22.09.2020
Auf erhebliche Auswirkungen muss sich die europäische Digitalwirtschaft einrichten: Der in diesem Jahr gestartete DigitalServiceAct (DSA), eine Regelungsinitiative der EU-Kommission, wird nach jetzigem Stand weitreichende Neuerungen in den Bereichen eCommerce, Kartellrecht, Urheberrecht, Datenschutz und AGB mit sich bringen. Im Kern geht es vor allem um die Regelung von Verantwortung für digitales Handeln, aber auch strukturell-regulatorische Vorgaben für den Wettbewerb im Bereich der Plattformökonomie. Das bringt aus Sicht von Unternehmen Risiken und Chancen mit sich.
Der Digital Services Act (DSA) ist eine dieses Jahr gestartete Regelungsinitiative der Europäischen Kommission, die erhebliche Auswirkungen auf die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Digitalwirtschaft im europäischen Binnenmarkt haben dürfte. Der DSA ist das Herzstück einer großangelegten Initiative der Kommission, die Europa als digitalen Global Player etablieren und den Ausbau und rechtliche Harmonisierung des digitalen Binnenmarktes vorantreiben soll. Nach derzeitigem Kenntnisstand wird das Gesetz weitreichende Neuerungen für Unternehmen in verschiedensten Bereichen wie eCommerce, Kartellrecht, Urheberrecht und Datenschutz mit sich bringen. Im Kern geht es vor allem um die Regelung von Verantwortung für digitales Handeln, aber auch strukturell-regulatorische Vorgaben für den Wettbewerb im Bereich der Plattformökonomie. Für Unternehmen birgt das neue Gesetz sowohl Risiken als auch Chancen. Mit welchen Neuerungen zu rechnen ist und warum es Unternehmen dringend zu empfehlen ist, die Entwicklungen genausten zu verfolgen, haben wir hier für Sie zusammengetragen.
Der DSA ist ein zentrales Vorhaben im Rahmen der Digitalstrategie der Kommission unter Kommissionspräsidentin von der Leyen. Die Digitalstrategie soll die EU langfristig im digitalen Markt positionieren, indem Wettbewerbshemmnisse ausgeräumt werden sollen und verstärkt in die digitale Infrastruktur und Innovation im Bereich der künstlichen Intelligenz investiert werden soll. Geplant sind ferner eine strengere Regulierung von Plattformen in Bezug auf Hate Speech und illegale Inhalte, mehr Transparenz über die Funktionsweise und Logik von Empfehlungen von Algorithmen, sowie eine Haftung für Plattformen.
Der geplante Digital Services Act verfolgt dabei insbesondere folgende Ziele:
Und warum sollten Unternehmen diese Entwicklung im Auge behalten? Im schlimmsten Fall könnten die neuen Regelungen einschneidende Folgen für die Geschäftsmodelle zahlreicher Unternehmen der Digitalwirtschaft haben. Doch selbst, wenn das Geschäftsmodell als solches nicht in Frage gestellt wird, könnten Unternehmen zukünftig umfassende neue Pflichten und Haftungsrisiken treffen.
Die fortschreitende Digitalisierung hat zahlreiche Vorteile, aber auch Herausforderungen mit sich gebracht. Der DSA soll die folgenden, von der Europäischen Kommission identifizierten Probleme bewältigen:
Mit dem DSA sollen umfassende EU-weite Regelungen für den digitalen Rechts- und Geschäftsverkehr eingeführt werden. Aktuell werden insbesondere neue Haftungsregelungen für Plattformen diskutiert. Zur Debatte steht dabei auch eine Abkehr vom Haftungsprivileg und der „Notice and take down“ Verpflichtung für Plattformbetreiber, was letztlich den Einsatz von automatisierten Filtermaßnahmen (etwa sog. Upload Filter) wahrscheinlich machen dürfte.
Weite Regelungsinhalte betreffen die Online-Werbung, Moderationsregeln zur Bekämpfung von illegalen Nutzerinhalten, Vorschriften zur Schaffung von Transparenz auf Empfehlungsplattformen und die Datenportabilität zwischen gleichgerichteten Dienstleistungsplattformen.
4.1 Ex-ante Regulierung großer Onlineplattformen und Vermeidung von Gatekeeper- und Netzwerkeffekten
Einige wenige große Online-Plattformen dominieren derzeit den digitalen Markt in der EU. Sie fungieren als Gatekeeper, kontrollieren ganze Plattform-Ökosysteme und machen es für Konkurrenten oder neue Marktteilnehmer damit nahezu unmöglich, in den Wettbewerb einzutreten oder dort zu bestehen. Dies wirkt sich nicht nur nachteilig auf den Wettbewerb aus, sondern hemmt auch Innovationen durch neue Unternehmen. Um dem entgegenzutreten, erwägt die Kommission die Schaffung einer neuen ex-ante Regulierung für große On- lineplattformen. Derzeit diskutiert die Kommission drei verschiedene Regelungsansätze, die sich in ihrer Regelungsintensität unterscheiden:
4.2 „New Competition Tool“ (s. auch unten Ziffer 9)
Möglich ist auch, dass zukünftig ein neues Wettbewerbsrecht geschaffen wird bzw. das bestehende europäische Wettbewerbsrecht ergänzt wird. Es soll ein neues Rechtsinstrument geschaffen werden, das bestimmte strukturelle Wettbewerbsprobleme angehen soll, die mit dem bestehenden Wettbewerbsrahmen nicht oder nicht effektiv bekämpft werden können. Zu nennen sind hier beispielsweise Monopolisierungsstrategien nicht marktbeherrschender Unternehmen mit Marktmacht oder parallele Hebelstrategien marktbeherrschender Unternehmen auf mehreren benachbarten Märkten.
4.3 Reform der Produktsicherheitsrichtlinie
Die geplante Reform der Produktsicherheitsrichtlinie wird unter anderem darauf abzielen, die Richtlinie an die Herausforderungen anzupassen, die neue Technologien und der Online- Verkauf mit sich bringen. Sie soll die Produktsicherheit gewährleisten und für eine bessere Durchsetzung und eine effizientere Marktüberwachung sorgen.
4.4 Überarbeitung des Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation
Der Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation, unterzeichnet im Oktober 2018, stellt auf freiwilliger Basis Standards auf. Die unterzeichnenden Vertreter der Online- Plattformen, führenden sozialen Netzwerke, Werbetreibenden und der Werbeindustrie haben sich selbst auf die Einhaltung dieser Standards verpflichtet. Die Kommission plant die Überprüfung des Verhaltenskodex zur Desinformation, um der Verbreitung von Desinformation entgegenzuwirken und die Möglichkeiten der Manipulation im öffentlichen Raum zu verringern. Hier ist jedoch momentan noch unklar, inwieweit sich Überschneidungen zum geplanten European Democracy Action Plan ergeben, der ebenfalls gegen Desinformationskampagnen vorgehen und dadurch die demokratischen Institutionen und die Pressefreiheit schützen soll.
4.5 Reform der E-Commerce-Richtlinie
Zum jetzigen Zeitpunkt werden verschiedene Regelungsszenarien diskutiert, die sich hinsichtlich ihres Regelungsniveaus unterscheiden. Möglich ist zunächst eine begrenzte Überarbeitung der Richtlinie, die lediglich Verfahrenspflichten für Online-Plattformen regelt und damit im Wesentlichen die Grundsätze der Empfehlung der Europäischen Kommission 2018 verbindlich macht. Möglich ist aber auch eine umfassende Reform, die den elektronischen Geschäftsverkehr aktualisiert und modernisiert. Im Rahmen der Reform könnte die Haftung für digitale Dienste neu geregelt werden, wobei zumindest die wichtigsten Grundsätze der Richtlinie beibehalten werden sollen.
Die E-Commerce-Richtlinie ist mittlerweile 20 Jahre alt und muss an den Stand der Technik angepasst werden. So erfasst sie beispielsweise nicht sämtliche relevanten digitalen Dienste und regelt zentrale Fragen wie die Haftung beziehungsweise Haftungsfreiheit von Hostprovidern für Nutzerinhalte in gerade einmal zwei Artikeln. Die jüngste Diskussion über die Bereichsausnahme im Rahmen der Urheberrechtsrichtlinie zeigt, dass hier dringender Klärungsbedarf besteht. Ferner gilt die E-Commerce-Richtlinie nicht für Dienste mit Sitz außerhalb der EU, obwohl gerade die Player mit der größten Marktmacht in diese Kategorie fallen. Sollte der europäische Gesetzgeber sich entscheiden im Digital Services Act das sogenannte Marktortprinzip zu verankern, gälten dessen Regelungen auch für digitale Dienste mit Sitz außerhalb der EU, sofern sie sich mit ihrem Angebot an den europäischen Binnenmarkt richten.
Der Digital Services Act soll sämtliche digitale Dienste erfassen inklusive ISPs, Clouddienste, soziale Medien, Content Delivery Networks, Suchmaschinen, Onlinewerbedienste, Smarte Verträge sowie andere Blockchain-Dienste und Domain Name Services. Es wird aber diskutiert die Dienste anhand von Größe und Marktmacht zu unterscheiden und bei den Pflichten und Verantwortlichkeiten dementsprechend zu differenzieren.
Der DSA ist eine Maßnahme im Rahmen der Digitalstrategie Europas. Der europäische Rechtsrahmen für digitale Dienste ist im Wesentlichen in der E-Commerce-Richtlinie geregelt. Darüber hinaus befassen sich weitere Rechtsakte mit spezifischen Problemen im Zusammenhang mit digitalen Diensten und Plattformen im Besonderen, darunter Richtlinien und Verordnungen, Mitteilungen und Empfehlungen sowie Maßnah- men auf Basis einer freiwilligen Zusammenarbeit. Daneben bestehen sektorspezifische Regulierungen, die erst kürzlich verabschiedet wurden oder noch im Gesetzgebungsverfahren sind, etwa die Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt, die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, oder die Verordnung über terroristische Online-Inhalte. Die dort für bestimmte Bereiche speziell normierten Regeln sollen durch den DSA nicht aufgehoben oder geändert werden. Stattdessen sollen die neuen Regelungen ergänzend hinzutreten und wo dies als nötig angesehen wird, Schutzlücken schließen. Auf Grund der großen Bandbreite der anvisierten Regelungsbereiche ergeben sich zahlreiche Schnittstellen mit anderen Initiativen wie der DSGVO und der geplanten E-Privacy-VO, oder der P2B-VO und dem „New Deal for Consumers“, um nur einige Beispiele zu nennen.
Der DSA könnte stärker zwischen Plattformen unterscheiden und die Aufsicht darüber demnach künftig möglicherweise an eine zentrale EU-Regulierungsbehörde übertragen. Mit welchen Kompetenzen diese Aufsichtsbehörde ausgestattet sein soll, ist bisher jedoch noch völlig offen.
Mit dem „New Competition Tool“ (NCT) hat die Europäische Kommission eine weitere Initiative angekündigt, bei der bis zum Ende des Jahre ein Gesetzesentwurf erwartet wird. Das NCT soll dazu dienen, strukturelle Wettbewerbsprobleme zu bekämpfen, die mit der derzeitigen Rechtsgrundlage der Artikel 101 und 102 AEUV nicht wirksam adressiert werden können. Insbesondere soll die Europäische Kommission die Befugnis erhalten Abhilfemaßnahmen gegen Unternehmen zu erlassen, ohne dass ein vorheriger Verstoß gegen das Kartell- oder Missbrauchsverbot festgestellt worden ist (sog. ex-ante Eingriffsbefugnisse). Diskutiert werden derzeit verschiedene Handlungsoptionen die entweder an einer bereits bestehenden Marktmacht eines Unternehmens ansetzen, oder bei denen die Märkte eine Marktstruktur aufweisen, die besonders anfällig für markmissbräuchliches Verhalten ist. Mit den neuen Befugnissen möchte die Europäische Kommission diejenigen Risiken lösen, die von sog. „gatekeepern“ ausgehen und einen fairen Wettbewerb in digitalen Märkten sicherstellen.
Anbieter von digitalen Dienstleistungen, die Berührungspunkte mit dem Regelungswerk des Digital Services Act haben könnten, müssen die Anforderungen an geplante Haftungsregelungen im Auge behalten. So wird diskutiert, europaweit einheitliche Haftungsreglungen für illegale Inhalte einzuführen. Diese einheitlichen Haftungsregelungen sollen hohe Standards setzen. Auch die Definitionen von „caching“ und „hosting service“ könnten erweitert werden. Ebenso könnten z. B. die Begrifflichkeiten des „passiven und aktiven Hostings“ der technischen Realität angepasst werden. Generell wird die Forderung nach pro aktiven Maßnahmen laut. Hier sollten Unternehmen mit einem digitalen Dienstleistungsangebot frühzeitig die entsprechenden technischen Vorkehrungen treffen und ihre Haftungsrisiken kennen.
Grundsätzlich dürfte die jeweilige Kostenbelastung von zahlreichen individuellen Faktoren, wie z. B. der jeweiligen Unterneh- mensgröße, dem bereitgestellten digitalen Angeboten sowie den bereits umgesetzten Maßnahmen zur Abwehr von rechtswidrigen Inhalten von Nutzern abhängen. Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen könnten – da diese durch den Digital Services Act gefördert werden sollen – unter Umständen aber auch finanzielle Vorteile erzielen. Jedoch sollte bereits jetzt die technische Umsetzung der vorgenannten Einhaltung der Haftungsmöglichkeiten in der Kostenplanung berücksichtigt werden.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die endgültige Gestalt des Digital Services Act noch reine Spekulation. Auf EU-Ebene hat die Kommission das Initiativrecht im Gesetzgebungsver fahren. Sie hat aber bisher noch keinen offiziellen Entwurf vorgelegt, sondern lediglich verschiedene Gutachten in Auftrag gegeben und ein sogenanntes Inception Impact Assessment veröffentlicht, das verschiedene Regelungsszenarien enthält. Im Moment läuft die Konsultationsphase in der sich Verbände, Unternehmen aber auch Privatpersonen zu den Vorschlägen äußern können. Mit einem ersten Gesetzesvorschlag dürfte nicht vor Ende des Jahres zu rechnen sein.
Stand: September 2020
Dr. Kuuya Josef Chibanguza, LL.B.
Partner
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Dr. Sebastian Felix Janka, LL.M. (Stellenbosch)
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Christian Kuß, LL.M.
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Sandra Waletzko, LL.M. (Cape Town)