12.08.2024

Die neue Rolle ausländischer Schiedsinstitutionen mit Verwaltungssitz in der VR China

Hintergrund

Die Schiedsgerichtsbarkeit in der Volksrepublik China (VR China) befindet sich im Wandel und eröffnet neue Entfaltungsmöglichkeiten für ausländische Schiedsinstitutionen. Dieser Wandel lässt sich sowohl in der Rechtsprechung als auch in der neuen gesetzlichen Entwicklung wiederfinden.

Besondere Beachtung finden hierbei zwei kürzlich (d.h. 2022 und 2024) vom Supreme People’s Court of China veröffentlichte Urteile, die neue Möglichkeiten zur Durchführung von Schiedsverfahren bei ausländischen Schiedsinstitutionen mit Verwaltungssitz in der VR China eröffnen.

Ausgangslage im chinesischen Recht: Sitz der Schiedsinstitution entscheidet über Nationalität des Schiedsspruchs

Gemäß Art. 58 des chinesischen Schiedsgesetzes (SchiedsG) bestimmt sich die Nationalität des Schiedsspruchs nach dem Sitz der Schiedsinstitution und nicht, wie es in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit die Regel ist, nach dem Sitz des Schiedsgerichts. Nach chinesischem Recht liegt demnach ein ausländischer Schiedsspruch vor, wenn dieser in einem von einer ausländischen Schiedsinstitution verwaltenden Schiedsverfahren mit Sitz in der VR China erlassen wurde. Die Frage nach der Nationalität des Schiedsspruchs hat auch Auswirkungen auf dessen Anerkennung und Vollstreckung: Während inländische Schiedssprüche von dem zuständigen Gericht unmittelbar vollstreckt werden, bedarf es für die Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche einer Anerkennung durch das zuständige chinesische Gericht nach der New Yorker Konvention über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (New Yorker Konvention).

Für Schiedsverfahren, die von ausländischen Schiedsinstitutionen mit Sitz in der VR China verwalten werden, haben die Gerichte der VR China nun neue Maßstäbe zur Wirksamkeit solcher Schiedsvereinbarungen und Vollstreckbarkeit solcher Schiedssprüche gesetzt, die rechtlich zwar nicht bindend sind, aber auf eine immer offener werdende und schiedsgerichtsfreundlichere Haltung der chinesischen Gerichte hindeuten.

Urteil des Guangzhou Intermediate People’s Court: Anerkennung des Territorialitätsgrundsatzes

Im Jahr 2022 veröffentlichte der Supreme People’s Court of China ein Urteil des Guangzhou Intermediate People’s Court aus dem Jahr 2020. Das Gericht erkannte in der Rechtssache Brentwood Industries  Inc. V. Guangdong Fa’anlong Machinery Equipment Co., Ltd. den Territorialitätsgrundsatz an. Die Parteien des Rechtsstreits trugen die Streitigkeit vor einer ausländischen Schiedsinstitution, der International Chamber of Commerce (ICC), mit Sitz in Guangzhou in der VR China aus. Der erlassene Schiedsspruch sollte auf Antrag des Klägers nach der New Yorker Konvention oder der Vereinbarung über die gegenseitige Vollstreckung von Schiedssprüchen zwischen dem Festland und der Sonderverwaltungsregion Hongkong in China anerkannt und vollstreckt werden, wie dies für einen nach der chinesischen Gesetzeslage eigentlich „ausländischen“ Schiedsspruch notwendig wäre.

Der Guangzhou Intermediate People’s Court entschied hingegen, dass der Schiedsspruch einer ausländischen Schiedsinstitution mit Sitz in der VR China als inländischer Schiedsspruch zu qualifizieren sei, was die Vollstreckbarkeit noch leichter gestaltete. Diese Entscheidung stellt eine Wendung im chinesischen Schiedsrecht dar. Sie folgt dem in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit vorherrschenden Territorialitätsgrundsatz als dem die Nationalität eines Schiedsspruch prägenden Prinzip.

Diese Reformansätze in der chinesischen Schiedsgerichtsbarkeit spiegeln sich auch in der am 1. Januar 2024 in Kraft getretenen Neufassung der chinesischen Zivilprozessordnung (ZPG) der VR China wider. Mit der Änderung des Art. 304 ZPG wurde der ausländische Schiedsspruch neu definiert. Die alte Fassung verstand den ausländischen Schiedsspruch als „Schiedsspruch, der von einer ausländischen Schiedsinstitution erlassen wurde“. In der neuen Fassung ist der ausländische Schiedsspruch nunmehr als „Schiedsspruch, der außerhalb Chinas wirksam wird“ definiert. Die Verknüpfung mit dem Sitz der Schiedsinstitution ist ersatzlos weggefallen. Folglich werden nach den neuen Regelungen Schiedssprüche nicht mehr anhand des Sitzes der Schiedsinstitution bestimmt. Die Nationalität des Schiedsspruches richtet sich nunmehr nach dem Sitz des Schiedsverfahrens. Durch diese Annäherung Chinas an die internationalen Praxis wird (zukünftig) die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen erleichtert.

Urteil des Shanghai No. 1 Intermediate People’s Court: Zulässigkeit der Durchführung von Schiedsverfahren durch ausländische Schiedsinstitutionen

Im Januar 2024 veröffentlichte der Supreme People’s Court of China Gerichtsentscheidungen über die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen, darunter auch ein Urteil des Shanghai No. 1 Intermediate Court aus dem Jahr 2020, das die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung über die Durchführung eines Schiedsverfahrens in der VR China durch eine ausländische Schiedsinstitution zum Gegenstand hatte.

Ausgangslage der Entscheidung war eine auslandsbezogene Rechtsstreitigkeit zwischen zwei Parteien, die eine Schiedsvereinbarung in ihrem Vertrag aufgenommen hatten. Diese Schiedsvereinbarung sah vor, dass alle Streitigkeiten vor dem Singapore International Arbitration Centre (SIAC) unter Anwendung der SIAC-Schiedsregeln ausgetragen werden. Als Ort des Schiedsverfahrens wurde dabei Shanghai festgelegt. Die beklagte Partei berief sich auf die Unwirksamkeit dieser Schiedsvereinbarung und argumentierte, dass eine Klausel, die die Durchführung eines Schiedsverfahrens in der VR China durch eine ausländische Schiedsinstitution vorsieht, nicht mit dem chinesischen SchiedsG vereinbar und damit unwirksam sei.

Entscheidend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Klausel waren Art. 16 und Art. 10 SchiedsG. Nach Art. 16 SchiedsG müssen Schiedsverfahren vor einer „Schiedskommission“ („arbitration commission“) geführt werden. Art. 10 SchiedsG sieht vor, dass diese „Schiedskommissionen“ bei der Justizverwaltung der VR China registriert sein müssen, sodass ausschließlich inländische, chinesische Schiedsinstitutionen als zulässige „Schiedskommissionen“ in Betracht kommen.

Der Shanghai No.1 Intermediate People’s Court folgte dieser Rechtsauffassung nicht und sprach sich zum einen für die Wirksamkeit dieser Schiedsklausel, insbesondere auch für die Vereinbarkeit dieses Falles mit Art. 16 des chinesischen Schiedsgesetzes, aus und damit für die Zulässigkeit von Schiedsverfahren durch ausländische Schiedsinstitutionen. Was der Guangzhou Intermediate People’s Court in seiner obengenannten Entscheidung schon implizit vorausgesetzt hat, wurde damit durch den Shanghai No. 1 Intermediate People’s Court explizit bestätigt. Wesentliche Argumente des Shanghai No. 1 Intermediate People’s Court waren die folgenden:

  • Die von den Parteien vereinbarte Streitbeilegungsklausel war der wahre Ausdruck des Willens der Parteien und für beide Parteien vertraglich bindend.
  • Nach dem Kontext der Schiedsklausel und der Auslegung und Analyse beider Parteien war der Ort des Schiedsverfahrens Shanghai, China.
  • Beide Parteien bestätigten außerdem, dass das auf die Schiedsvereinbarung anwendbare Recht das chinesische Recht ist.
  • Beide Parteien wählten eine eindeutige und spezifische Schiedsinstitution, nämlich die SIAC.
Fazit und Ausblick

Die jüngsten Entwicklungen verdeutlichen die zunehmend schiedsfreundliche und offene Haltung der chinesischen Gerichte und lassen auf die bald anstehende Änderung des chinesischen Schiedsgesetzes hin zur Angleichung an internationale Schiedsstandards hoffen (siehe dazu hier). Da zu erwarten steht, dass Schiedssprüche ausländischer Schiedsinstitutionen bei den von ihnen in der VR China administrierten Verfahren in Zukunft gemäß dem Grundsatz der Territorialität als inländische Schiedssprüche qualifiziert und einfach vollstreckt werden können und entsprechende Schiedsklauseln wirksam sind, könnten ausländische Parteien auch diesen Weg über die von ihnen regelmäßig bevorzugten, ausländischen Schiedsinstitutionen gehen. Dies könnte zugleich dem Interesse der chinesischen Vertragspartner entsprechen, die ein Schiedsverfahren mit Sitz in der VR China bevorzugen, sodass mit einer Bereitschaft für solche Klauseln zu rechnen ist. Wichtig ist jedoch, dass eine entsprechende Schiedsklausel, soll eine solche in den Vertrag aufgenommen werden, auch im Übrigen wirksam gestaltet wird. Allzu häufig ergeben sich hier Fallstricke, die im Konfliktfall zu Problemen führen.

Autor/in
Katharina Klenk-Wernitzki, Dipl. Reg.-Wiss

Katharina Klenk-Wernitzki, Dipl. Reg.-Wiss
Partnerin
Berlin, Köln
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Dr. Madeleine Martinek, LL.M., LL.M. oec. (Nanjing)