22.01.2021
BayObLG, Beschluss vom 23.07.2020 – 1 AR 56/20
In Rechtsstreitigkeiten mit mehreren Beklagten kann die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit zu Problemen führen, wenn die Beklagten ihren Wohnsitz bzw. Sitz in unterschiedlichen Gerichtsbezirken haben.
Die verfassungsrechtliche Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) erfordert es, dass tatsächliche oder rechtliche Unklarheiten über den Gerichtsstand durch ein gesetzlich bestimmtes Verfahren ausgeräumt werden, welches der deutsche Gesetzgeber im Gerichtsverfassungsgesetz und den verschiedenen Prozessordnungen niedergelegt hat. Ergänzt werden die gesetzliche festgelegten Zuständigkeiten durch die Möglichkeit einer gerichtlichen Zuständigkeitsbestimmung (§§ 36, 37 ZPO).
Die Zuständigkeitsbestimmung kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn mehrere Beklagte ohne gemeinschaftlichen Gerichtsstand als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen. In dieser Konstellation bestimmt § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO das im Rechtszug nächsthöhere Gericht die Zuständigkeit. Ist dieses Gericht der Bundesgerichtshof, geht die Zuständigkeit für die Bestimmung auf das Oberlandesgericht (§ 36 Abs. 2 ZPO) bzw. – wenn eingerichtet – das oberste Landesgericht für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten (§ 9 EGZPO) über, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört (sog. Prioritätsprinzip).
Das bestimmende Gericht kann grundsätzlich nur zwischen den Gerichten wählen, die für Klagen im allgemeinen Gerichtsstand mindestens einer der Beklagten zuständig sind. Die Bestimmung hat nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten und unter Berücksichtigung der Prozesswirtschaftlichkeit zu erfolgen, wobei das bestimmende Gericht ein Auswahlermessen hat.
Das bestimmende Gericht führt keine Zulässigkeitsprüfung der Klage durch, sondern prüft nur die Zulässigkeit des Bestimmungsgesuchs. Insbesondere prüft das Gericht, ob eine Streitgenossenschaft gem. §§ 59, 60 ZPO schlüssig vorgetragen wurde. Darauf, ob die tatsächlichen Behauptungen des Antragstellers zutreffen, kommt es im Bestimmungsverfahren nicht an.
Das BayObLG hatte in dem hier betrachteten Verfahren über den Gerichtsstand zu entscheiden. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Dem in Stuttgart wohnhaften Antragsteller war im Oktober 2017 in Malaga (Spanien) seine Geldbörse mit der darin befindlichen Kreditkarte gestohlen worden. Trotz vorangegangener Sperrung wurden mit der entwendeten Karte an Geldautomaten Abhebungen in Höhe von knapp 3.000 Euro vorgenommen und auf seinem Konto als Umsatz verbucht.
Der Antragsteller hat daraufhin Klage beim Amtsgericht München erhoben. Seine Klage richtete sich zunächst gegen die Bayern Card-Services GmbH, ein Unternehmen mit Sitz im Bezirk des Amtsgerichts München, das Leistungen im Rahmen des Kreditkartengeschäfts erbringt (Antragsgegnerin zu 1)). Zur Begründung hat der Antragsteller angeführt, dass die von ihm eingeleitete Sperrung der Kreditkarte nicht vollständig von der Antragsgegnerin zu 1) veranlasst worden sei, weshalb die unberechtigten Abhebungen weiterhin möglich gewesen seien. Auf einen Hinweis des Amtsgerichts, dass Zweifel an der Passivlegitimation der Antragsgegnerin zu 1) bestünden, hat der Antragsteller die Klage sodann erweitert – nunmehr auch die Ausstellerin der Kreditkarte, eine Kreissparkasse mit Sitz im Amtsgerichtsbezirk Esslingen am Neckar (Antragsgegnerin zu 2)) in Anspruch genommen.
Der Antragsteller hat beantragt, die Antragsgegnerinnen als Gesamtschuldnerinnen zu verurteilen, ihm eine Gutschrift in Höhe von 2.907,12 € mit Wertstellung zum 4. Oktober 2017 auf sein bei der Antragsgegnerin zu 2) geführtes Konto zu leisten, hilfsweise auf dieses Konto den genannten Betrag nebst Zinsen hieraus seit dem 4. Oktober 2017 gesamtschuldnerisch zu bezahlen.
Die Antragsgegnerin zu 1) hat ihre Passivlegitimation in Abrede gestellt, da sie das Kompetenzcenter für das Kreditkartengeschäft der Sparkassen und damit ausschließlich Dienstleister für diese Institute sei. Sie biete nur die technische Abwicklung im Kreditkartengeschäft an. Vertragspartnerin des Antragstellers sei die kartenausgebende Sparkasse. Die Antragsgegnerin zu 2) hat die Rüge der fehlenden örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts München erhoben. Örtlich zuständig sei das Amtsgericht Esslingen am Neckar.
Daraufhin hat der Antragsteller Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO beantragt.
Das BayObLG hatte über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zu entscheiden und diese bejaht. Die Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO komme nach ständiger Rechtsprechung über den Wortlaut der Norm („verklagt werden sollen“) hinaus auch noch in Betracht, wenn gegen alle Beklagten bereits eine Klage erhoben worden ist. Im hiesigen Fall sei der Wortlaut weit auszulegen, da der Verfahrensstand der Klage und der Klageerweiterung einer Gerichtsstandbestimmung nicht entgegen stehe. Es sei noch keine Prozesslage erreicht, die dem Gericht eine Auswahl unter den bestimmbaren Gerichten nicht mehr ermögliche. So sei beispielsweise eine Beweisaufnahme nicht durchgeführt worden und eine solche stehe auch nicht unmittelbar bevor.
Der Antragsteller habe auch zu den behaupteten Ansprüchen gegen beide Anspruchsgegnerinnen schlüssig vorgetragen. Beide Antragsgegnerinnen seien als Streitgenossinnen in Anspruch zu nehmen, da die Ansprüche gegen beide in einem inneren sachlichen Zusammenhang – Rückgängigmachung der vorgenommenen Belastung durch Gutschrift auf dem Konto – stehen.
Der Senat stellt fest, dass der gegen die Antragsgegnerin zu 1) gerichtete Klageantrag einen Gerichtsstand lediglich im Amtsgerichtsbezirk München eröffne, während in Bezug auf die Antragsgegnerin zu 2) lediglich ein Gerichtsstand im Amtsgerichtsbezirk Esslingen am Neckar in Betracht komme. Die Klageanträge seien darauf gerichtet, dass die begehrte Gutschrift bezogen auf das in Esslingen am Neckar bestehende Konto zu leisten sei, hilfsweise, dass Zahlung auf dieses Konto zu erbringen sei. Für eine Klage zur Durchsetzung der behaupteten vertraglichen Verpflichtungen beider Streitgenossinnen stehe am Amtsgericht Esslingen am Neckar dennoch nicht der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsorts gemäß § 29 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 269 Abs. 1, § 270 Abs. 4 BGB zur Verfügung.
„Erfüllungsort“ i. S. d. § 29 ZPO meine nicht den Ort, an dem der Leistungserfolg mit Erfüllungswirkung eintrete, sondern den Leistungsort im Sinne der §§ 269, 270 BGB, an dem der Schuldner die Leistungshandlungen vorzunehmen habe. Der Antragsteller habe keine Umstände vorgetragen, die für beide Schuldnerinnen den Leistungsort in Esslingen am Neckar ergeben könnten.
Sofern der Ort für die Leistung nicht vertraglich bestimmt ist, sei Erfüllungsort für die Verpflichtung des Beauftragten der Ausführungsort und somit der Ort, an dem der Beauftragte die Handlung, die zum Auftrag gehört, vorzunehmen hat.
Im vorliegenden Fall werde das betreffende Konto von der Antragsgegnerin zu 2) geführt, daher hätte ein etwaiger Geschäftsbesorgungsvertrag die Antragsgegnerin zu 1) nur dazu verpflichten können, auf die Antragsgegnerin zu 2) einzuwirken, die Gutschrift zu erteilen. Der Ausführungsort für die – behauptete – vertragliche Verpflichtung (die Einwirkungshandlung) der Antragsgegnerin zu 1) liege somit nicht am Sitz des kontoführenden Kreditinstituts, sondern an deren Sitz in München.
Schließlich bestehe auch kein gemeinschaftlicher Gerichtsstand am Wohnsitz des Antragstellers als Verbraucher im Amtsgerichtsbezirk Stuttgart nach der unionsrechtlichen Zuständigkeitsregel des Art. 18 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO. Die Anwendbarkeit der Brüssel-Ia-VO setze einen Auslandsbezug voraus. Der Verbrauchergerichtsstand der Art. 17 ff. Brüssel-Ia-VO sei jedoch grundsätzlich nicht gegeben, wenn Verbraucher und Unternehmer nicht in unterschiedlichen Vertragsstaaten ansässig sind. Ein Auslandsbezug könne sich zwar auch aus dem Grund der Streitigkeit ergeben, wenn dieser die Durchführung eines Vertrags allein oder auch im Ausland betreffe, vorliegend habe der Antragsteller jedoch eine Berichtigung durch Gutschrift seines in Deutschland geführten Kontos beantragt. Daran vermöge auch die in Spanien abhanden gekommene Kreditkarte nichts zu ändern. Ein Auslandsbezug sei demnach zu verneinen.
Das BayObLG hat das Amtsgericht München als örtlich zuständiges Gericht bestimmt. Dies entspreche den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und der Prozessökonomie, weil eine der Antragsgegnerinnen ihren Sitz in München habe und das Amtsgericht München bereits mit dem Prozessstoff vertraut sei.
Die Entscheidung zeigt, dass es bei Zuständigkeitsstreitigkeiten eine schnelle, pragmatische und kostengünstige Lösung zu finden gilt. Im Vordergrund steht eine Zweckmäßigkeitsentscheidung.
Die Entscheidung verdeutlicht zugleich auch die Bedeutung des Gerichtsstands. Die Zuständigkeitsregelungen dienen der Bestimmung des gesetzlichen Richters i. S. v. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG und damit der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit i. S. v. Art. 20 GG. Die gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen dürfen nicht dazu führen, dass eine Rechtsverfolgung gehindert wird, weil ein zuständiges Gericht nicht gefunden wird.
Es ist verfassungsrechtlich auch unbedenklich, dass § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO unter engen Voraussetzungen eine gerichtliche Ermessensentscheidung über den Gerichtsstand eröffnet, solange sich aus den Gründen der Entscheidung entnehmen lässt, nach welchen Kriterien das Gericht die Bestimmung des gemeinsam zuständigen Gerichts vorgenommen hat. Der Senat hat vorliegend an den Ausführungsort der Handlung angeknüpft und für den hiesigen Sachverhalt den Erfolgsort definiert. Zutreffend hat der Senat auch festgestellt, dass ein Fall mit vermeintlichen Auslandsbezug nicht gleich einen grenzüberschreitenden Sachverhalt im zuständigkeitsrechtlichen Sinne darstellt.
Dr. Stephan Bausch, D.U.
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