09.11.2020

„Ich möchte alles, und zwar sofort und ohne Risiko“ – Logistik-Arbeitsrecht auf der letzten Meile –

Teil 1: Wenn der Pilot die Cola bringt

Hintergrund

Onlinebestellungen von Klamotten, Käse und Co. waren bereits vor Corona ein Renner. Während des Lockdowns kam dann auch der letzte Kunde auf den Geschmack von Hol- und Bringediensten. Zur Unterstützung regionaler Anbieter wurden gleichsam nicht nur Waren aus dem Foodbereich sondern auch beim örtlich ansässigen Textilhändler gekauft. Auch seitdem die Wirtschaft wieder anzieht, erleben gerade Ausfahrten auf der Kurzstrecke einen starken Boom.

Im Folgenden sei daher angerissen, welche Vorteile selbständige Kurierfahrer für alle Beteiligten bieten und welche Gestaltungsmöglichkeiten es hierbei gibt.

I. Typische Vertragsmodelle

Typischerweise werden Kuriere als Arbeitnehmer angestellt oder als Solo-Selbständige beauftragt. Wichtig ist hier insbesondere, eine Abgrenzung zwischen Angestellten und freien Mitarbeitern, wobei das Verfahren zur Einordnung nach § 7 a Abs. 1 SGB IV zwar dienlich ist, jedoch zu viel Zeit in Anspruch nimmt. Für den spontanen Abruf oder das Einspringen für eine Auslieferungsfahrt gerät mit Blick auf den sperrigen § 12 TzBfG die Möglichkeit der Arbeit auf Abruf schnell an seine Grenzen.

Die Steuerung von Angebot und Nachfrage von Kurierfahrten erfolgt  - egal auf welcher vertraglichen Basis der Kurier tätig ist – häufig über Plattformen oder Apps, die lediglich als Vermittler auftauchen und keine – schon keine arbeitsvertraglichen – Verpflichtungen übernehmen wollen.

II. Vorteile für selbstständige Kurierfahrer

Nicht selten setzen die Unternehmen auf die Selbstständigkeit ihrer Kurierfahrer. Vorteile für selbstständige Kurierfahrer liegen auf der Hand. Dies sind zum einen die Flexibilisierung der Arbeit unabhängig vom gewählten Vertragsmodell und ein recht einfacher Zugang zum Arbeitsmarkt, teilweise auch ohne Bewerbungsverfahren eine recht schnelle anonyme Anstellung, Durchführung oder Abwicklung der Aufträge. Sie können – anders als ein Arbeitnehmer – auch einen Vertreter beauftragen. Sie können die einzelnen Fahrten auch ablehnen oder sich vertreten lassen und haben die Höhe ihres Einkommens selbst in der Hand. Auch können sie für viele andere Anbieter tätig werden.

Für das Auftragsunternehmen lohnt es sich, weil sie - über die Plattform abgewickelt - nur jeweils pro Gig/Fahrt/Lieferung bezahlen müssen, Änderung der Bedingungen über die App gesteuert werden; Arbeitsmittel (Fahrrad, Handy) oft vom Selbstständigen besorgt und in Schuss gehalten werden müssen und natürlich Arbeitnehmerrechte (Mindestlohn, Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Sozialversicherung, usw.) keine Anwendung finden. Anders als Arbeitnehmer dürfen selbstständige Kurierfahrer auch ohne Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz an Sonntagen tätig werden.

III. Gestaltungsmöglichkeiten

Damit ist es durchaus nachvollziehbar, dass Unternehmen eher Selbstständige als Kurierfahrer einsetzen möchten, um ihre Waren an den Kunden zu bringen. Hierbei sollten sie gerade auf der letzten Meile insbesondere auf Folgendes achten:

  • Vereinbarung einer Erfolgsvergütung (Anzahl ausgelieferter Pakete/Waren, Fahrten) keine tätigkeitsbezogene Vergütung
  • Kurierfahrer ausdrücklich erlauben/ermuntern, auch für andere Unternehmen zu fahren 
  • Unterbeauftragungen erlauben – insb. durch Familienmitglieder, Freunde etc.
  • Keine Vielzahl von Aufträgen nur über einen Kurierfahrer über einen längeren Zeitraum abwickeln
  • Kein dauerhafter Einsatz desselben Fahrers zu ähnlichen Arbeitszeiten, gleichen Arbeitsorten (ein Zeitraum von über vier Wochen kann hier schon zu lang sein)
  • So wenig Weisungen wie möglich zu Wegstrecke und Transportmitteln sowie zur Zustellzeit vorgeben. Bei letzteren sollte dies variabel gehalten werden, insbesondere wenn Kunden fixe Zustellzeiten versprochen worden sind (beispielsweise weil in einem bestimmten Lieferzeitfenster geliefert werden soll)
  • nach Möglichkeit keine Arbeitsmittel bereitstellen
  • keine Vorgaben zu Kleidung, Werbung etc.           

Gerade bei den Getränke-Lieferdiensten, die gegenwärtig so gefragt sind wie nie, lässt sich beobachten, dass feste Tourenplanungen mit Beladungsmöglichkeit „an jeder Ecke“ und bestimmten Lieferzeitfenstern ein sehr profitables Modell sind. Hier wird über digitale schlanke Verwaltungsprozesse von der Bestellung bis zur Zahlung nahezu alles getan, um den Kunden so schnell wie möglich zu erfrischen. Ein Modell für viele Händler. Möchte hier ein Auftraggeber auf Kurierfahrer zurückgreifen, die keine Arbeitnehmer sein sollen, bedarf es sowohl in der Vertragsgestaltung als auch in der tatsächlichen Umsetzung etwas Geschick um unternehmerseitig die Vorteile der Selbstständigkeit der Fahrer zu nutzen und Risiken der Arbeitnehmereigenschaft zu vermeiden. Ansatzpunkte hierfür wären beispielsweise dem Kurierfahrer die Steuerung zu überlassen, wann er wo die Ware abholt und er auch selbst den genauen Liefertermin mit dem Kunden vereinbart, sodass der Fahrer letztlich auf Geheiß des Kunden tätig wird, alles gesteuert rein digital.

Fazit:

Bei guter Gestaltung lassen sich die Vorteile, die die Selbständigkeit den Beteiligten bringt, in gewissen Bereichen durchaus realisieren. Schließlich hat das Bundessozialgericht die Selbstständigkeit von Freelancer-Piloten auch anerkannt, wobei das Transportmittel nicht streitentscheidend war. Alles – wie fast immer – eine Frage des Einzelfalls, aber den haben die Beteiligten ja selbst in der Hand.

Unser Logistikmonat

Die Luther Rechtsanwaltsgesellschaft wird das Themenfeld um die letzte Meile im Rahmen einer Webinarreihe vom 6. bis 24. November 2020 weiter ausleuchten und sich auch aus verschiedenen Rechtsgebieten den weiteren Entwicklungen und zukünftigen Anpassungsbedarfen nähern. Mehr

Autor/in
Daniel Zintl

Daniel Zintl
Partner
Leipzig
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