17.04.2018

Document Production in internationalen Schiedsverfahren

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Hintergrund

17.04.2018

 

Document Production in internationalen Schiedsverfahren

Fakten entscheiden Fälle. Richter und Schiedsrichter neigen dazu, dem schriftlichen Beweis mehr Bedeutung beizumessen als dem mündlichen Beweis. Aus diesem Grund kommt der sogenannten Document Production in internationalen Schiedsverfahren entscheidende Bedeutung zu. Die meisten Anwälte und deren Mandanten aus kontinentaleuropäischen Rechtskreisen sind jedoch mit der Anwendung und Reichweite einer Document Production nicht vertraut. Dieser Blogbeitrag gibt daher einen ersten Überblick über die Document Production in internationalen Schiedsverfahren. 

 

Document Production und verwandte Institute
Der Begriff "Document Production" kann als Verfahren zur Herausgabe von Dokumenten definiert werden. Dabei ist der Begriff von ähnlichen Konzepten aus anderen Rechtssystemen abzugrenzen.

In den USA wird die Offenlegung und Herausgabe von Dokumenten als "Discovery" bezeichnet. Die Discovery konzentriert sich auf die Offenlegung von Dokumenten und Informationen im Vorfeld eines Prozesses. Im Rahmen der Discovery sind die Parteien auch berechtigt, Vernehmungen (interrogatories) durchzuführen. Dies sind schriftliche Fragen an die Gegenpartei, die schriftlich und unter Eid beantwortet werden müssen. Die Parteien sind ferner berechtigt, Zeugenbefragungen außerhalb des Gerichts durch die Anwälte jeder Partei durchzuführen (depositions).

Die "Disclosure" in England und Wales zielt darauf ab, die Offenlegung wichtiger Beweise sicherzustellen und gleichzeitig unverhältnismäßige Kosten für die Parteien zu vermeiden. Die englischen Civil Procedure Rules überlassen den Gerichten die Wahl der geeigneten Methode für die Offenlegung von Dokumenten. Im Rahmen der "standard disclosure" müssen die Parteien sich in ihrem Besitz befindliche Dokumente offenlegen, auf die sie sich im Prozess beziehen. Dies gilt auch, wenn die Dokumente im Prozess zu ihrem Nachteil gegen sie oder zum Vor- oder Nachteil einer anderen Partei verwendet werden können. Von den Parteien wird erwartet, dass sie auf zumutbare Weise nach diesen Dokumenten suchen (reasonable search). Dieser sogenannte cards on the table-Ansatz gewährt den Parteien im Vorfeld eines Prozesses Zugang zu den Dokumenten, die sie für eine Beurteilung ihrer eigenen und der Erfolgschancen der Gegenseite benötigen.

Im Gegensatz dazu wählen die meisten kontinentaleuropäischen Rechtssysteme bei der Offenlegung und Herausgabe von Dokumenten einen eher restriktiven Ansatz. In Deutschland kann das Gericht beispielsweise anordnen, dass eine der Parteien oder ein Dritter bestimmte Unterlagen vorzulegen hat (§ 142 Abs. 1 ZPO). Dieses Mittel scheint auf den ersten Blick recht effektiv zu sein. In der Praxis wird von dieser Möglichkeit allerdings nur äußerst zurückhaltend Gebrauch gemacht. Dies ist auf den Beibringungsgrundsatz zurückzuführen, nach dem es jeder Partei obliegt, die für ihre Klage oder Verteidigung erforderlichen Beweismittel selbst vorzulegen. Lediglich in bestimmten festgelegten Situationen wird dieser strenge Grundsatz durch eine Beweislastumkehr ergänzt.

Der Unterschied zwischen der US-amerikanischen Discovery und der Common Law Disclosure auf der einen Seite und den restriktiven Ansätzen in kontinentaleuropäischen Rechtssystemen auf der anderen Seite ist beträchtlich. Die Document Production in internationalen Schiedsverfahren muss ein Kompromiss zwischen diesen unterschiedlichen Rechtskulturen finden.

Praxis in nationalen und internationalen Schiedsverfahren
In Schiedsverfahren gibt es keinen Automatismus für die Durchführung einer Document Production. Entweder vereinbaren die Parteien eine Form der Document Production oder das Gericht ordnet die Durchführung der Document Production an, wenn es diese für angemessen und notwendig hält. Dabei berücksichtigt es insbesondere den rechtlichen Hintergrund der Parteien und ihre Erwartungen. Bei Investitionsschiedsverfahren ist die Document Production kaum noch umstritten. Bei rein nationalen Schiedsverfahren oder internationalen Schiedsverfahren zwischen Parteien, die aus kontinentaleuropäischen Rechtssystemen stammen und dieses (z.B. deutsches Recht) anwenden, ist eine Document Production meist unangebracht, es sei denn die Parteien haben sich darauf verständigt.

Ablauf des Verfahrens
Das Verfahren wird überwiegend durch die IBA Rules on the Taking of Evidence in International Commercial Arbitration ("IBA-Rules") geregelt, die seit ihrer ersten Veröffentlichung im Jahr 1999 eine breite Akzeptanz in der Schiedsgerichtsbarkeit gefunden haben. Die Parteien müssen sich grundsätzlich auf die Anwendbarkeit der IBA-Rules einigen. Aber auch ohne ausdrückliche Vereinbarung kommt den IBA-Rules eine Leitfunktion bei Fragen im Zusammenhang mit der Document Production zu.

Für die Durchführung einer Document Production verwenden die Schiedsgerichte oft einen sogenannten Redfern-Schedule. Der Redfern-Schedule ist eine einfache Tabelle, in der die Parteien ihre Anträge hinsichtlich der von der Gegenseite herauszugebenden Dokumente (document requests) in der ersten Spalte, die Gründe für die Relevanz und Wesentlichkeit der Dokumente in der zweiten Spalte und die Einwände der Gegenseite gegen die Anträge in der dritten Spalte eintragen. Es folgt eine Spalte für die Entgegnungen der beantragenden Partei auf die Einwände sowie eine letzte Spalte, in der das Schiedsgericht seine Entscheidung, d.h. die Erteilung oder Ablehnung der Anträge, festhält.

Die Gründe, wegen derer eine Partei Dokumente anfordern kann, sind auf die in den IBA-Rules zu findenden Tatbestände beschränkt. Beantragte Dokumente müssen beispielsweise relevant für den Fall und wesentlich für seine Entscheidung sein (Art. 9, Nr. 2 (a) IBA-Rules). Ferner sollten angeforderte Dokumentenkategorien eng begrenzt und spezifisch sein (sogenannte „fishing expeditions“ sind unzulässig). Zudem muss vernünftigerweise anzunehmen sein, dass die Dokumente existieren (Art. 3, Nr. 3 (a) (ii) IBA-Rules). Die andere Partei kann dem Antrag aus Gründen der Vertraulichkeit (commercial or technical confidentiality, Art. 9 Nr. 2 (e) IBA-Rules) oder des Schutzes durch ein Anwaltsprivileg widersprechen. Ferner kann sie einwenden, dass der Antrag eine unzumutbare Belastung darstellt (Art. 9 Nr. 2 (c) IBA-Rules).

Kommt eine Partei einem angemessenen Antrag oder einer Anordnung des Gerichts zur Vorlage eines Dokuments nicht nach, kann die andere Partei verlangen, dass in diesem Zusammenhang nachteilige Rückschlüsse (adverse inferences) gezogen werden (Art. 9.5 IBA-Rules). Anträge auf adverse inferences lassen sich jedoch nur schwer präzise formulieren, da aus der nicht erfolgten Offenlegung der angeforderten Dokumente möglicherweise mehr als eine mögliche Schlussfolgerung gezogen werden kann. Nichtsdestotrotz können adverse inferences über das Schicksal eines Falles entscheiden, wie ein kürzlich ergangener Schiedsspruch des Cour d'appel de Paris (CA Paris, 1, 1, 28-02-2017, Nr. 15/06036) zeigt.

US Discovery in internationalen Schiedsverfahren
Ist eine der Parteien eines internationalen Schiedsverfahrens in den USA ansässig, könnte die andere Partei zusätzlich die US-Gerichte um Unterstützung bei der Beschaffung von Beweismitteln bitten (Sec. 1782 of Title 28 des United States Code). Zwar ist der Anwendungsbereich dieser Vorschrift zwischen den Bezirksgerichten der USA umstritten. Die Parteien sollten sich der Möglichkeit einer umfangreichen Discovery in diesem Fall jedoch trotzdem bewusst sein.

Fakten entscheiden Fälle…
Es zeigt sich, dass die Document Production in internationalen Schiedsverfahren entscheidende Fakten liefern kann. Die Parteien eines internationalen Schiedsverfahrens sollten sich jedoch gut überlegen, ob sie der Durchführung einer Document Production unter Anwendung der IBA-Rules zustimmen. Denn die Durchführung einer Solchen bedarf einer präzisen Steuerung, um den Nutzen für den Mandanten durch die Formulierung spezifischer Anträge zu maximieren und das Risiko von adverse inferences sowie das unverhältnismäßiger Kosten zu vermeiden.

Für weitere Informationen wenden Sie sich gerne an

 

 

Georg Scherpf
Rechtsanwalt
Solicitor (England & Wales)
Senior Associate
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Franz Kauer LL.M. (Stellenbosch)
Rechtsanwalt
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