22.10.2020
Autoren: Dr. Stephan Bausch und Brigita Pupšytė
Was geschieht mit unseren Daten im Internet, wenn wir sterben? Die Mehrheit der Deutschen hinterlässt bei Facebook und bei anderen sozialen Netzwerken Konten mit Textbeiträgen, Fotos, Videos und Chatnachrichten. Ob solche Nachrichten im Todesfall von Erben gelesen werden dürfen, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) bereits am 12. Juli 2018 (Az. III ZR 183/17). Mit einem Grundsatzurteil stellte er klar, dass das digitale Erbe wie das analoge Erbe behandelt werden sollte. Mit Beschluss vom 27. August 2020 (Az. III ZB 30/20) zeigt der III. Zivilsenat nun auf, wie dieses Urteil hinsichtlich der Durchsetzung des Anspruchs der Erben auf Zugang zum Benutzerkonto des Erblassers auszulegen ist.
Dem Rechtsstreit liegt die Klage der Mutter einer 2012 in Berlin verstorbenen 15-Jährigen zu Grunde. Die Mutter klagte als Teil einer Erbengemeinschaft auf Zugangsgewährung zum Benutzerkonto der Tochter. Die Eltern waren zwar im Besitz des Passworts für den Facebook-Account ihrer Tochter, konnten auf diesen jedoch nicht zugreifen, da er in den sogenannten Gedenkzustand versetzt wurde. Das Online-Netzwerk begründete den Nichtzugang mit dem Schutzstatus Dritter – die Kommunikationspartner der Verstorbenen sollten darauf vertrauen dürfen, dass private Nachrichten auch privat bleiben. Der BGH urteilte jedoch, dass das Nutzerkonto als solches vererbt würde, der Dienstanbieter den Zugriff auf das Konto einschließlich der darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalte deshalb nicht verweigern dürfe. Die Vererblichkeit sei nicht durch vertragliche Bestimmungen ausgeschlossen. Ebenfalls stehe die Höchstpersönlichkeit der Inhalte nicht entgegen, da etwa auch persönliche Briefe und Tagebücher vererbt werden könnten. Aus erbrechtlicher Sicht bestehe kein Grund, digitale Inhalte anders zu behandeln als zum Beispiel Tagebücher. Zweifelsohne gehören zudem Daten, die auf einem USB-Stick oder einer Festplatte gespeichert sind, zum Erbe. Dasselbe müsse somit auch für Daten gelten, die auf einem externen Server, wie bei Facebook oder in einer Cloud, gespeichert sind. Ebenfalls stünden datenschutzrechtliche Bestimmungen nicht entgegen. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) schütze nämlich nur lebende Personen.
Die Betreiberin des Online-Netzwerks überließ der Mutter der Verstorbenen daraufhin einen USB-Stick mit einer PDF-Datei mit über 14.000 Seiten. Diese bildeten eine Kopie der ausgelesenen Daten aus dem Benutzerkonto der Verstorbenen. Damit gab sich die Mutter jedoch nicht zufrieden und beantragten deshalb die Festsetzung eines Zwangsgeldes wegen Nichterfüllung der Verpflichtung, welches das Landgericht auch verhängte. Gegen diesen Beschluss wandte sich Facebook, woraufhin das Kammergericht Berlin den Beschluss des LG aufhob. Die Eltern richteten sich hiergegen mit einer Rechtsbeschwerde an den BGH.
Der III. Zivilsenat des BGH stellte fest, dass die Schuldnerin als Betreiberin eines sozialen Netzwerks verpflichtet sei, den Erben die Möglichkeit einzuräumen, vom Konto und dessen Inhalt auf dieselbe Weise Kenntnis zu nehmen wie zuvor die ursprüngliche Kontoberechtigte. Der Nutzungsvertrag zwischen der Betreiberin und der Verstorbenen sei mit sämtlichen Rechten und Pflichten im Wege der Gesamtrechtnachfolge auf die Erben übergegangen. Als neue Vertragspartner und Kontoberechtigte hätten die Erben demnach einen Primärleistungsanspruch auf Zugang zum Benutzerkonto mit den darin enthaltenen höchstpersönlichen digitalen Inhalten erhalten. Durch die Überlassung des USB-Sticks habe die Betreiberin der Online-Plattform Facebook ihre Verpflichtung aus dem Urteil nicht erfüllt. Hierdurch sei kein vollständiger Zugang zum Benutzerkonto gewährt worden. Dieser beinhalte nicht nur das Recht auf Einsicht der Inhalte des Kontos, sondern auch die Eröffnung aller seiner Funktionalitäten mit Ausnahme einer aktiven Weiternutzung.
Der Bundesgerichtshof klärte mit seinem Grundsatzurteil sowie dem kürzlich ergangenen Beschluss die viel diskutierte Frage, ob und auf welche Weise digitaler Nachlass vererblich ist. Die Entscheidung wirkt sich auf den Umgang mit Daten in verschiedenen sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram, Twitter aber auch anderen Online-Diensten wie dem Paypal-Konto oder dem klassischen E-Mail-Konto aus und gibt Rechtssicherheit im Hinblick auf den Umfang und die Durchsetzung des vererbten Anspruchs auf Zugangsgewährung.
Die Entscheidung verdeutlicht aber auch, dass bereits zu Lebzeiten Handlungsbedarf hinsichtlich der Regelung des digitalen Nachlasses bestehen kann. Möchte man verhindern, dass alle oder nur bestimmte Erben auf die digitalen Inhalte zugreifen, sollte man vorausschauend entsprechende Regelungen treffen. So kommen zur Regelung die klassische Vollmacht, Vorsorgevollmacht, ein Testament oder aber auch verschiedene Mittel bei den jeweiligen Diensteanbieter in Betracht. Bei Facebook kann beispielsweise eine Vereinbarung zur Löschung des Kontos oder Benennung eines Nachlasskontaktes, der sich um das Benutzerkonto kümmern soll, sinnvoll sein.
Es gilt wohl auch für diesen Bereich die bekannte Lebensweisheit – Vorsorge ist besser als Nachsorge.
Dr. Stephan Bausch, D.U.
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