05.08.2019

EuGH zu Sampling: Nur mir – oder auch dir?

Seit über 20 Jahren streitet die Band Kraftwerk mit dem Musikproduzenten Moses Pelham über das Sampling einer zweisekündigen Tonsequenz aus dem Kraftwerk Titel „Metall auf Metall“. Nun entschied der EuGH, dass die Verwendung fremder Tonsequenzen auch ohne Zustimmung des Künstlers unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Nebenbei erklärte der EuGH § 24 Abs. 1 UrhG für unionsrechtswidrig.

Hintergrund

Auf den Punkt

Seit über 20 Jahren streitet die Band Kraftwerk mit dem Musikproduzenten Moses Pelham über das Sampling einer zweisekündigen Tonsequenz aus dem Kraftwerk Titel „Metall auf Metall“. Nun entschied der EuGH, dass die Verwendung fremder Tonsequenzen auch ohne Zustimmung des Künstlers unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Nebenbei erklärte der EuGH § 24 Abs. 1 UrhG für unionsrechtswidrig.
 

Hintergrund

Im Jahr 1997 verwendete der Frankfurter Musikproduzent Moses Pelham ein Sample einer Rhythmussequenz des Kraftwerk Titels „Metall auf Metall“ für die Produktion des Songs
„Nur mir“, der in der Folge auf dem Album „Die neue S-Klasse“ von Sabrina Setlur erschien. Die gesampelten zwei Sekunden, die mit einer um 5% verringerten Geschwindigkeit zur Unterlegung des Titels als sogenannter „Loop“ genutzt wurden, zogen einen Rechtsstreit nach sich, der bis heute währt. Zunächst entschied der BGH im Jahr 2012 nach mehreren Instanzen, dass die Verwendung des Audiofragments ohne vorherige Einholung der Erlaubnis der Rechteinhaber eine Urheberrechtsverletzung darstellt. Dieses Urteil wurde 2016 vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an den BGH zurückverwiesen. In seiner Entscheidung wies das Bundesverfassungsgericht unter anderem darauf hin, dass die Kunstfreiheit aus Art. 5 Grundgesetz durch den BGH nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. Im Jahr 2017 setzte der BGH das Verfahren sodann aus und legte dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens mehrere Fragen vor. Diese wurden nun beantwortet.
 

Die Entscheidung

Der EuGH hatte zu klären, ob das Recht des Tonträgerherstellers auf Vervielfältigung und Verbreitung, dass diesem nach der Richtlinie 2001/29/EG (Urheberrechtsrichtlinie) zusteht, durch das Sampling sehr kurzer Audiofragmente beeinträchtigt wird. Der Gerichtshof entschied, dass dies der Fall sei, und zwar auch bereits dann, wenn nur wenige Sekunden eines fremden Titels übernommen würden. Auch sehr kurze Audiofragmente stellten „teilweise Vervielfältigungen“ dar. Der EuGH führte allerdings fort:

„Entnimmt jedoch ein Nutzer in Ausübung der Kunstfreiheit einem Tonträger ein Audiofragment, um es in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form in einem neuen Werk zu nutzen, stellt eine solche Nutzung keine „Vervielfältigung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 dar.“

Konsequent kam man also zu dem Schluss: Ein nicht mehr wiedererkennbares Sample kann keine Vervielfältigung sein. Dieses Ergebnis steht für den EuGH auch im Einklang mit dem angestrebten Ausgleich zwischen dem Recht des Inhabers am geistigen Eigentum einerseits und der Freiheit der Kunst andererseits. Das Urteilt macht zudem deutlich, dass der EuGH die „Technik des Elektronischen Kopierens von Audiofragmenten (Sampling)“ als „künstlerische Ausdrucksform“ anerkennt.

Die Beantwortung einer anderen Frage ist für das deutsche Urheberecht möglicherweise noch bedeutsamer. Der BGH wollte nämlich zudem wissen, ob sich ein Sampler auf eine nationale Regelung wie die Bestimmung des § 24 Abs. 1 Urheberrechtsgesetz (UrhG) berufen kann, um die freie Benutzung eines fremden Werks zu legitimieren. § 24 Abs. 1 UrhG ermöglicht die Benutzung eines geschützten Werks, wenn die ihm „entnommenen individuellen Züge gegenüber der Eigenart des neugeschaffenen Werks verblassen“ (BGH GRUR 2003, 956/9589 – Gies-Adler). Demnach könnte die Vorschrift auch im vorliegenden Fall die Verwendung des Audiofragments rechtfertigen, sofern man dem Loop im Song „Nur mir“  eine hinreichende Individualität attestiert, die sich ausreichend weit von der Sequenz aus „Metall auf Metall“ absetzt.

Der EuGH stellt jedoch fest, dass eine derartige Ausnahme oder Beschränkung der Rechte des Tonträgerinhabers in nationalen Regelungen nicht zulässig ist. Die in Artikel 5 der Urheberrechtsrichtlinie genannten Ausnahmen und Beschränkungen seien erschöpfend. Würde es den Mitgliedsstaaten durch eigene nationale Regelungen ermöglicht, entsprechend abweichende und weitergehende Ausnahmen in diesem Bereich vorzusehen, so brächte dies eine Gefährdung der Ziele der Richtlinie – die unionsweite Harmonisierung des Urheberrechts und Schaffung von Rechtssicherheit auf diesem Gebiet - mit sich.
 

Unser Kommentar

Mit seinem Urteil vom 29. Juli 2019 (Az. C‑476/17) nimmt der EuGH zu wichtigen Fragen des europäischen Urheberrechts Stellung. Nebenbei erklärt er Ausnahmeregelungen wie das Recht der freien Benutzung aus § 24 Abs. 1 UrhG für unvereinbar mit dem Unionsrecht. Dies könnte für das deutsche Urheberrecht durchaus weitreichende Folgen haben. Im Fall Kraftwerk gegen Pelham bleibt abzuwarten, wie sich der BGH bei seiner vierten Befassung mit der Angelegenheit positioniert. Insbesondere wird er nun prüfen müssen, wie viel von „Metall auf Metall“ für den Hörer des Songs „Nur mir“ erkennbar ist.

 

 

Dennis Gültig
Rechtsanwalt
Associate
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Frankfurt a.M.
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