06.04.2020
Nichts Genaues weiß man nicht. Das gilt erst recht, seit die aktuelle COVID-19-Pandemie zum täglichen Neujustieren und Anpassen zwingt. Nun hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main in einer aktuellen Entscheidung über den Antrag eines Aktionärs im Eilverfahren klargestellt: Die von der Bundes- und den Länderregierungen verordneten und weitergehend empfohlenen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und zur Eindämmung der Verbreitungsgeschwindigkeit der Covid-19-Pandemie sind kein hinreichender Grund im Rechtssinne, um eine für Mai 2020 angesetzte Hauptversammlung per Ordnungsverfügung zu untersagen, wenn die Gesellschaft selbst sich heute bereits eine Absage zu gegebener Zeit vorbehält.
Ein Aktionär hatte im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vor dem VG Frankfurt beantragt, die Stadt Frankfurt am Main zum Erlass einer ordnungsbehördlichen Verfügung gegenüber einer Bank zu verpflichten, mit der die Hauptversammlung besagter Bank untersagt werden sollte. Die Bank hatte ihren Hauptversammlungstermin für Mai 2020 angesetzt. Der Antragsteller, ein „kritischer Aktionär“ mit einschlägiger Beschlussanfechtungshistorie, wollte dies über die Stadt verbieten lassen. Mit Beschluss vom 26.03.2020 (Az.: 5 L 744/20.F, Volltext lag bei Veröffentlichung noch nicht vor) lehnte das VG den Antrag ab.
Das Gericht konnte den Antrag zurückweisen, weil die tragenden Überlegungen, die die Stadt Frankfurt am Main zur Grundlage einer Untersagung hätten machen können, vom Antragsteller schon nicht glaubhaft gemacht worden waren.
Die Stadt Frankfurt am Main als zuständige Behörde für eine entsprechende ordnungsbehördliche Verfügung hätte die Verfügung zum Zwecke des Schutzes der öffentlichen Sicherheit und Ordnung treffen können, wenn die Rechtsordnung, Individualrechtsgüter oder die Einrichtungen und Funktionsweise des Staates durch die Abhaltung der Hauptversammlung konkret gefährdet worden wären.
Dazu hätte – wie das Gericht betonte – genügt, dass das Robert-Koch-Institut (RKI) die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland derzeit insgesamt als hoch einschätzt und nach den "Allgemeinen Prinzipien der Risikoeinschätzung und Handlungsempfehlung für Veranstaltungen" des RKI der vorrangigen Gesundheitssicherheit der Bevölkerung Rechnung zu tragen ist. Der Gesundheitsschutz als Individualrechtsgut wäre hinreichend konkret gefährdet gewesen, wenn die Bank bei unveränderter Risikobewertung der COVID-19-Pandemie im Zeitpunkt der terminierten Hauptversammlung im Mai 2020 ohne die gebotenen Schutzmaßnahmen und Anordnungen hätte durchführen wollen.
Das vermochte der Antragsteller jedoch nicht hinreichend glaubhaft zu machen, denn die betreffende Bank hatte sich schon im Vorfeld des gerichtlichen Eilverfahrens gegenüber dem Antragsteller und im gerichtlichen Verfahren dann als Beigeladene dahingehend geäußert, dass sie selbstverständlich die Lage sehr genau beobachte und ihre Entscheidung über die Abhaltung oder Absage der Hauptversammlung zu gegebener Zeit unter Berücksichtigung der geltenden Maßstäbe treffen und kommunizieren würde.
Auch das zweite Merkmal, dass die Stadt Frankfurt am Main zum Erlass der Verfügung berechtigt hätte, konnte der Antragsteller nicht hinreichend darlegen: Eine konkrete Gefahr für die Integrität der Rechtsordnung hätte die Stadt durch eine entsprechende Verfügung wohl abwenden können. Eine solche liegt bei objektiven Gesetzesverstößen vor. Das Infektionsschutzgesetz wäre zwar grundsätzlich ein geeignetes Gesetz in diesem Sinne. Allerdings kann der Antragsteller einen Anspruch gegen die Stadt in Bezug auf die begehrte Verfügung nur auf der Grundlage von solchen (drohenden) Rechtsverletzungen geltend machen, die zumindest auch dem Schutz seiner Rechte – in seiner Rolle des Aktionärs – zu dienen bestimmt sind. Das Gericht gelangte nicht zu der Überzeugung, dass das Infektionsschutzgesetz und ein hierauf gestützter Eilantrag der Verfolgung von Aktionärsinteressen diene. Es fehlte hier aber auch an der Glaubhaftmachung eines konkret drohenden Verstoßes durch die Bank. Dieses Schutzinteresse, das der Antragsteller als selbsternannter „kritischer Aktionär“ bereits in der Vergangenheit für Beschlussanfechtungen in Hauptversammlungen der Bank bemüht und nun auch seinem Eilantrag zugrunde gelegt hatte, dürfte Aspekte des individuellen und gesamtgesellschaftlichen Gesundheitsschutzes, wie ihn das Infektionsschutzgesetz verfolgt, nicht umfassen. Das Aktiengesetz beschränkt sich in seiner Schutzrichtung zugunsten der Aktionäre vielmehr auf die mitgliedschaftlichen Interessen, die auf eine bestmöglichen Kapitalisierung aus den gehaltenen Aktien und – zu diesem Zwecke – auf eine Mitwirkung im Rahmen der Hauptversammlung gerichtet sind. Für die Zwecke der Stadt können solche privatrechtlichen Inhaberinteressen jedoch nicht ausschlaggebend sein. Dass die eigentlichen Schutzzwecke des Infektionsschutzgesetz wiederum durch die Hauptversammlungsterminierung verletzt würden, war von dem Antragsteller hingegen nicht glaubhaft gemacht worden.
Gegen den Beschluss des VG Frankfurt am Main kann der Antragsteller innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel einlegen. Bemerkenswert an dem Fall ist, dass die aktuelle Lage Akteure zu dem Versuch bewegt, mittels öffentlich-rechtlicher Instrumente, die dem Staat in Form des Ordnungsrechts zugewiesen sind, auf das (privatrechtliche) Gesellschaftsrecht einzuwirken. Wir sehen hier Berührungen von Rechtskreisen, die in dieser Form bisher nichts miteinander zu tun zu haben schienen. Ob dies ein Einzelfall bleibt oder angesichts der besonders eindrücklichen staatlichen Präsenz in diesen Wochen anhält, bleibt zu beobachten.
Prof. Dr. Jörg Rodewald
Partner
Berlin
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