrunde über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich hat zu keinem signifikanten Fortschritt geführt. Die Fronten scheinen verhärtet, doch es bleibt kaum noch Zeit für eine Einigung: Das Abkommen muss spätestens Ende Oktober vollständig feststehen, um noch bis zum Ende der Übergangsphase am 31. Dezember 2020 parlamentarisch ratifiziert werden zu können. Auch eine Verlängerung der Übergangsphase ist seit dem 30. Juni 2020 endgültig nicht mehr möglich. Kommt in den nächsten Wochen keine Einigung zustande, so werden die Briten daher zum Ende des Jahres ohne ein Abkommen aus der EU ausscheiden – der sogenannte „no deal“-Brexit. Die nächste Verhandlungsrunde beginnt am 7. September 2020. Doch unabhängig von der Frage, ob ein Freihandelsabkommen zustande kommen sollte, wird das Ende der Brexit-Übergangsphase am 31. Dezember 2020 zu vielen Veränderungen führen. Dieser Beitrag soll einen Überblick über den aktuellen Stand der durch die Corona-Pandemie erschwerten Verhandlungen gewähren, sowie einen Ausblick auf die ab dem 1. Januar 2021 zu erwartenden Änderungen bieten.

I. Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen

Im Fokus der Brexit-Verhandlungen steht ein mögliches Freihandelsabkommen. Dieses wäre zwar weit entfernt von einem gemeinsamen Binnenmarkt und einer Zollunion, hätte jedoch den Vorteil, dass Zölle entfielen und die negativen wirtschaftlichen Folgen geringer als bei einem „no deal“-Brexit ausfielen. Doch das Zustandekommen eines Freihandelsabkommens ist unsicher. Zwar wünschen sich beide Parteien grundsätzlich Zollfreiheit - über viele weitere essentielle Punkte konnte bisher jedoch noch keine Einigkeit erzielt werden.

Formell wird auf Seiten der EU ein umfassendes Freihandelsabkommen angestrebt, welches möglichst viele der bestehenden Regularien weitestgehend erhalten soll.

Auf Seiten des Vereinigten Königreichs werden hingegen mehrere Abkommen angestrebt: Ein allgemeines Freihandelsabkommen - orientiert an denen der EU mit Drittstaaten– und daneben weitere einzelne Abkommen für die Bereiche Fischerei, nukleare Zusammenarbeit, Luftfahrt, Energie, justizielle Zusammenarbeit sowie Strafverfolgung.

Inhaltlich herrscht - über viele Einzelfragen hinaus- noch große Uneinigkeit in Bezug auf die Wettbewerbsregeln, Fischereirechte und die Rolle des EuGH:

1. Wettbewerbsregeln („Level playing field“)

Einer der großen Streitpunkte bilden faire Wettbewerbsbedingungen. Insbesondere im Bereich von Staatshilfen herrscht Uneinigkeit.

Die EU zielt zur Erreichung fairer Marktbedingungen auf die Vereinbarung eines sogenannten „Level Playing Fields“ ab. Um einen unfairen Wettbewerb zum Nachteil europäischer Unternehmen und Bürger, etwa durch britische Staatshilfen oder Dumping, zu verhindern, fordert die EU, dass sich die Vertragsparteien verpflichten, die jeweiligen Schutzbestimmungen in den Bereichen Beihilferecht, Steuern, Arbeitsrecht sowie Umweltschutz einzuhalten.

Die Briten hingegen wollen sich möglichst wenig an die Regeln und Standards der EU binden. Insbesondere im Bereich der Beihilfen streben sie möglichst wenig Regulierung an und haben ein eigenes Antisubventionsregime vorbereitet. Das Beharren auf diesem Standpunkt hat neben wirtschaftlichen vor allem politische Gründe, denn den britischen Wählern wurde mit dem Austritt aus der EU eine Unabhängigkeit von der EU-Aufsicht versprochen.

2. Fischereirechte

Ein weiterer eher emotional als wirtschaftlich geprägter Streitpunkt in den Verhandlungen sind die Fischereirechte. Ein Großteil der europäischen Fischereigebiete liegt im britischen Hoheitsgebiet. Die gemeinsame Fischereipolitik der EU sah Fangquoten zur Aufteilung der Fangmengen sowie gleiche Zugangsrechte für die Mitgliedsstaaten vor. Das Vereinigte Königreich fordert nun die Schaffung eines sogenanntes „zonal attachments“: Die Briten wollen mit der EU jährlich Quoten für die Verteilung von „britischem“ Fisch verhandeln, um den Vorrang der britischen Fischer sicherzustellen. Dies würde insbesondere Fischer aus Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Deutschland und Spanien betreffen, die bislang einen großen Anteil an den Fangquoten hatten. Die Minister der betroffenen Länder lehnen zur Sicherung ihrer Fangquoten das von den Briten vorgeschlagene System entschieden ab.

3. Rolle des EuGH

Weiterhin herrscht Uneinigkeit über die künftige Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Die EU möchte den EuGH als letzte Instanz für Streitfragen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich wahren. Die Briten streben hingegen eine vollständige Herauslösung aus dem Zuständigkeitsbereich des EuGH als Teil der parlamentarischen Souveränität an. Derzeit wird als Kompromiss über die Errichtung eines Schiedsgerichts verhandelt, welches sich aus Richtern des EuGH und des britischen Supreme Court zusammen setzen könnte. 

4. Weitere Verhandlungsthemen

Auf Grund der primär diskutierten Grundsatzfragen sind viele darüber hinausgehende Themen in den Hintergrund getreten und werden bereits aus Zeitgründen nicht mehr rechtzeitig ausgehandelt werden können. Erwähnenswert erscheinen jedoch die derzeit noch stattfindenden Verhandlungen in den folgenden Bereichen:

Finanzdienstleistung

Die EU strebt bezüglich der Finanzdienstleistung keine Regelung im Rahmen des Freihandelsabkommens, sondern einseitig kündbare Äquivalenzentscheidungen an. Das Vereinigte Königreich hingegen fordert zur Sicherung des Finanzzentrums London eine verbindliche Verpflichtung zur Gewährung des Markzugangs im Freihandelsabkommen.

Durchsetzung von Forderungen

Infolge des Brexits entfällt die Möglichkeit der automatischen Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen aus dem Vereinigten Königreich innerhalb der EU, was sich auf das Vereinigte Königreich als attraktiver Gerichtsstandort auswirken könnte. Zwar wird diesbezüglich aktuell noch verhandelt, eine Einigung ist nach derzeitigem Stand jedoch unsicher. Zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich wären aufgrund eines bilateralen Abkommens von 1960 Geldforderungen jedoch weiterhin vollstreckbar.

Datenschutz

Die Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung in britisches Recht ist erfolgt, daher werden diese Regelungen auch nach dem Ende der Übergangszeit weiter gelten. Die EU befürchtet allerdings, dass dieses hohe Datenschutzniveau von britischer Seite künftig abgeschwächt werden könnte. Ob eine Angemessenheitsentscheidung der EU-Kommission ergehen wird ist deshalb noch Teil der laufenden Verhandlungen.

II. Änderungen unabhängig von einem möglichen Freihandelsabkommen

Unabhängig von dem Zustandekommen eines Freihandelsabkommens wird der Austritt der Briten aus der EU unzählige weitere Auswirkungen haben. Viele Problemkreise werden sich erst nach dem Austritt herauskristallisieren, dennoch wollen wir auf die folgenden, bereits absehbaren Veränderungen hinweisen, die nicht Teil der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen sind:

Der Brexit hebt die Niederlassungs- und Arbeitnehmerfreizügigkeit zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich auf. Abgesehen von Verhandlungen zur erleichterten Einreise für Dienstreisen sind diese auch nicht Teil der Verhandlungen. Die nationalen britischen Neuregelungen zur Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis befinden sich in einem fortgeschrittenem Stadium. Der Gesetzesentwurf zum neuen punktebasierten Einwanderungsrecht könnte nach derzeitigem Stand noch rechtzeitig verabschiedet werden. Das Punktesystem soll die Zuwanderung nach Qualifikation steuern, eine Bevorzugung von EU-Bürgern ist dabei nicht vorgesehen.

Weiterhin hebt der Brexit die Dienstleistungsfreiheit zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich auf. Verhandlungen finden derzeit nur im Bereich der Finanzdienstleistung statt. Doch selbst wenn im Bereich der Finanzdienstleistung eine Einigung erzielt werden sollte, sind Regelungen im übrigen Dienstleistungssektor derzeit nicht im Gespräch.

III. Was sind die Folgen, wenn keine Einigung über ein Freihandelsabkommen erzielt werden kann? Der „no-deal“ Brexit

Sollte eine Einigung über ein Freihandelsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU nicht rechtzeitig erzielt werden, so treten die Briten ohne Deal aus der EU aus.  In diesem Fall gäbe es zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich keinen freien Warenverkehr mehr.

Die EU hat bereits angekündigt, keine Erleichterungen für die Wareneinfuhr aus dem Vereinigten Königreich gewähren zu wollen. Es würde der bereits jetzt auf Drittstaaten anwendbare Unionszollkodex (UZK) gelten.

Für die Wareneinfuhr in das Vereinigte Königreich würde der neue britische Zolltarif („UK Global Tariff –UKGT“) anwendbar. Die durchschnittlichen Zollsätze des UKGT sind geringer als die des UZK. Darüber hinaus sind Zollbefreiungen für bestimmte Waren vorgesehen, insbesondere für Haushaltswaren und Lebensmittel. In der Automobil- und Landwirtschaft sowie Fischerei würde es hingegen zu Einfuhrzöllen kommen. Der Zolltarif läge beim Import eines PKW beispielsweise bei etwa 10 %. Die Erhebung von Einfuhrzöllen hätte spürbare Auswirkung auf die deutsche Wirtschaft, da diese etwa 7 % ihrer Exportgüter in das Vereinigte Königreich ausführt.

In diesem Zusammenhang möchten wir auf das Online-Tool der britischen Regierung zur Einsichtnahme der zu erwartenden Zollsätze (https://www.check-future-uk-trade-tariffs.service.gov.uk/tariff) hinweisen. Mit diesem können im Exportgeschäft tätige Unternehmen die voraussichtlich zu erwartenden Zollsätze für einzelne Waren kalkulieren.

IV. Ausblick

Letztlich werden sich eindeutige Aussagen über die nach dem Ende der Übergangsphase am 31. Dezember 2020 eintretenden Folgen erst dann treffen lassen, wenn feststeht, ob ein Abkommen zustande kommen wird. Unsere Handlungsempfehlung an deutsche Unternehmen ist es, sich unverändert auf einen „no-deal“ Brexit einzustellen, um diesem - nach derzeitigen Stand durchaus möglichen – „Worst-Case-Szenario“ nicht unvorbereitet entgegen zu treten. Dabei stehen wir Ihnen gerne beratend zur Seite und möchten in diesem Zusammenhang auf unsere Brexit-Homepage und unsere Brexit-Broschüre verweisen.