26.03.2020
Am 2. Juli 2019 verabschiedete die Haager Konferenz das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Urteilen in Zivil- und Handelssachen („Übereinkommen“). Viele erwarteten das Übereinkommen mit Spannung und haben es nach dessen Abschluss als „Gamechanger“ gepriesen. Doch wird das Übereinkommen tatsächlich den internationalen Rechtsverkehr nachhaltig ändern? Oder erleidet es dasselbe Schicksal wie das Vorgängerübereinkommen vom 1. Februar 1971?
Innerhalb der Grenzen der EU ist die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Urteils meist unproblematisch möglich. Die sogenannte Brüssel-Ia Verordnung ermöglicht es der obsiegenden Partei eines gerichtlichen Verfahrens, das Urteil in einem anderen Mitgliedsstaat der EU anerkennen und vollstrecken zu lassen.
Eine wesentlich größere Herausforderung ist hingegen die Anerkennung und Vollstreckung eines Urteils in einem Land außerhalb der EU. Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Staat ein ausländisches Urteil anerkennt und für vollstreckbar erklärt, divergiert, je nachdem welche Staaten beteiligt sind. Häufig verwehren Staaten die Anerkennung ausländischer Urteile und erklären diese nicht für vollstreckbar. In einem solchen Fall hat der Gläubiger zwar ein Urteil, kann dieses aber nicht vollstrecken. Damit ist das Urteil für den Gläubiger faktisch wertlos.
Nicht zuletzt aus diesem Grund ist es im internationalen Rechtsverkehr gängige Praxis, auf die Schiedsgerichtsbarkeit zurückzugreifen. Im Rahmen der Schiedsabrede einigen sich die Parteien auf die Streitbeilegung durch ein Schiedsgericht anstelle der staatlichen Gerichte. Denn Schiedssprüche sind Dank des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Schiedssprüchen von 1958 in mittlerweile 160 Ländern problemlos vollstreckbar.
Mit dem Übereinkommen wollte die Haager Konferenz dieses Ungleichgewicht der Rechtswege ausgleichen. Das Übereinkommen soll international tätigen Akteuren die Wahl der staatlichen Gerichte ermöglichen, ohne dass die Parteien befürchten müssen, dass Ansprüche nicht effektiv durchgesetzt werden können.
Das Übereinkommen erfasst alle Urteile in Zivil- und Handelssachen. Urteile meint dabei nicht nur Urteile im eigentlichen Sinne, sondern umfasst beispielsweise auch Beschlüsse und Prozessvergleiche.
Welches Gericht das Urteil gesprochen hat, ist nicht relevant. Ob es sich um eine Zivil- und Handelssache handelt, richtet sich ausschließlich nach dem abgeurteilten Anspruch. Das heißt, dass zum Beispiel auch Urteile von Straf- oder Verwaltungsgerichten unter das Übereinkommen fallen können. Vom Anwendungsbereich des Übereinkommens nicht umfasst sind allerdings gesellschaftsrechtliche, familien- und erbrechtliche und insolvenzrechtliche Ansprüche sowie Rechte des geistigen Eigentums.
Eine Besonderheit stellt das Kartellrecht dar. Kartellrechtswidrige Absprachen und kartellrechtswidriges Verhalten sowie daraus erwachsene Ansprüche fallen grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Übereinkommens. Das ist deshalb bemerkenswert, weil die Vollstreckung von Schiedssprüchen, die derartige Ansprüche außerhalb von Vertragsbeziehungen zum Gegenstand haben, oftmals nicht in Betracht kommt. Denn Kartellverbote werden als Teil der öffentlichen Ordnung („ordre public“) angesehen und stehen damit der Kontrolle der staatlichen Gerichte offen, auch wenn ein Schiedsgericht darüber entschieden hat. Hier kann das Übereinkommen also einen erheblichen Mehrwert für betroffene Parteien bieten.
Sind sowohl der Staat, in dem das Urteil erging („Erststaat“), als auch der Staat, in dem vollstreckt werden soll („Zweitstaat“), Vertragsstaaten und hat keiner der Staaten einen Vorbehalt erklärt, ist das Übereinkommen anwendbar, wenn eine der folgenden Voraussetzungen vorliegt:
a) Der Vollstreckungsschuldner hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz oder Niederlassung im Erststaat und das Urteil resultiert aus dessen dort ausgeübter Tätigkeit; oder
b) die Beteiligten haben die Zuständigkeit des urteilenden Gerichts des Erststaats vereinbart oder der Vollstreckungsschuldner hat sich rügelos auf das Verfahren eingelassen; oder
c) der Anspruch, über den entschieden wurde, weist eine besondere Verbindung zum Erststaat auf (z.B. Erfüllungsort bei Verträgen, Belegenheitsort bei Immobilien oder Handlungsort bei außervertraglichen Ansprüchen).
Der Zweitstaat darf das Urteil nicht nachprüfen oder die Anerkennung und Vollstreckung von einer Überprüfung abhängig machen (keine „revision au fond“). Der Zweitstaat ist verpflichtet, das Urteil anzuerkennen. Eine Anerkennung darf der Zweitstaat nur unter engen Voraussetzungen verweigern. Der Zweitstaat darf eine Anerkennung beispielsweise ablehnen, wenn:
a) verfahrensleitende Schriftsätze verspätet oder unrechtmäßig zugestellt wurden;
b) das Urteil durch Betrug erwirkt wurde;
c) im Rahmen des Verfahrens gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens verstoßen wurde;
d) widersprechende Gerichtsstandsvereinbarungen bestehen; oder
e) der Gegenstand des Urteils bereits zuvor anderweitig rechtshängig war oder bereits darüber entschieden wurde (entgegenstehende Rechtskraft).
Darüber hinaus können Staaten die Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Urteilen verweigern, wenn diese einen sogenannten Strafschadenersatz vorsehen. Ein solcher Strafschadenersatz („punitative damages“), wie ihn vor allem das US-amerikanische Recht kennt, muss nicht anerkannt werden.
Das Übereinkommen enthält zahlreiche Regelungen, die die Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Urteilen innerhalb der Vertragsstaaten erheblich erleichtern können. Anders als das Haager Übereinkommen von 1971 enthält das Übereinkommen konkrete Regelungen und verpflichtet die Vertragsstaaten unmittelbar. Weitere bilaterale Abkommen, wie sie das Haager Übereinkommen von 1971 vorsah, sind nicht länger erforderlich. Aus diesem Grund bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Staaten das Übereinkommen unterzeichnen und ratifizieren.
Trotz des sinnvollen Regelungsgehalts und der konkreten Ausgestaltung des Übereinkommens bleibt insbesondere aus zwei Gründen abzuwarten, ob es sich tatsächlich um den erhofften „Gamechanger“ handelt. Erstens, hängt die Effektivität des Übereinkommens davon ab, dass möglichst viele Staaten das Übereinkommen unterzeichnen und ratifizieren. Das Haager Übereinkommen von 1971 haben gerade einmal fünf Staaten unterzeichnet. Sollten die Staaten der Haager Konferenz das Übereinkommen nicht annehmen, bleiben die Auswirkungen auf den internationalen Rechtsverkehr gering. Bedenkt man, dass bis zum heutigen Tage, also gut acht Monate nach Abschluss des Übereinkommens, nur zwei Staaten (Uruguay, 2. Juli 2019; Ukraine, 4. März 2020) das Übereinkommen unterzeichnet haben, ist Skepsis angebracht. Zwar hat die EU angekündigt, das Übereinkommen zu unterzeichnen. Doch auch dies hat kaum praktische Relevanz, wenn nicht weitere Staaten dem Übereinkommen beitreten.
Zweitens bleibt den Vertragsstaaten die Möglichkeit, einen Vorbehalt gegenüber bestimmten Ländern zu erklären. Erklärt ein Vertragsstaat einen solchen Vorbehalt gegenüber einem anderen Vertragsstaat, ist er nicht verpflichtet, Urteile aus diesem Staat anzuerkennen. Dieses weitreichende Vorbehaltsrecht der Vertragsstaaten konterkariert den Zweck des Übereinkommens.
Im Ergebnis bleibt zu hoffen, dass zahlreiche Staaten das Übereinkommen unterzeichnen und ratifizieren und die Vertragsstaaten möglichst wenig erklären. Denn dann und nur dann hat das Übereinkommen das Potential, zum „Gamechanger“ zu werden und die internationale Praxis zu beeinflussen.
Dr. Christoph von Burgsdorff, LL.M. (Essex)
Partner
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Dr. Robert Burkert
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