23.04.2019
23.04.2019
In Zivilprozessen erscheinen die Parteien oftmals nicht persönlich vor Gericht, sondern lassen sich von ihren Rechtsanwälten vertreten.
Wenn eine der Parteien (oder der jeweilige Anwalt, § 78 ZPO) nicht vor Gericht erscheint oder dort nicht verhandelt (vgl. § 333 ZPO), erlässt das Gericht auf Antrag der anderen Partei ein Versäumnisurteil. Dieses Urteil entfaltet die gleichen Wirkungen wie streitige Urteile. Es kommt jedoch ohne Beweisführung aus und ergeht wegen der Passivität einer Partei. Wenn ein sog. „echtes“ Versäumnisurteil ergangen ist, kann sich die säumige Partei dagegen noch mit einem Einspruch (§ 338 ZPO) wehren. Durch die Einlegung eines zulässigen Einspruchs wird der Prozess in den Stand vor dem Versäumnisurteil zurückversetzt. Versäumt die Partei, die den Einspruch eingelegt hat, in schuldhafter Weise den Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch, so ergeht ein zweites Versäumnisurteil (§ 345 ZPO). Dieses kann nicht mehr mit dem Einspruch angegriffen werden, sondern nur von einem Gericht höherer Instanz mit einer Revision dahingehend überprüft werden, ob die Säumnis schuldhaft war (vgl. §§ 565 S. 1, 514 Abs. 2 ZPO).
Nun kommt es vor, dass die Prozessbevollmächtigten - geplant oder ungeplant - an Prozessterminen verhindert sind. Ob eine Terminsänderung erfolgen kann, richtet sich nach § 227 ZPO, denn eine solche steht im Konflikt zwischen dem Gebot der Beschleunigung des Verfahrens einerseits und dem Anspruch der Parteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs andererseits.
Somit entsteht auch die Frage, wann ein „erheblicher Grund“ zur Terminsverlegung vorliegt – etwa, ob dies bei Krankheit oder Auslandsreise der Fall ist. Zum Schutz vor Prozessverschleppung können Anwälte dazu angehalten werden, dem Gericht die genauen Daten einer Auslandsreise sowie die vorherige Buchung zu belegen (vgl.: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.2.2011 – V B 85/10).
Anfang des Jahres entschied der Bundesgerichtshof (Urteil vom 21. Januar 2019 – Az. VII ZR 123/18), dass bei einer vorher gebuchten Auslandsreise eines Einzelanwaltes ein erheblicher Grund zur Terminsverlegung vorliegt und eine kurzfristige Anzeige allein keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchlich verspätete Antragsstellung darstellen.
Im zugrundeliegenden Fall ging es um eine Klage auf Schadensersatz. Das Landgericht München I wies die Klage in erster Instanz ab. In der Berufungsinstanz verurteilte das Oberlandesgericht München die Beklagte zur Zahlung durch ein Versäumnisurteil. Gegen dieses Urteil wurde form- und fristgerecht Einspruch eingelegt. Wegen einer vier Monate vorher gebuchten Auslandsreise des Beklagtenanwalts beantragte dieser die Verlängerung der Einspruchsbegründungsfrist. Das Berufungsgericht wies den Fristverlängerungsantrag unter Hinweis auf eine rechtsmissbräuchliche Verzögerung zurück und terminierte die Verhandlung über den Einspruch ebenfalls in den mitgeteilten Urlaubszeitraum. Die Beklagten stellten am Tag vor dem Termin sowohl einen Befangenheitsantrag als auch einen Antrag auf Verlegung des Termins auf einen Zeitpunkt nach der Rückkehr des Anwalts von der Auslandsreise. Dies wurde abgelehnt und, weil die Beklagten nicht zu dem anberaumten Termin erschienen, ein zweites Versäumnisurteil erlassen, wogegen sich die anschließende Revision richtete.
Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Oberlandesgerichtes auf, da der Urlaub des Anwalts ein erheblicher Grund zur Terminsänderung (§ 227 Abs. 1 ZPO) und die (zweite) Säumnis folglich unverschuldet sei. Dabei ließ er sich maßgeblich von dem Gedanken leiten, dass der Anwalt seine Urlaubsreise bereits gebucht hatte, er als Alleinanwalt tätig war und sich somit nicht von einem Sozius hätte vertreten lassen können. Insoweit überwiege der Anspruch auf rechtliches Gehör also das Gebot zur Prozessbeschleunigung.
Zwar habe der Beklagte seine Prozessförderungspflicht nicht erfüllt, da er die Urlaubsreise nicht frühestmöglich mitgeteilt habe. Ein pauschaler Verweis auf die bisherige Verweigerung jeder Mitwirkung am Berufungsverfahren reiche jedoch nicht aus, um eine Prozessverschleppungsabsicht zu begründen. Eine Rechtsmissbräuchlichkeit und ein Verschulden bei der Säumnis könnten nicht festgestellt werden.
Der entschiedene Fall zeichnet sich dadurch aus, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten ein Einzelanwalt war. Für komplexe Verfahren, die von größeren Kanzleien geführt werden, ist gerade die hier nur gestreifte Frage relevant, wann sich ein Anwalt bei Abwesenheit vertreten lassen muss. Eine Vertretung scheidet jedenfalls immer dann aus, wenn der Anwalt plötzlich krank wird und eine Einarbeitung in den Prozessstoff nicht zumutbar ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 22.10.2014 – XII ZB 257/14).
Anders könnte die Sache für eine Urlaubsvertretung aussehen, wenn für einen bereits längeren Zeitpunkt klar ist, dass der Anwalt einen bestimmten Termin nicht wahrnehmen können wird oder eine chronische Erkrankung besteht und somit ein Ausfall jederzeit möglich ist.
Hier ist die Rechtsprechung bisher uneinheitlich. Zum Teil wird argumentiert, dass es gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 2 BRAO eine berufsrechtliche Pflicht gäbe, bei Auslandreisen für eine Vertretung zu sorgen (vgl.: Oberlandesgericht Naumburg, Urteil vom 7.8.2003 – 3 UF 19/03). Ähnlich sei es bei einer langfristigen Erkrankung. Dann seien arbeitsorganisatorische Maßnahmen zu ergreifen, eine Vertretung einzurichten oder das Mandat abzugeben, um den Fortgang des Verfahrens zu ermöglichen (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.06.2016 – 2 B 18.15).
Andererseits wird vorgebracht, dass ein Vertrauen des Mandanten bestehe, im Termin von demjenigen Anwalt vertreten zu werden, der die Sachbearbeitung des Mandats übernommen habe (Oberlandesgericht Frankfurt a.M., Beschluss vom 14.1.2008 – 9 W 32/07). Diese Auffassung entspricht auch der Interessenlage von Anwälten und Mandanten. Es wird von Mandanten regelmäßig erwartet, dass der Spezialist, der den Mandanten berät und betreut, ihn auch vor Gericht vertritt. Einem Sozius ist eine Einarbeitung in einen besonders komplexen Sachverhalt auch kaum zumutbar, denn diese zeitaufwendige Arbeit muss neben den eigenen Mandaten des Sozius erfolgen. Schließlich kann die Vertretung durch einen Sozius dazu führen, dass sich eine Partei nicht in dem gebotenen Umfang in der Sache äußern kann und dies zu einem negativen Ausgang des Prozesses führt.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist als Einzelfallentscheidung zu sehen. Da nur eine pauschale Feststellung zum vorangegangenen Prozessverhalten getroffen wurde, war die Entscheidung zu erwarten. Welche Feststellungen eine Prozessverschleppungsabsicht begründen, wird eine Frage des Einzelfalles bleiben.
Auch zur Frage der Vertretung bei größeren Kanzleien bleibt, eine Entscheidung abzuwarten.
Dr. Stephan Bausch, D.U. |
Ludger Gruber |