12.07.2023
EU-Kommission legt Entwurf einer EU-Richtlinie vor – Bundesrat bewertet die Einführung eines vereinfachten Liquidationsverfahrens für zahlungsunfähige Kleinstunternehmen kritisch.
Die EU-Kommission veröffentlichte am 7. Dezember 2022 einen „Vorschlag für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts“ (COM(2022) 702 final). Der Vorschlag zielt auf ein Vorantreiben der Umsetzung der Kapitalmarktunion ab, die als ein Schlüsselprojekt für die weitere finanzielle und wirtschaftliche Integration innerhalb der Europäischen Union angesehen wird. Bislang haben der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss, der Europäische Datenschutzbeauftrage sowie zwei EU-Mitgliedstaaten (Portugal und Tschechien) zu dem RiLi-Vorschlag Stellung genommen. Die erste Lesung im EU-Parlament steht noch aus.
Der RiLi-Vorschlag (Art. 4 ff.) enthält detaillierte Mindestvorgaben zu Insolvenzanfechtungsklagen. Der anfechtungsrelevante Zeitraum bei der Schenkungsanfechtung soll ein Jahr betragen und Anfechtungsansprüche sollen erst drei Jahre nach Verfahrenseröffnung verjähren. Der Vierjahreszeitraum des § 134 Abs. 1 InsO und die dreijährige Verjährungsfrist gemäß §§ 146 InsO, 195, 199 BGB (beginnend mit dem Ende des Jahres der Verfahrensöffnung) liegen über den Mindestvorgaben des RiLi-Vorschlags. Es sind keine Anpassungen des in §§ 129 ff. InsO kodifizierte Anfechtungsrechts zu erwarten.
Der RiLi-Vorschlag (Art 13 ff.) sieht grenzüberschreitende Registereinsichtsrechte zum Aufspüren von massezugehörigen Vermögenswerten („Asset Tracing“) vor. Insolvenzgerichte sollen befugt sein, das inländische Bankkontoregister abzufragen und auf Antrag des Insolvenzverwalters in Bankkontoregister anderer EU-Mitgliedstaaten einzusehen, falls die Einsichtnahme zur Ermittlung massezugehöriger Vermögenswerte erforderlich ist. Der Insolvenzverwalter soll Zugang zum inländischen Transparenzregister und zu Vermögensregistern anderer EU-Mitgliedstaaten (z. B. Grundbücher, Fahrzeug-, Schiffs-, und Flugzeugregister) erhalten. Es sind Anpassungen zu erwarten. Die Insolvenzordnung sieht solche Einsichtsrechte bislang nicht vor.
Ein Schwerpunkt des RiLi-Vorschlags (Art. 19 ff.) ist die Einführung eines Pre-Pack-Verfahrens, das übertragende Sanierungen erleichtern soll und in weiten Zügen die gelebte M&A-Praxis widerspiegelt. Das Pre-Pack-Verfahren soll Vertragsverhandlungen und Übernahmevorbereitungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens („preparation phase“) ermöglichen, sodass die Unternehmensübertragung in einem verkürzten Verfahren unmittelbar nach Öffnung des Insolvenzverfahrens umgesetzt werden kann („liquidation phase“). Es sind Anpassungen der Insolvenzordnung zu erwarten.
Gemäß dem RiLi-Vorschlag (Art. 36 f.) soll die Geschäftsleitung einer juristischen Person zur Insolvenzantragstellung innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis bzw. nach Kennenmüssen einer Zahlungsunfähigkeit verpflichtet werden. Der Vorschlag sieht außerdem eine Haftung der Geschäftsleitung bei Verletzung der Insolvenzantragspflicht vor. Die Regelungen in §§ 15a Abs. 1 Satz 2, 15b Abs. 4 InsO entsprechen den Mindestvorgaben, so dass Anpassungen der Insolvenzordnung nicht zu erwarten sind.
Ein weiterer Schwerpunkt des RiLi-Vorschlags (Art. 38 ff.) ist die Einführung eines vereinfachten Liquidationsverfahrens für zahlungsunfähige Kleinstunternehmen, d. h. solche mit weniger als zehn Arbeitnehmern und jährlichem Umsatz oder Bilanzsumme bis zwei Millionen Euro (2003/361/EG, Artikel 2 Abs. 3). Das Insolvenzgericht soll das Verfahren standardisiert auf elektronischem Wege durchführen. Das Verfahren soll auch ohne kostendeckende Masse eröffnet werden. Der RiLi-Vorschlag sieht die Bestellung eines Insolvenzverwalters nur auf Antrag des Schuldners, eines Gläubigers oder einer Gläubigergruppe vor und nur wenn die Vergütung des Insolvenzverwalters durch die Insolvenzmasse oder einen Kostenvorschuss gedeckt ist. Die von dem Schuldner im Insolvenzantrag angegebenen Gläubigerforderungen sollen grundsätzlich als angemeldet und anerkannt gelten. Die Vermögensverwertung soll durch das Insolvenzgericht im Zuge von Onlineversteigerungen erfolgen.
Der RiLi-Vorschlag (Art. 58 ff.) enthält Mindestvorgaben zu Arbeitsweise, Aufgaben, Rechten, Pflichten, Befugnissen, Vergütungen und Haftungen von Gläubigerausschüssen. Die Mitglieder des Gläubigerausschlusses haften nach aktueller Rechtslage schon bei leichter Fahrlässigkeit, wohingegen der RiLi-Vorschlag eine Haftung erst bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz vorsieht. Eine schärfere Haftung ist aber möglich, weil der RiLi-Vorschlag Mindestvorgaben enthält. Die Regelungen in §§ 56a Abs. 2, 67 ff., 160 InsO decken die Mindestvorgaben ab. Anpassungen der Insolvenzordnung sind nicht zu erwarten.
Zum Schluss sieht der RiLi-Vorschlag (Art. 68) vor, dass jeder EU-Mitgliedstaat ein klar, nicht fachlich und verständlich formuliertes Merkblatt mit den wesentlichen Informationen zu seinem Insolvenzrecht (Eröffnung, Forderungsanmeldung und -prüfung, Forderungsrangfolge, Verteilungsprozess, Verfahrensdauer) bereitstellt, welches auf dem europäischen e-Justice Portal veröffentlicht wird.
Der Bundesrat begrüßt zwar in seiner Stellungnahme vom 30. März 2023 (BR-Drucksache 25/23) die mit dem Vorschlag verfolgten Harmonisierungsziele und die auf Mindestvorgaben basierende Regelungstechnik. Er sieht aber insbesondere die Einführung eines vereinfachten Liquidationsverfahrens kritisch und lehnt es im Wesentlichen mit folgenden Argumenten ab:
Die EU-Richtlinie wird voraussichtlich nicht in der aktuell vorliegenden Entwurfsfassung verabschiedet werden. Mit Änderungen ist zu rechnen. Der tatsächliche Inhalt der verabschiedeten EU-Richtlinie bleibt abzuwarten. Anschließend wird der deutsche Gesetzgeber die verabschiedete EU-Richtlinie in nationales Insolvenzrecht umzusetzen haben. Spannend bleibt, wie er dabei seine Gestaltungsspielräume nutzen wird.
Dr. Marcus Backes
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