13.05.2020
Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) wird ein Anspruch der GKV-Versicherten auf Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) begründet. Voraussetzung ist, dass die Anwendung in dem vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nach § 139e SGB V zu führenden Verzeichnis erstattungsfähiger digitaler Gesundheitsanwendungen gelistet ist.
Die am 21. April 2020 in Kraft getretene Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) konkretisiert die Anforderungen an Antragsstellung, Prüfung, Aufbau und Inhalt des Verzeichnisses und regelt anfallende Gebühren und Auslagen sowie das Schiedsverfahren. Außerdem sind zwei Anlagen in Form von Fragebögen für die Hersteller enthalten: Die Anlage 1 enthält Angaben zum Datenschutz und zur Datensicherheit; Anlage 2 Angaben an die geforderte Qualität z. B. Interoperabilität, Verbraucherschutz oder Unterstützung der Leistungserbringer.
Nach Antragsstellung über das bereitgestellte Online Portal beträgt die Bewertungsfrist des BfArM insgesamt drei Monate. Laut Aussagen des BfArM soll der Antragszugang schon ab Mitte Mai zur Verfügung stehen. Somit könnten ab August 2020 erste „Apps auf Rezept“ verschrieben werden. Versicherte sollen dann mit der Verordnung einen Code erhalten mit dem das jeweilige Produkt freigeschaltet wird, welches nach bisherigen Informationen auch in App Stores zur Verfügung gestellt werden kann.
Zum Nachweis positiver Versorgungseffekte muss ein Hersteller die Ergebnisse einer mindestens vergleichenden retrospektiven Studie vorlegen, die zeigt, dass die Anwendung der DiGA besser ist als die Nichtanwendung. Die Durchführung muss im Inland erfolgen, oder den Nachweis der Übertragbarkeit auf den deutschen Versorgungskontext liefern. Die Studie ist zu veröffentlichen.
Hersteller haben mindestens einen positiven Versorgungseffekt nachzuweisen, welcher entweder in den Bereich des medizinischen Nutzens oder in den Bereich der patientenrelevanten Struktur- und Verfahrensverbesserungen einzuordnen ist.
Beispiele für einen medizinischen Nutzen: Verbesserung des Gesundheitszustandes, Verkürzung der Krankheitsdauer, Verlängerung des Überlebens, Verbesserung der Lebensqualität.
Beispiele für patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserungen: Koordination von Behandlungsabläufen, Ausrichtung an Leitlinien, Adhärenz, Erleichterung des Zugangs zur Versorgung, Patientensicherheit, Gesundheitskompetenz, Patientensouveränität, Bewältigung krankheitsspezifischer Belastungen.
Bei dem kombinierten Einsatz diagnostischer Instrumente, wie zum Beispiel eine Messung und Interpretation von Vitaldaten, eine Befragung der Nutzer zu körperlichen oder psychischen Zuständen, eine Erhebung des Schmerzempfindens usw., müssen zusätzlich Studien zur Testgüte vorgelegt werden.
Sofern der Nachweis positiver Versorgungseffekte bei Antragstellung noch nicht erbracht werden kann, ist ein Antrag auf vorläufige Aufnahme in das Verzeichnis möglich. Mit dem Antrag muss neben den Ergebnissen einer systematischen Datenauswertung ein schlüssiges Konzept zur Evaluation des Nachweises positiver Versorgungseffekte innerhalb von 12 Monaten nach Aufnahme in das Verzeichnis vorgelegt werden (Erprobungszeitraum). Der Erprobungszeitraum kann auf Antrag einmalig um 12 Monate verlängert werden, sofern spätestens 3 Monate vor Ablauf der Erprobungsphase schlüssig dargelegt werden kann, aus welchen Gründen der Nachweis bisher nicht erfolgen konnte und wie er künftig erfolgen kann.
Die DiGAV spezifiziert die Kosten der Verwaltungsverfahren für eine Antragsstellung und weiteren Prüfungen durch das BfArM, u.a.:
Die Rahmenvereinbarung zwischen Herstellerverbänden (wie etwa dem SVDGV) und dem GKV-Spitzenverband darüber, nach welchen Kriterien Preise für Apps verhandelt werden steht noch aus. Zunächst gelten sowohl bei einer endgültigen als auch bei einer vorläufigen Aufnahme im ersten Jahr die von den Herstellern festgelegten Preise. Diese müssen sich allerdings an den Maßstäben der Preisbildung in der soeben genannten Rahmenvereinbarung und dort ggf. angedachte gruppenbezogene Höchstpreise orientieren, auf welche wiederum die vorliegende Evidenz Einfluss nehmen kann.
Die Grundlage für die Preisverhandlung nach den ersten 12 Monaten bilden nachgewiesene positive Versorgungseffekte, anzugebende Selbstzahlerpreise, Preise in anderen europäischen Ländern und inhaltliche Anforderungen der Rahmenvereinbarung. Es sollen auch erfolgs-abhängige Preisbestandteile vereinbart werden. Eine gemeinsame Schiedsstelle soll Streitig-keiten über Vergütungsfragen klären.
Die der Aufnahme zum DiGA-Verzeichnis zugrunde liegenden Anreize, aber auch das durch die Corona-Pandemie steigende Interesse an digitalen Gesundheitsanwendungen bietet für Anbieter digitaler Produkte eine erhebliche Chance. Obgleich das Verfahren zur Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis komplex ist und eine Hürde darstellt, können die Voraussetzungen mit einer wohlüberlegten Vorgehensweise erfüllt werden. Eine gute erste Orientierung bietet der Leitfaden des BfArM.
Festzuhalten bleibt, dass das Fast-Track-Verfahren eine in dieser Form noch nie dagewesene Möglichkeit bietet, digitale Innovationen rasch in die Regelversorgung zu bringen - mit einem Zugang zu mehr als 70 Millionen Versicherten. Um die Digitalisierung im Gesundheitssektor voranzutreiben, sollten digitale Gesundheitsanwendungen allerdings mittelfristig nicht limitiert sein auf Medizinprodukte der Klassen I und IIa.
Aufgrund der Entscheidung, die Geltung der Medizinprodukteverordnung um ein Jahr zu verschieben, haben Entwickler erneut ein Jahr Zeit ihre Gesundheitsanwendungen nach „altem“ Recht zertifizieren zu lassen.
Hersteller sollten genau prüfen, für welchen Indikations- bzw. Anwendungsbereich der Antrag auf Aufnahme in das Verzeichnis gestellt werden soll und sich im Klaren sein, dass bei Ablehnung eines Antrags auf Aufnahme in das Verzeichnis wegen eines fehlenden Nachweises positiver Versorgungseffekte mindestens ein Jahr zugewartet werden muss bis ein erneuter Antrag eingereicht werden kann - und dies auch nur im Falle neuer Nachweise für positive Versorgungseffekte. Zudem sind wesentliche nachträgliche Änderungen anzeigepflichtig und können in eine Streichung aus der List resultieren.
Cornelia Yzer
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