08.02.2019
08.02.2019
Die Bekanntmachung der Europäischen Kommission im Kontext
Am 18. Januar 2019 hat die Europäische Kommission ihre „Notice to Stakeholders in the field of Civil Justice and Private International Law” (EC-Notice) vom 21. November 2017 aktualisiert und erweitert. Die EC-Notice erklärt darin die Auswirkungen eines „No-Deal“-Brexits auf grenzüberschreitende Streitigkeiten und die Vollstreckung von Urteilen. Wir fassen die Kernaussagen zusammen und erklären, wie andere internationale Abkommen die durch den sich abzeichnenden Brexit im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr entstehende Lücke füllen können.
Das Vereinigte Königreich hat am 29. März 2017 erklärt, dass es beabsichtigt, aus der Europäischen Union gemäß Art. 50 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) auszutreten. Am 30. März 2019 (Austrittsdatum) wird das Vereinigte Königreich somit zu einem „Drittstaat“. Dies hat Folgen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten, für die Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen sowie für andere Bereiche der justiziellen Zusammenarbeit.
Das Europäische Internationale Privatrecht enthält detaillierte Bestimmungen für die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen, das Insolvenzrecht und Familienrecht. In Zivil- und Handelssachen bestimmt die Brüssel Ia-VO (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012) das zuständige Gericht für Rechtsstreitigkeiten zwischen Personen mit Wohnsitz/Geschäftssitz in verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) und der Europäischen Freihandelszone (EFTA).
Ob und inwieweit diese Bestimmungen auch nach dem Austrittsdatum anwendbar bleiben, hängt maßgeblich vom Zeitpunkt der Einleitung des Gerichtsverfahrens ab. In der EC-Notice wird erläutert, dass die EU-Vorschriften nach wie vor anwendbar sind, soweit ein Gerichtsverfahren bereits bei einem Gericht eines EU-27-Mitgliedstaats anhängig ist, worin ein Beklagter mit Wohnsitz/Geschäftssitz oder Aufenthalt im Vereinigten Königreich beteiligt ist. In einem nach dem Austrittsdatum eingeleiteten Gerichtsverfahren mit einem im Vereinigten Königreich ansässigen Beklagten sollen die EU-Vorschriften hingegen nicht mehr gelten.
Die Brüssel Ia-VO (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012) enthält zudem Bestimmungen über die Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen innerhalb der EU. Im Fall eines „No-Deal“-Brexits würden diese Regelungen für das Vereinigte Königreich nicht mehr gelten.
Nach der EC-Notice sind Urteile eines britischen Gerichts, die bereits vor dem Austrittsdatum im Rahmen eines Exequaturverfahrens (z. B. nach der alten Brüssel I Verordnung) für vollstreckbar erklärt wurden, in den EU-27-Mitgliedstaaten weiterhin vollstreckbar. Die EU-Regelungen sind jedoch für britische Urteile in den EU-27-Mitgliedstaaten nach dem Austrittsdatum nicht weiter anwendbar. Dieses ist unabhängig davon, ob die Gerichtsentscheidungen oder Vollstreckungsverfahren vor dem Austrittdatum ergangen bzw. eingeleitet worden sind. Demnach richten sich dann die Anerkennung und Vollstreckung von britischen Urteilen nach den nationalen Vorschriften der einzelnen EU-Mitgliedstaaten.
Dagegen hat die britische Regierung in dem Entwurf „Civil Jurisdiction and Judgments (Amendment) (EU Exit) Regulations 2019“ darauf hingewiesen, dass Gerichtsurteile, die vor dem Austrittsdatum in anderen EU/EWR-Staaten ergangen sind, weiterhin im Vereinigten Königreich vollstreckbar sein werden.
Das EU-Recht enthält zudem Regelungen – beispielsweise für die grenzüberschreitende Beweiserhebung oder die Zustellung von Gerichtsdokumenten – im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit und Unterstützung in Zivilsachen. Ab dem Austrittsdatum werden Gerichte der EU-27-Mitgliedstaaten nach den EU-Vorschriften keine neuen Verfahren in Verbindung mit dem Vereinigten Königreich einleiten oder annehmen. Gleichwohl können sie hierfür auf nationale Vorschriften hinsichtlich der justiziellen Zusammenarbeit zurückgreifen, soweit eine Vorschrift vorhanden ist (siehe auch unten).
Infolge eines „No-Deal“-Brexits gilt neben weiteren EU-Bestimmungen die Brüssel Ia-VO (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012) nicht für das Vereinigte Königreich. Um Rechtsunsicherheiten bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung in der Europäischen Union zu vermeiden, hat das Vereinigte Königreich am 28. Dezember 2018 eine Erklärung über den Beitritt zum Haager Gerichtsstandsvereinbarungs-Übereinkommen 2005 (Haager Übereinkommen, überblicksartig dazu hier) abgegeben. Im Falle eines „No-Deal“-Brexits wird das Vereinigte Königreich dann – beabsichtigt ist mit Wirkung zum 1. April 2019 – dem Haager Übereinkommen als Vertragspartei beitreten.
Die Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens erkennen Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen Kaufleuten auf dem Gebiet des Zivilrechts an. Sollte ein Verfahren bei einem Gericht eingeleitet werden, das nach der Gerichtsstandsvereinbarung nicht zuständig ist, so hat es das Verfahren auszusetzen. Urteile des vereinbarten Gerichts sollen in sämtlichen Staaten anerkannt werden, in denen das Übereinkommen anwendbar ist, es sei denn, das Gericht stellt z. B. fest, dass die Gerichtsstandsvereinbarung unwirksam ist oder das Urteil gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) verstoßen würde.
Auch nach dem Wegfall der Brüssel Ia-VO bleibt das Vereinigte Königreich ein unabhängiger Unterzeichner des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (New Yorker Übereinkommen) und wird mit Wirkung zum 1. April 2019 dem Haager Übereinkommen beitreten.
Daher ist im Rahmen von Handelsbeziehungen zwischen den Parteien der EU-27-Mitgliedstaaten und dem Vereinigten Königreich zu empfehlen, eine Schiedsklausel oder eine Gerichtsstandsvereinbarung vertraglich zu vereinbaren, um von den Bestimmungen des New Yorker oder Haager Übereinkommens über die Durchsetzung von Gerichtsurteilen profitieren zu können.
Dr. Richard Happ |
Georg Scherpf |